Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 23.08.2022, 15:58
#5
Mila Vandorez
Reisender
 
Registriert seit: 25 Sep 2016
Beiträge: 500
5. Kapitel – Der charismatische Herr von Yew

Nach der Audienz in Aldfur ludt der herzogliche Hof zum Bankett ein. Da war ich schon etwas aufgeregt. Ich konnte es kaum erwarten mir selbst ein Bild vom Hofe und Adel zu machen. Mit vermeintlich kriegerischer Strategie plante ich mein Erscheinen, um mir einen möglichst guten Beobachtungsplatz zu sichern. Ich wollte soviel wie möglich mitbekommen und sehen. Als ich das erste Mal in der Greifenburg eintraf, war ich schon beeindruckt wie groß die Halle war und wieviele da waren. Viele gute Plätze waren schon vergeben und vor Kopf am Tisch saß die Herzogin. Zwei Stühle weiter von ihr, an ihrem Tisch war noch ein Platz frei und ich ging, um ihn für mich zu beanspruchen. Kurz später tauchte Karnis auf und setzte sich zu mir, ich räumte meinen Platz nicht für ihn, als ihre Hofdame Fräulein Belatar mich auch schon wieder auffordern wollte den Platz zu räumen. Ich war so in Dominanzraufen verwickelt, ob der Ratswahl in Falkenstein, dass ich laut fragend protestierte „Sagt wer?“. Die Hofdame wollte mich noch weiter belehren und ich protestierte weiter. Ich bin heute nicht ganz sicher, ob ich der Herzogin auf die Nerven ging und sie deswegen Fräulein Belatar davon abhielt, weiter mit mir zu streiten oder sie Erbarmen mit meiner Bauerntrampeligkeit hatte. Vielleicht oder vermutlich war es eine Mischung aus beiden, doch ihr Einlenken hatte mich damals tief beeindruckt. Es war nicht der Grund. Der Grund war Einleuchtend. Ich war ein Emporkömmling der Anspruch auf das Land ihres Onkels erhob, ich hatte einen gewissen Ruhm erworben – sie wollte sich wohl ebenso, wie ich mir von ihr, ein Bild von mir machen. Was mich so beeindruckte, war die Würde mit der sie es tat. Ich hatte mir zweifelsohne auch bei Hofe durch meine barbarische laute Art einen Namen gemacht, doch wie ich später mit Bedauern erkannte, nicht den Besten wohl. Zumindest wenn es um das Wohl Falkensteins ging.
Doch begriff ich noch nicht dass ich einen Höhenflug folgte. Nach dem Bankett wurde ich von einigen aus der Kriegerkaste gewarnt, mein Maul nicht ganz so weit auf zu reißen. Einer der mich warnte war Bargon Ferilan. Der Herr von Yew. Zwar ist er das schon lange nicht mehr, aber aus Respekt vor ihm und als Dank für seine Erziehung an mir, nennen ich ihn für mich bei seinem alten Titel. Ferilan lernte ich in der Bärenhöhle kennen und ich war von Anfang an fasziniert von seiner Ausstrahlung. Kriegerisch, Erhaben und überaus Charismatisch. Klug in seiner Wortwahl aber auch ungezähmt und wild, wenn ich seine Geduld reizte – was ich eigentlich die ganze Zeit tat. Ich verhielt mich ihm gegenüber wie der größte Bauerntrampel und heute bedanke ich mich für die Geduld, die er mit mir hatte. Bedauerlicherweise weiß ich, was er dazu zu sagen hat. „Schön für dich, davon kann ich mir jetzt aber auch nichts kaufen.“ Irgendwie ist es eine Tragödie, dass Ferilan mir den nötigen Schliff gab um weiter zu gehen, aber niemals zur Ernte seiner Saat kam. Er hat viel Geduld in mich gesteckt, mir Disziplin, den rechten Stolz und Gehorsam beizubringen. Er selbst ist letztendlich an mir gescheitert, weil ich es einfach nicht verstand. Es begann damit, dass ich ihn herausforderte und er die Herausforderung ablehnte. Wir sprachen lange über Tugenden und auch über Ehre danach und er bot mir an sein Herr zu sein. Mich zu lehren und auszubilden. Ich hatte eine vage Vorstellung davon, dass es mir nützlich sein würde von ihm zu lernen, doch wollte es sich mir nicht erschließen, warum ich ihm dienen sollte. Ihn meinen Herren nennen sollte, warum ich zu ihm Loyal stehen sollte, egal was er tat. Ich hatte alles was ich zu bewältigen