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Alt 24.08.2022, 15:04
#6
Mila Vandorez
Reisender
 
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Kapitel 6 – Der Ritter von Gerhatt

Ehe ich die Kronhauptstadt erreichte, war ich der vermeintlichen Liebe oft begegnet auf meiner Reise. Ehepaare, Eltern und Kindern, Geschwistern, frisch Verliebte. Sie alle genossen auf diesem kurzen Stück eine gewisse Aufmerksamkeit von mir, denn ich begann zu zweifeln, ob ich je wirklich geliebt hatte. Die Trennung von alldem was man eigentlich lieben sollte – Freundschaften, Geliebter, erfüllte Träume und Ziele, war frisch und machte mir so wenig aus, dass die fehlende Trauer darüber mir Sorgen bereitete. Auch die Trennung von Garus war diesmal von ganz anderen Gefühlen geprägt gewesen. Meine Erfahrungen auf Britannia hatten mich eigenständiger gemacht, mir das Selbstvertrauen gegeben, dass ich nun alleine zurecht kam und Garus traf wie stets seine eigenen Entscheidungen. Er war gar ein ganzes Jahr, die Klinge von Liandrel. Er hatte sich als Dank für meine Rettung und auch als Zeichen des Respektes und Vertrauens gegenüber der Waldelfen in Liandrels Dienst gestellt. Er war viel auf Reisen und begann damals sein Informationsnetz auf dem Festland zu spinnen. Er hatte Czerare nie aufgegeben. In meinem Kopf galten wir als eigenständige Menschen, die alle ihre eigenen Entscheidungen trafen. Niemals gegeneinander, aber auch nicht miteinander. Garus war mein Blut, er würde immer mein Blut sein, egal was passierte. Er würde auch mein Blut sein, sollten wir uns an einer Front jemals gegenüber stehen. Denn auch solchen Gedanken folgte ich in dieser Zeit. Ich erinnerte mich an die Lehren Liandrels vom stetigen Wandel und den Worten Ferilans, dass Worte nur soviel Gewicht besaßen, wie die Taten die folgten. Mein Weg fort von Britannia führte mich erneut auf eine Pilgerreise des Namenlosen.

In der Hauptstadt angekommen, hörte ich in den Schenken davon, dass die königliche Armee eine Heerschau für Fusssoldaten ausrief. Von Krieg war an jeder Ecke zu hören, wenn man die richtigen Orte dafür aufsuchte. Auch in der Hauptstadt Faerlans suchte ich die Kontakte zu der Kriegerkaste, noch bevor ich mir einen Schlafplatz für die Nacht gesucht hatte. Dort gab es mehr als eine Kriegerhalle und eine war prächtiger als die andere. Manche waren höher frequentiert als andere, doch man fand schnell, den Zugang in die Kriegerkaste dort. Etwa zwei Monde ging ich in den Hallen ein und aus. Schloss mich verschiedenen Abenteuern an ohne mich zu verpflichten. Doch bemerkte ich schnell, das fast ausschließlich bei Jenen von Ruhm und Ehre gesprochen wurde, die sich verpflichtet hatten.
