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Alt 20.08.2022, 12:35
#2
Mila Vandorez
Reisender
 
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Kapitel 2 – Die Invasoren

An diesem lauen Herbstabend war es unnatürlich laut in den Straßen der goldenen Perle. Jeder wirkte gehetzt bis schwer beschäftigt und auch ich war in Eile. Ein Bote hatte Garus und mich zum Alarm gerufen. Kromos war beim Dienst, ebenso wie mein Vater. Wo Czesare war wusste niemand. Meine Mutter blieb mit Titus allein zurück. Ihre letzten Worte waren: „Gib auf dich acht mein Kind.“ Ich habe den Klang ihrer Stimme vergessen mit den Jahren und auch ihr Gesicht verschwimmt immer mehr. Ich sah ihr sehr ähnlich, sagte man mir immer, doch wenn ich an meine Mutter denke, denke ich an eine fröhliche Frau die gerne scherzte und viel zu viel liebkoste. Sie hatte ein weiches Gesicht, mit strengen Augen und sehr beweglichen Augenbrauen. Sie war für mich der Inbegriff aller Weiblichkeit. Rund und kräftig, hübsch anzusehen, lustig, scherzend, interessant und doch willensstark und energisch wenn es sein musste. Vielleicht würde mein Spiegelbild ihr heute ähnlicher sehen, wenn mein Wesen mehr nach ihr gekommen wäre.

Garus hat sie nach unserer Verabschiedung nochmal gesehen. Erschlagen auf den Stufen ihrer Schmiede. Titus vor der Schmiede auf der Straße zu unserer Mutter gewandt und geköpft.

Ich weiß noch wie ich in die Halle trat, um mich meiner Einheit anzuschließen. Es war alles unübersichtlich, ich hörte, dass sich ein Heer näherte. Es gab obendrein politische Spannungen. Die Räte hatten sich verstritten, scheinbar wurde durchgesetzt dass die Tore gegen die Entscheidung des großen Rates (Der Große Rat bildet sich aus mehr Mitgliedern die gleiches Stimmrecht haben, der Kleine Rat hat aber die Entscheidungsgewalt) geöffnet bleiben sollten, die Stimmen und Satzfetzen flogen wie im Pfeilhagel an mir vorbei, ohne dass mir klar wurde was ich da hörte. Die jungen Einheiten wurden zu einem Außeneinsatz gerufen. Der Kriegsrat hatte nach diesem Beschluss entschieden, auf einen Zangenangriff zu setzten. Offiziere hatten uns zu großen Rotten gebildet und führten uns seitlich aus Melduren hinaus in die Hügellandschaft. Der Gestank ging allem voraus. Ein Geruch von Schwefel und Blut lag in der Luft, man konnte sie zu erst spüren, dann riechen, dann hören. Dieses unheilvolle Jaulen dass durch die Luft getragen wurde, keinem natürlichen Wesen entfleucht. Das Grunzen und Knurren, dem jegliche Stimmnuance fehlte und scheinbar ungefiltert die Kehle verließ. Und dann sah man sie. Die dunkle Schar. Die Invasoren. Mir fehlte damals jeder Name für das was da an uns vorbeizog. Ich wusste nur eins. Das was ich sah war das Böse. Es war nicht böse, weil es uns angriff, oder etwas haben wollte, was ihnen nicht zustand. Es war Böse von seiner Substanz her. Man konnte diese Bosheit fühlen. Mein Verstand arbeitete ab da an nicht mehr. Er war gelähmt, weigerte sich zu verarbeiten was ich da sah. Mein ganzer Körper war wie gelähmt und es fühlte sich an, als wäre ich sehr weit weg gewesen und hätte meinem Körper nur zugesehen, wie er da lag, in der Mulde etwa 50 Schritte von der dunklen Schar entfernt die auf Melduren zustieß. Andere meiner Gruppe waren nicht so gelähmt. Einige sprangen auf und griffen ohne Kommando in die Seite. Manche folgten ermutigt und kopflos. Andere wiederum blickten zum Offizier der versucht hatte die Gruppe zusammen zu halten. Ein Seitenangriff in dieser Lage, wäre einem Selbstmord gleich gekommen. Wir waren die Jüngsten. Wir wurden hinaus geführt, um den Sieg zu krönen oder in Sicherheit gebracht zu werden. Ich sah zu, wie jene Stürmer unserer Rotte fielen ehe sie den Feind erreichten. Und noch immer war ich wie in weiter ferne als Garus plötzlich neben mir aufsprang. Noch ehe ich überhaupt den Schrei über die Lippen brachte, den Schrei der sich tief in mir gebildet hatte, aber meine Kehle nicht verlassen wollte, war mein Offizier auf ihn gesprungen und hatte ihn zu Boden gedrückt. Ich war fünfzehn als ich das erste Mal das reine Böse sah. Das hat mich zweifellos geprägt, vielleicht stahl es mir damals schon die Liebe.
Unser Offizier raffte uns hoch und trieb uns wieder zurück. Behielt uns in Bewegung und hoffte in der Nähe der Stadtmauern einen besseren Überblick zu haben. Ich nahm aus sehr weiter ferne wahr, wie mein Körper folgte, ich nahm aus sehr weiter Ferne wahr, wie Borus von der Stadtmauer geworfen wurde und dann mein Vater. Ich nahm noch wahr das Garus fort rannte und entkam, danach verschließen sich meine Erinnerungen für eine ganze Weile auf eigenartige Art und Weise. Ich weiß noch, dass unser Offizier doch wieder in die Hügel trieb und uns in einer Mulde sammelte. Ich weiß auch noch, dass es sehr weit weg war und ich weiß noch, dass ich dort mit den anderen saß und keiner sagte etwas – oder ich erinnere mich nicht daran. Denn obwohl ich weiß, dass es so ablief, kann ich mich im wesentlichen nicht daran wirklich erinnern, den Weg zurück gelegt zu haben oder dort mit den anderen gesessen zu haben. Dieser Zustand hielt eine ganze Weile an.
Unser Offizier führte die wenigen die von uns geblieben waren weiter ins Landesinnere. Die Kriegslinie zurück, welche die Invasoren hinterließen. Was wir sahen ließ uns verstummen. Es war ein stiller und stummer Marsch. Von Dorf, zu Stadt, zu Höfen und Ansiedlungen. Ich habe für diesen Marsch auch jegliches Zeitgefühl verloren, doch ich alterte ein Jahr und lernte den Ausspruch der Geierpriester zu verstehen.

