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Alt 17.06.2006, 17:03
#59
Aralia Lorr
Reisender
 
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Der Streit, das Missverständnis oder wie man es im Nachhinein auch nennen mochte, hätte fast das Band zwischen den beiden Freundinnen zerstörrt. Von allein hätte sie Nadi nicht um ein klärendes Gespräch gebeten, für Aralia war es nicht wichtig welche Gründe Nadirah gehabt haben mochte, für sie stand nur fest, Nadi hatte ein Grenze überschritten, war in einen Bereich vorgedrungen in dem sie nichts zu suchen hatte. Ein jeder hat eine unsichtbare Grenze um sich herum, überschreitet man jene ungefragt, uneingeladen, so setzt man womöglich seine Gesundheit, wenn nicht sogar sein Leben aufs Spiel.

Lange sprach Nadi auf Aralia ein. Während Nadi auf den Stufen saß und sich an die Mauer lehnte, so stand Lia angespannt einige Schritt entfernt, ohne sie aus den aufmerksamen Blick zu lassen. "Willst du dich nicht endlich setzten, ich möcht´dir in die Augen sehen, ohne mir den Hals zu verrenken." Doch dies war nicht der einzige Grund für ihre Bitte, es machte sie nervös, Aralia so angespannt, fast wie eine Raubkatze die kurz davor stand anzugreifen, vor ihr stehen zu sehen. Doch es dauerte lang, bevor Lia sich in den Sand setzte, noch immer mehrere Schritte von Nadi entfernt.

Ja, Nadi verstand es mit Worten umzugehen! Sie vermochte es jedesmal, das Aralia nachdenklich wurde, über Nadis Worte nachsinnte, sie hin und her wendete, bis sie einen Sinn ergaben oder noch mehr Fragen aufwarfen.
"Hörst du dein Schwert zu dir sprechen?" Vorsicht stellte Nadirah ihr diese Frage. "Du musst mir darauf nicht antworten, wenn du nicht möchtest." Wie ein Schlag ins Gesicht war diese Frage. Die ganze Zeit über hatte Aralia den Blick nicht einmal von Nadi genommen, jede ihrer Bewegungen genau im Blick, doch dann kam diese Frage, riss Lia förmlich den Boden unter den Füssen weg. Nur schwer konnte sie ihre Überraschung, ihre Verwirrtheit aus ihrer Mimik fern halten. Aralia senkte den Blick und drehte sogar den Kopf zur Seite.
Verflucht! Woher weiss Nadi dies? Noch nie hatte sie darüber mit jemand gesprochen, oder auch nur angedeutet in dieser Richtung.
Ja, sie hörte es zum ersten Mal, als sie fast verhungert an den verwesenden Körpern ihrer Eltern sich schmiegte. Hatte sie doch gerade Nadirah ihre Geschichte erzählt, ihr berichtet, dass sie kurz davor gestanden hat, zu verhungern und dann beschloss aufzustehen, den Kampf für ein Überleben zu beginnen. Doch sie hatte ihr nicht gesagt, dass das für sie viel zu grosse Schwert leise, damals noch, mit ihr sprach. Das jenes Schwert ihres Vaters es war, das sie aufstehen liess.
Aralias Reaktion mag Antwort genug gewesen sein, doch rasch fand Lia ihre Beherrschung wieder und bestritt das sie es hören würde, ja sie bombardierte sie mit hypothetischen Gegenfragen. Lia wollte mehr darüber erfahren, doch ohne sich dafür zuerst zuoffenbaren.

Lia verstand nicht, warum sollte sie ihre Familie begraben. Warum sollte sie von ihren Geschwistern und Eltern getrennt werden? Gaben sie ihr doch den Halt, die Geborgenheit und den für sie gewohnten körperlichen Kontakt.
Lia liess sich ungern von anderen Berühren. Jene waren warm und weich. Nein, es war nicht eklig oder schmerzend! Es war so anders, auf eine befremdliche Art schön. Berührungen verwirrten sie, brachten Lia aus der ihr so wichtigen Aufmerksamkeit. Wie sie es immer nannte: fehlende Aufmerksamkeit kostet einem das Leben, wer jene verliert ist schwach und verletzlich. Darum durfte nichts ihre Aufmerksamkeit ins Wanken bringen. Doch es war nur die halbe Wahrheit. Über die zehn Jahre hinweg, in denen sie Nacht für Nacht an der Seite, ihrer mittlerweile skelettierten Eltern, schlief, erwiderte niemand ihre Berührungen, oder machte gar den Anfang.

Nadirah war traurig, doch warum berührte es sie so sehr, dass Lia sich nicht mehr daran erinnert, wie ihre Geschwister oder Eltern einmal aussahen. War es denn so wichtig welche Augenfarbe oder Haarfarbe jemand hatte? Ihre Familie hatte sie doch nie verlassen, sie sahen nun einmal so aus, wie sie nun aussehen. Wunderschöne bleiche Skelette. Sie erzählte Nadi von einem Traum über ihren Bruder, wie er Ball spielte oder durch den Wald rannte, um sich vor den anderen Geschwistern zu verstecken. Sie träumte ihn nicht aus Fleisch und Blut, nein, sie träumte ihn so wie er jetzt aussah, so wie sie ihn kannte, als Skelett.
Wie tief musste Nadirahs Schmerz sein, über den Verlust ihrer geliebten Mutter, sie sah ihre Mutter nie wieder. Lia tat es für Nadi sehr leid. Tiefes Mitgefühl umschloss ihr Herz. "Lia meine Mutter ist immer bei mir, sie ist in meinem Herzen."
Lia erwiederte nichts, doch schoss es ihr durch den Kopf: "Ach Nadirah, da bin ich dir im Vorteil, ich werde mich heute Nacht wieder einmal zu meiner Mutter legen, du aber, kannst deine nicht berühren."
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