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Alt 15.09.2022, 23:28
#8
Mila Vandorez
Reisender
 
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Kapitel 8 – Kalte und lange Nächte

Der Anfang war erniedrigend und demütigend. Ich muss hier erklären, den Stolz den ich damals empfand, würde ich heute als Selbstverliebt, Egoistisch, Prahlerisch und Stur bezeichnen. Dementsprechend konnte mich das auch erniedrigen und demütigen. Ein paar Tage nachdem Einer der Unsrigen, Einer von Denen wurde, bekamen wir einen neuen Marschbefehl. Wir hatten mit Ankunft in der Garnison die Ehrung eines vollen Soldaten erhalten und durften die Frischlings-Schärpe ablegen. Doch entließ es uns nur aus der Pflicht, den älteren zu Diensten zu sein. Das war zwar nicht angenehm, doch hab ich mir daraus nie viel gemacht. Andere Frischlinge hatten ihre Dispute mit ihren älteren Waffenbrüdern, mir war es gleich, ob ich ihm einen Schlauch Wasser mitbrachte, wenn ich für mich einen holte, oder seinen Topf leerte, wenn ich eh jeden Abend in der Scheisse aller kriechen musste. Das ich es überhaupt musste, traf meinen Stolz, für wen war mir egal. Und während ich diese Arbeit tat, führte ich viele Selbstgespräche mit mir. Was mich da hin brachte, wo ich nun war, und wo ich hin wollte. Ich wurde mir über meine Entschlossenheit bewusst. Ich sage nicht, dass ich besonders weitsichtig war, aber ich war entschlossen. Und mit dieser Entschlossenheit, wollte ich meinen kindischen Geist nicht brechen lassen, wenn man mich zu dieser Arbeit zwang. Doch konnte ich auch nicht meine Augen davor verschließen, dass es jemand anderes tun müsste, wenn ich diese Arbeit nicht täte. In anderen Gesprächen, haderte ich mit dem Gehen. Dem Aufgeben meiner Ziele, um was ganz anderes anzufangen. Doch am Ende kam ein Aufgeben nicht in Frage, und wie am Ende diese Geschichte auch erzählt wurde, darauf kam es nicht an, sondern darum mit aller Entschlossenheit die ich aufbringen konnte, meinem Ziel näher zu kommen. Wie ich in diese Situation kam, musste ich mir schließlich selbst eingestehen, lag an mir. Diese vage Grenze des Einforderns und Verdienens macht mir intuitiv eher Schwierigkeiten. Doch ich war bereit für eine ganze Weile meinen Verdienst jedem anderen anzupassen und im Rahmen meiner Möglichkeiten zu verbessern. Die nächste Entscheidung die ich traf, war zum Teil strategisch als auch dem Umstand geschuldet, dass ich lieber auf Marsch war, denn in der Garnison. Mein nächstes Ziel musste sein, einem Adeligen aufzufallen. Einem der mir den Weg hier raus bahnt und ich musste ihm gut auffallen. Das konnte ich nur bei den Schlachten. Kurz davor, dabei oder kurz danach. Ich nutzte meine Freigänge nicht nach den Schlachten, sondern meldete mich immer zum nächsten Marsch bereit. Ich wurde nicht einmal übergangen, mein Eifer wurde sogar belohnt, dass ich in andere Einheiten wechselte. Erst im Vortrupp und dann häufiger auch im Stoßtrupp. Mehr Märsche bedeuteten zwar auch mehr Gräber und Nächte im Reich des Namenlosen, doch da mussten wir alle hin. Unterm Strich hat mich das ziemlich abgehärtet. Gemäß meines Kodex versuche ich zwar die Menschlichkeit in mir zu erhalten und zu nähren, wobei mir mein Glaube hilft, der von mir fordert das Leben zu Respektieren. Doch ich habe zu viele Leichen wohl einfach schon gesehen, sie gehören für mich zum Kreislauf des Lebens. Die sterblichen Reste die der Namenlose hier lässt.
