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Alt 20.07.2013, 15:21
Wie das Leben so spielt
#1
Jora Valoran
Reisender
 
Registriert seit: 07 Feb 2013
Beiträge: 15
Prolog

Schon von den schneebedeckten Bergen durch welche sich die Handelsroute zog, sah man die Burg, durch den Nebel fallender Schneeflocken, auf der hervorragenden steilen Klippe hell erleuchtet und konnte dem Lichterpfad bis in die über mehrere Ebene angelegte Stadt folgen. Bis tief ins Tal, stufenweise hinab, reichten die sporadisch unterbrochenen Lichterketten, wo die eisigen Stromschnelle ins tiefschwarze Meer mündete, an dessen Horizont an diesem Abend dann und wann das Tanzen der Nordlichter zu sehen war. Nur tief im Wyzzin und auch dann nur selten war der Tanz der grünen Nebelfäden am ewigen Firmament von der Handelsroute aus zu sehen. Von der Handelsroute aus war der Lärm ohrenbetäubend, nur der klirrende Wind übertönte die Fluten, die sich ihren Weg ins Tal brachen, dennoch war es einem als könne man die feierlustigen Stimmen, beim Anblick der Burg vernehmen. Warm und einladen, weckten die im orangegelben Licht erhellten Fenster die Vorstellung von riesigen beheizten Kaminen vor denen sich ausbreitende Sessel mit Myriaden Fellen bedeckt, an einer riesigen Tafel reihten. Und tatsächlich waren die Bediensteten der Burg und alle Gefolgschaft der versammelten Hochherren damit beschäftigt immer noch mehr Met und Speisen in die große Halle zu tragen und leere Teller und umgekippte Becher fortzuschaffen.
„Pass doch auf wo du hintrittst“ zischte ein Page eine junge Magd an, die eilig mit einem Kessel heißem Wasser durch die Gänge unterwegs war und jenen vollbeladenen Pagen fast bis auf die Haut durchnässte. Eilig wandte sich die junge Frau zur Wand um dem Pagen vortritt zu gewähren, ehe sie ihren Weg fort führte durch die langen von Fackeln erhellten Gänge. Es war nicht die Burg ihrer Herren und kein Aufsehen war ihr Auftrag gewesen, als sie zum Wasserholen entsandt wurde. Die junge Frau ahnte was ihr blühte, wenn sie auch nur die Andeutung dessen machte, wofür der Kessel heißen Wassers gedacht war. Es war nicht das erste Mal das die Burg von Sneholm, Vater eines Bastards wurde, doch für die Geschichtenerzähler lag der letzte Bastard schon eine ganze Weile zurück, so dass sich kaum einer daran entsinnen sollte. Ihrem Ziel näher kommend vernahm sie nun auch die Schreie der Mutter, die das Bersten ihres Leibes mit hoher schmerzerfüllter Stimme zum Ausdruck brachte. Die junge Frau verzog nur für einen Moment das Gesicht, bislang wurde sie von den Geburten als Jungfer ausgeschlossen, doch an diesem Abend, waren zu viele neugierige Ohren beisammen, zu viele Augen beobachteten das Geschehen auf der Burg und zu viele Münder tratschten Unwahrheiten, Intrigen und Halbwahrheiten. Sie wusste nur zu gut, dass ihr Herr sich lieber mit den jungen agilen Jägern vergnügte, als bei seiner Frau zu weilen, diese wiederum hatte mit der Zeit verstanden, dass sie die Aufgabe einen Stammhalter zur Welt zu bringen, selbst in die Hand nehmen musste. Diese Wahrheit jedoch wurde peinlichst ignoriert und so hatte ihr Herr den strammen Jungen nur allzu gern als seinen Spross bekannt gemacht und auch das dritte Kind das ihre Herrin zur Welt gebracht hatte, wieder ein Junge, wurde anerkannt. Doch wenn ihre Herrin nun wieder ein Mädchen zur Welt brachte, würde es ihm nicht anders ergehen als dem zweiten Kind. Es würde „entsorgt“ werden, heimlich und still und ein jeder würde die Mutter um ihre Fehlgeburt bedauern, jeder – bis auf ihr Mann, dieser würde nur eine Nacht mehr bei seiner allzu loyalen Gefolgschaft verbringen, welche die Erlebnisse dieser Stunden dann an ihresgleichen weitergab. Die Magd wusste nicht wo das zweite Kind abgeblieben war, niemand wusste dies wohl so recht, abgesehen vielleicht von jenem Mann der es in Empfang nahm und entsorgte. Der bärtige alte Berater der hohen Familie, der gruselige Einäugige, der dennoch alles sah und für manch Kinder zu Alwyzz Nachbild und Schrecken gemacht wurde. Der jungen Frau schauderte es, als sie bei jenem Gedanken durch die Tür kam und eben jener Berater die Tür hinter ihr wieder verschloss und mit stoischer Ruhe, der Geburt einäugig folgte.
