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Alt 20.11.2019, 15:58
#6
Julie Melan
Spieler, Mensch
 
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Als sie mit 16 Jahren ihre Ausbildung im Kloster der Cunna abgeschlossen hatte, hatte sie zu einer der Besten in ihrem Handwerk gehört. Doch selber wahrhaben wollte sie das nie. Man hatte sie gebeten zu bleiben und ihr Wissen an jüngere Schüler weiterzugeben. Doch vor allem sollte sie den Jungen die Liebe zum Holz vermitteln, die Leidenschaft wecken, die sie an den Tag legte, wenn das Holz unter ihren Händen Formen annahm und Möbelstücke entstanden. Doch die junge Frau hatte es damals nach Hause gezogen, zurück in ihr Heimatdorf Rebyn, zurück zu ihren Eltern. Und schweren Herzens hatte man sie ziehen lassen.

Ein paar Monate hatte sie dann auch bei ihren Eltern verbracht, doch schnell hatte sie sich eingestehen müssen, dass ihr Rebyn zu klein geworden war. Manchmal hatte sie das Gefühl nicht verstanden zu werden. Niemand hier konnte nachvollziehen, dass ihr Herz schneller zu schlagen begann, wenn der Duft frischen Holzes ihre Nase kitzelte oder wie sich die feinen Härchen auf ihren Unterarmen aufstellten vor freudiger Erregung, wenn der erste Span vom Hobel fiel. Niemand hatte das nötige Verständnis zeigen können für ihre Leidenschaft. Aber vielleicht lag es auch an ihr? Über all‘ ihr Talent und ihre Fähigkeiten waren die zwischenmenschlichen Kontakte etwas auf der Strecke geblieben. Ja, sie hatte Freunde gehabt im Kloster. Doch dort war sie unter Gleichgesinnten gewesen von denen wohl, wie sie sich mit einem verlegenen Lächeln eingestehen musste, die meisten die gleichen Eigenheiten aufzeigten wie sie. Böse Zungen würden behaupten, sie tickten nicht richtig. War dies der Grund warum sie nun manchmal aneckte und Gesten und Worte oft nicht richtig deuten konnte?

Nur wenige Wochen vor ihrem 17. Geburtstag hatte sie Rebyn wieder verlassen. Hoch und heilig hatte sie ihren Eltern versprechen müssen regelmäßig zu schreiben und sie zu besuchen. Sie fühlten sich nicht wohl dabei ihre Tochter allein in weiter Fremde zu wissen, doch immerhin konnten sie, zumindest im Ansatz, verstehen, welche Beweggründe Julie fortzogen.

Und dann hatte alles seinen Lauf genommen…

Inzwischen war sie 19 Jahre alt, besaß ein großes Haus (viel zu groß für ihren Geschmack, doch Möbel brauchten Platz und die Leute wünschten sich eine Ausstellung), hatte sich einen Ruf erarbeitet (auch wenn es ihr zuwider war, wenn sie so über den Klee gelobt wurde), hatte Verehrer Kommen und Gehen sehen, gefühlt die halbe Stadt eingerichtet und sogar bis über die Grenzen des Herzogtums hinaus ihre Möbel ausgeliefert. Und seit fast einem Jahr leitete sie nun die Werft auf Valarian. Sie lächelte versonnen vor sich hin, als sie auf einer der Planken des Bootsgerippes saß, an welchem sie gerade baute und nun während einer Pause die Beine baumeln ließ. Das Honigbrot schmeckte heute besonders gut und der Klang der Wellen, die stetig gegen das Ufer schwappten, hatte eine beruhigende Melodie. In den letzten zwei Jahren hatte sie ganz schön viel erlebt kam es ihr in den Sinn. Auf vieles hätte sie stolz sein können, sich etwas darauf einbilden, hätten vielleicht andere gesagt, doch so war Julie nicht. Im Gegenteil. Das Lächeln schwand von ihren Lippen als sich ihre Gedanken verdüsterten. Eigentlich war sie sehr unsicher und voller Zweifel.