im Stande war und noch mehr. Ich hatte einen berüchtigten Ruf, der noch größer in den Gassen wurde, als ich im Seefahrerkontor den alten Vandrak auf die Bretter brachte. Ich hatte Falkenstein gegründet und mehr oder weniger unter Kontrolle. Aldfur schickte Prinz Jaffar um mich zu hofieren, auch wenn mir das nicht zusagte, empfand ich es, naiv wie ich damals war, als Respekterweisung. Ich hatte für eine kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Herzogin Britannias bezogen, als sie mich nach meinen Plänen fragte. Warum sollte ich all das aufgeben und ihm übertragen. Bargon Ferilan hatte damals keine so große Bedeutung für mich, auch wenn ich ihn ungemein beeindruckend fand, interessanterweise hatte der Herr von Yew überhaupt gar kein Interesse an Falkenstein oder meinen Errungeschaften. "Ich hatte Yew, ich bin gegangen, ich brauch jetzt keine zweite Möglichkeit mich zu beweisen. Ich hab auch überhaupt kein Interesse an deinem Ruhm, dein Ruhm wir auf mich als deinen Herren übergehen. Hättest du weniger Ruhm, würde ich dir nicht anbieten mir zu dienen." hatte er damals so oder so ähnlich gesagt, ich erinnere mich hier nicht mehr an den genauen Wortlaut, doch er hatte mir versucht zu erklären, was eine kriegerische Dienerschaft bedeutet. Ich verstand das Prinzip das er mir da erklärte, dass der Diener den Herren unterstützte und sich für den Herren so unbezahlbar wertvoll machte, doch ich verstand nicht warum ich das tun sollte und ich konnte es noch nicht mit Stolz tun. Für mich war das Wort "Dienen" noch eine sehr abwertende Begrifflichkeit. Ich begriff das Prinzip des „mit Stolz dienen“ nicht. Das kam erst als ich Britannia verlassen hatte. Wie oft schimpfte er mich dämlicher Bauerntrampel, bräsige Göre oder dummes Weib. Ich war wie gebannt von seinen Wutausbrüchen, da ich auch in keinster Weise verstand, wie sehr ich seine Geduld reizte. Irgendwann fragte er mich was mein nächstes Ziel sei und ich erklärte ihm, dass ich dabei bin, Wissen über das Gebiet Yew, Falkenstein und Aldfur zu sammeln. „Ich kann dir dabei helfen Mädchen“ Hatte er damals gesagt, und ich blickte ihn erwartungsvoll an. „Na gaff mich nicht so kuhäugig an, mach mir ein Angebot.“ Und so brachte er mich dazu ihm schlussendlich doch noch zu dienen. Er forderte eine rechte Begrüssung für jedes treffen und das ich ihm Wein einschenkte. Und je nach Begrüssung erzählte er mir von der Geschichte Yews und Valarians an der er selbst maßgeblich beteiligt war, ausführlich oder nur oberflächlich. Er forderte Disziplin, manchmal forderte er mich auf die ganze Zeit zu stehen, während er erzählte und unzufrieden mit der Begrüßung war. Er lockte mich immer mit dem Wissen, das er besaß und ich wollte. Mit dieser charismatischen Art die mich so in den Bann zog, dass das Dienen eine Art Handel wurde. Ich übte zuhause, die rechte Vorstellung. Ich übte auch an meinen Bewegungen, Ferilan mißfielen meine angeberischen Gebaren, die sich mehr oder weniger seit frühester Kindheit bei mir gebildet hatten. Bei vier Brüder, einer ständigen Herausforderung der Stärke ausgesetzt, waren meine gesamten Vorbilder stets männlich gewesen, bis auf Arla. Ich hatte die Gebaren meiner Freunde und Brüder übernommen, erst als Kind, dann als junge Unmündige und schließlich als junge Erwachsene. Es war etwas, über dass ich mir nie recht bewusst war. Ich übte also vor dem Spiegel an meinem Gesichtsausdruck und meinen Posen, am Klang meiner Stimme, wenn ich ihn begrüßte und kam mir selten albern vor, doch mir war klar, wenn ich nicht dem entsprach was Ferilan forderte, würde ich nur uninteressante Sachen zu hören bekommen, Anekdoten die am Rande geschahen. Ferilan schärfte mir ein, mir immer darüber klar zu sein, was ich will und diesem Willen zu folgen. Er zeigte mir, wie man über den Tellerrand