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Alt 08.07.2003, 08:52
Es war Ador des Jahres 1278
#1
Mirwyn
Reisender
 
Registriert seit: 08 Jun 2003
Beiträge: 21
"Tu was ich dir sage, Mirwyn. Und ich will keine Widerworte hören!", sagte eine kräftige ungeduldige Stimme aus den vorderen Räumen des Hauses.
"Ja, Vater - sofort.", rief sie etwas entnervt zurück. Die Hintertür, die auf die Stallungen des Gehöfts hinaus zeigte öffnete sich. Ein junges Mädchen drückte sie mit dem Rücken auf. In den Händen schien sie etwas Schweres und ziemlich Großes zu tragen. Ihr Haar war mit Zöpfen nach hinten zusammengeknotet worden - keine Strähne fiel in das hübsche Gesicht.
Zügigen Schrittes schleppte sie den Stoffsack bis zum Gatter der Hühner und ließ ihn dort fallen. Etwas außer Atem strich sie mit dem Handrücken über ihre Stirn. Blinzelnd blickte Mirwyn in die Richtung der Sonne. Es war ein herrlicher Tag. "Was für eine Verschwendung", seufzte sie. Trotzig stieß sie mit dem Fuß gegen den vollen Kornsack, als erwarte sie, etwas würde sich tun. Dann blickte sie sich genaustens um. Ihr Vater war nirgends zu sehen und ihre Mutter bereitete in der Küche das Mittagessen vor. Sie schien kurz zu überlegen, bevor sie zielsicher den äußersten Holzzaun ansteuerte. Kaum hatte sie ihn mit der Hand ergriffen, als sie schon eine helle, wissbegierige und gut gelaunte Kinderstimme vernahm: "Wynni, gehst du wieder fort?"
Mirwyn schloss ertappt die Augen und drehte sich langsam um. "Elania, geh wieder ins Haus.", sagte sie in einem strengen, wenig Geduld aufbringendem Tonfall. Das Lächeln wich aus dem Kindergesicht - betrübt schloss sie die Tür hinter sich. Als Mirwyn die Schritte ihrer elf Jahre alten Schwester vernahm, wie sie eilig davonliefen, seufzte sie machtlos - sie wollte ihr doch nicht wehtun. Aber sie würde sich schon wieder beruhigen. Mir jener Zuversicht sprang sie problemlos über den hohen Zaun.
Kaum zwanzig Schritte war sie gegangen, da stand sie bereits vor einer Traube von Bäumen, die zum Randgebiet des Waldes gehörten. Hier standen die hohen Kiefern und Eichen nicht so aneinander gepresst, wie in seinem Inneren. Hier mussten sie noch nicht um das begehrte Sonnenlicht streiten. Das Laub der Bäume schwang in kräftigem satten Grün im Wind. Und die Luft war getränkt von den Düften der Nadelkleider und der frischer Blumen. Auch die Amseln sangen ihre Melodien und im ganzen Wald ertönten ihre Rufe. Nicht weit entfernt konnte man den kühlen Bach plätschern hören. Leichten Schreitens tauchte Mirwyn in Undurchdringlichkeit der Hölzer ein...

...Verdammt noch mal, warum musste sie eigentlich jedesmal die Zeit aus den Augen verlieren? Das fragte sie sich, als sie einen großen Dorn aus ihren Schuhen zog, der sich durch das dünne Leder gebohrt hatte und nun in ihrer Haut steckte. Sie biss die Zähne zusammen und eilte weiter. Es war bereits Dämmerung - sie wusste nicht was ihr Vater mit ihr anstellen würde, wenn sie nicht bald ankommen würde - doch diese Frage ließ sie am besten so lange wie möglich unbeantwortet.
Die Bäume lichteten sich. Sie wäre gleich daheim. Doch statt erleichtert darüber zu sein, nicht noch mehr Zeit vertrödelt zu haben, blickte sie irritiert und sorgenvoll in die Höhe. Dunkle Rauchschwaden stiegen hinauf. Der Aschenebel zog sich über den gesamten Horizont. Der Himmel war so bedeckt, dass sie noch nicht einmal den leuchtend hellen Vollmond sehen konnte.
