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Alt 09.05.2013, 12:21
#11
Kadleen Larail
Reisender
 
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Als ihr Vater die beiden jungen Menschen so musterte, wurde es Kadleen doch wieder etwas unwohl. Sie warf einen vorsichtigen Blick zu Covan rüber, doch der Bursche erwiderte diesen nicht. Er sah sehr angespannt aus. Die Mimik verkniffen starrte er einfach nur gerade aus. Das Mädchen tastete nach seiner Hand und schob schließlich ihre Finger in seine Handfläche. „Wir werden euch alles erzählen,“ meinte Kadleen leise und der Vater nickte. Plötzlich hatte das Mädchen das Gefühl, dass die Stimmung zu kippen drohte. So froh und dankbar ihr Vater ihr auch erschienen war, als er sie endlich wieder sah und in den Arm nehmen konnte, so distanziert wirkte er nun. Erst Auma konnte das Eis wieder brechen, als sie mit vier dampfenden Bechern warmer Honigmilch aus der Küche kam. „Setzt euch doch alle. Steht doch nicht so rum. Ich bin so gespannt, was ihr zu erzählen habt.“

Sie nahmen an einem langen Tisch Platz, vor dessen Längsseiten zwei Bänke standen, auf denen dicke, bunte Kissen lagen. Die Größe und die Abnutzung des Tisches ließen keinen Zweifel zu, dass er häufig in seiner ganzen Größe in Gebrauch war. Kadleen schluckte leicht. Erinnerungen überkamen sie, wie sie früher hier jede Mahlzeit mit ihrer Familie eingenommen hatte. Mit ihren Eltern, ihren beiden älteren Brüdern und später noch Katerina, Ulriks Verlobte. Während Kalf vor Kopf auf einem Stuhl Platz nahm, setzte sich Auma zu seiner Rechten auf die Bank. Kadleen und Covan nahmen ihr gegenüber Platz. Auma verteilte die Becher mit der dampfenden Milch und fast zeitgleich lehnte sich das junge Pärchen vor und schloss die Hände um den warmen Becher. Kadleen sah aufgrund dieser Geste zu Covan rüber und musste lächeln und endlich schien sie auch den Burschen wieder zu erreichen, denn auch er hob die Mundwinkel zu einem zögerlichen Lächeln an. Es war immer gut, wenn man etwas hatte, an dem man sich festhalten konnte.

„Kadleen, du warst gerade Mal siebzehn geworden, als du einfach fort gegangen bist. Ohne ein Wort. Weißt du was wir uns für Sorgen gemacht haben? Wir wussten nicht wo du warst, was mit dir passiert ist. Und in all’ dieser Zeit kein einziges Lebenszeichen von dir.“ Ihr Vater polterte direkt los. Wie ein dumpfes, nahendes Donnergrollen klang seine Stimme und Kadleen zog instinktiv die Schultern hoch und duckte sich. Eine durchscheinende, faltige Hand legte sich auf Kalfs Unterarm und tätschelte jenen leicht. „Ruhig Blut, Kalf… Willst du etwa, dass sie direkt wieder verschwindet? Jetzt, wo sie endlich wieder hier ist und wir sehen können, dass es ihr gut geht? Sie wird ihr Verhalten bestimmt erklären. Warte nur ab..., “ Kadleen hob den Blick zu ihrer Mutter an und schenkte ihr ein dankbares Lächeln. Dann begann sie zu erzählen…