Und dort traf ich dann auch auf Gerhatt. Gerhatt war ein Gefolgsmann des Königs, mit viel Ansehen, viel Respekt und viel Ehre – und einem Hang zu hübschen Weibern, aber darüber sprach niemand laut und niemals, wenn er in der Nähe war. Gerhatt war Ferilan nicht unähnlich und ich merkte schnell, dass ich meinen Respekt mit Disziplin und Gehorsam ausdrücken musste, wenn ich Worte mit ihm wechseln wollte. Noch während ich mich über ihn bei anderen Kriegern erkundigte beobachtete ich ihn. Er war schon eine imposante Erscheinung und die Gespräche erstarben oder wurden deutlich leiser, wenn er in die Hallen kam. Ich sah, wie manch junger Recke versuchte sich als Mundschenk anzubieten, auch sah ich eine junge Kriegerin, etwa in meinem Alter – eindeutig eine Adorianerin. Platinrüstung, Weiberharnisch mit Speer und Schild. Dazu üppig Brüste die sie stolz in die Platinschalen ihres Harnisches zwängte. Sie hatte auch einen großen Eindruck auf mich gemacht. Denn sie erzeugte eine seltsame Stimmung in den Hallen. Einerseits hatte sie wohl bereits für einen gewissen Ruhm gesorgt und galt als tapfere, mutige und für ihr Alter auch fähige Kriegerin, doch wann immer sie auftauchte, glotzten die Kerle auf das Leinen das von ihrer üppigen Oberweite an den Metallschalen vorbei gepresst wurde und durch das pralle Fleisch gespannt war. Und manchmal kippte die Stimmung und wurde gefährlich. Immer dann, wenn einer anfing die eine Sache auszusprechen, an die alle Kerle dachten. Drei Tage verfolgte ich Gerhatt so gut es mir möglich war, beobachtete ihn, hörte mir an was die anderen über ihn zu sagen hatten und überlegte mir, wir ich ihm gegenübertrete. Denn ich wollte. Ich wusste erneut, dieser Mann würde mich weiterbringen. Dieser Mann erzeugte etwas um sich herum, wozu ich auch in der Lage sein wollte. Man kann wohl sagen, dass ich von jeher über das Talent oder die besondere Gabe verfügte, meine Lehrmeister oder Wegweiser sofort zu erkennen, wenngleich ich erst viel später erkannte, wie viel sie mir wahrhaftig beibrachten und wie sehr ihre Erziehung mein Wesen beeinflusste oder ihre Präsenz meinen Weg lenkten. Von alldem hatte ich damals freilich noch keine Ahnung, ich war von Gerhatt damals genauso beeindruckt, wie zuvor von Ferilan und mir war klar, wenn er über eine Fähigkeit verfügte, die ich gerne besitzen wollte, so würde er sie mich lehren müssen. Seine gesamte kriegerische, disziplinierte Ausstrahlung erinnerte mich so sehr an Ferilan, dass ich in der zweiten Nacht nicht schlafen konnte. Ich entschied mich für einen nächtlichen Spaziergang, der mich schlussendlich in die Schenke „Zur weißen Perle“ brachte. Die Namensähnlichkeit mit dem Kosenamen Meldurens, machte mich neugierig und so trat ich hinein. Ich hatte nicht darauf geachtet, in welchem Viertel ich gelandet war, ich war zu sehr in meinen Gedanken versunken gewesen, als dass ich Herrin über meiner Schritte Ziel war, dass ich bereit war, mich weiter führen zu lassen, als ich den Namen der Schenke las.
Drinnen betrachtete ich mit aufkommender Bestürzung, dass ich in einer sehr noblen Gaststätte eingetreten war. Mein Eintreten ohne Gruß, in Kriegerkluft und Waffen ließen jedes Gespräch verstummen. Mir wurde etwas unwohl, doch kam mir ein Mädchen bedacht freundlich entgegen. Ich entsann mich meiner Mutter Erziehung und wünschte einen Guten Abend. Die Gespräche gingen leise weiter und ich teilte auf Nachfrage mit, dass ich was Essen wolle. Diese Worte kamen mir auch wie von selbst über die Lippen, denn eigentlich hatte ich nicht die Absicht gehabt zu essen, doch kaum ausgesprochen, meldete