Dann wurde es ihr klar. Es brannte - das ganze Dorf musste in Flammen stehen. Schnell rannte sie los und kam dann abrupt zum stehen. Sie wäre auf dem Boden zusammengesunken, hätte dort nicht ein Baum gestanden, an dem sie sich hätte abstützten können.

Dunkle Reiter kamen herangeprescht. Auf schwarzen wutentbrannten Rössern, die unter ihren blutigen Hufen alles niedertrampelten, was ihren Herren in den Weg kam. Diese trugen metallene Rüstungen, die alles Licht einzuschließen schienen und durch die Finsternis ersetzten. In einer Hand hielten sie Fackeln, deren Feuer von den Dächern de stroh bedeckten Häuser genährt wurden mussten. In der Anderen hielten sie Schwerter empor, rostig von dem Blut ihrer Opfer. Meilenweit, denn ihr Haus stand abgelegen am Rande des Dorfes, waren die kläglichen Schrei verzweifelter Menschen zu hören, doch wurden sie schnell erstickt.
Sie näherten sich - fünf von ihnen waren es an der Zahl - und sie kamen, ihr Atem versagte, unmittelbar zum Hof ihres Vaters.
Eiligst versuchte sich hochzurappeln und Schutz hinter einer kräftigen Buche zu suchen, um der Aufmerksamkeit dieser Gestalten zu entgehen. Star vor Angst blieb sie sich dicht an den Stamm des Baumes gedrückt stehen und traute sich kaum ihren Blick geradeaus zu richten.
Und da sah sie ihn - ihren Vater - wie er dastand, auf den Stufen der Eingangstreppe - ein Schwert in den Händen, von dem sie immer gedacht hatte, es hinge nur zur Zierung über dem Wohnzimmerkamin. Vor den Tor blieben sie stehen. Eine finstere Kreatur, die der Anführer dieser Horde zu sein schien, löste sich von den übrigen ab. Er trieb sein Pferd an weiterzugehen. Mit einer schnellen, beiläufigen Bewegung wurde die Tür der Abzäunung aufgestoßen. Langsamen, unheilvollen Schrittes setzte das schwarze Tier seine Hufen hart auf den steinernen Weg. Jedes Auftreffen mit dem Boden glich dem pochenden Schlag eines sterbenden Herzens.
Nun umklammerte ihr Vater den Griff seines Schwertes fester. Unerschrockenheit lag in seinem Blick und Härte. Auch wenn seine eigene Tochter tiefste Besorgnis zu erkennen vermochte. "Ich bin Mirothed! Und das hier ist mein Boden!", schrie er dem dunklen Reiter eisern entgegen. "Macht das ihr wegkommt, Kreaturen der Finsternis und flieht, wenn euch euer Leben lieb ist!"
Der schwarze Ritter kam nur wenige Fuß vor ihm zum stehen. Er sah auf Mirothed herunter und leises, seelenloses Gelächter zischte aus ihm heraus.
Lärm war plötzlich zu hören. Die Scheune, der Stall - sie brannten lichterloh und der Wind stand ungünstig. In wenigen Augenblicken lief das Feuer über das gesamte Gehöft. Die Tiere schrien um ihr Leben, Huf- und Flügelschläge drangen durch den offenen Hof hinaus. Mirothed sah mit entsetztem Blick auf die brennenden Gebäude.
In diesem Augenblick, in unbeschreiblich langsam verzerrter Zeit - so wie es dem jungen Mädchen vorkam, streckte der düstere Ritter seine Hand nach seinen Schwerte. Das metallische Schwingen der Klinge war zu hören, als er es mit einer ausholenden Bewegung aus der Scheide zog und in die Höhe riss. Es durchschnitt förmlich die Luft. Gnadenlos ließ er das Eisen auf Mirotheds Hals niederschlagen.
