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Alt 24.04.2020, 12:31
#9
Julie Melan
Spieler, Mensch
 
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Sie saß an dem Cembalo aus Walnussholz, dessen dunkle und polierte Oberfläche im sanften Schein der aufgestellten Kerzen glänzte. Es war zwar erst später Nachmittag, doch war es Winter und im Winter wurde es bereits früh dunkel draußen. Ein Feuer prasselte im Kamin, tauchte die Wohnstube in Wärme und Gemütlichkeit. Ihre rechte Hand lag auf den Tasten und sie übte mit dem Daumen etwas Druck aus. Ein leiser, heller Ton erklang, als der Kiel die eiserne Saite im Korpus des Musikinstrumentes zupfte und ihr wurde warm ums Herz. Viel zu lang war es her, dass sie zuletzt musiziert hatte.

Zwei Cembali hatte sie in ihrer Zeit hier in Britain gebaut. Das Dunkle stand in ihrer Wohnstube und das feurigfarbene aus Birnenholz in der Möbelausstellung. Nur wenige hatten sich bisher dafür interessiert. Und die Leute, die gefragt hatten, ob sie darauf spielen könne, konnte sie an einer Hand abzählen. Sie hatte es immer verneint, wohl wissend, dass dies nicht ganz der Wahrheit entsprach. Früher, im Kloster, da hatte sie zu spielen gelernt. In einem Hauskreis hatten sie miteinander musiziert. Flöten, Harfen, Lauten, Trommeln… aber ihre Faszination hatte immer dem Cembalo gegolten. Ein verlegenes Lächeln trat auf ihre Lippen. Sie war keine begnadete Musikerin. Ihre Spielkünste würden niemals ausreichen um damit Säle zu füllen und doch hatte sie früher gerne gespielt. Für sich, im kleinen Kreis, ein wenig Hausmusik.

Nach ihrem Daumen folgten der Zeige-, Mittel- und Ringfinger und schließlich noch ihr kleiner. Mit leichtem Druck auf die Tasten entlockte sie dem Instrument die Tonleiter. Die Töne waren wohlklingend in ihren Ohren, die glatten Tasten fühlten sich unter ihren Fingerspitzen vertraut an. Ein Gefühl von Heimweh beschlich sie, welches sie jedoch mit einem Kopfschütteln und einem Lächeln wieder verwarf. Britain war nun ihre Heimat, ihr Zuhause. Hier war sie glücklich. In dreieinhalb Jahren hatte sie hier so viel erreicht. Sich etwas aufgebaut. Freunde gefunden und auch ihn.

Ihre Gedanken schweiften zurück zu den Geschehnissen der letzten Wochen. Mit einem Schmunzeln musste sie daran zurückdenken, welchen großen Spaß es gemacht hatte mit Ana die zerstörte Trainingspuppe in der Übungshalle von Britain zu erneuern. Wie sie die mannshohe, strohgefütterte Stoffpuppe auf einem Pony durch die Straßen Britains transportiert und sich dabei einen skeptischen Blick eines Gardisten eingefangen hatten. Es musste wirklich zu komisch ausgesehen haben. Als wenn sie jemanden abtransportieren würden, der nach einer durchzechten Nacht in der Taverne nicht mehr den Weg alleine nach Hause fand.

Das war schon im Frühling gewesen. Zu den jüngeren Ereignissen zählte da die Schiffstaufe. Am 16. Tag des Lorica 1331 war es endlich so weit gewesen. Fast auf den Tag genau, zwei Jahre nachdem sie die Werft übernommen hatte, war dort ihr erstes, eigenständig gebautes Schiff vom Stapel gelaufen. Sie war überwältigt gewesen von der Anteilnahme. Mit so einem Andrang hatte sie nicht gerechnet. Am Liebsten hätte sie sich vor Aufregung übergeben, doch das wäre vor so vielen Leuten wohl mehr als peinlich gewesen. Ihre Rede hatte sie zögerlich begonnen, stotternd. Sie hatte sich zwar ein paar Worte zurechtgelegt, doch dass sie vor einer solchen Menschenmasse offen reden sollte war ihr nicht bewusst gewesen. Doch im weiteren Verlauf hatte sie an Sicherheit gewonnen und ein Gefühl der innerlichen Zufriedenheit hatte sich in ihr breit gemacht – wie immer, wenn sie begeistert von ihrer Arbeit sprechen durfte.

„Hoffnung“, den Namen hatte der Graf der kleinen Kogge verliehen als er sie taufte. Für einen Moment hatte sie den Atem angehalten. Als die Flasche auf die Spanten traf, schickte sie ein stummes Stoßgebet gen Himmel, dass das Boot halten würde. Im Nachgang betrachtet Unsinn, aber sie war eben nervös gewesen. Das anschließende Fest war gut besucht. Nur wenige kehrten nach der Taufe direkt heim, viele blieben und leibten Seele und Magen an den Köstlichkeiten, die auf den Tischen verteilt standen. Ihre liebe Freundin Ana hatte sich wieder einmal selbst übertroffen und sie gab das Lob nur zu gerne weiter. Die Stimmung war ausgelassen, heiter und wurde für sie nur von den Unannehmlichkeiten des vorangegangenen Streites überschattet, den sie mit ihm tags zuvor gehabt hatte. Doch sie hatte sich entschuldigt und nun war wieder alles in Ordnung. Mehr als das.

