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Alt 27.04.2019, 17:46
Auf dem Holzweg
#1
Julie Melan
Spieler, Mensch
 
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Als sie die Schiffsplanke entlang schritt wankte sie ein wenig. Jetzt bloß nicht noch auf den letzten Metern ins Hafenbecken fallen. Sie hatte die Reise trotz der stürmischen Winde gut überstanden, hatte sich nur wenige Male übergeben und war auch nicht über Bord gegangen. Ein guter Schnitt.

Den festen Boden unter ihren Füßen nahm sie zunächst kaum wahr. Ihre Knie fühlten sich noch immer weich an und so waren ihre ersten Schritte in Britain von Unsicherheit geprägt. Doch je weiter sie sich vom Hafen entfernte desto sicherer wurde sie und desto mehr Farbe kehrte in ihr blasses Gesicht zurück. Und auch das flaue Gefühl im Magen verflog langsam.

Um ihre kleine Werkstatt im Norden des Handwerkerviertels zu erreichen musste sie einmal quer durch die Stadt. Nichts hatte sich verändert. Alles war so, wie sie es in Erinnerung hatte – und das beruhigte sie.

Ihre Reise war wirklich schön gewesen. Das Wiedersehen mit ihren Eltern freudig und tränenreich. Sie hatte die Zeit genossen, in der sie sich nochmal wie ein Kind fühlen konnte und sich von ihrer Mutter bemuttern ließ. Frei von Sorgen, in den Tag hinein lebend, ohne sich darum kümmern zu müssen, wie man sich die nächsten Münzen für sein täglich Brot verdiente oder wo man rare Materialien her bekam. Und auch das schreckliche Ereignis kurz vor ihrer Abreise rückte in immer weitere Ferne, sodass diese Erinnerung mehr und mehr verblasste, zu einem Schatten wurde, den sie hinter sich ließ, wie einen dummen Traum. Am Ende war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob es wirklich geschehen war.

Doch auch die schönste Zeit musste einmal zu Ende gehen und schließlich war sie beinahe erleichtert gewesen, als sie wieder an Bord des Schiffes ging, das sie nach Britain zurück bringen sollte. Sie freute sich schon wieder auf ihre Arbeit. Auf ihre Freunde und ihre Bekanntschaften. Es galt noch einen Kundenauftrag fertigzustellen. Sie glaubte endlich den letzten Kniff begriffen zu haben, wie sie das Birnenholz richtig bearbeiten musste und konnte es kaum erwarten es auszuprobieren. Und dann hoffte sie darauf bald neue Aufträge zu erhalten, denn schließlich wollt sie fleißig wie eine Biene der Cunna sein um ihr Wissen weiter auszubauen und zu schulen.

Drei Briefe fand sie vor, als sie schließlich durch das Gartentörchen trat und während sie die ersten beiden las und sich über sie freute, ließ ihr der dritte das Blut in den Adern gefrieren. Es war kein Traum gewesen.
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