sich mein Magen dazu ebenfalls zu Wort. Auch wollte ich mich nicht, von diesem aufgeseideten Mädchen einfach vor die Tür setzten lassen, nachdem ich hier her geführt wurde. Ich verstand selbst nicht was ich da tat, doch ich folgte. Ich bekam einen Tisch an der Tür, abseits der geräumigen Essstube. Ich bin mir sicher, dass dort der Wirt sonst saß, es war ein unauffälliger Platz von dem aus man das gesamte Lokal im Blick hatte. Eine Weile lang beobachtete ich die Essstube mit ihren Gästen, vornehme und reiche Geschäftsleute, möglicherweise der ein oder andere niedere Adel. Auch Offiziere, die ich schon in der Kriegerhallen sah. Ich bemerkte wie sich jeder an gewisse Gesellschaftsregeln hielt und beobachtete einfach nur. Irgendwann, während ich auf meine Bestellung wartete, schweiften meine Gedanken allerdings wieder zu Ferilan und Gerhatt. Langsam erschloss sich mir das Prinzip des „Dienen wollens“, wenngleich auch diese ersten Erfahrungen eher dem unreifen Geiste entgegenkamen und noch ihre Zeit des Wachstums forderten. Ich hatte Ferilan schließlich doch gedient, Ferilan hatte mir gezeigt, dass dienen nur eine Seite der Münze war. Wer diente konnte etwas zurück erwarten. Mein Handel mit Ferilan war, Wissen gegen Dienen gewesen. Das er mich dabei erst erziehen musste, hat sich für Ferilan als schlechten Handel wohl erst am Schluss heraus gestellt. Er war das Risiko aber eingegangen, in der Hoffnung all das zu Ernten was er in mir mit der Erziehung aussäte. Mir musste ein besserer Handel für Gerhatt einfallen, dessen wurde ich mir bewusst. Er sollte keinen Grund haben zu bedauern, mir zu helfen oder auch nur mit mir zu sprechen. Und während ich aß, begann erneut ein Plan, ähnlich einer kriegerischen Strategie in mir zu reifen, doch diesmal wollte ich klüger sein. Es wurde eine Herausforderung an diesem Abend für mich. Irgendetwas an diesem Abend, in der weißen Perle war passiert und hinter meiner Stirn begann sich die Entschlossenheit wie ein eiserner Rammbock zu formen.
Am nächsten Tag sorgte ich dafür, eher in den Hallen zu sein, als er und versuchte mein Schlachtfeld zu ordnen. Es war nicht einfach in den großen Hallen, die Schankkelche abzuräumen oder gar zu verstecken. Immer wieder wurde danach gegriffen oder gesucht, standen sie sonst immer in Gruppen auf dem Tisch bereit genutzt zu werden.
Erst in der Zweiten Halle gelang es mir mein Schlachtfeld soweit vorzubereiten, wie ich es mir gedacht hatte. Ich selbst hielt einen Krug, als Gerhatt mit seinen Männern eintraf, ich beobachtete wie ihre Kelche gefüllt wurden, sie zusammen standen sich mit dem ein oder anderen Anwesenden unterhielten. Dann sah ich wie sie ihre Kelche leerten. Ich wartete, dann sah ich wie Gerhatt einen seiner Männer zu nickte als keine Krüge griffbereit waren. Das war mein Moment und ich trat vor.
„Ruhm und Ehre Euer Wohlgeboren“ ich neigte kurz das Haupt, „Erlaubt Ihr, dass ich mit Euch trinke?“ Ich hob die Karaffe an, die ich hielt, Gerhatts Blick war eisenhart, als er mich musterte. Ich blieb aufrecht, drückte die Lippen zusammen. Um uns herum wurde es still, andere kamen mit Krügen, auch sein Waffenbruder, seinen Kelch hielt noch an sich und sah sich die anderen an. Ich denke er hatte begriffen, was ich da arrangiert hatte, doch sein Einfluss war für mich nicht absehbar gewesen. Ich hätte nicht damit gerechnet, das so viele Krieger für ihn gleich in Bewegung gingen, damit er was zu trinken hatte und sah meine Felle wegschwimmen. In einem beherzten Versuch trat ich mit der erhobenen Karaffe auf ihn zu, bot mich in meinen ganzen Gebaren des Dienens