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Alt 25.01.2021, 19:32
#12
Julie Melan
Spieler, Mensch
 
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„Nein...“
Das Wort wehte leise wimmernd von ihren Lippen. Die Bettdecke raschelte ein wenig als Bewegung in ihren Körper kam, der sich unter dem Stoff unwohl regte.

„… will nicht...“
Sie drehte den Kopf von der einen Seite auf die andere. Die Lippen leicht geöffnet fing ihre Atmung an schneller zu gehen. Ihre Augenlider begannen zu flattern und ihre Gesichtszüge verzogen sich gequält als sie den Rücken zum Hohlkreuz durchdrückte und krampfte.

„Hört auf!“
Ein Schrei entrang ihrer Kehle und ihr Oberkörper bäumte sich auf bis sie kerzengerade im Bett saß. Die Bettdecke rutschte von ihren Leib, ihre Brust hob und senkte sich während sie so hastig ein und aus atmete, dass sie zu hyperventilieren drohte. Ihre Augen waren vor Panik geweitet und ihr Blick schweifte durch den Raum, hielt Ausschau nach Dingen die ihr bekannt vor kamen, suchte nach Orientierung.

Die Bettseite zu ihrer Rechten war verwaist und sie war froh drum. Sie zog die Beine um den Leib, umschlang jene mit ihrem rechten Arm während sie sich mit der linken Hand durch das Haar fuhr und sich den Kopf hielt. Die Albträume wollten einfach nicht enden. Eine Gänsehaut überzog ihren Leib und ließ sie frösteln als die dunklen Erinnerungen ungebeten in ihr hochkamen.

Staub in der Luft, der plötzlich glühte. Sie hatte ihn eingeatmet und ihre Glieder waren schwer wie Blei geworden. Ihr blieb nur noch wenig Zeit. Schwere Glieder, Schmerzen, Blut aus den Augen und aus den Ohren und schließlich der Tod. Er besaß das Gegenmittel, doch um es zu erhalten musste sie kooperieren. Sie hatte keine Wahl.

Der Weg war aufgeweicht vom Regen. Hier in diesen Gefilden gab es keinen richtigen Winter, es regnete einfach nur vermehrt und nun kniete sie im Matsch und trieb die langen Holzpflöcke tief in den Boden. Sie band Seile an jene fest und eine dunkle Vorahnung beschlich sie. Er hatte versprochen sie gehen zu lassen, sobald ihr Handel abgeschlossen war. Doch stellte er auch immer wieder neue Forderungen.

Sie wollte seinen Worten nicht Folge leisten. Er verlangte Unmögliches von ihr. Sie traute ihm nicht und wollte nur noch weg von diesem Ort. Sie jammerte, flehte, doch er schien kein Mitleid zu kennen. Mit ihren Diskussionen strapazierte sie seine Geduld und musste die Rechnung dafür tragen. Sie sah den Zauber langsam auf sich zukommen und riss zur Abwehr die Arme vors Gesicht. Ein erbärmlicher Schutz gegen Magie.

Sie konnte sich nicht mehr rühren. Ihre Augen huschten wie wild in ihren Augenhöhlen herum als sie seinen Bewegungen folgte. Er war ihr viel zu nah. Die rauen Fasern des Seiles fühlten sich unangenehm an der dünnen Haut an ihren Handgelenken an. Dann wurde es dunkel.

Das schwarze Stück Stoff saß fest über ihren Augen, raubte ihr die Sicht. Der Lähmzauber hatte seine Wirkung verloren, doch sie konnte sich trotzdem nicht bewegen. Die Seile schnitten in ihr Fleisch und als sie aufbegehrte, rissen die obersten Hautschichten auf. Sie spürte das Gewicht auf ihrem Bauch und seine rituellen Worte als er den Zauber wob. Sie fürchtete sich, versuchte sich vergebens in Gedanken zu den Menschen zu flüchten, die ihr an Herzen lagen und die sie liebte. Würde sie sie jemals wiedersehen?

Sein Kuss kam ohne jegliche Vorwarnung. Er hatte sich kühl angefühlt. Ohne Liebe. Es war schnell wieder vorbei, doch hatte er ein Kribbeln hinterlassen. Ein Kribbeln, welches bis heute anhielt...


