13.11.2003, 18:08 |
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Reisender
Registriert seit: 09 Oct 2003
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Wie alles begann…
Die Nacht war über den tief verschneiten Winterwald hereingebrochen. Der eisige Wind wurde stärker und riss die letzten, bereits verwelkten Blätter die noch an den kahlen Ästen hingen mit sich. Eine dicke Schneedecke hatte sich über den Waldboden gelegt und alles bis auf den letzten Grashalm unter sich begraben. Die Wälder waren unheimlich geworden. Nur ab und zu war der einsame Schrei einer Eule oder ein leises Knacksen im Unterholz zu vernehmen, bevor die Totenstille zurückkehrte. Plötzlich wurde das gespenstische Schweigen durch knirschenden Schnee gebrochen. Es war eine eher kleine, zierliche Gestalt die mit schnellen, hastigen Schritten durch den tiefen Schnee stapfte. Sie trug einen weiten, bereits abgetragenen Mantel und schien etwas in ihren Armen zu verbergen. Mit der Zeit verlangsamte die Gestalt ihren Schritt und blieb dann auf einer kleinen Lichtung endgültig stehen. Der Hauch von Atem war zu sehen und ein leises Keuchen drang unter der Kapuze hervor, die tief ins Gesicht gezogen war. Mit einer Hand wurde die Kapuze vom Kopf gezogen und man konnte eine Frau erkennen. Ihr Gesicht war blass, das braune, schulterlange Haar völlig zerzaust und wurde durch den starken Wind wild umhergepeitscht. Flüchtig musterte sie die Gegend rings um sich. Schließlich senkte sie den Kopf und blickte auf das Bündel, das sie in ihren Armen hielt. Mit zwei Fingern schob sie die Decke ein wenig zur Seite und das Gesicht eines kleinen, schlafenden Kindes kam zum Vorschein. Der Blick der Frau war hart und Verachtung für das Kind stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hob dann erneut den Kopf und sah sich nochmals aufmerksam um. Der Mond schien auf die beiden nieder und wurde nur von vereinzelten, vorbeiziehenden Wolkenfetzen verdeckt. Im schwachen Licht erkannte die Frau einen Felshaufen. Ohne lange zu zögern ging sie darauf zu und schien etwas zu suchen. Unter einem kleinen Felsvorsprung legte sie das Kind unsanft ab. In diesem Moment erwachte es und begann leise zu weinen. Doch die Frau empfand keinerlei Mitleid, ging ein paar Schritte zurück und verengte die Augen zu Schlitzen. Mit leeren, ausdruckslosen Augen starrte sie auf die Stelle, wo sie das Kind abgelegt hatte. „Schweig, du Balg!“, zischte sie wütend, während das Kind hilflos mit Armen und Beinen zuckte. Sie hob den Kopf und blickte gen Himmel wo bereits wieder die dunklen Wolken über ihren Kopf dahinjagten und den nächsten Neuschnee ankündigten. Ein unbarmherziges Lächeln spielte um die Lippen der Frau. Ohne das Kind noch eines Blickes zu würdigen wandte sie sich ab und zog sich die Kapuze wieder über den Kopf. Mit eiligen Schritten verließ sie die Waldlichtung wieder und überließ das Kleine seinem Schicksal. Das Kind begann lauter zu Wimmern, doch das kümmerte die Frau nicht. Schon bald war ihr Schatten im Dunkel des Waldes verschwunden… |
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