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Alt 18.11.2020, 11:14
#10
Julie Melan
Spieler, Mensch
 
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Es war mitten in der Nacht und sie lag, bekleidet mit einer dunkelblauen Robe, zusammengekrümmt auf ihrem Bett. Immer wieder glitten ihre Finger um den Kupferreif, den sie in Händen hielt. Mal Außen über die gebürstete Oberfläche und mal Innen über die eingravierten Worte. Den Blick starr ins Leere gerichtet litt sie Schmerzen. Würde es je wieder aufhören weh zu tun?

Sie schloss die Augen und atmete tief durch. An welcher Stelle war ihr der Fehler unterlaufen, der wieder einmal alles hatte eskalieren lassen? Die letzten Wochen und Monate waren doch so friedlich verlaufen. So einträchtig. Sie waren mehr und mehr zusammengewachsen, zu einer Einheit geworden. Die Menschen in ihrem näheren Umfeld hatten es gespürt und für die weiter Entfernten brodelte die Gerüchteküche. Auch wenn sie es nur wenigen Leuten je offiziell bestätigt hatten; Ja, sie waren ein Paar – gewesen.

Ein trockenes Schluchzen entrann ihrer Kehle als ihr Herz sich erneut verkrampfe, schmerzhaft zusammenzog und sie glaubte keine Luft mehr zu kriegen. Gewesen, ja. An dieser Stelle war die vollendete Vergangenheitsform zu wählen, denn nun war es vorbei. Sie hatte es beendet. Doch gewonnen hatte sie dadurch nichts. Stattdessen gab sie sich der Lethargie hin, lag antriebslos in seiner Robe auf dem Bett und aß viel zu wenig.

Sie wusste nicht, ob sie ihren Entschluss bereute. Sie wusste überhaupt nichts mehr, denn ihr Kopf war wie leer gefegt. Für Ihn war es bestimmt das Beste. Er hatte sich immer eine starke Frau an seiner Seite gewünscht. Es war ihr Bestreben gewesen diese nötige Stärke aufzubringen und doch war sie immer wieder kläglich gescheitert. Er hatte dafür Verständnis gezeigt, hatte ihr Bestes gewollt, ihr Hilfestellung gegeben, auch wenn sein Weg für sie nicht immer ganz nachvollziehbar war. Aber sie war auch noch jung… und naiv… und hatte keine Ahnung.

Sie hatte sich Ana anvertraut und musste sich eingestehen, dass sie wohl doch ein wenig eifersüchtig war. Ihre beste Freundin schien das ganze Glück der Welt für sich gepachtet zu haben. Für sie war nichts mehr übrig geblieben. Irgendwo tief in ihr drin wusste sie, dass so zu denken einfach dumm war. Doch ihre Gedanken wirbelten in schwarzen Wolken durch ihren Kopf und das Gewitter braute sich immer mehr zusammen. Sie hatte Ana von der Trennung erzählt, von den Gründen, die sie dazu bewogen hatten. Sie hatten so hohl in ihren Ohren geklungen. Und Ana hatte reagiert, wie sie nicht besser hätte reagieren können. Sie hatte ihre Freundin getröstet, ihr Mut zu gesprochen und ihr gezeigt, dass am Ende des finsteren Tals auch wieder ein Lichtblick auf sie wartete. Doch sie hatte Ana auch nicht alles erzählt. Die wahren Gründe hatte sie für sich behalten. Sie konnte mit niemanden darüber sprechen. Nicht mal mit ihrer besten Freundin, die schon wie eine Schwester für sie war. Sie schämte sich zu sehr.

Als ihre Muskeln erschlafften hatte sie das Gefühl in die weiche Matratze ihres Bettes hinein zu fallen. War sie kurz eingenickt? Ihr Körper forderte verzweifelt nach Schlaf, doch sie wollte dem nicht nachgeben. Sobald sie die Augen schließen würde, würden die Albträume zurückkehren.

Wie sollte es nun weiter gehen? Sie hatte seit Tagen nicht von ihm gehört. Einen Brief hatte er ihr kurz nach ihrer Trennung zukommen lassen. Sie hatte nicht darauf geantwortet. Sie konnte nicht. Der Inhalt hatte sie schwer getroffen, ihr bewusst gemacht wie ungerecht ihre gewählten Worte gewesen waren. Die Schlüssel zu ihrem Heim hatten dem Brief beigelegen sowie ein absurdes Geschenk, welches sie wütend gemacht hatte.

Vielleicht sollte sie einfach das Land verlassen und in ihre Heimat zurückkehren. Zurück zu ihren Eltern in dieses kleine, beschauliche Dörfchen in denen die Bewohner so weltfremd waren, dass es sie manchmal fast ängstigte. Je schlichter das Leben desto geringer die Probleme? Eigentlich wusste sie, dass Weglaufen keine Option war. Doch in dieser Situation erschien es ihr so herrlich einfach.

„Der richtige Weg ist immer der schwerere.“ Sie hörte seine Stimme im Ohr als würde er direkt neben ihr liegen und ihr diese Worte zuflüstern. Sie verfluchte sich und ihn dafür. Es nervte sie, dass er oft so belehrend klang. Warum musste er ständig Recht haben? Warum hatte er immer Recht?

Sie kniff die Augen fester zusammen, atmete tief durch. Es half doch alles nichts. Sie musste weitermachen. Wenn nicht um ihretwillen, dann wegen der anderen Leute, denen ihre Freundschaft wichtig war oder die auf ihr Handwerk angewiesen waren. Sie würde einfach… funktionieren.
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