Sie rutschte zur Kante hin und schwang die Beine aus dem Bett. Dann traf ihr Blick ihr Spiegelbild an der Wand. Ihr Gesicht wirkte eingefallen, fahl. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie arbeitete bis zur Erschöpfung um zu vergessen und um schlafen zu können. Doch im Schlaf suchten sie die Albträume heim. Wie lange sollte sie das noch aushalten? Er hatte etwas in ihr zerstört. Sie war nie besonders mutig gewesen, nie besonders selbstbewusst. Doch sie hatte, in all den Jahren, die sie nun schon auf eigenen Beinen stand und im Herzogtum lebte, Fortschritte gemacht. Fortschritte, die mit einer einzigen Aktion zunichte gemacht schienen.

Sie ertrug es nicht länger sich im Spiegel anzusehen und erhob sich um stattdessen ans Fenster zu treten. Das Glas fühlte sich kühl an als sie ihre Stirn dagegen lehnte und nach draußen sah. Zorn tobte in ihr und sie ballte die Hände zu Fäusten. Warum? Warum Sie? Sie hatte ihm nichts getan. Sie kannte ihn nicht mal. Aber sie besaß die nötigen Fähigkeiten, die er gebraucht hatte. Und wo sie schon mal da war, hatte er den Rest auch noch mit ihr vollbringen können. Tränen der Wut traten unter ihren Wimpern hervor als sie die Augen fest zusammenkniff. Sie zogen still ihre Bahnen über ihre Wangen.

Sie dachte an Ana. Ihre beste Freundin hatte jeden Stein umdrehen lassen um sie zu finden. Sie war ihr dankbar dafür. Wenn Ana nicht in Sorge Herrn Sasperus aufgesucht hätte, wer weiß wann sie dann gefunden worden wäre. Der Gedanke war zwar albern, es hätte wahrscheinlich nur wenige Stunden mehr gedauert, bis Herr Sasperus ihr Fehlen bemerkt hätte, doch jede Minute die verstrichen war als sie sich versteckt gehalten hatte, war von unheimlicher Pein geprägt gewesen. Sie hatte Herrn Sasperus alles erzählt, ihn ins Vertrauen gezogen und ihn dadurch in Gefahr gebracht. Er wollte diesen Kerl suchen, der ihr all‘ das angetan hatte. Er sollte büßen. Und sie hoffte, dass er ihn niemals finden würde. Sie wollte all‘ das nur vergessen. Die Schmerzen, die Angst und sie wollte verdrängen, dass sie ihrer lieben Freundin Ana wieder einmal etwas vorgemacht hatte. Doch sie wagte es nicht ihr die Wahrheit zu erzählen. Sie durfte nicht. Konnte nicht. Ihre Freundin war so zart und würde daran zerbrechen, wenn sie um die genauen Umstände wüsste. Sie musste sie schützen.

Ihre rechte Hand glitt zu ihrem linken Handgelenk und sie knibbelte an dem Schorf, der sich aufgrund der Schürfwunden dort gebildet hatte. Wenn sie die Krusten immer wieder wegkratzte, würden sie nie verheilen. Doch sie konnte auch nicht aufhören.

Ein leises Seufzen drang von ihren Lippen. Es half alles nichts. Sie musste wieder nach vorne sehen, durfte nicht mehr zurückblicken, nicht mehr in der Vergangenheit leben. Vor allem durfte sie sich nicht mehr Fragen stellen, auf die sie ohnehin keine Antwort finden würde. Sie sollte in das gesellschaftliche Leben zurückkehren. Ihre Energie in die Vorbereitungen des Marktes stecken statt in ihr Selbstmitleid. So viele Aussteller hatten sich gemeldet. Sie freute sich über jeden Einzelnen. Wenn wirklich alle kamen, dann würde es richtig voll werden. Nach dem Markt würde sie den Bau des Zweimasters in Angriff nehmen. Es gab so viel zu tun. Sie durfte sich nur nicht ausbremsen lassen.
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