Der spitze Schrei des Neugeborenen hallte über die hohen Burgwände, gefolgt vom gepeinigten Aufschrei der Mutter, als das Bündel dem Alten in die Arme gelegt wurde. Der einäugige Blick bohrte sich in jenen der Mutter im durch Fackeln durchleuchteten Zwielicht und ließ sie verstummen. Erst als die gepeinigte Frau zusammen sank, bar jeder Kraft und sich auf die Seite rollte, rauschte sein Umhang aus Fellen durch die Luft und verdeckte jenes Bündel im Arm. Dann wandte sich der Einäugige ab, durchschritt die Tür und schließlich die Gänge, hinab in den Gesindehof. Ein Jeder dem er entgegen kam, wich aus den allerwichtigsten Gründen die sich plötzlich auftaten aus, doch die verstohlenen Blicke folgten dem Alten. Mochte es die ungebrochene Selbstsicherheit eines Gefürchteten oder Schaustellerleistung gepaart mit Glück gewesen sein, sein Gang war so aufrecht, so fordernd, so gerade, das niemand auch nur ahnte, welch unglückliches Leben er dort mit sich trug. Im Gesindehof gar forderte er einen weiteren Knecht seines Herrn auf, im einen Korb mit etwas Stroh zu bringen und setzte dann, als er jenen Korb entgegen nahm, seinen Weg fort. Weiter durch den Stall, hinaus in den Haupthof, vorbei an den Wachen durchs Tor und den Aufweg hinab, in die Hauptstraße und schließlich ins Dunkel einer Seitengasse, lange Zeit ungesehen und schließlich hinab in die Gewölbe der rudimentär angelegten Kanalisation zu seinem angestrebten Ziel.
Kreischend bewegte sich der Eisenring in seiner Hand als er ihn auf die Verliestür sausen ließ und nochmal klagte das Kreischen durch die Gewölbe ehe ein schäbiges Kratzen und knarzen die unheiligen Geräusche verstummen lies. Wortlos stellte der Alte den Korb auf den klebrigen groben Tisch und starrte seinen Gegenüber an. Mit einem Nicken quittierte jener den Korb und schloss am gegenüberliegenden Ende eine weitere Tür auf. Der Alte trat durch jene hindurch ehe er auf seine alten Knie hinab sank. Und seine Erscheinung begann zusehends zu bröckeln, Gebrechlichkeit brach durch den Schein der Selbstsicherheit, Alter durch die fordernde Haltung und Bettelgebaren durch die Erhabenheit des Gefürchteten, bis schließlich nur noch ein Häufchen Elend dort auf den Boden kauerte. Nur für einen Moment mochte der Mittelsmann jene schattenhafte Erscheinung sehen, die vor den Einäugigen trat, einen Moment zu lang hatte er in die blutroten Augen gesehen, um zu wissen, dass er sich an den heutigen Abend morgen nicht mehr entsinnen würde. Er kannte die Erscheinung nur zu gut. Ammenmärchen nannte man sie, er wusste das es keine waren, war aber nicht in Lage auch nur ein Wort darüber zu verlieren, ebenso wenig wie der alte Tattergreis der nun in dem Raum nebenan auf dem Boden kauerte. Sie waren sein Schutz vor den Knochendienern, doch vermochte der Schurke kaum sagen, welche der beiden schlimmer waren. Die Blutpriester oder Knochendienern, einst hatte er seine Wahl getroffen und seinem Leben zuliebe sich jenen zugewandt. In den seltenen Momenten, wenn der Bann nicht ganz griff, dachte er sich oft, dass die andere Wahl wohl die bessere gewesen sei – dann wäre zumindest Schluss mit diesem Elend. Die Zwischentür schlug zu und so stand er da, missmutig, verängstigt mit einem Korb auf dem Tisch in den Tiefen der Kanalisation von Sneholm.