Ich nutzte die Zeit an den Feuern im Lager um mich anderen Kriegergruppen anzuschließen, Bekanntschaften zu machen, Erfahrungen auszutauschen, was für mich nicht immer einfach war. Ich begann nach und nach mir einen Namen zu machen, einen Ruf hatte ich schon. Es war nicht selten, dass ich provoziert wurde, ob meines Geruchs. Er saß mir einfach in der Kleidung, in den Haaren und unter den Nägeln. Ich selbst nahm das gar nicht mehr wahr, umso mehr ärgerte es mich wenn man mich damit provozierte. Ich hatte mir angewöhnt irgendwann, mit dem Satz zu antworten „Mach dir mal ernsthafte Gedanken darüber warum ich so stinke, wie du sagst.“ Dieser Satz hatte die höchste Erfolgsquote, um meinen Frieden zu gewinnen, bis mich einmal ein Frischling fragte: „Und warum stinkst du so?“ Irgendjemand rief ihm zu „Weil sie eindeutig größere Haufen kackt als du.“ Dieser Jemand war Röcke mein Waffenbruder, der einiges an Ansehen genoss in unserer Einheit. Röcke hatte mir zwischenzeitlich mal erklärt, dass ich den Geruch in der Haut mittlerweile trage, wie er sagte. Ändern konnte ich daran dennoch nichts, das Reisegepäck war auf das nötigste reduziert und wir trugen eh schon mehr Last als es auf den Winter zu ging. Und lieber stank ich, für die anderen, als dass ich mir die Blöße gegeben hätte, zu zetern, nach einer gewissen Zeit stanken wir alle, die Älteren wussten das.
Irgendwann im Ronox, war ich in einem Lager angekommen, dass zur Belagerung diente und kam gerade aus dem Badezelt. Denn ja, wenn möglich wusch ich mich, ob der Reinlichkeit. Jedenfalls kam ein älterer Krieger aus einer fremden Einheit auf mich zu, fragte mich nach meinem Namen und forderte mich danach auf ihm zu folgen. Er führte mich an meinem Unteroffizier vorbei, der mir knapp zunickte. „Meldet euch morgen nach dem Morgenmahl bei mir.“ „Verstanden.“ Ich folgte dem Fremden unsicher in ein fremdes Lager. Spannung ging in meinen Körper, ob der Situation doch war ich entschlossen mich meiner nahen Zukunft zu stellen. Der Fremde brachte mich an ein Feuer, um dass mehrere Männer kreisrund verteilt saßen. Mehrere Wappen sah ich, die ich schon häufiger sah, aber nicht zuordnen konnte. Der Fremde deutete mir an zum Feuer zu gehen, zumindest verstand ich es in dem Moment so und die Stimmen verstummten kurz. Ich sah all die großen und vor allem erfahrenen Krieger mich ansehen, als mein Blick durch die Runde schweifte. Erst da sah ich ihn, als mein Blick auf den Mann neben mir auf dem Stein fiel. Ritter von Gerhatt. Er saß da, ein Bein angewinkelt in einer Hand einen Kelch die andere auf seinem Schwertknauf und blickte mich an. „Vandorez, wie geht es Euch?“ begrüßte er mich als hätten wir uns letzte Woche noch von einem lustren Jagdausflug verabschiedet. Ich nahm noch mehr Haltung an, wenn das überhaupt ging. „Euer Wohlgeboren, ich bin überrascht.“ „Überrascht?“ „Ja.“ „Ich habe Euch mein Wort gegeben, das wir uns wiedersehen.“ „Das stimmt. Ich habe es wohl nur nicht erwartet.“ Ich sah wie Gerhatts Mimik sich verdüsterte. „Ich bin ein Gefolgsmann des Königs, ein Ritter. Wenn man von mir nicht erwartet, dass ich mein Wort halte, dann stimmt etwas nicht.