Sie nahm die linke Hand mit auf die Klaviatur und ließ die Finger über die Tasten wandern. Aus einer Tonleiter wurde eine einfache Melodie, es folgte ein leichtes Kinderlied. Sie spielte ohne Noten und schloss die Augen um die Musik besser fühlen zu können. Sie hatte mal das Notenlesen gelernt, ganz früher, doch eine der älteren Novizinnen hatte ihr gezeigt, dass es nicht auf die einzelnen Noten ankam sondern auf die verschiedenen Tonleitern. Wer jene verinnerlichte wusste welche Töne miteinander harmonierten und konnte so seine ganz eigenen Melodien komponieren. Die einfachen Melodien, die sie erklingen ließ, steigerten sich, als sie Zwei- und Dreifachklänge erzeugte. Sie war ein wenig aus der Übung, ja, aber ihre Finger und ihr Herz erinnerten sich und entlockten dem Cembalo Klangfolge um Klangfolge in hellen, leisen Tönen. Leicht fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen.

Am morgigen Tage hätte sie wieder einen Bewerber da, der sich für eine Mitarbeit in der Werft interessierte. Wo jene nun alle herkamen, wusste sie nicht. Vielleicht saßen sie hier auch nur über den Winter fest und erhofften sich Arbeit. Doch bei Eis und Schnee war es zu gefährlich in der Werft zu arbeiten und sie vertröstete alle auf das Frühjahr. Ein geeigneter Kandidat schien noch nicht wirklich dabei gewesen, doch sie war zuversichtlich, dass sie noch jemanden finden würde. Die Zweifel in ihrem Kopf waren leiser geworden, sie besaß nun mehr Ruhe. Die Dinge, die passierten, ließen sie noch weiter reifen und erwachsener werden.

Ja, sie erlaubte sich den Gedanken, dass es im Moment nicht besser hätte laufen können. Sie war mit sich im Reinen, umgeben von ihren Freunden und fand ihre Erfüllung in ihrem Handwerk. Sie hatte die Arbeiten an dem Projekt mit den verstärkten Holztruhen wieder aufgenommen. Herr El Hashem würde sie fortan auf diesem Weg mit seinem Wissen begleiten und sie bei der Forschung unterstützen. Denn man durfte nicht vergessen, sie war nur eine Handwerkerin. Von Magie hatte sie keine Ahnung. Sie hoffte allerdings, dass die Verknüpfung seiner arkanen Begabung und ihr handwerkliches Fachwissen beste Voraussetzungen für den Weg zu etwas Neuem waren. Zu etwas Großartigem. Und würde diese Hürde einst genommen sein, so würde sie vielleicht auch die anderen Ideen in ihrem Kopf umsetzen können.

Ihre Hände glitten nach links und nach rechts über die Tasten des Cembalos. Die Musik gewann an Lautstärke und wurde immer kraftvoller und sicherer. Mit geschlossenen Augen saß sie da und lauschte der Geschichte, die die Töne woben. Ein Lächeln trat auf ihre Lippen. Sie liebte Geschichten. Am Liebsten jene mit einem glücklichen Ende. Sie durften alles enthalten. Über Liebe und Freundschaft sowie auch Traurigkeit und Schmerz. So lange am Ende sich alles zum Besten wandte, war ihr alles Recht. Eine Geschichte war ihr noch versprochen. Sie war Teil eines Handels gewesen und sie hoffte, jene bald hören zu können. Doch gute Geschichten brauchten ihre Zeit, das wusste sie. So würde sie weiter ausharren und warten, bis die Geschichte zu ihr kam.

Die grauen Tage waren vorüber und sie waren in diesem Jahr besonders kräftezehrend und anstrengend gewesen. Sie hatte nur wenig Schlaf gefunden. Hatte sich um die Person, der der Verlust des Gewebes viel mehr zu schaffen machte als ihr, beinahe rund um die Uhr gekümmert. Sie hatte dafür gesorgt, dass er aß und trank, hatte ihn in seiner Meditation begleitet bis zu dem Zeitpunkt wo er die erlösenden Worte gesprochen hatte: „Es ist vorbei.“ Alle weiteren Erinnerungen ließen sie sich auf die Unterlippe beißen um ein verlegenes Lächeln zu unterdrücken.

Der erste Monat in diesem neuen, noch jungen Jahr ging auch schon seinem Ende entgegen. Der nachfolgende Monat stand im Zeichen ihrer Göttin. Vielleicht sollte sie, ihr zu Ehren, etwas planen. Eine besondere Gabe in ihrem Schrein ablegen, ein Fest veranstalten und die Leute an einen Tisch und an ein Feuer zusammenrufen. Vielleicht sollte sie die Ausstellung für einen Tag allen Leuten öffnen, damit sie sich inspirieren lassen konnten. Inzwischen war diese immer weiter angewachsen, sodass sie eigentlich keine Wünsche mehr offen lassen sollte. Ja, irgendwas würde sie tun. Der Tatendrang kribbelte in ihren Fingern.

Sie beendete ihr Spiel, nahm die Hände von der Tastatur und lauschte in die nun wiederkehrende Stille ihres Wohnraumes hinein. Das Feuer war heruntergebrannt, die Glut spendete ein wenig Restwärme; doch sie fühlte sich von innen erwärmt. Im Haus war es still. Selbst der Hausgeist spukte nicht. Mit einem Lächeln setzte sie die Finger erneut an, begann zu spielen. Noch einmal atmete sie tief ein. Mit zarter, leiser, gar zerbrechlicher Stimme begann sie zu singen:

Gebreitet wie ein Fächer,
die immergrünen Dächer,
schützen vor Sonn‘ und Regen,
sind der Wälder Segen.
...
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