Er hatte sich sein Leben auch einst mal anders vorgestellt, mit weniger Gedächtnislücken, weniger Dunkelheit und mit weitaus mehr ehrenhaften Taten als er bislang aufzuzählen wusste. Vom Selbstmitleid eingeholt, hob der Mann mit mäßigem Interesse den Deckel vom Korb an und blickte in das reine unschuldige Gesicht des Neugeborenen. Die Haut war noch rosig und er glaubte den feinen Geruch der Säuglinge in diesem stinkenden Verließ zu vernehmen, doch wahrscheinlicher war es die Erinnerung die jenes Bild vor seinen Augen wachrief. Erschütterung und tiefe Bewegung trat in das verlebte Gesicht, ehe er den Blick von dem Mädchen löste und zu der bereits grünlich angelaufenen und geschlossenen Tür schweifen ließ, hinter welche sich die unheiligsten Dinge nun abspielten. Ein Kälteschauer durchlief ihn, als er nach dem Korb griff. Morgen würde er sich an nichts mehr erinnern, doch einmal, ein einziges Mal würde er in seinem vermurksten und heruntergekommenen Leben etwas tun, das nicht der puren Berechnung diente. Dieses eine Mal würde er etwas tun, das er als Tugendhaft und Ehrenvoll betrachtete und verließ so leise es ihm möglich war, von unsichtbaren Fäden des Schicksals geleitet, den Raum und trat in die Kanalisation. Fort von dem Einäugigen und noch weiter fort von dem Ungeheuer das dort weilte. Seine eiligen Schritte hallten in den Gewölben dumpf nach, schmatzten auf, wenn er in die sumpfige Laugenpfützen trat. Er kannte sich zweifelsohne in dieser Umgebung aus, kannte die Umweg und Fluchtwege um den Knochendienern aus dem Weg zu gehen und auf der heutigen Flucht, nahm er jeden noch so weiten Umweg. Das kleine Mädchen das er aus dem Sumpf der Bösartigkeit hinaus bringen wollte, konnte jeden Moment ihr Dasein kundtun und dieser Gedanke schien den Schurken so sehr zu beunruhigen, dass er alle 50 Fuß anhielt und den Deckel des Korbes öffnete. Sich des Lebens vergewissern, für das er gerade eben sein eigenes riskierte und stets von neuem verzückt durch den Anblick inmitten des Morastes von Verbrechen, entwickelte das ihm dargebotene Bild einen Antrieb zur Eile
Er hoffte nur inständig, das dieses Würmchen zuvor an der Brust der Mutter oder irgendeiner Amme Kraft gezogen hatte und als er endlich, die gesuchte Treppe hinauf stieg , aus der größten Gefahr die ihm bekannt war hinaus, war er sich dessen gewiss. Als würde Libanu selbst ihre behütende Hand über dem Kind halten, schlief es den tiefen unschuldigen Schlaf eines Neugeborenen. Kalt wehte die einigermaßen frische Luft ihm durchs fettige Haar und der warme Schein der Laternen lag in seinem Blick. Er befand sich nur zwei Seitengassen vom Marktplatz entfernt. Ein Schritt nur entfernt vom Licht, dass ihn vor den Bestien der Unterwelt schützt, doch vor den Wachen der Stadt entlarvte. Er war ein Gesuchter und Geächteter und in seiner jetzigen Situation musste er das Licht wie die Dunkelheit meiden. Er stand außer Atem einen Schritt vom Laternenschein entfernt im Dunkeln, als die Zweifel seiner Tat in an die Oberfläche seines Bewusstseins drangen. Er war sich nicht mehr sicher warum und wofür er das tat, was er begonnen hatte. Sein Plan war nicht bis zum Ende durchdacht und wie oft schon hatte er erlebt, dass genau diese Unbesonnenheit, das Ende Vieler seiner Zunft war. Leise fluchte er und