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Alt 22.01.2005, 00:16
#7
Tari Ceres
Reisender
 
Registriert seit: 23 Jul 2004
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Vier Uhr morgens am 8. Glarim im Jahre 1285. Wie um Himmels Willen konnte man um vier Uhr morgens Hunger haben? Müde richtete Tari sich im Bett auf. Zwei Stunden Schlaf hatte sie nun bekommen, und der Tag und der Abend, die diesen zwei Stunden vorangingen waren nicht gerade entspannt dahingezogen.

Den ganzen Tag schon hatte sie sich unerklärlich seltsam gefühlt. Sie konnte nicht behaupten, dass es ihr schlecht gegangen wäre, abgesehn von dem Rücken, der sie plagte und ihren Füßen, denen jeder müde Schritt, den sie setzte, schmerzte. Zweiffellos war sie an diesem Tage zu viel, zu eilig, durch die Gegend gestreift. Aber es gab so unendlich viel zu tun, und Tari wollte es vor der Geburt des Kindes so weit wie möglich erledigt haben. Freilich, eine Woche Zeit hatte sie noch, aber wie schnell verging die? Umso ungelegener kam es ihr nun, dass sie sich so matt fühlte und ihr Rücken sie zum Abend hin immer heftiger quälte. "Zähne zusammenbeissen und durchhalten", sagte sie sich. Wenn sie nun Schwäche zeigte, würden sie Alvel und Chana wahrscheinlich nicht einmal mehr ein kleines Buch alleine heben lassen. So nutzte sie dann mehr oder weniger geschickt jede sich bietende Gelegenheit, auf die sie ihr Unwohlsein schieben konnte: die weiten Wege, die unbequemen Stühle, der Lärm im Tala. Letztendlich beschloß sie jedoch, dass ein gemeinsamer Abend mit Alvel vorm Kamin wahrscheinlich noch die angenehmste Art war, wie sie den Abend verbringen konnte.
Matt und unter Rückenschmerzen schleppte sie sich durch das Tor, dass Tarathir ihr öffnete, immer noch nicht bereit, Alvel zu zeigen, dass es ihr wirklich nicht gut ging. Trotzdem kam sie nicht umhin, sich, sobald die Haustür aufgeschlossen war, auf dem nächstbesten Stuhl auszuruhen. Nur eine kleine Minute verschnaufen, sagte sie sich, doch aus der Minute wurden schließlich zwei, dann drei, ohne dass die Schmerzen nachließen. Wenigstens linderte der Kelch Wasser, den Alvel ihr reichte, ihren Durst und so fühlte sie sich stark genug, sich ins Bett zu legen und dort etwas auszuruhen. Keine zwei Schritt war sie gegangen, als erneut eine Welle von Schmerz über sie hereinbrach und sie schließlich zu Boden zwang. Und nun durchschoß es ihren Geist wie ein Blitz: Das Kind, das sie trug, schickte sich an, in die Welt einzutreten. Aber es war zu früh! Tari hatte mehrmals nachgerechnet, es musste noch mindestens eine Woche dauern, ehe das Kind weit genug war. Angst kroch in ihr hoch und legte sich wie eine klammernde Hand um ihre Kehle. Was, wenn mit dem Kind etwas nicht stimmte? Hatte sie sich tatsächlich überanstrengt und so diese frühe Geburt herbeigeführt?
Langsam ebbte der Schmerz wieder ab. Behutsam griffen Alvels Hände nach ihr und führten sie in Richtung des Schlafzimmers, doch wieder mussten sie halten, und Tari spürte, wie etwas warmes an ihren Beinen herabfloß und eine Lache klaren Wassers auf dem Boden hinterließ. Es bestand kein Zweifel, was ihr nun bevorstand. Verzweifelt gegen ihre Angst ankämpfend suchte sie halt in Alvels Gesicht, doch dort spiegelte sich nur Verwirrung wieder und es dauerte einige Augenblicke, bis er begriff was gerade geschah. Sofort schlug seine Verwirrung um in eilige Geschäftigkeit, auch wenn er offensichtlich nicht wusste, was zu tun war. Schließlich schafften sie es zum Bett und matt ließ sie sich darauf niedersinken. Wie von weiter Ferne drang seine Frage, ob er irgendwen holen solle, an ihr Ohr. Verbissen schüttelte sie den Kopf. Es war ohnehin kein Heiler ausser ihr in der Nähe und sie würde schaffen, was tausende andere Frauen vor ihr geschafft hatten. Doch schon die nächste Wehe schlug ihren Widerstand nieder und unter schmerzen flehte sie Alvel an, irgendjemanden zu holen. Wie Stunden erschien ihr die Zeit, bis sich die Schlafzimmertür wieder öffnete und Chana eintrat. Obwohl sie sicher genauso aufgeregt war wie Tari strahlte sie doch Ruhe aus, die sich auf Tari und Alvel abzufärben schien. "Waren wohl doch nicht die Rückenschmerzen der letzten Wochen, hm?" schmunzelte sie. Rasch erteilte sie Alvel ein paar Befehle, was er holen sollte und während er die Sachen im Haus zusammensuchte, sprach sie Tari beruhigende Worte zu. Sie hörte Chanas Worte nicht, sie hörte auch nicht, wie Tarathir und die Templer an die Türe klopften und sich erkundigten, ob irgendetwas schlimmes passiert sei. Nicht einmal ihre eigenen Schreie drangen an ihr Ohr. Das einzige, was sie noch wahrnahm, war unendlicher Schmerz. Als dann Alvel wieder das Schlafzimmer betrat, überkam sie plötzlich eine gleißende Wut. Seinetwegen lag sie nun hier mit dem Gefühl, ihr Körper würde zerreissen. 