“ Er muss mir angesehen haben, wie unangenehm es mir war und kam mir entgegen. „Kommt setzt euch und esst mit mir. Erzählt mir, wie ist es euch ergangen?“ Ich erzählte ihm alles, vom Kampf mit meinem Unteroffizier, über die Strafarbeit, die bisherigen Schlachten, meine Gespräche mit Vater Norman, die Garnison und dass ich der Meinung war, mich ganz gut eingelebt zu haben. Ich war bedacht darauf nicht weinerlich zu klingen, ich äußerte zwar meinen Ärger, aber auch mein Verständnis für diese Strafarbeit. Gerhatt sagte gar nichts dazu, im Gegenteil er wirkte sogar teilweise amüsiert. Ich erzählte auch von dem Burschen der nun zu Brendo's Männern gehörte und was man sich über ihn erzählte. „Ja ich kenne den Mann und hab ihn bei Wohlgeboren von Brendo gesehen.“ hatte Gerhatt gesagt und mir seinen Kelch hingehalten. Ich blickte einen Moment auf den Kelch, dann zu ihm und dann in die Runde der Männer, die begonnen hatten sich wieder zu unterhalten. Ich sah wie immer mehr Blicke sich uns zuwendeten, je länger ich zögerte und griff rasch zur Karaffe und schenkte Gerhatt nach. „Was weißt du über Gefolgsleute Vandorez?“ „Sie dienen einem Herren, meist einem Adeligen, aber auch reiche Bürger können sich vermutlich Gefolgsleute bezahlen?“ Ein Lachen ging durch die Runde und Gerhatt ließ mir eine Lehrstunde zu kommen. Er erklärte mir was die Aufgabe von Gefolgsleuten ist, wo ihr Stand war. „Gefolgsleute, zumindest aus der Kriegerkaste dienen aus ihrer Ehre heraus, Vandorez“ „Wie meint ihr dass?“ „Sie dienen weil sie von ihrem Herren überzeugt sind, sie dienen aus Überzeugung, nicht für Gold.“ „Aber sie müssen doch auch Essen und sich Kleiden und alles. Und.. ihr seht auch nicht aus wie ein armer Mann.“ Gerhatt hatte wieder gelacht. „Für Unterkunft und Verpflegung sorgt in der Regel der Herr. Und nein ich bin kein armer Mann.“ Die Gespräche wurden die ganze Nacht geführt. Zum Morgengrauen saß ich nur noch mit Gerhatt, seinem Waffenbruder, einem Kriegsweib mit fremden Wappen und einem Ritter mit dem selben Wappen am Feuer. Die beiden die nicht zu Gerhatt gehörten, unterhielten sich leise und irgendwann kam ihr Gespräch zum erliegen und sie starrten in die Flammen. Gerhatt brachte mir einiges über die Gefolgschaft bei. Ich sog alles auf, auch wenn ich hundemüde war. Als ich zurück ins Lager ging empfing mit Röcke. „Morgen Kleine, hab dir einen Kübel Schnee geschmolzen.“ hatte er mir zu geraunt und ich steuerte auf den Kübel zu und hielt meinen Kopf hinein. Der Tag begann gerade erst und ich hatte keinen Moment geschlafen. Ich versuchte die Kälte aus meinen Gliedern zu treiben und rubbelte mir dann den Kopf so gut es ging trocken. „Danke Röcke. Ich muss jetzt zum „Unter“. Vermutlich Bericht erstatten über gestern. Hast du noch einen schlauen Rat?“ Röcke schüttelte bedauernd den Kopf. „Da musst du jetzt alleine durchfinden Vandorez“ Mit einem Seufzen wendete ich mich zum Zelt des Unteroffiziers und meldete mein Eintreffen an. Der Unter, eigentlich hieß er Unteroffizier Warren, doch von uns allen wurde der Unteroffizier immer nur Unter genannt, bot mir einen Platz an und war noch beim Morgenmahl. Ich erkannte, dass ihm das Gespräch wohl wichtig genug ist, dass er mich in sein Morgenmahl platzen ließ. „Ritter von Gerhatt hatte gestern nach Euch geschickt. Da er ein Gefolgsmann des Königs ist, kamen wir seiner Bitte natürlich nach.