drückte sich an die Hauswand, als die metallenen Fußschritte der Wachen vorüber zogen. Erst als die Schritte verhallten, zog er sich zögernd weiter zurück. Fort vom sicheren Getümmel, in die stilleren Seitengänge, seinen Gedanken nachhängend. Ihm kamen zum ersten Mal die Fragen auf, warum wohl überhaupt ein Kind in die Tiefen seiner verhassten Heimat gebracht wurde und zu welchem Zweck dieses kleine Leben herhalten sollte. Übelkeit überfiel den Schurken bei dem Gedanken, nicht zuletzt weil er sich die Konsequenzen seiner Tat auch ausmalte. Er blickte sich nochmals um, er war weit hinab gekommen, die Stadt fiel nun nur noch sanft hinab bis zum nächsten Vorsprung. Danach kam das Hafenviertel, ebenfalls keine angenehmen Gesellen, doch von dort aus zurück in seine Unterkunft würde ein schweres Stück Arbeit werden, zumal die Nacht zum drittel um war. Wohin mit dem Kind, der Schurke rastete unter der Brücke. Vor ihm einer jener Abwasserbäche die aus den ärmeren Viertel in noch ärmere Viertel führten und wieder einmal klappte er den Deckel des Korbes auf. Ein Lächeln durchzuckte sein vernarbtes Gesicht und mit dem sehnsüchtigen Blick den er dem Kind zuwarf, wollte er sich wohl ins Herz brennen, weshalb er all diese Wagnisse auf sich genommen hatte. In sentimentaler Geste strich der Schurke mit seinem schmutzigen und stinkenden Finger zart über den Kopf des Mädchens, ehe er den Deckel auf den Korb schob und jenen dann dem Abwasser übergab. Zu seicht war der Bach, als dass der Korb versunken wäre, doch fließend genug um ihn mitzutragen und ohne Frage stinkend genug um darin je was Reines zu bewahren. „Möge Ludia dir hold sein“ murmelte er und erhob sich, verschwand im Schatten einer Häuserecke, wo er ausharrte und dem aufwachenden hungernden Schrei des Kindes lauschte, ehe er sich vollends abwandte um sich seinem Schicksal zu stellen.
Man kann an dieser Stelle hier in Frage stellen, ob es Ludia, Libanu oder Tykene war, die dem Kind die Ausdauer gab, bis zum Morgen schreiend auszuharren, doch Tatsache ist und bleibt, dass das Bündel im Morgengrauen noch immer lebte. Im Weidenkorb gegen die Häuserecke einer Taverne gelehnt, überdauerte das Schreien, den Tumult der Tavernennacht und überdauerte die Prügelei die blutig, doch wie gewöhnlich ohne Tote nur fünf Schritte weiter endete. Und auch ist es so geschehen, dass der ruhige klare Blick eines Elfen den Weidenkorb streifte. Die spitzen Ohren zuckten, ob des ungewöhnlichen Geräusches, hatte der alte Elf wohl mit ächzenden, stöhnenden und heiseren Stimmen gerechnet, aber nicht mit dem hungrigen Schrei eines Säuglings. Wie so oft hatte er morgens seinen Gang durch die Gassen gemacht, gewiss war ihm auch an diesen Morgen einer der grobschlächtigen Kerle aufgefallen, der mit geronnenem Blut in der Pfütze ihrer Ausscheidungen lag, doch der Schrei des Kindes weckte deutlich mehr Interesse. Nur ein Blick genügte, um zu erkennen dass der Säufer diesen Morgen überleben würde. Viel zu oft hatte der Heilkundige morgens den menschlichen Restmüll der Nacht aufgesammelt, damit in dieser Stadt zumindest keine Seuchen ausbrachen, doch heute tat sich etwas und die alte Melodie des Elfen spielte auf. Wohl nur einer des alten Volkes mochte mit solcher Eleganz einen Weidenkorb aus einer Sammlung von Aborten heben und