Mirwyn brach zusammen. Sie konnte weder schreien, noch weinen in dieser Sekunde, sondern drehte ihren Kopf weg und vergrub ihn zwischen ihren Armen. Sie zwang sich jedoch mit aller Gewalt aufzusehen. Sie konnte den Leichnam ihres Vaters nicht erblicken.
Dankbar sollte sie dafür gewesen sein. Doch bestürzt blickte sie sich suchend um. Die dunklen Reiter waren verschwunden, aber - die Tür zum Haus stand offen. "...nein...", konnte sie nur noch, nahe der Ohnmacht hervorpressen, als zwei schreiende Frauenstimmen durch den offenen Eingang schallten und sie in die kalte Wirklichkeit zurückholten. Jäh verhallten sie - und die Männer traten mit scheppernder Rüstung heraus. Sie trugen große Säcke. Was sich darin befand, wusste Mirwyn nicht. Einen klaren Gedanken zu fassen, dazu war sie in diesem Moment auch nicht in der Lage.
Atemlos fiel sie zu Boden auf einen Ast, der unter ihrem Gewicht brach. Mit einer schnellen Kopfbewegung, als wüsste er genau aus welcher Richtung jenes Geräusch stammte, blickte der dunkle Reiter zu den Bäumen hinter denen sich Mirwyn versteckt hatte. Sofort ließ er, seine Beute klirrend zu Boden fallen. Unheilvollen Schrittes näherte er sich. Mirwyn die ihn sofort sah, da er sich durch seine schwere Rüstung verriet, versuchte sich immer noch auf dem Rücken liegend nach hinten zu bewegen. Verzweifelt stieß sie sich mit den Beinen vom Boden ab, sie versuchte sich auf den Bauch zu drehen und dann mit den Händen abzustützen, damit sie aufstehen konnte. Doch sie fiel wieder auf die Erde. Zitternd vor Angst trat sie gegen die grasigen Untergrund und rappelte sich auf diese Weise auf. Sie konnte kaum etwas sehen, denn ihr Blick war verhangen von Tränen. Aber sie rannte, hinter sich, die nun immer schneller werden Schritte vernehmend. Sie kam zu einem Abhang aus Sand, allein gehalten von die durchdringenden Wurzeln der alten Bäume. Alle Kraft zusammennehmend griff sie nach einer etwas schwach anmutenden Schlinge. Doch sie hielt und das Mädchen zog sich daran hoch. Gleich wäre sie oben, ihre Hände fassten bereits höher gelegenen Boden. Doch auf einmal spürte sie eine nahezu unmenschliche Kälte und ein Schatten dehnte sich regelrecht um sie herum aus. Dann wurde sie an ihrem Fuß gepackt und gewaltsam nach unten gezogen. Vollkommen überwältigt prallte sie mit dem Rücken auf. Sie war nicht mehr fähig zu atmen oder sich nur zu bewegen - das Einzige, was sie noch im Stande war zu fühlen, war der brennende Schmerz der sich in ihren Körper ausbreitete.
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Alt 08.07.2003, 08:54
#2
Mirwyn
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Und dann beugte er sich über sie und ein seltsames Grinsen breitete sich unter seinem Helme aus. Sie konnte es weder zuordnen, noch beruhigte es sie, sondern, ganz im Gegenteil, ließ sie um ein vielfaches panischer werden. Hohnsprechend, mit einer gestellt empörten Stimme, blickte er zu ihr hinunter: "Du wolltest doch nicht etwa weglaufen. Und das ohne deine Gäste zu begrüßen. Ich sehe schon, die gute Kinderstube ist auch nicht mehr das, was sie einmal war." Krampfhaft versuchte Mirwyn sich von ihm wegzudrehen und eiligst wieder auf die Beine zu kommen. Aber noch in diesem Augenblick, zog die Schreckensgestalt ihr Schwert und setzte es blitzschnell an ihre Brust. Zitternd blickte sie auf die Klinge die sich bereits gefährlich stark in ihre Haut bohrte. "Du hast wohl überhaupt nichts gelernt, was?" Eingehend betrachtete es sie, scheinbar sich weidend an ihrer Angst. "Du schreist ja gar nicht. Deine Mutter hat sich wenigstens noch Mühe gegeben. Obwohl, wenn ich mich recht entsinne, am Anfang war sie auch recht schweigsam - aber als wir mit der Kleinen fertig waren..." Angewidert und hasserfüllt blickte sie zu dem Mann herauf, der ihr Leben zerstört hatte, der nun selbstzufrieden und beinahe in Erinnerungen schwelgend vor ihr stand. Mit aller Kraft, die sie in diesen Minuten aufbringen konnte, und immer noch am Boden liegend, trat sie gegen die harte Rüstung an seinem Schienbein. Schmerzerfüllt schrie sie auf, doch es reichte um den dunklen Reiter ins Wanken zu bringen, sodass er auf die Erde fiel.