“ Ich nickte nur und wusste mit der Aussage rein gar nichts anzufangen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, welche Rechte und Privilegien Gerhatt genoss. „Mir wurde zugetragen, dass ihr erst vor kurzem zurück gekehrt seid?“ „Das ist korrekt“ „Was habt ihr solange gemacht?“ „Wir unterhielten uns. Ich habe den Ritter in der Stadt kennen gelernt und er riet mir, mich dem Heer anzuschließen. Er rief nach mir, um zu sehen wie es mir erging, sagte er. Danach unterhielten wir uns lange über verschiedene Krieger und die verschiedenen Gefolge.“ „Verstehe, war noch jemand dabei?“ Ich erklärte ihm wer alles dabei war, und dass ich die Männer zum großen Teil weder kannte, noch zuordnen konnte. Der Unter erklärte mir, dass ich nach dem Appell Zeit zum Ruhen hätte die ich besser nutzen sollte. Ich war für einen Nachteinsatz aufgestellt mit ein paar anderen. Ich erhielt weitere Befehle für den Nachteinsatz, bis die Appellglocke uns rief. Nach dem Appell ging ich zurück zum Zelt und fand auf meiner Pritsche einen Kanten Brot und zwei Äpfel. Ich verstaute das Morgenmahl, da ich noch gesättigt war und schlief den Schlaf der Gerechten. Röcke rüttelte mich irgendwann zum frühen Abend auf, ich hatte noch Zeit mein Morgenmahl zu essen, dann begab ich mich zum Offizierszelt und wartete auf die anderen für den Nachteinsatz. Es war das erste mal, dass ich mit 4 Weibern zusammen arbeitete. Die meisten waren aus der Schützenstaffel. Das Kommando hatte die Unter aus der Schützenstaffel, eine Frau Anfang der 30er. Unsere Aufgabe bestand im wesentlichen darin, die Burgmauer im Norden auszuspionieren. Es gab in der Burg einen Abwasserkanal, der aus der Burg hinaus führte. Es kam in dieser Nacht zu Scharmützel, wie man sich denken konnte, hatten auch unsere Feinde an den Abwasserkanal gedacht und versuchten so Leute rein und raus zu schleusen. Es war kein bemerkenswerter Einsatz, was die Scharmützel betraf, aber es war ein wichtiger Einsatz für die Belagerung. Danach folgten einige Tage Nachtschichten für mich ehe die Formation für den Angriff gebildet wurde. Ich wurde in der Flanke aufgestellt, unweit von mir erkannte ich die Männer des Mannes, der bei Gerhatt am Feuer saß am Wappen. Berittene Krieger und Ritter in voller Montur. Der Sturm auf die Burg verlief wie jede Schlacht chaotisch, der Feind war hartnäckig und bestand aus ausgebildeten erfahrenen Kriegern. Es war ein harter Kampf, doch der Feind war von der Kopfzahl her weit unterlegen. Die Burg war eine Winterburg, nicht immer befestigt und gehörte einem Herzogtum an. Sie galt bei den Einheimischen als Schutzburg und war von Rebellen eingenommen worden. Diesmal gab es keine Unschuldigen, keine Kinder, keine Weiber. Es war eine Rotte Krieger, wie meine damals in Falkenstein, nur dass wir keine Burg erobert hatten, geschweige denn eine Schutzburg.