der Sonne mit neugierigem und fragendem, dennoch ebenso weisem Blick entgegenstrecken. Nur zwei Schritte benötigte er, um den Korb auf einem Fass abzustellen und sein Geheimnis zu lüften. Verwunderung und Überraschung streichelten das dennoch junge Antlitz des Silberhaarigen und im Augenblick als die Blicke des Jüngsten und Ältesten sich trafen, schien das Treiben dieser Welt für eine Weile zu ruhen. Nach jenem Augenblick, als Jung und Alt die Brücke zueinander schlugen, hob der Elf das Kind aus seiner Wiege, bettete es mit sicheren Griff in seinem Arm und wandte sich dem noch immer schnarchenden Säufer zu. Lediglich im harten, weckenden Tritt der den Schlafende in sein Dilemma des Lebens zurückholte, mochte man vielleicht den Missmut erkennen, den der Elf in diesem Augenblick gegenüber der Menschheit empfand. „Steh auf Junge.“ Den saufenden Anwohnern von Sneholm mochte es wohl schon zu sehr zur Gewohnheit geworden zu sein, morgens von dem elfischen Heiler eingesammelt zu werden, denn ohne Widerworte nur von Ächzen und Stöhnen begleitet, begann der Säufer sich dem Altehrwürdigen hinterher zu schleppen. Wie eine noble Lichtgestalt trat - nein, schritt der Elf in seinen weißen und weiten Gewändern durch die grauen Gassen, gefolgt von den bereuenden Tunichtguten. Im Heilerhaus angekommen, raffte sich der eingesammelte Saufabschaum in die bekannten Ecken, doch diesmal hielt der Heiler seinen Lehrling ab, sein Tagewerk zu beginnen. „Isaria’s Mann ist heut dabei, geh und gib ihr Bescheid und sag ihr, dass wir hier ein hungriges Findelkind haben. Wenn sie nicht daheim ist, dann ist sie noch bei den Valoran’s“
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Alt 20.07.2013, 19:00
#2
Jora Valoran
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Wo das Glück hinfällt

Der Lehrling erreichte durchgefroren den Hof der Valorans in den Tiefebenen von Sneholm. Schnee bedeckte die Äcker und Wege, lag auf den blattarmen Ästen der Laubbäume und türmte sich auf den Tannenzweigen, welche sich am Saum des Gebirges tummelten. Rauch stieg aus dem Schornstein der alten Bauern Kate aus Feldsteinen auf. Das Strohdach war gänzlich mit Schnee bedeckt und auch an den Nordwänden türmten sich die Wehen hoch bis zu den Fenstersimsen. Es war ein ausnahmslos großflächiges Gebäude, so wie es auf den Bauernhöfen üblich war, Vieh und Mensch hausten beieinander und spendeten sich in den Tiefen des Winters Wärme. Die Menschen dieser Häuser waren zumeist nicht sonderlich betucht, doch freundliche Menschen. Unverdorbener als das Stadtvolk, ehrlicher in ihrer Mimik. Der junge Lehrling freute sich auf die Ankunft, die ihm einen heißen Tee oder gar heißen Met versprach, die Familie hatte in der letzten Nacht, so die Götter es gut mit ihnen meinte gesunden Nachwuchs bekommen und er wusste, dass der junge Vater auf einen Sohn wartete. Das Kläffen des riesigen Wolfhundes begrüßte den Lehrling zuerst, ehe nach einiger Zeit die Tür der Kate geöffnet wurde. Der Lehrling hatte gerade erst das Gehöft betreten und war noch einige Schritte vom Eingang entfernt.
„Guten Morgen, ich suche Isaria, ist sie noch da?“ Der Lehrling musste über das Schneetreiben selbst dann noch rufen, als er nur noch wenige Schritte vom Eingang entfernt war, während der Wolfshund um ihn herum lief.