„Im Angesicht des Todes verliert selbst die Zeit jeden Wert“

Die Zeit bleibt auch für die Lebenden stehen, wenn sie vom Tode umzingelt sind. Egal wo wir hinkamen, sahen wir Leichen in den unterschiedlichsten Stadien der Verwesung. Manchmal gab es Überlebende die unseren Weg schnitten und uns vor den Leichen warnten. Untote seien über sie gekommen, manch ein Nachbar soll schon wieder auferstanden und verschwunden sein. Die Geschichten wurden immer düsterer je weiter wir kamen. In einer Stadt weit schon im Landesinneren, haben wir das königliche Heer passiert. Es war ein Nebentrupp, die Verfolgung wurde wohl noch immer nicht aufgegeben. Wir blieben eine Weile in der Stadt. Unser Offizier wurde oft gerufen um Aussagen zu machen, er war selten bei uns und so brach unsere Rotte zusammen. Der eine hatte dort Verbindungen aufgenommen, der andere hatte nun andere Ziele. Manche suchten auch feste Arbeit in der Stadt. Garus hatte damals das Kommando übernommen und gesagt wir ziehen weiter. Mit oder ohne Offizier. Das war etwa der Zeitpunkt wo mein Verstand langsam wieder bereit war selbstständig zu reagieren. Die Ungewissheit wie es nun weiter ging begann langsam zu nagen. Ab da an waren wir noch drei Monde unterwegs, bis wir zum Osthafen gelangten. Die Dörfer, Siedlungen, Städte und Höfe änderten sich, je weiter wir zogen. Man sah ihnen noch die Spuren des Krieges an, doch sie wurden wieder aufgebaut, und je weiter wir kamen, desto weiter waren die Arbeiten. Besonders eindrucksvoll war für mich ein Mühle, die nicht wieder aufgebaut wurde. Sie war verlassen, stand in dem Brandskellett, inmitten von Sträuchern und Brenesseln. Bäume hatten im letzten Frühjahr zu sprießen begonnen. An der Seite plätscherte mit leichter Strömung ein Fluss auf dem unzählige Mücken schwirrten. Grillen zirpten und Vögel zwitscherten. Es war der pure Anblick von Friede. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich das Grün und Braun und Olive vermisst hatte auf dem stummen Marsch. Da war nichts buntes, nichts lebendiges, da war nur alles grau in grau und tot. Anfangs fehlte es gar an natürlichen Aasfressern, doch waren sie die ersten die ich wohl wahrnahm. Die Geier des Namenlosen.
Doch die Ruine die ich da sah, inmitten von Grün das es umarmte und umschlang, sich einverleibte und die Erinnerung an diese Tat zu tilgen begann, hatte mich in den Bann geschlagen. Ich weigerte mich zwei Tage weiter zu ziehen und an diesem Lagerplatz unterhielten Garus und ich uns sehr sehr lange. Er erzählte mir was er in der Stadt sah und fragte mich nach meinen Erinnerungen. Wir waren beide wie leer gepumpt. Doch entstand in dieser Nacht in mir etwas Neues. Ein Licht, das ich den Namen „Leben“ gab. An das ich glaubte, und so sehr mit dieser Ruine verband, die sich wie ein Phönix aus der Asche erhob und sich wieder mit Leben füllte. Ich begann die Natur mit anderen Augen zu sehen und zum ersten Mal konnte ich dem Begriff heilig eine besondere Bedeutung beimessen. Es wurde mir nicht heilig, weil andere sagten, dass es heilig war. Es wurde mir heilig, weil es sich mir als heilig offenbart hatte. Es war die Geburt meines persönlichen Glaubens, ich war gerade 17 geworden. Es war nicht so dass meine Familie nicht die Götter verehrte. Wir pilgerten regelmässig im Estif zum Schrein des Aestifers den meine Familie wohl am meisten in ihr alltägliches Leben einband. Meine Mutter glaubte am stärksten glaube ich an ihn. Ich erinnere mich, dass es für sie immer etwas sehr besonderes war auf Pilgerreise zu gehen und an Aestifers Feuer