26.04.2012, 18:00 |
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Reisender
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„Schaut nur, da kommt sie.“ – „Tierflüsterin nennt sie sich. Habt ihr so etwas schon gehört?“ – „Einbildung soll ja bekanntlich auch eine Art von Bildung sein.“ – „Und überhaupt, für mich klingt es ziemlich albern.“ – „Ja, warum verwendet sie nicht die herkömmlichen Bezeichnungen?“ – „Wie Zähmer oder Abrichter?“ – „Genau.“ – „Vielleicht denkt sie, sie wäre etwas Besonderes?“ – „Oder sie möchte auffallen, sich von der Masse abheben.“ – „Mit dieser Haarfarbe fällt sie ganz sicher auf.“ – „So ein schreckliches Rot, das schmerzt schon allein beim Anblick.“ – „Tzes, allein ihre ganze Erscheinung. Die Kleidung sitzt locker, als hätte sie etwas zu verbergen.“ – „Vielleicht hat sie das tatsächlich?“ – „Ja, natürlich. Wohlmöglich verbirgt sie unter ihrer weiten Tunika all’ die kleinen süßen Häschen, die sie angeflüstert hat.“ – „Angeflüstert, dass ich nicht lache.“ – „Ganz richtig kann sie ja im Kopf nicht sein.“ – „Für mich liegt es auf der Hand, sie ist verrückt.“ – „Still jetzt! Sie kommt.“
Kadleen lief die gepflasterte Straße entlang. Unter den Sohlen ihrer fellgefütterten Stiefel schmatzte der braunweiße Schneematsch. Schon aus der Ferne hatte sie die drei Tratschweiber am Wegesrand stehen sehen. Emsig waren sie in ihre Unterhaltung vertieft gewesen und hatten dabei immer wieder verschwörerische Blicke in ihre Richtung geworfen. Und jetzt, da sie die Drei fast erreicht hatte, schwiegen sie von einem Augenblick auf den anderen. Mit Argusaugen beobachteten sie das Mädchen, wie es an ihnen vorbei lief. Kadleens Mundwinkel hoben sich zu einem freundlichen Lächeln und sie neigte den Kopf in grüßender Geste den Damen zu. Doch diese starrten sie nur an, unfähig zu einer freundlicheren Mimik oder überhaupt nur einem Grußwort. Arme Frauen, dachte Kadleen bei sich. Wenn sie in Rudeln auftraten, dann war es das oberste Gesetz die Fassade aufrecht zu erhalten; sich nur keine Blöße zu geben. Dabei waren sie eigentlich ganz nett. Vorausgesetzt, sie waren hin und wieder als Einzelgänger unterwegs. Kaum hatte sie das Grüppchen passiert, da erhoben sich hinter ihrem Rücken auch schon wieder leise tuschelnd ihre Stimmen. Kadleen verdrehte die Augen. So schlecht konnte die Welt gar nicht sein, wenn man immer noch lieber über andere Leute tratschte als über Politik, Umwelt oder Geistliches. Dabei war sie doch ein Mädchen oder eine junge Frau, wie jede andere. Natürlich war es auffallend, dass sie von etwas kleinerem Wuchs war und zu den meisten Leuten aufschauen musste. Doch das konnte man ihr nun wirklich nicht vorwerfen. Und auch der Farbton ihres flammend roten Haar, welchen man schon aus weiter Entfernung sehen konnte, war ihr naturgegeben. Und für Nichts in der Welt, hätte sie eine andere Farbe gewollt. Sicherlich mochte ihr Verhalten auf Andere etwas befremdlich wirken. War sie doch in ihrem Wesen sehr wechselhaft. Einerseits war sie schüchtern und zurückhaltend, dann gab es wiederum Tage, an denen sie lebhaft erschien, auf die Leute zuging und sie sich selbst eines lockeren Spruches von ihren Lippen nicht erwehren konnte. Doch das alles machte sie noch nicht zu einer Verrückten. Sie war einfach ein Mädchen, das zur Frau heranreifte und die ihren Weg suchte. Und sie hoffte, ihn hier in Britain zu finden. |
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