17.11.2016, 11:11 |
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Reisender
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Ohne Unterlass prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben während der sturmgepeitschte Wind um das Haus pfiff. Hohe, schwarzgrüne Wolkenberge hatten sich weit in den Himmel aufgetürmt, tauchten das Land in Dunkelheit und verdeckten die Sicht auf die Sterne. Es war ungemütlich und empfindlich abgekühlt. Nach den Herbststürmen würde es nicht mehr lange dauern, bis der Winter Einzug halten würde um das Land unter einer weißen Schicht aus Schnee und Eis zu begraben.
Ein junges Mädchen saß mitten in ihrem Haus im Schneidersitz auf dem Holzboden. Es hatte sich eine grobe Wolldecke umgelegt, die auch noch ihren Kopf bedeckte. Wie eine kleine Königin kam sie sich in diesem „prächtigen Gewand“ vor. Ihre noch kindlich geprägte Vorstellungskraft kannte keine Grenzen. Rechts und links neben ihr lagen ein großer und ein kleiner Hund. Ihre Jagdhunde. Den kleinen, den sie bei Herrn Fenthe von ihrem ersten ersparten Gold gekauft hatte und der große, den sie im Fenisthal im Keller eines verlassenen Hauses aufgestöbert hatte. Ganz abgemagert war er zu seiner Zeit gewesen und mit Mühe und viel Geduld, hatte sie ihn wieder aufgepäppelt, sodass er zu seiner alten Kraft hatte zurückfinden können. Auf ihrem Schoß ruhte ein aufgeschlagenes Buch. Es war noch ganz neu, mit leeren Seiten. Sie hatte sich vorgenommen diese zu füllen. Zwar war sie nicht die geborene Geschichtenerzählerin, aber ein paar ihrer Erinnerungen wollte sie dann doch festhalten. Doch wie fing man an in so ein Buch zu schreiben? Nachdenklich fuhr sie sich mit dem Ende des Kohlestiftes über ihren sommersprossenbesetzten Nasenrücken und hinterließ dort einen grauschwarzen Strich. Ratlos sah sie die Seiten an, dann wandte sie den Blick zur Seite und sah zum Fenster rüber. Ein Wetterleuchten erhellte für einen Moment die gesamte Wolkenbank und tauchte den Wald draußen in gleißendes Licht. Unbehaglich rutschte sie auf dem Hosenboden herum. Dieses Wetter war ihr nicht geheuer. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die leeren Seiten des Buches, dann begann sie zu schreiben… Mein Name ist Stina, Tochter des Vladis und ich bin 14 Jahre alt. Im Nugor des Jahres 1321 erreichte ich das Herzogtum Britannia und seitdem lebe ich hier. Ich stamme aus den Fjordlanden, die weit im Norden auf dem Festland liegen. Schnee und Eis bedecken dort das ganze Jahr über in luftigen Höhen die Berge und in den Tälern schmilzt der Schnee nur im Sommer. Dann speist er die vielen, vielen Flüsse und Bäche, die sich durch die grünen Wiesen und Auen winden. In den Fjordlanden ist es kalt. Selbst im Sommer wird es nicht richtig warm. So eine Hitze, wie diesen Sommer in Britannia habe ich noch nie erlebt! Das war ganz schön heiß. Ich schreibe in dieses Buch um ein paar Erinnerungen zu sammeln und zu schreiben, wie ich mich fühle. Im Augenblick friere ich. Eigentlich bin ich die Kälte ja gewohnt, aber hier in Britain ist die Kälte irgendwie anders. Es ist so nass dabei. Meine Kleidung saugt die Kälte und Nässe auf und diese kriecht mir tief in die Knochen. Ekelig ist das. In meiner Heimat war das anders. Da war die Kälte gut. Sie war trocken. Und die Luft war herrlich frisch und klar. Mit der Kälte, die hier im Herzogtum herrscht, hat das nichts gemein. Vor einer guten Woche habe ich noch im Fenisthal gelebt. Fenisthal ist ein kleiner Ort umgeben von vielen Wäldern und fernab vom Weltgeschehen. Es ist dort nicht so laut und voll wie in Britain, der Hauptstadt des Herzogtum. Hier habe ich Covan kennengelernt. Er ist ein Schneider und eigentlich adelig. Aber das vergisst man ganz schnell, weil er so herzlich normal und flapsig ist. Er hat auch eine Frau und zwei kleine Kinder. Covan hat mir damals eine Aufgabe gegeben und mich dabei unterstützt Fuß zu fassen. Er ist also Schuld daran, dass ich mich in den ersten Wochen im Fenisthal eingerichtet hatte. Aber nun ist er mit seiner Familie nach Britain gezogen in deren altes Haus und da ich Covan gut leiden kann und es mir allein im Fenisthal dann doch zu langweilig ist habe ich ebenfalls Ausschau nach einem Haus in Britain gehalten. Und in diesem sitze ich nun. Es hat