an, mied seinen Blick mehr, ich wusste dass in meinem Blick die Entschlossenheit und Dominanz lagen, die mir jetzt alles ruinieren konnten. Es war eine gefühlte Ewigkeit und ich hörte das Blut vor Anspannung in meinen Ohren rauschen, als er schließlich seine Hand mit dem Kelch in meine Richtung hielt. Ich schenkte ihm ein und danach gingen die Gespräche weiter. Ich durfte mich an den Gesprächen nicht wirklich beteiligen, konnte es auch gar nicht, doch ich durfte dabei sein. Die Lehren Ferilans halfen mir, stumm da zu stehen und aufmerksam dem Gesprochenen zu folgen. Ich folgte ihm den ganzen Tag bis er mir sagte, dass er ins Schloss kehre würde. Als ich am nächsten Tag wieder in der Halle auf ihn wartete, diesmal ohne Vorbereitungen, merkte ich, wie er sein Wohlwollen vom gestrigen Tage etwas bereute. „Hast du wieder vor mir den ganzen Tag zu folgen?“ Ich bestätigte seine Frage und er sandte seine Waffenbrüder los. Mich nahm er mit auf den Markt. Ich hätte nie gedacht, dass Gerhatt sich auch auf dem Markt rum trieb, doch er wurde überall erkannt. Er kaufte einen Schlauch Wasser, etwas Brot und Käse und setzte sich mit mir in einen Eingang. „Also Mädchen, dann erzähl mal was du von mir willst.“ hatte er begonnen und mir von allem etwas angeboten. Ich drückte die Lippen zusammen und dachte zu lange über eine Antwort nach. „Ich denke, dass ich von Euch lernen kann und bin bereit euch für die Lehre zu dienen.“ Gerhatt lachte und erklärte mir, dass er dafür keine Zeit hatte. Wir sprachen noch ein paar Stunden über mich und meine Möglichkeiten. Ich erzählte ihm damals nichts von Falkenstein, nur dass ich Fehler gemacht hatte und mir etwas fehlte, um aus diesen Fehlern zu lernen. „Das was dir fehlt Mädchen ist Schliff und Erfahrung. Man sieht dir an, dass du kräftig bist und dafür viel tust. Auch deine Klinge sieht ganz anständig aus, aber unterm Strich bist du ein junges Mädchen, zu alt für den Pagendienst und zu jung um genug Erfahrungen zu haben, als dass man dich ernst schon nehmen würde. Wenn du keinerlei Verpflichtungen hast, geh zur Heerschau und melde dich als Fusssoldatin, da wirst du einiges an Schliff bekommen und sicherlich auch Erfahrungen. Wenn du dich da meldest und lang genug überlebst, werden wir uns wieder sehen. Bis dahin, hör auf mir hinterher zu laufen.“
„Wenn ich zum Heer gehe, kann ich dann so werden wie Ihr?“ „Wie ich? Was meinst du damit?“ „Gefolgsmann des Königs, jeder hat Respekt vor euch.“ Gerhatt lachte laut und herzlich. „Mädchen, Mädchen.“ hatte er im Lachen nur gesagt und war aufgestanden. „Na eins steht fest, Ritter wirst du hier in der Hauptstadt nicht, es gibt genug jüngere und anständigere Burschen die um einen Platz als Pagen kämpfen.“ Ich sah ihn etwas entrüstet an, ich gab mir wirklich viel Mühe „anständig“ zu sein. Er beugte sich nochmal zu mir runter, ich saß noch immer auf den Stufen, und legte mir die Hand auf die Schulter. „Egal welchen Rang du irgendwann mal einnimmst, egal wem du dienst. Nur du kannst diesem Rang einmal Bedeutung geben. Es gibt viele fahrende Ritter, die in meinen Augen weniger taugen, als mancher Offizier von einem beerbten Adeligen, der von Waffen und Krieg keine Ahnung hat...“ er richtete sich auf und meinte dann leiser: „Wenn du auf Ruhm aus bist Mädchen, geh zur Heerschau und arbeite dich da hoch. Wir sehen uns, so Glaron es gibt, wieder. Möge dich der Herr des Lichts beschützen.“ Mit diesen Worten wendete er sich um und verschwand im Marktgetümmel.
Noch am selben Tag ging ich zur Heerschau und wurde gemustert.
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