Noch immer musste sie an den Besuch des Leutnants denken, der sie so aufgewühlt hatte. Einige Tage hatte es gedauert, bis sie sich wieder einigermaßen fangen konnte. Immer wieder war die Rede davon, wie sehr man sie ins kalte Wasser geworfen hatte bezüglich der Werft. Ja, das hatte man. Aber hatte sie nicht auch das Beste aus der Situation gemacht? Sie hatte gekämpft und gemacht und getan und schließlich konnte die alte Werft wieder im neuen Glanz erstrahlen. Und sie hatte nicht aufgehört, sondern weiter gemacht. Sie hatte Leute gesucht, die ihr beim Bootsbau zur Hand gingen. Hatte die Fühler ausgestreckt, Briefe geschrieben, um Hilfe gesucht. Und auch wenn die meisten Gesuche unbeantwortet blieben, so hatte sie sich nicht unterkriegen lassen. Nun saß sie auf dem Ergebnis. An dem breiten, stabilen Kiel waren die ersten Spanten befestigt und jene mit Querbalken fixiert. Das Boot, das hier nun entstand, war zwar lange noch nicht als solches zu erkennen, doch mit ein wenig Fantasie… „Es sieht aus wie ein Brustkorb,“ hatte sie erklärt. „Der Kiel ist die Wirbelsäule und die Spanten sind die Rippen, die in die Höhe ragen.“

Was ihr am meisten zu schaffen machte, waren die Worte des Grafen. Der Leutnant hatte berichtet, dass jener plötzlich Zweifel hätte, dass Julie mit seinem Spezialauftrag überfordert sein könnte. Überfordert… ja, natürlich war sie überfordert! Sie hatte keinen Lehrmeister, musste sich selbst beibringen wie man ein Schiff baute und saß nun auf einem ihrer ersten Versuche. „Eine Nussschale wird es werden“, flüsterte sie mit ernstem Blick während sie das Gerippe betrachtete. Aber wenn diese Nussschale immerhin schwimmen würde, wäre das schon ein großer Fortschritt. Von dem Zweimaster, den sich der Graf wünschte, war sie noch weit entfernt. Er hatte ihr zwar alle Zeit der Welt gegeben, doch enttäuschen wollte sie ihn auch nicht. Auch wenn er, zumindest momentan, unmögliches von ihr verlangte. Ein innerlicher Zwiespalt war in ihr ausgebrochen. Was sollte sie tun? Ihm gestehen, dass sie sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlte? Sie war doch noch ein junges Mädchen, gerade mal 19 Jahre alt, eine kleine Schreinerin. "Aber in absehbarer Zeit wird aus der kleinen Schreinerin eine kleine Bootsbauerin." Die Worte des Grafen hallten in ihrem Kopf wieder. Ja, sie gab sich alle Mühe diesen gerecht zu werden. Doch fürchtete sie sich davor, dass ihr der Auftrag entzogen werden könnte, wenn sie nicht lieferte.

Sie rutschte von der Planke, griff in das Töpfchen mit den Nägeln und nahm ihren Hammer vom Boden auf. Die Arbeit musste weiter voran gehen. Aus Büchern konnte man den Schiffsbau nicht erlernen. Jetzt mussten Taten folgen. Während sie das nächste Brett festnagelte, verweilte ihr Blick kurz auf ihren Händen. Sie konnte sich immer noch nicht erklären, was genau sie sich da eingefangen hatte. Sie wusste nur noch, dass sie entsetzlich gejuckt und sie den Ausschlag blutig gekratzt hatte. Es war ihr sehr unangenehm gewesen doch in der Apotheke hatte man sie gut versorgt. Jetzt waren die Wunden verheilt und der Ausschlag verschwunden. Ruhe und eine Auszeit hatte sie sich während der Behandlung gönnen sollen und sie hatte sich wirklich bemüht kürzer zu treten. Der Wille war da, aber das Fleisch war schwach.

Sie war niemand, der einfach so auf der faulen Haut liegen konnte. Immer gab es etwas zu tun. Immer etwas zu besorgen, zu planen, abzusprechen, zu bauen. Ihre Freunde zeigten sich nicht umsonst besorgt. Manchmal schwindelte es ihr schon, wenn sie morgens aus dem Bett stieg und sie sich noch vor dem Frühstück an die Arbeit machte. Sie musste aufpassen. Durfte sich nicht übernehmen. Aber bestimmt würde alles gut werden. Sie hatte Ziele. Ehrgeizige Ziele. Und sie würde alles versuchen jene zu erreichen.
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