Sofort erhob sie sich und trat auf. Gequält verzog sich ihr Gesicht. Doch sie musste weiter und so lief sie - dieses Mal nicht über den Abhang, sondern tiefer in die Wälder hinein. Ihr inzwischen gelöstes Haar verfing sich mehrere Male peinvoll in den Ästen, auch hatte sie dass Gefühl, mit ihrem gebrochenen Fuß keinen Schritt weiter rennen zu können. Doch sie wusste, würde sie jetzt langsamer werden oder stolperte sie nur einziges Mal, so wäre es das letzte Mal. Mirwyn wusste nicht, ob sie noch immer verfolgt wurde oder ob er es schon aufgegeben hatte. Doch noch immer hallte das quälende Geräusch aufeinander treffenden Metalls in ihrem Ohr wieder.
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Alt 16.07.2003, 11:18
#3
Mirwyn
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Beiträge: 21
Und dann passierte es. Ihr Gelenk gab nach. Der Schmerz erfasste sofort wieder all ihre Sinne. Sie fiel und mit dem Kopf traf sie unglücklich auf einen in der Erde vergrabenen Stein auf. Vollkommen benommen rollte sie einige Meter herab, über den unebenen Waldboden. Nun lag das junge Mädchen im innersten einer mitteltiefen Mulde. Am Boden krümmte sie sich zusammen und spürte wie eine Wärme über ihre Stirn strömte. Doch sie konnte noch das Aufsetzen schweren Fußes auf dem Grund wahrnehmen. Der Missklang - er kam näher. Sie schloss, fast weggetreten die Lider. Jedoch spürte sie sie wieder - diese Kälte, ungewollt öffnete Mirwyn die Augen. Sie sah den Mann in schwarzer Rüstung auf sich zukommen, bereits sein tödliches Schwert blank gezogen. Aber nun war sie starr, sie konnte noch nicht einmal den Blick von ihm abwenden. Und er trat neben sie, schnell doch ohne Eile, wohlwissend, dass sie sich nicht mehr wehren könnte. Er hob die Klinge. Nichts gab es mehr, was sie tun konnte und so schloß sie die Augen. Ihr Schicksal wurde besiegelt und doch - in diesem Moment spürte sie keine Angst mehr. Denn es wäre gleich vorbei und sie wäre bei ihrer Familie, beschützt und sicher, niemand könnte ihr dann noch wehtun. Und nur eine einzelne Träne lief über ihre Wange.

Dann spürte sie eine schnelle Luftbewegung, doch konnte diese kaum von einem Schwerte verursacht worden sein. Ein dumpfes Stöhnen erhallte, doch drang es nie durch diesen Wald hinaus.
Mühselig konnte sie nur noch leicht die Augen öffnen, ihre Sicht verschwamm bereits. Sie sah ihn dort liegen, auf dem Rücken, das Schwert in den Händen - Sein Schädel war durch die Sichtöffnung seines Helmes durchbohrt worden, nur der Schaft lugte hervor...
Danach wurde ihr endgültig schwarz vor Augen, sie hatte die Besinnung verloren...



...Als sie erwachte spürte sie eine liebliche Ruhe in ihrem Innersten und ihr war friedlich zumute. Licht schien in ihr Gesicht. Blinzelnd öffnete sie die Augen, die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten. Der Himmel war klar, kein giftiger Rauch mischte sich mehr in das helle Blau dieses Tages.