fühlten wir uns alle sehr wohl. Doch wurde auch zu Libanu gespendet, als mein Bruder sich verlobt hatte und auch die Glaronsmessen wurden regelmässig besucht, wenngleich mehr aus Pflichtbewusstsein denn aus dem Herzen heraus, mein Vater sagte mir mal: „Sieh es so, die Götter die man sich wählt zu jenen man betet, sind etwas ganz persönliches, sie werden dich rufen und dir Zeichen senden. Du wirst ganz instinktiv wissen, welcher Gott dich da rief. Doch in die Messe zu gehen, ist eine Bekenntnis mein Kind. Eine Bekenntnis zum Guten, die dich vielleicht davor schützen kann von den Dunklen Zwei Zeichen zu bekommen. Wir bemühen uns gute Menschen zu sein, und das soll auch jeder wissen, so reichen wir die Hand anderen guten Menschen und verbünden uns.“ Meine Mutter war da viel liberaler, vor allem sagten ihr die Beichten nicht zu. Mir selbst verhalfen diese Lehren, die für mich stets sehr unpersönlich waren, eine Moralvorstellung zu entwickeln und auch wenn mir bis heute ein persönlicher Bezug zu Glaron fehlt, so bin ich heute dankbar dafür, dass ich gut von böse zu unterscheiden vermag. Nach der Geburt meines persönlichen Glaubens habe ich mich eine Weile wieder mit den Göttern beschäftigt. Ich war mir nicht ganz sicher, ob sich mir in der Ruine Libanu oder gar auch Glaron offenbarten. Der Phönix an den ich denken musste, ist das Wappentier Glaron, doch die Natur und das Wort Leben, dass durch mein Inneres schallte wiesen deutlich auf Libanu hin. Irgendwann kam mir der Gedanke: Wenn sich dir an der alten Mühle Libanu und vielleicht Glaron offenbarten, dann hatte sich dir der Namenlose offenbart als du für ihn gepilgert bist. Auch versuchte ich mich an mehr Aspekte von Tykene zu erinnern, als Friede. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Götter fand ich zu denen ich beten „könnte“. Adoria als stolze Kriegsgottheit war für mich das Vorbild. Ich wollte sein, wie sie dargestellt wurde. Nur ohne die Jagd und den Firlefanz mit der Bevorzugung von Weibern. Doch ich verwarf diesen Gedanken bald wieder, da ich ihn irgendwie als blasphemisch empfand. Lorica spürte ich in meinem wütenden Blut, doch will ich ihr bis heute nicht Folgen. Meine Moralvorstellung erlauben es mir nicht einer Gottheit zu huldigen, die Freude am Blutvergießen empfindet. Dennoch wurde ich lange von ihr verführt und noch heute vor den Schlachten spüre ich sie dann und wann in meinem Blut. Ich habe gelernt das Lorica wie die meisten neutralen Gottheiten ohne höheres Ziel ist und nur zu einer oberflächlichen Zufriedenheit führt. Nach einem Mond etwa gab ich es auf. Man hatte mit mir viel über meine Seele gesprochen und nach dem stummen Marsch, empfand ich das Reich des Namenlosen als nicht beängstigend. Ich sah mit eigenen Augen, dass er unaufhaltsam ist. Ändern kann ich sein Eintreffen nicht, für einen anderen Gott konnte ich mich bis heute nicht entscheiden, und dass obwohl sich mir etwas Heiliges offenbarte.

Kurz nach dieser Spirituellen Erfahrung stauten sich in mir Wut und Zorn. Ich wurde immer angriffslustiger und begann mich mehr in den Städten zu prügeln, dabei wettete ich stets auf mich. Anfangs verlor ich mehr, als dass ich gewann, doch eine Alternative hatte ich nicht. Ich merkte selbst wie der Stumme Marsch mir Masse und Übung geraubt hatte und auch das machte mich Zornig. Ich verstand die Welt gegen mich. Ich war uneins mit mir selbst, ich wusste das ich mehr vom Leben erwartete als diesen stetigen Zorn, ich wollte mehr. Ich wusste nur noch nicht wie.
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