„Guten Morgen und willkommen!“ Die Begrüßung war so enthusiastisch als hätte der Mann einen alten Freund empfangen und ein Lächeln umspielte die dünnen Lippen des Lehrlings, der sich in jenem Augenblick mit dem jungen Vater über den gesunden Sohn freute. Zweifelsohne hätte man sich über ein Mädchen gewiss ähnlich gefreut, doch war auch die konservative Haltung des Vaters bekannt. Mit seinem Blut und Schweiß hatte er seiner Frau und sich das Leben auf einem eigenen Hof erarbeitet, nichts war dem jungen Vater geschenkt oder vererbt worden und so wollte er, ebenso wenig wie jeder andere an seiner Stelle, dass der Besitz in die Hände fremden Blutes fiel, weil es über eine Tochter weiter gegeben werden musste. Als der Lehrling eintrat und die Tür sich hinter ihm schloss, verstummten die Laute des Schneetreiben gänzlich und machten Platz für das prasseln eines Feuers und das Atmen der Tiere und Menschen. Er vernahm die leisen Stimmen der Frauen, das unartikulierte Meckern eines Säuglings und die nach Aufmerksamkeit nörgelnde Zweijährige, welche verstumme als der Fremde näher trat. Ein kleines Strohsäckchen mit einem Fetzten Fell als Haar aufgenäht diente dem kleinen Mädchen als Puppe und wurde lieblos am Fell durch die Luft geschwenkt. Wieder kam er nicht umhin zu lächeln. Die Einfachheit in der die Bauern hier lebten, war erfrischend zu seinen morgendlichen Pflichten beim Heiler. Manchmal versuchte er sich auszumalen, weshalb der weise Elf sich mit den Stadtmenschen umgab und ihnen gar half. Meistens waren es dieselben Säufer die er auflas und die das Gold gedankenlos verprassten, um sich dann über ihren armen Umstand zu beklagen. Diese Menschen hier, arbeiteten hart, hatten wenig und doch schien die Glückseligkeit unter ihrem Dach zu weilen. Dem kleinen Mädchen als auch dem Neugeborenen würde gewiss nichts geschenkt, doch würde es ihnen auch an nichts mangeln, sie würden eine unbescholtene Kindheit haben, frei von Maßlosigkeiten der Städter, sie würden zu ebenso feinen Menschen heranwachsen wie es ihre Eltern sind.
„Guten Morgen Murond, was führt dich hier her?“ Isaria’s Frage zog seinen Blick von dem jungen Mädchen fort und er blickte in die Augen der Hebamme. „Dein Mann, er war heute Morgen dabei und ich soll dir ausrichten, dass auch ein hungriges Findelkind dabei war, dass eine Amme braucht.“ Das Lächeln war längst geflohen und auch Isaria’s Blick wurde ernster und fiel auf die junge Mutter, welche an diesem Morgen schon zum tausendsten Mal die Finger und Zehen ihres kleinen Sohnes lächelnd zählte. Der junge Vater hatte sich seine Erstgeborene auf den Schoss gesetzt und saß am Rand des Alkoven, lediglich die Kinder der kleinen Familie, schienen von der Freude der Eltern noch nicht ganz so mitgerissen und beäugten sich neugierig, während Murond der Hebamme leise und voller Ernst die Umstände des Morgens erzählte.
„Ich weiß noch nicht wie ich an eine Amme kommen soll“ erklärte Isaria nun etwas deutlicher doch mit der Besorgnis einer Frau, die sich um das Leben, vor allem um das Leben kleiner Kinder sorgt. Die Deutlichkeit und Lautstärke ließen die Aufmerksamkeit der jungen Eltern zu ihr schwingen und auch der junge Vater legte seine Stirn nun in Falten.
„Wozu braucht ihr eine Amme, ist mit meiner Frau irgendwas nicht in Ordnung?“ Der fragende und besorgte Blick nun des Mannes glitt zu seiner Frau, die ihn nun überrascht wie erschrocken anblickte.
„Nein, nein mit eurer Frau ist alles in Ordnung, in der Stadt wurde heute Morgen ein Säugling gefunden. Die Eltern müssen es wohl ausgesetzt haben.“ Isaria wandte sich nun der jungen Familie zu. Sie wusste um das erwärmte Herz der Mutter in diesem Augenblick, doch konnte sie nicht schlicht eine junge, noch dazu arme Familie fragen, ob sie ein weiteres Maul stopfen würden und schlussendlich lag die Entscheidung bei dem jungen Vater, der für die feste Nahrung am Ende aufkommen musste. Sie beobachtete die Blicke, welche die jungen Eltern austauschten, der fast bittende Blick der jungen Mutter die wohl auch bedacht war Libanu noch gnädiger zu stimmen und den unschlüssigen Blick des Vaters der sich schließlich unsicher aus diesen Gedankenaustausch floh und zu Isaria und Murond blickte. „Was ist es denn? Ein junger Bursche? Und ist er gesund?“
„Es ist ein Mädchen, Nolan, ob es Gesund ist, wissen wir erst wenn wir zurück in der Stadt sind und ob es dann überhaupt noch lebt.“ Erwiderte Murond und die Hand der jungen Mutter tastete nach dem Oberarm ihres Mannes. Wieder blickten die beiden sich lange an. „Libanu wird gewiss über unseren Jungen besonders wachen, wenn wir auch dem Mädchen helfen.“ Nicht gänzlich überzeugt blickte der Mann wieder zu den Heilkundigen und kratzte sich an der Stirn, ehe die kleine Tochter auf seinem Schoß sich an ihn schmiegte und leise von ihrem Dasein kundtat.