Mirwyn lag in weichem hohen Gras gebettet und als sie etwas aufschaute, erblickte sie nur in einigem Abstand zu ihren Füßen, ein paar Früchte - Äpfel, noch vom vorherigen Jahr, aber immer noch saftig; auf einer kleinen ausgebreiteten Stoffdecke. Daneben befand sich eine größere Feldflasche, gefüllt mit frischem Wasser.
Irritiert betrachtete sie die Sachen und blickte sich suchend um. Doch es war niemand zu sehen. Sie bemerkte, das sie keine Schuhe mehr trug und begutachtete ihren verletzen Fuß. Er war sorgsam mit weißem, weichem Stoff umbunden. Als sie versuchte aufzustehen und aufzutreten, stelle sie fest, das der Verband auch äußert fest und stützend war. Da ihr Blickfeld nun an Weite gewonnen hatte, sah sie im üppigen Gras etwas liegen. Behutsam näherte sie sich und kniete sich hin, um ihren Fuß nicht zu sehr zu beanspruchen. Sie nahm es in die Hände, ein helles geschmeidiges Hemd, das grünlich schimmerte. Darunter lag eine Hose - etwas dunkler, doch mit der gleichen Farbschattierung. Sorgsam hielt Mirwyn es in den Händen und plötzlich fiel ihr auf, dass dieses edle, fremdartige Gewebe und auch seine Webart keinem anderen Stoff, welchen sie je erblickte, auch nur annähernd ähnelte. Wieder drehte sie sich in alle Richtungen, doch auch diesmal bemerkte sie nichts.
Uns so, nachdem sie sich sparsam mit dem Wasser aus der Feldflasche erfrischt hatte, aß sie die Äpfel, die jetzt, wo sie sehr hungrig war, umso besser schmeckten. Danach zog sie das staubige und angerissene Kleid aus und schlüpfte behutsam in die anschmiegsamen, leichten Stoffe. Erst jetzt bemerkte sie, dass sich um ihre Stirn ebenfalls eine Bandage befand. Denn sie war so angelegt, dass sie kaum zu spüren war. Oft, so hatte sie es erlebt, waren die Heilmethoden schmerzhafter gewesen, als die eigentlichen Verletzungen.
Eine Weile noch, blieb sie stehen auf der wohlriechenden Wiese mit den zarten Frühsommerblüten und lies sich die warme Sommerluft durch die Haare wehen. Sie mochte den Wind, wie er sich so schnell und frei bewegen konnte, wie kein anderer. Viele Male schon wünschte sie sich zu gleichem fähig zu sein.
Ganz allmählich nur drehte sich um und suchte sich im Schatten einer knorrigen Eiche ein bequemes Plätzchen. Nicht lange dauerte es bis sie die Müdigkeit übermannte und sie friedlich in einen traumlosen Schlaf fiel.
Jedoch dauerte diese trügerische Ruhe nicht lange an. Denn unvermittelt drangen die Erinnerungen der letzten sternlosen Nacht in sie ein und überwältigten ihren Geist. Entsetzt schlug sie die Augen auf. Sie konnte nicht mehr atmen. Nach Sauerstoff ringend, blickte sie hoch in das dichte Geäst der Bäume, das lediglich von einzelnen Sonnenstrahlen durchbrochen wurden. Ihr Herzschlag raste. Alles fing an sich zu drehen, Übelkeit stieg in ihre Hoch. Und plötzlich erschienen die Bilder von neuem - nicht nur diese, die sie gezwungen war selbst mitzuerleben, sondern auch jene, welche sie unmöglich hätte sehen können. Gequält schloss sie die Augen, in der Hoffnung diesen grauenhaften Szenarien zu entgehen - doch so leibhaftig und klar liefen die Bilder vor ihrem geistigen Auge ab, dass sie glaubte, es könne sich unmöglich um bloße Erinnerungen handeln.

