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Alt 29.05.2019, 15:37
#2
Julie Melan
Spieler, Mensch
 
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Erschöpft ließ sie sich auf die schmale Treppe sinken, die zum Eingang ihrer kleinen Hütte führte. Den Hinterkopf an die Tür lehnend, schloss sie die Augen und streckte das Gesicht der milden Frühlingssonne entgegen, die es mit ihren warmen Strahlen liebkoste. Sie musste dringend eine Pause einlegen.

Erst ein dreiviertel Jahr lebte sie in Britain und doch war sie der festen Überzeugung, dass sie in diesen neun Monaten mehr erlebt hatte, als in den 17 Jahren zuvor. Die Ereignisse überschlugen sich einfach. Es hatte damit angefangen, dass sie dem Kloster, in dem sie fast acht Jahre lang gelebt hatte, den Rücken kehrte. Sie wollte auf eigenen Beinen stehen, über ihre Grenzen hinausgehen. Und wann war der richtige Zeitpunkt, wenn nicht jetzt? Sie war eine junge Frau von fast 18 Sommern, etwas schüchtern vielleicht, aber gewiss nicht auf den Kopf gefallen. Auch wenn ihre Naivität manchmal genau diesen Eindruck erweckte.

Ihre Eltern waren von ihren Plänen zunächst nicht begeistert gewesen. Schließlich drohte ihnen ihre einzige Tochter ein zweites Mal zu verlieren. Das erste Mal, als sich Julie mit gerade einmal acht Jahren dazu entschied fortan im Kloster der Cunna zu leben und zu lernen und jetzt, einige Woche nachdem sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatte, ein zweites Mal. Doch Julie ließ sich nicht beirren und nach Tagen voller Diskussionen, ähnlich wie jenen im Alter von acht Jahren (nur das sie diesmal keine Novizin der Cunna zur Unterstützung dabei hatte) gaben ihre Eltern schließlich nach. Unter dem Versprechen regelmäßig zu schreiben und sie hin und wieder zu besuchen ließen sie Julie erneut ziehen. Und die junge Frau lief los, plan- und ziellos - und landete schließlich im Herzogtum Britannia und Britain.

So fremd und groß war ihr die Stadt vorgekommen und sie fühlte sich in den ersten Tagen verloren. Fast hätte sie wieder ihre Sachen gepackt und wäre am Liebsten weitergezogen oder noch besser zu ihren Eltern zurückgekehrt. Doch so leicht aufgeben wollte sie dann auch nicht. Nicht, nachdem sie ihre Freiheit so hart erkämpft hatte. Also blieb sie, hielt sich mit kleineren Auftragsarbeiten über Wasser, verzichtete auf Vieles, drehte jede Münze zuvor zweimal um, bis sie schließlich im Norden des Handwerkerviertels ihre erste, kleine Werkstatt bezog.

Und von diesem Tage an ging es bergauf. Sie lernte Feline kennen. Eine junge Schaustellerin und Bardin. Und obwohl die beiden gleichaltrigen Frauen so unterschiedlich waren wie Himmel und Erde, Feuer und Wasser, näherten sie sich mehr und mehr an. Julie gewann mit Feline nicht nur eine liebe Freundin, nein, sie gewann eine ganze Familie, denn Feline war Teil einer ganzen Sippe an Schaustellern. Von Anfang an fühlte sie sich gut aufgenommen, wenngleich Alvarez ihr mit seiner stets grimmigen Miene immer etwas Angst einflößte und sie Alea nicht einschätzen konnte bei seinem offenen Wesen und all‘ den Kosenamen die er gerne verteilte. Ein wenig Distanz war immer da, ja. Aber im Großen und Ganzen fühlte sie sich in Anwesenheit der Schausteller sehr wohl.

Wo die Schausteller waren, war es immer gesellig und schon bald profitierte Julie davon. Feline ließ sich nicht davon abhalten fleißig die Werbetrommel für sie zu rühren und so trudelten nach und nach die ersten Aufträge ein, wurden immer umfangreicher und die Entfernungen weiter. Bis nach Falkenstein wurde ihr Name inzwischen getragen und Julie ging in ihrer Arbeit und dem Gefühl „gebraucht zu werden“ auf. Es machte sie glücklich die unterschiedlichsten Menschen kennenzulernen und ihnen ihre Häuser einzurichten oder mit kleinen Dingen den Alltag zu erleichtern. Es war eine sehr anstrengende Zeit, die immer noch anhielt, denn ihre Auftragsbücher waren gut gefüllt. Doch beklagen wollte sie sich nicht.

Sie hoffte einfach, dass Cunna mit einem wohlwollenden Lächeln auf sie herab sah und ihre Arbeit anerkannte. Sie dankte der Göttin an jedem Morgen für ihre Gesundheit, die es zuließ, dass sie sich erneut an ihr Tagewerk begeben konnte und sie dankte ihr am Abend, wenn sie zu Bett ging, dass Cunna ihr ein warmes Heim ermöglichte und sie von Verletzungen bei ihrer Arbeit bewahrt hatte.

Und sie hoffte insgeheim, dass auch Cunna mal ein Auge zudrückte, wenn man sich nicht nur der Arbeit zuwandte sondern auch den zwischenmenschlichen Dingen. Freundschaften mussten gepflegt werden, wenn sie erhalten bleiben sollten. Und doch kam es immer wieder vor das Jemand zu kurz kam - und meistens traf es nun mal ihn. Sie wünschte sich mehr freie Zeit für ihn um ihn besser kennenlernen zu können. Schließlich, so schien es ihr, wusste er so viel über sie, aber sie kaum etwas über ihn. Manchmal fürchtete sie schon, dass sie ihn mit ihrem ständigen Zeitmangel vergrault hätte, doch wenn er dann im nächsten Moment plötzlich wieder vor ihr auftauchte, freute sie das schon.

Vielleicht war das wahre Freundschaft? Auch wenn man sich mal längere Zeit nicht sah, dass man trotzdem in schweren Stunden füreinander da war und sich gegenseitig half. Die Stimmung ihrer Gedanken kippte und sie erinnerte sich an den Vorfall mit Rival zurück. Die Begegnungen lagen ihr immer noch wie ein schwerer Klumpen im Magen. Bald hatte sie den Termin bei der Garde. Dann würde sie alles erzählen und sicherlich würde die Garde diesen Schurken dann auch erwischen. Ein wenig graute es sie vor der Aussage, hatte sie diese doch zu lange hinausgezögert. Aber mit ihm an ihrer Seite würde es wohl leichter werden. Hoffte sie.

Als ihre Wangen sich unter der Sonneneinstrahlung mehr und mehr röteten und ihre Haut zu prickeln begann, schlug sie die Augen wieder auf. Schwerfällig raffte sie sich von der Treppe auf. Für ein Nickerchen hätte sie nun gerade die richtige Bettschwere, doch als sie ihre Hütte betrat stellt sie fest, dass da kein Bett mehr stand. Sorgfältig auseinander gebaut lehnten die Bretter an der Wand. Sie seufzte leise auf. Es half ja alles nichts. So ein Umzug in eine größere Werkstatt erledigte sich nun mal nicht von alleine.
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