„Dann bringt es. Aber nur wenn es gesund ist!“ Murmelte er schließlich ergebend und schloss seine kleine Tochter besorgt in seine Arme, als fühle er sich damit nicht ganz so allein mit seinen Sorgen und dieser Entscheidung. Es ging ihm und seiner jungen Familie nicht schlecht, was sie zum Leben brauchten, hatten sie und mit der spärlichen Erfahrung als Vater bislang hatte er nur gutes erlebt. Seine Tochter war genügsam, eine Frohnatur, wenn man so wollte und gereichte ihm durchaus zum Stolze, jetzt war er gar zum Vater eines Sohnes gesegnet und der Glaube seiner Frau, an diesem Glück könne sich etwas ändern, wenn sie nicht helfen wollten, nagte an ihm. Niemals hätte Nolan etwas getan, dass seiner Familie zu Schaden käme, es erfüllte ihn voll und ganz im Frühjahr und Herbst auf den Feldern zu schuften, mit dem Wissen, dass die Arbeit seiner Hände seine geliebte Familie sättigen und zufrieden stellen würde, doch war man nie vor den Einmischungen der Götter gefeit, wie jener Morgen ihm zeigte.

Die gelehrten Zuhörer werden nun sicher mit sich diskutieren, ob es sich um Glaube oder Aberglaube handelte, doch die Wege der Götter sind unergründlich und gewiss offenbaren sie sich nicht in solch einfachen Bauernhäusern, wo der Glaube – oder Aberglaube – noch viel des Lebens bestimmt. Von ihrem Dasein hört man nach wie vor nur in den heroischsten Geschichten, in denen Ritter und Prinzessinnen, Könige und Gelehrte um die Existenz der Menschheit kämpfen. Jene gläubigen Zuhörer können sich nun aber beruhigt zurück lehnen, denn noch am selben Tag wurde das Findelkind ein Teil der Familie Valoran, fand seinen Platz an der Brust der jungen Frau, nebst einem gewonnen Bruder und unter den kritischen Blicken einer großen Schwester, welche zu jung war um die Vorgänge dieses Tages zu verstehen oder sich später daran zu entsinnen. Man mag nun ruhigen Gewissens zunächst glauben, dass der ehrliche Wunsch eines heruntergekommenen Schurken dem Kind half, in ein besseres Leben zu treten, in eine wohlbehütete Familie die dankbar das Glück annahm, dass die Götter ihnen zuteilwerden ließ, doch am Ende streicht der Zug einer Lorica, durch den Zug einer Libanu und nichts bleibt wie es einst zu sein schien. Die Zeit verging und drei Jahre später und zu viele Missernten später, war die junge Familie um zwei Kinder und Schulden gewachsen.