Sie erzählte von ihren Beweggründen, die sie dazu gebracht hatten wegzulaufen. Die ständigen Hänseleien von ihrem Bruder Bjorn, dass man sie verbiegen wollte, sie zu einem Menschen formen wollte, der sie nicht war. Sie hatte sich nicht mehr Willkommen gefühlt, nicht mehr zu dieser Familie zugehörig. Und ihr Talent, mit den Tieren zu sprechen und sich in sie einzufühlen, hatte die Familie stets nur müde belächelt und Spott dafür übrig gehabt. Sie bereute es, dass sie einfach ohne ein Wort fort gegangen war. Es tat ihr leid, sie entschuldigte sich, doch damals, mit 17 Jahren und ihrem Hitzkopf, hatte sie keine Gedanken daran verschwendet, wie sich ihre Familie dabei fühlen würde. Dann erzählte sie von ihrer Reise nach Britain und wie sie dort einen Neuanfang fand. Wie sie Covan kurz nach ihrer Ankunft kennen gelernt hatte. Was sie sich aufgebaut hatten, wie sie zueinander gefunden hatten. Sie erzählte von dem großen Hof, den sie inzwischen besaßen. Von den Tieren, die sie zähmte, von Covans Handwerk der Schneiderei. Und wie sie sich beide einen Namen in der Stadt hatten machen können. Je mehr sie erzählte, desto entspannter wurde die Stimmung. Kadleens Eltern unterbrachen sie nur selten um eine Rückfrage zu stellen und auch Covan schien sich nach und nach mehr entspannen zu können. Wo er am Anfang nur hin und wieder ein zustimmendes Nicken zum Gespräch beigetragen hatte, folgten später auch immer mehr Ergänzungen, bis Kadleen und er die Geschichte gemeinsam erzählten.

Stundenlang saßen sie am Tisch und erzählten. Die Mutter war zwischendurch im Nebenraum verschwunden und hatte eine deftige Kartoffelsuppe gekocht. Hungrig hatten sich die beiden Verlobten darauf gestürzt. Nichts ging über Hausmannskost. Da kam auch das Essen in den Tavernen nicht dran, waren sie sich einig und Covan war voller Lob für Aumas Kochkünste, was der alten Frau sehr schmeichelte. Als sich draußen die Dunkelheit herab senkte, wurden Kerzen aufgestellt. Das spärliche Licht schaffte eine behagliche Stimmung und die Gespräche dauerten immer noch an, bis sich die Tür öffnete. „Opapa!“ rief eine junge Stimme und ein kleiner Junge mit haselnussbraunem Haar kam in den Raum gestürzt. Er hielt direkt auf Kalf zu, der sich auf seinem Stuhl eindrehte, um den kleinen Jungen in seine Arme zu schließen, hielt jedoch dann inne, als er die beiden Fremden am Tisch sitzen sah. Kadleen sah diesen kleinen Menschen völlig verdattert an. Wie konnte man nur so winzig sein! Kalf zog den Jungen an seinem Hosenbund zu sich heran und brummelte ihm ins Ohr, als er sich den Kleinen auf den Schoß setze. „Schau mal, Olek. Das ist deine Tante Kadleen. – Kadleen, das ist Olek. Mein Enkel. Der Sohn von Ulrik und Katerina.“ Jegliche Farbe wich aus dem Gesicht des Mädchens, als sie den kleinen Jungen ansah. Sie war Tante. Ulrik und Katerina hatten bereits ein Kind. Einen kleinen Jungen. Wie alt er wohl sein mochte? Vielleicht zwei, nicht älter als drei. Zu dem Zeitpunkt, als sie aufgebrochen war, war Katerinas Bauch noch flach gewesen. Ein Räuspern ließ sie herumfahren. Mitten im Raum standen ihr Bruder Ulrik und seine Frau Katerina. Sie hatte sie gar nicht reinkommen hören. Noch immer blass und mit leicht geöffneten Mund sah sie das Paar an. Unter Katerinas Kleid wölbte sich ein riesiger Babybauch hervor. Es sah beängstigend aus. Sie musste kurz vor der Niederkunft stehen. Unwillkürlich legte Kadleen eine Hand auf ihren Bauch. Würde auch sie irgendwann so aussehen? Beunruhigt sah sie zu Covan auf.
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Geändert von Kadleen Larail (09.05.2013 um 12:26 Uhr).
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