Ein paar Tage nach der Schlacht wurde ich ins Zelt des Oberbefehlshabers der Fusssoldaten gerufen. Ich kannte den Oberbefehlshaber nur vom sehen, ich konnte mich nicht entsinnen, dass ich je ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Als ich eintraf, sah ich den Ritter der das Wappen eines weißen Schwertes auf grünem Grund trug. Es war das Wappen, dass ich an Gerhatts Feuer sah, es war auch das selbe Wappen, dass neben mir in der Flanke angriff. Der Mann wurde mir als Ritter Randolf von Ferran vorgestellt. Er war etwa Mitte 50 mit einem messerscharfen Blick und einem gepflegten Aussehen. Ich blickte ihn abwartend an, mir dämmerte, dass sich mir eine neue Tür öffnete. „Wie lange geht eure Verpflichtung noch Soldat?“ „Bis zu den grauen Tagen, Euer Gnaden.“ „Wenn eure Zeit um ist und ihr eine neue Herausforderung sucht, kommt nach Ferran. In meinem Gefolge wird ein Platz frei.“ „Mit Ritter von Ferran ist abgesprochen, dass Ihr den Wyzzin über im Nordwesten bleibt. Ihr braucht euch also nicht für Schlachten weiter weg melden Vandorez....“ Es entstand eine kurze Pause und der Ritter als auch ich starrten den Oberbefehlshaber an. „ … es sei denn, ihr wollt heute schon das Angebot ausschlagen. Ihr könnt euren Jahreseid auch beim königlichen Heer verlängern.“ Kurz ging mir durch den Kopf, zu fragen warum ich mich für ein weiteres Jahr voller Leichen und Latrinen vereidigen sollte, doch ich schwieg und blickte zu Ritter von Ferran. „Ihr habt den Rado Zeit mit einem Ross nach Ferran zu finden.“ grenzte Ferran sein Angebot ein, nickte mir nochmal zu und wandte sich ab. „Wegtreten Soldat.“ kam vom Oberbefehlshaber noch und ich verschwand nach meinem Salut aus dem Zelt.

Vom Schlachtfeld aus zog ich mit Röcke und ein paar anderen in die Nordgarnison zurück. Ich erzählte Röcke von dem was mir passiert war, ich erzählte ihm auch zum ersten Mal von Gerhatt und woher ich ihn kannte. Röcke war mäßig überrascht, er erklärte mir, das Gerhatt als Kriegsherr des Königs galt. Er war üblicherweise zu jeder Heerschau in der Stadt, um sich junge Krieger anzusehen. Jeder Recke der halbwegs was versprach sandte er zu den Fusssoldaten. Wer sich dort entwickelte, konnte darauf hoffen, von Gerhatt an einen Herrn vermittelt zu werden. Seine eigenen Knappen, wenn er mal welche aufnahm, stiegen meist direkt in die Gefolgschaft des Königs auf. „Warum gerade die Fusssoldaten?“ „Keine Ahnung, man munkelt, dass ein Onkel von ihm, der großen Einfluss auf ihn hatte, als er selbst noch ein Knabe war, beim Fussheer war. Aber vor allem eicht er damit die jungen Recken auf den König.“ „Wie meinst du das? Ich habe nicht das Gefühl, dass mich hier jemand auf den König geeicht hat. Ich hab ihn nicht mal gesehen bisher.“ „Das musst du auch nicht, du lebst hier mit uns. Du vergräbst hier unsere Scheisse. Du wirst immer eine der Unsrigen bleiben. Ganz gleich was dir im Schädel rumgeht oder was die Zukunft für dich bereit hält. Ich bezweifle Kleines, dass du das Jahr hier je vergessen wirst und ich hoffe du hast mittlerweile deine Antworten erhalten, warum du dich dafür entschieden hast.“ Ich wollte nicht recht annehmen, was mir Röcke da sagte und war auch verärgert und enttäuscht darüber, dass ich es nur Dank Gerhatt weiter schaffte. Es fühlte sich für mich an, als sei ich ihm verpflichtet. „Red kein Unsinn Mädchen, du hast mir gesagt, dass du um seine Hilfe gebeten hast.“ „Hab ich nicht“ „Hast du wohl.“ „Hab ich nicht“ „Du hast um seine Aufmerksamkeit gebuhlt mit taktischen Kalkül, also hör auf das abzustreiten.