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Alt 17.10.2006, 23:23
#67
Tari Ceres
Reisender
 
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Als Tari, wie es mittlerweile ihre Gewohnheit geworden war, schon bei Anbruch der Dämmerung im Heilerhaus erschien, trat ihr ein übermüdet wirkender Carlin entgegen.
"Tari, sitzt dieser Mann noch vor dem Haus..?"
Fragend sah sie ihren ältlichen Kollegen an. "Ein Mann? Nein, da war niemand.. was für ein Mann denn?"
Mit knappen Worten erklärte Carlin von dem Landstreicher, der schon seit Tagen unauffällig ums Haus strich. Nur durch Zufall war er Carlin aufgefallen, und seitdem hatte selbiger den Mann den ganzen Tag und die ganze Nacht über vom Fenster aus beobachtet. Viel getan hatte er nicht, nur auf dem Gartenzaun gesessen, ab und zu eine Flasche aus seiner Tasche geholt und etwas getrunken und dann wieder wortlos die Straße hinuntergesehen. Hereingekommen war er nicht und Carlin hatte es auch nicht gewagt, hinauszugehen, um den Mann nach seinem Begehr zu fragen.
Nachdenklich sah Tari aus dem Fenster, aber nichts war zu sehen.

Später am Tag hatte Carlin sich für ein paar Besorgungen auf den Weg zum Markt gemacht. Tari war alleine im Haus und sortierte ein paar Bücher in ihr überquellendes Regal. Irgendwann hörte sie die Haustür gehen - Carlin sicher, oder jemand, der Hilfe brauchte. Rasch wischte sie die staubigen Finger an einem Tuch ab und ging zum Vorraum hinüber.
Mitten im Raum stand ein recht großer, heruntergekommener Mann. Mantel und Hut hatten schon bessere Tage gesehen, die Stiefel, die unter der Robe hervorlugten sahen löchrig aus und der Mann stand vor Dreck. Das Gesicht war unrasiert und die Haare verfilzt. Niemand, mit dem man freiwillig seinen Nachmittag verbringen würde.
"Das muss der Landstreicher sein, von dem Carlin gesprochen hatte", ging ihr durch den Kopf.
Abwartend stand sie im Türrahmen. Sie wagte nicht, diesen Mann anzusprechen und damit vielleicht zu irgendeiner unerwarteten Tat zu bewegen. Andererseits wagte sie auch nicht, ihn herauszuwerfen. Ein wenig Neugier schwang doch in ihr mit, was diese Gestalt wohl wollte.

Der Landstreicher musterte sie eine Weile eingehend, ehe er sie ansprach. "Ihr müsst Tari Ceres sein, oder? Passt ganz gut auf die Beschreibung... Naja.. ein bisschen."
Grübelnd, was dieser Satz zu bedeuten hatte nickte sie, noch immer nicht ermutigt genug, ein Wort zu sagen.
"Ich bin zufällig einem Freund von Euch begegnet. Soll Euch von ihm grüßen."
Noch immer fragend, diesmal mehr Neugier im Blick, sah sie ihn an.
Doch der Landstreicher winkte ab. "Ich werd erstmal was essen gehen. Bin die letzten Tage nur durch diese Stadt gelaufen, um das Haus hier zu suchen." Und schon wandte er sich wieder ab.
"Wartet", rief sie ihm nach. Sie wollte nun doch wissen, was es mit diesem Kerl auf sich hatte. Und ihn danach so schnell es ging loswerden. "Ich.. es ist noch etwas Eintopf hier."
Der Landstreicher nickte zufrieden und folgte ihr in die warme, behagliche Küche. Tari beeilte sich, ihm eine Schale vom heutigen Eintopf hinzustellen. Während der Mann die Suppe aß, betrachtete sie ihn wieder grübelnd, so weit wie möglich weg von ihm. Was konnte er für ein Mensch sein? Wer konnte so jemanden bitten, ihr etwas auszurichten?
Schließlich hatte der Mann die Schale geleert und füllte sie, ohne zu fragen, ein zweites mal. Diesmal ließ er sich mehr Zeit mit dem Essen und berichtete ihr zwischen den einzelnen Happen, was ihn hergeführt hatte.
"Eigentlich komm ich ja nicht so weit nach Osten.. auf so ne verdammte Insel.. aber hatte es diesem Kerl versprochen. Hätt mich aber gewundert woher so ne Dame wie Ihr so einen kennt..." Noch immer sah Tari den Mann überaus rätselnd an. "... Naja hätt mich gewundert, wenn er nicht gesagt hätte, dass er auch hier arbeitet. Auf jeden Fall soll ich sagen.. er hat ein bisschen Ärger mit ner älteren Dame gehabt und darf jetzt brummen. War ein paar Tage da zu Gast, wegen Landstreicherei. Hat sich n bisschen um mein Knie gekümmert, das schmerzt immer bei Regen, und zum Dank bin ich dann eben hierhin..."
Mit diesen Worten leerte er seine vierte Schüssel von dem Eintopf.
"Was.. redet Ihr von Gwes? Was hat er denn angestellt..? Wo seid Ihr ihm denn begegnet?"
Doch der Landstreicher winkte nur ab. "Das macht man schön unter Euch aus, wenn sie ihn irgendwann wieder rauslassen. Mehr weiss ich eh nicht. Ach.. wie gehts Euren Kindern?"
Bei diesen Worten lächelte er, wobei er eine recht unvollständige Zahnreihe entblößte. Noch ehe sie ihn aufhalten konnte war er schon zur Tür hinaus und zwischen den Häusern verschwunden.

Noch als sie abends wieder zuhause war.. in ihrem neuen Obdach, das für sie und die Kinder einen Neuanfang darstellen sollte, dachte sie über das, was der Landstreicher erzählt hatte, nach. Sie hätte sich denken können, dass Gwes, wenn er so lange von Britain fern blieb, irgendwo in Schwierigkeiten geraten war. Aber es rührte sie auch an, dass er extra jemanden überredet hatte, ihr zu sagen, dass es keine Unzuverlässigkeit oder schlimmeres waren, die ihn dieses Mal fernhielten.
Sie trank den letzten Schluck aus ihrem Weinglas und stellte es auf den Tisch. Es war Zeit schlafen zu gehen, in diesen Wänden, die noch nach frischem Putz rochen und auf kindliches Leben warteten, das sie mit Lachen und Spielzeug füllte.
So Glaron ihr nach allem, was geschehen war, noch wohlgesonnen war, mochte er geben, dass sie nicht mehr lange in ihrem Heim allein sein musste.
Tari Ceres ist offline  
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