„Ich sage dir, zieh mit Emma und deinen Kindern in die Hauptstadt! König Ergain’s Truppen sammeln sich gerade erneut, um dann wieder gestärkt an die Fronten zu ziehen. Das Gold liegt dort auf den Straßen, wenn man nur hin greift und nicht unbesonnen aus dem Fenster wirft. Nolan hör mir zu, du bist solch ein besonnener Mann, deine Familie wächst mit jedem Jahr fast und die Ernten sind schlecht. Schau dir nur Hanna an, der Kopf der Kleinen ist viel zu klein für diese hungrigen großen Augen…“
„Lass Hanna dabei aus dem Spiel. Sie war viel zu oft für ihr Alter schon krank und das weißt du.“ Nolan schnitt dem großen Mann an seinem Tisch das Wort barsch ab. Er war mit der Zeit und den Missernten empfindlich geworden. Das erhoffte Glück, als er das Findelkind aufnahm, blieb aus. Sein Sohn geriet prächtig und auch Jora schien am Leben zu klammern. Doch die Kinder die folgten waren kränklich, es schien keine Erklärung dafür zu geben, doch in manchen verzweifelten Stunden hatte Nolan dem Findelkind die Schuld dafür schon gegeben und bereute dies zutiefst hernach. Er liebte alle seine Kinder, einschließlich dem Findelkind innig, doch der Verlust der Fähigkeit für seine Familie zu sorgen, ihr unbescholtenes Glück zu gewähren, nagte an ihm und seiner Ehre. Er hatte dem Rat seines Schwagers ruhig, wenn auch widerwillig zugehört. Diesen Hof hatte er sich mit seinem eigenen Blut und Schweiß erarbeitet, es war alles was er besaß, doch wollten all die Rechnungen nicht bezahlt werden von den Erträgen die das Land ihm bot, auch dies konnte Nolan nicht von der Hand weisen. Rudomar war nicht zum ersten Mal hier und versuchte ihn zu drängen Sneholm zu verlassen, mit allerlei Argumenten kam er stets zu Besuch, so dass Nolan die Gastfreundschaft mit jedem Besuch schwerer fiel, dennoch war Rudomar der einzige Bruder und Verwandte seiner Frau, der den Familiensinn trotz oder gerade wegen seines Soldatenlebens nicht verloren hatte.
„Onkel dürfen wir mit deinem Schild spielen?!“ Raffa und Jora kamen in die offene Bauern Kate gestürmt. Es war Sommer, rund um den Hof grünte und blühte es und die beiden waren in den Hühnerstall verbannt worden, mit der Aufgabe auszumisten, damit die Erwachsenen Zeit zum Reden fanden.
„Oh das könnt ihr ja noch gar nicht halten!“ rief der Soldat lachend aus und erhob sich. Er wusste, dass das Gespräch schon beendet war, bevor die Kinder hinein gestürmt kamen und hob die beiden Geschwister hoch. Er mochte die beiden aus ganzem Herzen, es waren aufgeweckte Kinder und mit der Bauernschläue ihres Vaters gesegnet, von den restlichen Kindern seiner Schwester wusste er nicht was er halten sollte. Er zögerte stets sich ihnen zu nähern, Hanna allen voran, machte immerzu den Eindruck den nächsten Winter nicht zu überstehen, wenngleich sie ein außergewöhnlich hübsches Kind war. Sie schien wenig Ähnlichkeit mit ihren Geschwistern zu haben, doch war ihre stille, genügsame Art sehr angenehm im Vergleich zu den beiden Raufbolden auf seinem Arm. Er blickte zum Ausgang und da stand das kleine Ding im Türrahmen. Das Kleidchen hing an seinem Körper hinab, das hellbraune Haar kringelte sich leicht um das zierliche Gesicht und die Augen die er gerade noch als hungrig beschrieben hatte, beobachteten still und schweigsam das Vorgehen im Inneren mit vorwurfsvollem Glänzen. In jenen Augen lag eine Ruhe die den jungen Soldaten beunruhigte und ihn immer wieder anmahnte das es sich lediglich um ein kleines Kind handelte das gerademal gelernt hatte auf den Abort zu klettern. „Was ist Hanna? Wo ist deine Mutter?“ Viel zu harsch klangen die Worte Nolans für das zierliche Mädchen das verschreckt zuckte, Rudomar runzelte die Stirn und beobachtete das ihm dargebotene Bild und ließ geistesabwesend Jora von seinem Arm, welche nach ihrer Freiheit drängte. Als die Erstgeborene auf Hanna zulief und jene sich auf dem Absatz umwendete um fort zu laufen, ließ er auch seinen Neffen zu Boden. Dieses Mädchen schien so gar nicht in diese Familie zu passen und dieser Gedanke kam ihm nicht das erste Mal.
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Geändert von Jora Valoran (20.07.2013 um 19:11 Uhr).
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