“ Das waren die letzten Worte die wir an jenem Abend miteinander sprachen. Röcke merkte schnell, wenn ich nicht hören wollte und Zeit zum Nachdenken brauchte, doch reizte es ihn ebenso wie viele andere auch, wenn ich mich schwer tat oder gar weigerte die Dinge als das zu sehen, was sie waren. Er war dann immer verärgert und wollte mit mir nicht weiter sprechen. Er war da ein ähnlicher Sturschädel wie ich, aber es ging sich die meiste Zeit gut aus. Röcke hatte mir im Heer gezeigt, was Waffenbruderschaft bedeutete. Er war nie meine Amme gewesen, doch wenn den Ärger unter den Soldaten zu weit ging, stand er hinter mir, auch gegen andere ruhmreiche Kameraden. Wann immer wir Zeit fanden, das Lager oder die Garnison auf Freigang für ein paar Stunden zu verlassen, verdonnerte er mich dazu, ihn zu begleiten. Meist fanden wir uns in einer Schenke ein. In Trutzbergen, die nächst größere Stadt bei der Nordgarnison war es immer die gleiche Schenke „Zum feurigen Kessel“. Dort arbeitete Fräulein Hannilena, wie ich wusste eine Hure, die in der Wirtschaft mit bediente. Röcke zahlte immer für mich mit, nicht dass ich nicht selbst Gold gehabt hätte, doch irgendwie fand er das so richtig. Nachdem Essen zog er sich mit Hanni dann nach oben zurück. Auf Marsch waren es entweder die Huren aus den Dörfern, die Gelbbänder oder wenn er mal Glück hatte eine Witwe. Er bevorzugte dralle Weiber mit massig Holz vor und hinter der Hütte und „feurigen Kesseln“, wie er es nannte. Er war davon überzeugt, dass der Name seiner bevorzugten Schenke so hieß, weil sie auf Hannilenas Schoss hinwies und nicht auf die meist verkochten Suppen. Solche Freigänge waren freilich nicht gestattet, man erwartete von uns glaronsgefälliges Verhalten vor dem Volk. Röcke hatte in der Zeit in der wir gemeinsam kämpften, das Glück selten kontrolliert zu werden. „Das liegt an dir Kleines, ich sags dir.“ „Ist mir schon klar, hast du kein schlechtes Gewissen, dass du so ein junges Weib wie mich bei deinen Rammelzüge mitschleifst?“ „Ich will ja nicht dich rammeln. Außerdem lernst du so direkt, wie man den Kerlen die roten Augen nimmt und die Moral stärkt.“ „Ich hab vier Brüder, das brauch ich nicht lernen. Aber danke für deine Bemühungen mir was beizubringen.“ „Wenn du vier Brüder hast, was fragst du mich dann so dämlich, ob ich ein schlechtes Gewissen habe he?“ „Meine Brüder gelten aber auch nicht als fromm“ „Gelte ich etwa als fromm?“ „Ich weiß ja das du es nicht bist, aber du solltest es sein!“ „Ach sieh an, willst du mir jetzt etwa eine Moralpredigt halten?“ Ich seufzte. „Sind denn alle Kerle so?“ „Ja. Die meisten.“ „Was ist mit dem Adel?“ „Auch da ist es bei den meisten so, glaub ich. Du kennst Gerhatts Ruf?“ „Gibt es wirklich keinen frommen Mann?“ „Doch schon, man hört der Graf von Britain aus dem Herzogtum Britannia sei ein höchst frommer Mann und auch der neu eingesetzte Vogt von Thagor sei höchst fromm und glarongläubig. Aber nach der Liberalitätserklärung der Kirche hat die Sitte nachgelassen, solange keiner drüber spricht wie und vom wem die Rehe gejagt und besprungen werden, wird es toleriert. Dann und wann wird ein Exempel statuiert, doch im großen und ganzen hält sich die Inquisition mit dem Gerammel der Böcke nicht mehr auf, solang sie nach außen die Sitte ansonsten wahren“ „Den Grafen von Britain hab ich schon mal gesehen. Ich hab für ihn in einer Schlacht gestanden gegen einen Dämon.“ „Donnerwetter. Und ist er so fromm wie man sagt?