...Mirwyn fühlte die Schreie, und spürte jeden Schmerz, welcher den Menschen die sie liebte, angetan wurde in ihrem eigenen Körper - sie wurde gezwungen noch einmal zurückzukehren. Und sie zerbrach innerlich und konnte den Bildern nicht mehr standhalten. Hinüber glitt sie in die Finsternis und in das Nichts. Doch wusste sie es nicht. Und so dachte sie auch später, sie wäre einfach eingeschlafen - vor Kraftlosigkeit...
In Wirklichkeit dauerte es noch Stunden bis sie aus der Leere erwachte und einschlief - doch so unruhig war dieser Zustand, dass sie schließlich ganz zu sich kam und die Augen öffnen wollte. Und es tat weh - die Lider waren dick und ihre Augen geschwollen. Mirwyn fühlte sich ausgedörrt, wieviel Wasser sie vergossen hatte, konnte sie nicht erahnen.

Es war Nacht. Eine kühle, kräftige Brise rauschte durch die Blätter und der einzige Geselle, der noch zum Singen aufgelegt war, war ein einsamer Kauz hoch oben in den Bäumen. Mirwyn zog die Knie an und schmiegte sich in den Stoff ihrer Kleider, der geachtet seiner Dicke, überaus wärmend war.
Doch sie zitterte immer noch, denn ein anderes Gefühl stieg in ihr hoch, dass all ihr Lebensfeuer zu rauben schien. Sie war allein. Nur allmählich begriff sie den Ausmaß dieser Worte. Alle Menschen die ihr nahestanden und die sie liebte, waren mit einem Male dahingerafft worden. Hatte sie der körperliche Schmerz in den ersten Stunden so vollkommen betäubt, dass ihr die Bürde abgenommen wurde einen klaren Gedanken fassen zu können; so kam nun ein anderer Schmerz hinzu, der weitaus stärker war - der Krampf in ihrem Herzen, der entstand, jedesmal wenn sie auch nur an ihre Eltern oder ihre kleine Schwester dachte und der Blick in eine hoffnungslose Zukunft...
Was sollte sie denn nun tun, wie sollte sie weiterleben - und weshalb? Warum hatte sie sich nicht gestellt?, kam es ihr in den Sinn. Warum hatte sie sich dieser Erlösung nicht beugen wollen? Wie konnte sich auch nur diese Nacht überstehen, ohne in der Qual zu ertrinken? Alles war ungewiss und von niemandem war Hilfe oder Trost zu erwarten. Ihre Familie war ausgelöscht, mit einem Male und ihr Gott hatte sie verlassen.

Ja Glaron - er hatte es zugelassen. War er denn nicht so mächtig, so weise und so gerecht - das er diese Bluttat nicht hätte abwenden können. Ihr Vater war ein gläubiger Mann gewesen, und auch sie wurde nach seinen Geboten erzogen. Wie konnte er ein solches Unrecht, das seinen Gläubigen widerfährt, geschehen lassen. Wo war dieser einzige und wirkliche Gott gewesen?
Die Leere ihrer Seele füllte sich mit blinder Wut. Die weiße Fingerknochen zeichnete sich unter ihrer Haut ab, als sie ihre bebenden Hände krampfhaft zu Fäusten ballte.
Sie weinte innerlich und trockene Tränen liefen über ihre Wangen.
Mirwyn ist offline  
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Alt 02.08.2003, 13:56
Wyzzin, 1279
#4
Mirwyn
Reisender
 
Registriert seit: 08 Jun 2003
Beiträge: 21
Sie schloss das linke Auge um ihre Sicht zu schärfen. Ihre Muskulatur war angespannt - es war anstrengend, doch immer noch hielt sie ihren rechten Arm ruhig. Wenn sie jetzt zu voreilig reagierte, so wäre die zeitaufwendige Fährtensuche vollkommen umsonst gewesen.
Seid Tagen hatte sie nichts mehr zu sich genommen, bis auf ein paar, nicht gerade nahrhafte Pilze. Nahrung - Mirwyn konnte an gar nichts mehr anderes denken.