meine ganzen Ersparnisse verschlungen. Deshalb sitze ich jetzt auf dem Boden, weil ich mir noch keine Möbel leisten kann. Aber das wird schon noch. Aber Covan ist nur eine von vielen Bekanntschaften die ich schon machen konnte. Da wäre auch noch Valka zu erwähnen. Valka ist der Leiter der Legion von Schwert und Feder. Und er ist ein Waldläufer, der noch dem alten Weg folgt. So hat er es mir erzählt. Und ich könnte ihm stundenlang zuhören, weil ich das alles so spannend finde! Ich möchte auch mal so wie Valka werden. Und deshalb übe ich das Bogenschießen ganz viel und höre mir alles, was er sagt, ganz genau an. Mit Valka habe ich sogar schon ein Abenteuer unternommen. Wir sind mit seinem Boot gefahren und haben eine Höhle erkundet. Sowas machen die Leute bei der Legion. Abenteuer bestehen. Vielleicht gehöre ich auch irgendwann mal dazu wenn ich größer bin. Dann sind da noch Abris und seine Frau Klara. Die haben vor Kurzem geheiratet und leben nun in Cove. Und ich war zur Hochzeitsfeier eingeladen! Ich war noch nie auf einer solchen Hochzeitsfeier. Ich hab den beiden zwei warme Felle geschenkt, damit sie es im Winter nicht so kalt haben und sich damit zudecken können. Außerdem gab es richtig gutes Essen auf der Feier. Klara kann ganz toll kochen. Ich brauche unbedingt das Rezept für ihren Apfelkuchen. Dann backe ich auch mal einen. Irgendwann. Wenn ich eine Küche habe… Wen kann ich noch erwähnen? Im Fenisthal, wo ich einige Zeit gewohnt habe, habe ich auch Lea kennengelernt. Lea ist ebenfalls eine Jägerin und hat mir Tipps gegeben, an welche Bogenmacher ich mich wenden kann, wenn ich einen Bogen und Pfeile brauche. Außerdem hat Lea die wundervolle Idee gehabt eine Jagdhütte zu errichten, in der alle Jäger und Reisende Rast einlegen können um Schutz vor dem Wetter zu suchen oder aber um sich eben auszuruhen. Hier bin ich auch zum ersten Mal Korad begegnet. Der war irgendwie schlecht gelaunt, als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe, aber inzwischen weiß ich auch warum das so war. Korad tut mir manchmal ein bisschen leid. Er hat einen ganz berühmten Vater und alle erwarten von ihm, dass er in seine Fußstapfen tritt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er deshalb nun besonders schnell erwachsen werden muss. Er ist sogar inzwischen bei der Garde und macht eine Ausbildung. Wenn ich ihn in seiner Uniform sehe, wirkt er manchmal ganz schön ernst. Aber mit ihm kann man auch Unfug reden und lustig sein und das finde ich dann wieder schön. Das sind nur ein paar Leute, mit denen ich schon Kontakt hatte. Aber da sind noch mehr. Viel, viel mehr! Aber wenn ich die jetzt alle aufschreiben würde, dann wäre das Buch schon voll. Alles in Allem würde ich sagen, dass ich mich ganz gut in Britannia eingelebt habe. Es gefällt mir hier trotz des unbeständigen Wetters. Zwar bin ich mit meinem Brüdern damals zusammen aufgebrochen um dieses komische Vogelwesen zu suchen, von dem der Geschichtenerzähler in unserem Dorf erzählt hat, aber inzwischen suche ich gar nicht mehr richtig danach. Hier gibt es auch so genug Sachen zu entdecken! Und doch… irgendwie fehlen mir auch meine Heimat und meine Familie. Ich vermisse den Tanz der Nordlichter am Firmament. Den Schleier aus verschiedenen Grün- und Blautönen. Und auch die Sterne habe ich schon seit Tagen nicht mehr gesehen! Jeder Einzelne einer meiner Vorfahren und Ahnen, die zusammen an einem Tisch sitzen, lachen, speisen und dabei doch immer auf uns hier unten aufpassen. Jeden unserer Schritte verfolgen. Ich vermisse meine Brüder. Auch wenn sie mich so oft geärgert haben, war es doch meistens lustig mit ihnen. Und ich vermisse Vater! Er weiß nicht mal, dass ich alleine unterwegs bin. Das würde ihm gar nicht gefallen. Hätte ich zurückkehren sollen, als meine Brüder sich trennten und in verschiedene Himmelsrichtungen weiter zogen? Zurück in das Dorf? In den alten Trott? Vater hätte das erwartet. Ein junges Mädchen wie mich, sein Nesthäkchen, will er bestimmt nicht allein in der Fremde wissen. Aber ich bin ja nicht allein! Ich habe Rubel und Tikaani und Anuka - und dann sind da noch meine anderen Freunde. Mit denen werd‘ ich schon alles schaffen. Das zeig ich Euch! Stina im Ronox 1321 |
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