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Alt 24.11.2020, 11:31
#11
Julie Melan
Spieler, Mensch
 
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Mit einem kratzenden Geräusch fraßen sich die Zähne des Sägeblattes durch das Holzbrett, bis es am Ende klappernd zu Boden fiel. Sie legte den Fuchsschwanz zur Seite, griff mit der behandschuhten Hand nach dem Brett und erhob sich damit. Über die schmale Planke trat sie auf das Trockendock und kletterte in den Rumpf des Bootes, welches sich dort in der Entstehung befand. Sie fügte das Brett nahezu nahtlos an das vorhergehende an und mit kräftigen Hammerschlägen, die durch die Werft klangen, fixierte sie es an Ort und Stelle.

Ihre Wangen waren gerötet. Man konnte spüren, dass der Herbst langsam aber sicher Einzug hielt. Der Wind pfiff durch die halb offene Werftanlage, zerrte an ihrer Kleidung und an ihrem Haar. Die Temperaturen sanken bereits, aber ihr machte dies nichts aus. Es gab kein schlechtes Wetter, nur ungeeignete Kleidung. Der frische Wind, der ihr um die Ohren wehte, blies trübe Gedanken fort, leerte ihren Kopf, sodass sie sich voll und ganz auf ihre Arbeit konzentrieren konnte. Die Liebe zum Holz war ihr vor 22 Jahren in die Wiege gelegt worden und sie wollte nichts anderes tun, als jener Liebe zu frönen und ihrem Handwerk nachzugehen um es weiter zu perfektionieren.

Sie blieb auf den Knien hocken und betrachtete ihre Arbeit. Aus dem etwas seltsam anmutenden Holzgerippe war mittlerweile ein vorzeigbarer Rumpf geworden. Die Seitenwände waren beplankt, jetzt arbeitete sie an dem Deck. Wenn dies erledigt war, würde sie Herrn Oddmarr um Hilfe bitten. Es war sein Boot, das hier entstand und er hatte den Wunsch geäußert daran mitzubauen, sofern es in seiner Macht stand. Zum Kalfatern würde sie ihn dann einladen. Dieser Arbeitsgang sollte ihm vertraut sein, denn er hatte ihr schon einst geholfen, als sie an ihrem ersten Boot gebaut hatte. Wenn Baumwolle in die schmalen Zwischenräume der einzelnen Planken mit einem Kalfateisen eingeschlagen und anschließend mit Pech versiegelt wurde nannte man diesen Vorgang Kalfatern. Es diente dazu die Nahtstellen dicht zu kriegen, damit kein Wasser von außen eindringen konnte. Sie schmunzelte vor sich hin. Sie hatte keinen Lehrmeister gehabt, der ihr gezeigt hatte wie man Schiffe baute. Alle ihre Bemühungen einen ausfindig zu machen waren damals im Sande verlaufen. Also hatte sie sich alles selbst beigebracht. Sich das Wissen aus Büchern und auf einer Schiffsreise angeeignet und irgendwann genug Mut aufgebracht um einfach mal anzufangen. Inzwischen war dies nun schon das fünfte Boot, das sie baute und es würde bei Weitem nicht das Letzte sein. Sie sehnte sich das neue Jahr und den Frühling herbei, denn sie plante Großes, wenn Eis und Schnee die Werft wieder freigaben und das Arbeiten nach dem Winter dort erneut möglich machten. Der Graf höchstpersönlich hatte ihr einst einen Auftrag anvertraut, zu dem sie sich seinerzeit noch nicht bereit gefühlt hatte. Doch nun hatte sie Erfahrungen gesammelt, war älter geworden und gereift. Im Frühling sollte es beginnen.

Von der körperlichen Arbeit langsam erschöpft und durchgeschwitzt, erhob sie sich und kehrte an die Werkbank zurück. Sie griff nach dem Wasserschlauch der dort lag und trank. Zufrieden ließ sie sich mit dem Gesäß gegen die Tischlerbank sinken und betrachtete den Schiffsrumpf. Sie genoss die Ruhe auf Valarian. Nur selten verirrte sich jemand hierher. Hier war sie, bis auf ein paar Soldaten und Gunnar abgesehen, allein und konnte ihren Gedanken nachhängen.