9 Monate lang hatte sie die Last des Kindes mit sich herumgetragen, während er kämpfen konnte, reiten konnte, alles tun konnte, wonach ihm beliebte, während sie mehr und mehr ans Haus gefesselt wurde. "RAUS! VERSCHWINDE VON HIER! RAUS! NIE WIEDER LASSE ICH DICH IN MEIN BETT", schrie sie ihm entgegen und griff in blinder Wut nach einem Kissen, das sie dem verwirrt flüchtenden Alvel hinterherschleuderte. Eine weitere Welle des Schmerzes ergriff sie. Blind und taub fühlte sie sich, während sie sich auf dem Bett zusammenkrümmte und fast die feinen Laken mit ihren Händen zerriss. Wo war Alvel? Warum stand er ihr nicht bei? Unsicher rief sie nach ihm, und lächelte Chana schwach, aber dankbar zu, als sie sich eilte, ihn zu holen. Nur wenige Augenblicke später erschien er im Zimmer und sah sie unsicher an. Fast, als fürchte er sich. Warum sollte ER sich fürchten? Sie litt hier unvorstellbare Qualen und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er ihre Hand hielt. Kurz war die Pause vom Schmerz und in immer kürzer werdenden Abständen drückte sie Alvels Hand, so fest sie konnte. Stunden waren nun schon vergangen,und sie spürte, wie die Schwäche ihren Körper ergriff und ihren Geist umnebelte. Unabbringlich redete Chana auf sie ein, sie solle wach bleiben, bald wäre es vorbei. Und tatsächlich eröffnete Chana ihr bald, dass das Kind mit der nächsten Wehe da sein würde. Noch einmal nahm Tari ihre ganze Kraft zusammen und tatsächlich zerriss bald darauf ein kräftiger Kinderschrei die Stille, die sich nach der letzten Wehe im Raum ausgebreitet hatte. Erschöpft ließ Tari sich zurück in die Kissen sinken, während Chana das Kind nahm, säuberte und schließlich dem stolzen Vater überreichte. "Salunia" sollte dieses kleine Mädchen heissen, das hatten sie vor Wochen mit Losen entschieden. Schließlich schickte Chana Alvel mit dem Säugling nach draußen zu Tarathir, der schon seit Stunden wie eine Löwin um ihr Junges, um das Haus wanderte. Überglücklich lag Tari im Bett und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Chana in dem Raum für Ordnung sorgte. Doch kurz darauf wurde sie von einer weiteren Schmerzwelle ergriffen. "Die Nachgeburt", sagte sie sich. Doch war es normal, dass es so wehtat? Es schien sich nicht merklich von den vorangegangenen Wehen zu unterscheiden. Kurz darauf wurden sie eines besseren belehrt, denn zu ihrer und Chanas Überraschung erblickte nun ein zweites Mädchen das Licht der Welt. Zwillinge! Tari war überwältigt von Freude, als Chana ihr das kleine Wesen in die Arme legte. Sie hatte zwei gesunde, kleine Töchter zur Welt gebracht! Verschwunden waren Schmerz und Müdigkeit. Verzückt blickte Tari in die tiefblauen Augen in dem kleinen Gesicht, dass noch einen Augenblick seinen Protest kundtat und dann in sanften Schlummer fiel. Nun kam auch Alvel wieder mit der Erstgeborenen hinein. Sein Blick fiel auf das andere Kind und sein strahelndes Lächeln schien noch strahlender zu werden. Er musterte es einen Augenblick und stellte dann fest, dass es sich um einen Jungen handeln müsse. Für einen Augenblick spürte Tari einen feinen Stich im Herzen. Sie wusste, wie sehr er sich einen Jungen gewünscht hatte, doch sie hatte ihm nur zwei Mädchen geschenkt. Doch als Chana ihm eröffnete, dass er nun eine zweite Tochter hatte, war seinem Gesicht keine Enttäuschung anzumerken. Sanft, aus Angst, dem Kinde wehzutun, legte Alvel Salunia zu ihrer kleinen Schwester Faminia in die Arme der müden, aber glücklichen Mutter.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Fast widerstrebend ging er dorthin, um nachzusehen, wer mitten in der Nacht dort stand. Tari erkannte die Stimmen nicht, die an der Tür sprachen, doch als Alvel zurückkehrte erklärte er ihr, dass der Inqusitor und der Paladion Glarons gekommen waren, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und die kleinen Mädchen zu taufen. Erleichtert nahm sie die Nachricht auf, dass er sie fortgeschickt hatte, mit der Begründung es sei unmöglich für Tari jetzt irgendjemanden zu empfangen. Im Grunde war es ihr egal, in wessen Namen die Kinder getauft waren, denn das zählte in ihren Augen nichts. Doch hatte sie schlichtweg nicht die Kraft, sich den Blicken der Templer entgegenzustellen, zu groß auch die Angst, man würde nun feststellen, dass sie bereits lange vor der Hochzeit das Bett mit Alvel geteilt hatte, und sie dafür strafen.
Doch all diese Gedanken waren schnell wieder verschwunden, als Chana sich verabschiedet hatte und Alvel die Kinder in seinen Arm nahm, so dass sie sich ein trockenes und sauberes Hemd anziehen konnte. Anschließend legte sie sich wieder zurück ins Bett, ihr Alvel neben ihr und auf seinem Bauch friedlich schlafend das Zwillingspärchen. Überschäumend vor Glück schmiegte sie sich an seinen warmen Körper und wurde nur einen Wimpernschlag später vom Schlaf übermannt.
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Geändert von Tari Ceres (22.01.2005 um 00:27 Uhr).
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