Doch sie zwang sich wieder sich zu konzentrieren - sie durfte jetzt nicht versagen. Ein Kaninchen hatte sich in dem kahlen Gehölz eines Strauches versteckt. Der Wind stand so, das das Tier sie nicht bemerkte. Und Mirwyn bewegte sich so lautlos, das es sie nicht hörte.
Sie stand verborgen hinter den grünen Ästen einer Kiefer und müsste nur ein bisschen mehr Geduld aufbringen, dann käme sie schon zu ihrem Frühstück. Und tatsächlich das Kaninchen bewegte sich vorsichtig heraus - wahrscheinlich war ihm dieses Versteck doch zu unsicher. Es visierte auch schon ein Erdloch an, das gut versteckt unter einer großen Baumwurzel lag. Doch in diesem Moment ließ Mirwyn den hellen Schaft los, blitzschnell durchstach der Pfeil das kleine Tier.
Erleichtert atmete sie aus, lächelte und befestigte eiligst den Bogen neben dem Köcher an dem braunen Lederriemen hinter ihrem Rücken. Sie kam sich duckend unter den Zweigen hervor und beugte sie zu dem toten Tier herunter. Mirwyn zog den Pfeil heraus und nahm das Kaninchen an sich.
"Es scheint als müsste ich doch noch nicht verhungern.", sagte sie sich, als sie wieder den Weg zu ihrem Lager zurückging. Vorläufig, jedenfalls. Die bitteren Einsichten des Wintereinbruchs kamen ihr wieder in den Sinn.
Nach einigen Meilen sah sie bereits die kleine Lichtung, in der sie sich für ein paar Tage niederlassen wollte. Entkräftet ließ sie die Beute neben dem Feuerplatz fallen. Aber noch konnte sie sich nicht ausruhen, und so schmiss sie sogleich einige Scheite, auf die Feuerstelle. Nach einigen Minuten hatte sie das Holz zum Brennen gebracht und wärmte ihre kalten Finger einen Moment daran.
Sie setzte einen Kessel mit Wasser auf das Feuer und wendete sich wieder dem Kaninchen zu. Scheinbar emotionslos und so schnell wie möglich, zog sie mit einem Messer das graue Fell von dem Fleisch. Sie mochte diese Arbeit ganz und gar nicht. Doch wenigstens, so hoffte sie, könnte sie das Fell, wieder gegen etwas Nützliches eintauschen. Das Wasser kochte bereits, sie öffnete den Deckel und streute einige Kräuter hinein. Frisches Gemüse hatte sie nicht, selbst das getrocknete war ihr letzte Woche ausgegangen. Sie schnitt das Fleisch in kleine Stücke und ließ sie in die Brühe fallen. Sie rührte mit einem hölzernen Löffel ein paar Male in dem Kessel herum, bevor sie sich auf einen Baumstamm, der am Feuer lag, niederließ.
...Ihr blieb nichts anderes übrig, überlegte Mirwyn nachdenklich. In den Wäldern gab es kaum noch Tiere, die sie hätte schießen können. Auch den letzten Winter hatte sie schwerlich überstanden und im vorherigen Jahr war er deutlich milder gewesen. Sie seufzte.
Denn sie liebte die Wälder - ihren Duft, die Klänge in ihm. Der Frieden und die Ausgeglichenheit, aber auch das Mystische, das sie ausstrahlten, hatten Mirwyn schon als kleines Mädchen fasziniert und in ihren Bann gezogen. Doch sie war keine Jägerin oder im Mindesten auf ein Leben hier vorbereitet gewesen. Das was sie jetzt konnte und zu beherrschen glaubte, hatte sie in schmerzlichen Erfahrungen erlernen müssen, und es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn sie dabei zu Grunde gegangen wäre. Hätte sie als Kind nicht darauf gepocht, mit dem Flitzbogen das Schießen erlernen zu dürfen, so dünkte es ihr düster, dann hätte sie wohl früher oder später verhungern müssen. Doch sie wusste, dass solch eine Spielerei in Kindertagen, wohl kaum ausreichte, um ihren Lebensunterhalt zu sichern...