hinaus blickte, die Konsequenzen erahnte, er zeigte mir wie die Reiche funktionierten. Was man sich erlauben konnte und was nicht. Er erklärte mir, dass ich auf langer Sicht mich mit der Krone arrangieren musste, wenn es um Falkenstein ging. Es war Kronland, dass ich beanspruchte und die Krone würde vermutlich nicht einfach zusehen, wie ein paar Bauern sich Land aneignete. Sie würden früher oder später jemanden senden, und dann käme es darauf an, diesem jeman zu beweisen, dass man fähig war, das Land im Sinne der Krone zu verwalten. Bis dahin wäre es ratsam, das Maul nicht so weit aufzureissen, bei den Empfängen schon anwesend zu sein, aber bemüht darum nicht aufzufallen. Es gab ein paar Sachen, an denen wir arbeiten mussten, dazu gehörte auch Aldfur. "Reden kann jeder Vandorez, auf die richtigen Taten kommt es an! An den Einfluss, den du dir erkämpft hast, kommt man leichter als du denkst, ihn zu halten und auszubauen, das ist der Kampf an denen alle bisher gescheitert sind auf kurz oder lang. Und da kannst du dich auch im ganzen Reich umsehen und in der Geschichte wühlen, der Alltag den fast alle herbeisehnen ist oft der Henker den man sich bestellt. Wenn er eintrifft geht es noch eine Weile gut, doch immer mehr werden ausbleiben, wenn du nichts zu bieten hast und deine Leute nicht bedienst."
Immer wieder kamen wir auf Gespräche über die Zukunft auch von Falkenstein. Er erzählte mir wie es für ihn war Yew zu erorbern. Wie es war Yew zu halten. Wie der Alltag für ihn als Herr von Yew war, als Eskalor starb und sein Weib sich auch immer mehr zurück gezogen hatte. Und als er davon sprach, dass ihm das Halten von Yew nicht den rechten Frieden gab, und erst die Besatzung Valarians wieder frischen Wind in seine Sache brachte, da bekam ich es mit einer gewissen Panik zu tun, die vor allem mit Dominik McGinnis zu tun hatte. Wir waren Gefährten, jeder der uns besser kannte wusste es. Wie sollte die Zukunft für mich aussehen? Feinde ließen sich keine aus dem Nichts zaubern, denen wir gewachsen gewesen wären und selbst wenn. Ich dachte damals darüber nach das Dominik doppelt so alt war wie ich, sicher eine Familie gründen wollte, sesshafter werden, vielleicht gar heiraten wollte. Mir wurde schlagartig klar, dass ich das nicht wollte. Ich wollte nicht ewig an einen, auch nicht an diesen Mann gebunden sein. Ich war feige genug in dieser Hinsicht, um ihn von heute auf morgen sitzen zu lassen. Ich warf alles hin, Falkenstein, Dominik, all meinen Freundschaften, erreichten Ziele und erkämpften Positionen und fuhr zum Festland. Meinen Bruder hinterließ ich nur einen fragwürdigen Brief. Er hatte sich im ganzen Königreich verteilt ein Informationsnetz aufgebaut, auf der Suche nach Czesare. Ihn zu finden hat er zu seiner Lebensaufgabe gemacht, dies ist der Antrieb dem er folgt, ich ging einfach davon aus, dass es mir ein leichtes sein würde ihn wieder aufzutreiben. Ich ging ohne Plan und ohne Ziel. Auf meiner Reise zum Festland ging mir einiges durch den Schädel. Vor allem plagte es mich, wie ehrlos ich mich gegenüber Domenik verhalten hatte. Ich versuchte immer wieder diese Gedanken abzustreifen, doch da ich mich ebenso viel mit den Idealen und dem Weg des Kriegers beschäftigte, musste ich mich der Sache früher oder später stellen. Auf jener Überfahrt begann ich, das Buch meines Vaters regelmässig zu lesen. „Die Herausforderung“ war eine Art Kodex, eine Lehre an der man versuchen sollte, sein Leben als Krieger zu ordnen. Tatsächlich war mein gesamtes Weltbild am bröckeln als ich ging. Es hatte sich in den Jahren zuvor schon entwickelt, als ich in all den Gesprächen mit Liandrel und dem Herrn von Yew begriff, dass Freiheit kein Ideal für eine kriegslastige Siedlung sei, als mir bewusst wurde, dass ich alles andere als Neutral war. Ich wollte durch und