Die letzten Tage waren ein wahres Gefühlschaos gewesen. Ein ständiges Auf und Ab. Immer wenn sie glaubte, dass sie nun gefestigt war, passierte etwas Neues und Unerwartetes und warf sie wieder zurück. Die Trennung von Herrn Sasperus machte ihr zu schaffen und dass sie sich, immer wieder in den Straßen von Britain begegneten, machte es auch nicht besser. Es schmerzte jedes Mal ihn zu sehen und sie wusste nicht, wie sie je diesen Schmerz überwinden sollte. Vor ein paar Tagen war sie ihm noch mit Ablehnung und Wut gegenüber getreten, hatte ihn herausfordernd angefunkelt. Jetzt konnte sie ihn kaum mehr in die Augen sehen. Sie war verlegen, fühlte sich in seiner Gegenwart wie ein kleines, dummes Mädchen. Seine Aura war zeitweilen einfach einschüchternd.

Zum Glück hatte sie Freundinnen, die ihr in dieser schwierigen Zeit erst Recht zur Seite standen. Ana mit ihrer lieben und fürsorglichen Art, hatte sie gleich in den Arm genommen und getröstet. Mit ruhigen Worten hatte sie Julie den Kummer nehmen und Hoffnung geben wollen. Glaubte man Ana, würde bestimmt alles wieder gut, wenn sie noch einmal in Ruhe mit Herrn Sasperus über alles reden würde. Ein Teil von Julie wünschte sich das auch, pflegte ebenfalls diese Hoffnung. Aber es war so viel passiert…

Im Kontrast zu Anas Fürsorge stand da Felines Art das „Problem“ anzugehen. Die kleine Bardin hatte sich auch um ihre Freundin gesorgt, war ihr zwei Tage und Nächte lang fast gar nicht mehr von der Seite gewichen. Hatte sie bespaßt, sie bekocht, aber ihr auch gründlich den Kopf gewaschen. Julie sollte sich endlich ihres Wertes bewusst werden. Sie war nicht schwach. Herr Sasperus hatte sie nicht verdient.

Und in diesem ganzen Durcheinander merkte sie, dass auch Yenefer für sie da war. Die beiden Frauen kannten sich zwar schon länger, doch richtig tiefgehende Gespräche hatten sie bis dato noch nicht geführt. Yen war dabei gewesen, als Ana vorbei gekommen war um sie aufzumuntern und hatte ihr immer wieder ein offenes Ohr angeboten, was Julie furchtbar nett fand und worauf sie sicherlich auch zurückgreifen würde.

Ja, sie war wirklich froh so gute Freundinnen an ihrer Seite zu wissen. Wie sie das verdient hatte, konnte sie sich selbst nicht beantworten, aber sie wusste es schätzen. Julie trank noch einen weiteren Schluck aus ihrem Wasserschlauch und verschloss jenen mit einem Korken. Sie wollte nicht länger Trübsal blasen. Sie wollte sich wieder mehr auf ihre Arbeit konzentrieren. Dazu gehörte auch, weiterhin die Geschäftsbeziehung mit Herrn Sasperus zu pflegen, die sie schon so viele Jahre führten. Sie würde lernen professionell mit ihm umzugehen. Aber leicht würde es nicht.

Ablenkung war dieser Tage das A und O. Ihre Arbeit sollte ihr dabei helfen. Der Kontakt zu Herrn Marlek war da ein gelungener Anfang. Sie wollte sich wieder mehr auf ihre Forschungen konzentrieren. Auf die Holztruhe aus verstärktem Holz, die sie schon so viele Jahre beschäftigte und wo sie aber immer noch auf der Stelle trat. Doch durch Herrn Marlek hatte sie neue Hoffnung geschöpft, dass es nun doch etwas werden könnte. Außerdem verfolgte er noch ein weiteres Projekt, bei dem sie ihn unbedingt zur Seite stehen wollte. Die Verbindung vom Schreinerhandwerk und der Thaumaturgie reizte sie immer mehr. Es würde viel Arbeit auf sie zukommen. Die Werft, die Forschung und dann die üblichen Aufträge, die sich schon lange nicht mehr nur auf den Möbelbau beschränkten. Inzwischen plante sie ganze Innenausbauten, richtete den Leuten vorab ihre Häuser auf dem Papier ein. Ein wenig Hilfe könnte sie dabei schon gebrauchen. Vielleicht war nun die Zeit richtige Zeit gekommen, sich doch einmal nach einem Lehrling umzusehen.
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