“ „Das kann ich dir nicht sagen, ich hab ihn nur ein paar mal eher flüchtig gesehen. Ich hatte auch das ein oder andere Gespräch, aber er schien von mir nicht sonderlich beeindruckt und so drängte ich mich nicht mehr auf, als ich mich jedem anderen mit meinen Plänen aufdrängte.“ „Naja Kleines, lass dir gesagt sein, ein Kerl ist ein Kerl und jeder Kerl will dann und wann seinen Dolch ins Fleisch drücken. Ob sie es sich erlauben oder nicht, der Wille ist immer da.“ „Und du gehörst offensichtlich zu denen, die es sich erlauben.“ Setzte ich etwas gereizt an. „Natürlich, ich bin der verdammten Armee beigetreten und keinem Kloster.“ „Was ist mit der Sitte?“ „Würd mich die Sitte kümmern, wär ich Page.“ Hatte Röcke gemurrt, ich kann mich noch an das Schweigen erinnern. „Die Sitte ist schon wichtig Mädchen, darum mach ich ja den ganzen Tamtam und schleif dich mit. Um die Sitte wenigstens nach außen zu wahren.“ „Das klingt scheinheilig.“ „Dann ist das halt scheinheilig, und jetzt willst du kleine Göre mich deswegen etwa verurteilen? Wer bist du schon?“ Röcke wurde unleidig und brauste mich an.„Ich bin Vandorez. Günstling von Ritter von Gerhatt und bald Gefolgschaft des Ritters von Ferran.“ „Das macht gar nichts aus dir Vandorez. Du bist auch in der Gefolgschaft von Ferran nichts weiter als ein kleines Zahnrad in dem großen Kraftwerk der Krone. Wenn du fällst wird es einfach dich zu ersetzten. Und noch was, ein Günstling von irgendwem zu sein, macht dich nur zu einer Schachfigur, im Zweifel einem Bauern der als Erstes geopfert wird.“ Röcke schlug tief mit diesem Kommentar, er kannte meine Ziele, hielt mich aber für nicht fromm genug, sie zu erreichen. Was ich anstrebte wären die Taten von Gotteskriegern, nur dass ich keinen Gott hatte und mich deshalb der Krone angeschlossen hatte – der größten Einheit landauf und landabwärts, die gegen das reine Böse kämpfte. Wir hatten noch viele Gespräche über Gesellschaftsregeln, Sitte, Anstand und Frömmigkeit, über das was erwartet wurde, das was gelebt wurde und das was passieren könnte, wenn die Sitte nicht weiter gewahrt bliebe.
Die Grauen waren meine letzten Tage in der Armee. Es wurde viel getrunken in diesen Tagen. Auch ich trank mit Röcke und seinen Kameraden. Die meisten waren in seinem Alter und hatten einen Lebenslangen Eid geschworen. Sie würden die Fussarmee nicht verlassen, Röcke sagte mal wir sind das harte Gesocks, die aus Frischlingen richtige Kerle und Weiber machen. Manche schaffen es mit genug Ehrgeiz weiter, manche, deren Ehrgeiz nicht so hoch war, wurden wie sie. Röckes bester Freund im Heer war Svenson. Ein ziemlich Muskelberg an Kerl, auch etwa um die 50 Jahre. Meist sehr still, aber vom Kern her wie Röcke.
Am zweiten der Grauen Tage saß ich viel mit ihm und soff. Auch mit ihm unterhielt ich mich über Sitte, Gesellschaftsregeln und den Rammelzügen mancher Soldaten. In dieser Zeit teilten wir das Lager. Es war nicht so, dass ich es unbedingt wollte. Ich mochte Svenson, er war ein aufrichtiger Kerl. Es ergab sich einfach im Rausch, ohne Romantik, ohne Gefühle, auf den Mehlsäcken in der Speisekammer, am nächsten Tag zwischen den Weinfässern im Lager und das letzte Mal im Stall. Danach folgte der knappe Abschied für lange Zeit. Ich sah ihn noch einmal, ein Jahr später. Es war bei einer Schlacht wo unsere Truppen aufeinander stießen um Seite an Seite zu kämpfen. Wir trafen uns auf ein Stelldichein im Wald, in der Nacht vor der Schlacht. Danach ging jeder wieder zu seinen Leuten. In der nächsten Nacht war er tot.
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