durch für das vermeintlich Gute kämpfen, gerechte Dinge tun, es war gewiss nichts Falsches daran, das Leben und die Natur unter das Gute einzuordnen, doch musste ich sehr langsam erkennen, dass „Leben“ kein Ideal war. Leben war, ist und wird da sein, solange man dem Bösen die Stirn bietet, doch es tut nichts weiter als zu „sein“, ohne weiteren Antrieb, ohne weitere Motivation oder Ziele. Es war ein guter Grund für das Gute zu kämpfen, aber es hatte dem Bösen nichts entgegen zu setzten. Die Beweise dafür waren mannigfaltig. Man musste sich nur den verfluchten Wald von Yew ansehen oder über die Wälle in den Süden blicken. Freiheit war der größte Trugschluss dem ich anheim fiel. Wenn man für Freiheit kämpft und sich einsetzt, sollte man sich stets vor Augen halten, was man mit der gewonnen Freiheit anfängt. Wenn man sich mit Nägeln und Zähnen für seine Freiheit prügelt, gewinnt und die gewonnene Freiheit nur dafür nutzt um gemütlich vor dem Kamin zu sitzen, dann erscheint all der Kampf, das Raufen, das Streiten bescheuert, denn gemütlich vor dem Kamin kann man auch unter der Krone sitzen. Wer für die Freiheit kämpft, um Einfluss nehmen zu wollen, um etwas nach eigenen Denkgut zum Besseren zu wandeln, der Kämpft im Grunde nicht für Freiheit, sondern für Macht. Aber gerade der kleine Bauer, zu dem ich mich zu jener Zeit auch zählen musste, tat gut daran sich von dem Begriff der Macht zu distanzieren. Zu oft, in vielen Orten des Königreichs, galt die Krone als Gegner der Freiheit, beim ungebildeten Volk und es würde noch eine Weile dauern, bis ich genug Erziehung und Lehre erhalten hatte, um all das zu erkennen. Zunächst einmal hatte ich kein wirkliches Problem mit der Krone, ich war bis zu diesem Zeitpunkt nur nicht gewillt gewesen, mich ihr anzuschließen, für sie zu kämpfen oder hinter ihr zu stehen. Dafür war ich noch zu sehr Meldurerin. Aufgewachsen mit all den Geschichten über Macht und Einfluss, von der wir nur träumten, der vermeintlichen Ungerechtigkeit, dass unser eins den letzten Tropfen Wasser auf den Feldern ausschwitzen musste, um was zu Essen zu haben, wohingegen andere Kinder mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Maul geboren wurden. In Melduren war der Adel nicht sonderlich präsent, gewiss war er immer mal wieder da, doch nahm er keinen besonderen Einfluss auf das Leben der Einheimischen. Daher war nie jemand da gewesen, der uns über das Leben von diesen „goldenen Kindern“ erzählte.
Ich strebte auch nie nach einer eigenen Familie, die ich gebar. Ich hatte eine Familie gehabt und mein Bruder Garus war noch am Leben und hatte sein Leben selbst in die Hand genommen. Das Leben, mein Leben hatte mir viel zu geben. Manches war schön, wie die Erinnerungen an meine Kindheit und Familie, die besonderen Erlebnisse an der alten Mühle und auf der heiligen Insel mit Liandrel. Anderes war düster, wie der stumme Marsch, die Begegnungen mit dem Bösen und die Zeit die nun auf mich wartete. Aber das wusste ich noch nicht. Ich war auf der Überfahrt und versuchte irgendwie, all das was durch meinen Kopf schwirrte, das was der Herr von Yew versuchte mir beizubringen, zu ordnen. Ich fühlte mich damals in meinem Gedankenchaos verloren. Es waren so viele Gespräche gewesen, jeder hatte eine andere Meinung und es dauerte Jahre, dieses Chaos in meinen Gedanken zu ordnen, Jahre in denen ich die fehlenden Erfahrungen machte, um all das zu verstehen, Jahre der Erziehung, um das große Ganze zu erkennen. Wäre ich klüger gewesen, hätte ich all das schon begriffen, denn fast alles hatte mir Ferilan schon beizubringen versucht. Doch ich wollte nicht hören. Vor allem war ich noch immer nicht bereit gewesen, mich hinter einen anderen Menschen zu stellen. Auch nicht, oder schon gar nicht für die Liebe.
Mila Vandorez ist offline  
Mit Zitat antworten