Vom appetitlichen Geruch, der in ihre Nase stieg, wurde sie aus ihren Gedanken geholt. Mit Übervorsicht goss sie die Suppe in eine große Schüssel. Sie pustete ein wenig in die Fleischbrühe, um diese etwas abzukühlen. Es war eine wahre Wohltat, als sie den ersten Bissen in ihrem Mund hatte. Nachdem sie zu Ende gegessen hatte, gesättigt und gewärmt, legte sie sich auf ihre Schlafmatte und streckte sich genüsslich darauf aus. Sie kreuzte die Beine, die von hohen Stiefeln aus bereits abgewetztem Leder überzogen wurdenin an den Knöcheln. Die Hände verschränkte sie hinter ihrem Kopf und schaute in den eisigblauen Himmel.
...Doch es erstaunte sie trotzdem, wie gut sie entgegen allen Befürchtungen zurechtkam. Die wenigen Gegenstände die sie bei sich trug, hatte sie in den Städten erworben. Doch nie verweilte sie länger als nötig in ihnen. Wenn sie dort war vermied sie unwillkürlich jeden Kontakt mit den Menschen, es sei den es ging um einen Handel. Und so konnte auch ihr niemand zu nahe kommen. "Es geht mir gut!", sagte sie, auf sich selbst einredend, während sie eine weiße Wolke beobachtete, wie sie über ihr hinwegzog.
Nur die Nächte waren düster gewesen, wenn sie wieder diese Träume plagten. Besonders schlimm war es in den ersten Monaten nach dem Tod ihrer Familie. Doch mit der Zeit, lernte sie die Erinnerungen in ihrem Herzen einzugraben. Und wenn sie sich zwang nicht an diesen schicksalhaften Tag zu denken, so blieben die Träume meist aus. Aber vielleicht war der Grund auch, dass sie nicht viel schlief - besonders in der Nacht nicht. Häufig wagte sie erst, wenn die Sonnenstrahlen die Dämmerung durchbrochen hatten, für einige Stunden die Augen zu schließen. Diese Angewohnheit ganz abzulegen, schafft sie selbst nach Jahren nicht, als sie bereits in einem sicheren Haus schlief und lebte.

Doch es half alles nicht. Welche andere Wahl hatte sie denn noch. Und so beendete Mirwyn ihre Grübeleien und beschloss sich einige Stunden auszuruhen, bevor sie am frühen Abend ihre Sachen zusammenpackte und ihren Lagerplatz verließ. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, so wollte sie zumindest nicht faul herumliegen und am Ende dem Erfrierungstod zum Opfer fallen. Nach einigen Schritten orientiere sie sich kurz und machte sich auf den Weg. Sie musste nach Süden. Dort befand sich das hügelige Gelände, doch es war der kürzeste Weg und Zeit zu verlieren, hatte sie wahrlich nicht.
Bis auf einige kurze Rasten gönnte sie sich keine Verzögerungen. Sie war diesem Weg schon einmal gegangen, fast ein Jahr war dies her. Doch sie verließ sich auf ihre dunklen Erinnerungen und ihre Intuition, die sie schließlich selten im Stich gelassen hatte.

Und so kam es auch, dass sie zwar müde und mit geschwollenen Beinen auf einem Hügel stehen blieb, jedoch ohne sich ernsthaft verlaufen zu haben, wenn man von dem einem Male absieht, als sie zu sehr nach Osten abgekommen war. Die Sonne war bereits aus ihrem Wolkenbett gestiegen, es war noch sehr früh, alles schien noch zu schlafen. Mirwyn blickte herunter und sah die Stadtmauern Hochaufragen. Die Welt lag im Dunst des Morgens. Wie ein Schleier sog sich der Nebel vor ihr Sichtfeld und gab dem Bild ein träumerisches Aussehen. Denn sie hatte erwartet, so etwas wie Unbehagen zu empfinden, sobald sie Britain erblicken würde. Doch es war seltsam - fast flammte ein Gefühl in ihr auf, dass sie nur kannte, wenn sie in früheren Tagen einen Wald betrat.
Mirwyn ist offline  
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