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Alt 09.01.2011, 12:16
Kalte Asche
#1
Bargon Ferilan
Reisender
 
Registriert seit: 12 Sep 2007
Beiträge: 936
Die Bestie von Kargrad

Manche sagen, die Bestie wäre von weit her gekommen. Andere sagen, sie wäre unter uns geboren worden. Was genau davon wahr ist, kann ich nicht sagen. Vermutlich stimmt beides, wenn ich mich der wenigen Worte, die mir von damals im Gedächtnis geblieben sind, richtig erinnere. Mein Name ist Halmert Gerrnik, und ich erzähle euch von der Bestie, die vor langer Zeit mein Dorf heim gesucht hat. Ich erzähle euch von Kargrads Bestie und dem Fluch einer Familie.

Es war Winter. Für die Talbewohner bedeutet das, dass ein wenig Schnee fällt und man betet, dass die Ernte reichen möge, die man über den Herbst hinweg eingelagert hat. Für uns, hier in Kargrad, da bedeutet der Winter etwas ganz anderes. Die Berghänge werden zu Todesfallen und Eis und Schnee drohen uns tagtäglich das Leben zu nehmen, wenn wir uns nicht mit aller Macht dagegen stemmen. Der stete Kampf mit den anderen Dörfern kommt fast gänzlich zum erliegen, zu sehr ist man damit beschäftigt die Feuer am brennen zu halten und das wenige Wild in den Fichtenwäldern aufzustöbern.
Dieser Winter war nicht wie die anderen. Jeder hat es gespürt. Von den Sternen sank eine höllische Kälte zu uns hinab, die einem Mann bis in die Knochen drang und schon in den ersten Tagen starben zwei der Älteren. Ein Segen für den Rest, denn deren Decken und Felle konnten unter ihren Kindern aufgeteilt werden und weniger Mäuler waren zu stopfen. Die Hunde heulten andauernd und viele schlachteten sie, aber selbst ihr Fleisch konnte die Bedrückung nicht brechen. Tatsächlich war die neugewonnene Stille schlimmer als das Geheul und an den Feuern wurden die alten Geschichten geflüstert und die Waffen scharf gehalten. Loricas Fluch über den Mann, der stirbt, nur weil er sein Schwert und seinen Speer stumpf werden lässt.

Ich erinnere mich noch deutlich, es war die Nacht der Sternschwärze, der letzte Tag vor den grauen Tagen, als wir das erste Mal die Spuren im Schnee gefunden haben. Der ältere Ferilan hatte sie entdeckt, als er zum Wald ging um zu jagen. Er sagte, es seien die Spuren eines Mannes gewesen, groß und schwer, der sich durch den tiefsten Schnee geschleppt haben muss. Natürlich lachten wir erst, ich am lautesten. Kein Mann würde des Nachts durch den Schnee streifen, wenn einem das Blut in den Adern gefriert, und dann auch noch so tief. Wir verhöhnten Ferilan, dass dieser sich entweder vertan oder bloß nicht genau hingeschaut habe. Falls da tatsächlich ein Mann gewesen sei, müsse sich eine Leiche finden.
Doch wie blieb uns das Lachen im Halse stecken, als wir die Spuren mit eigenen Augen sahen. Es war tatsächlich die Spur eines Menschen und als wir sie verfolgten stellte sich heraus, dass sie einmal um das Dorf herum führte ... bis sie in sich selbst endete. Keiner von uns konnte es sich erklären und die Männer tauschten verkniffene Blicke. Keiner wollte es sich eingestehen, doch ich wusste, an den Feuern würden die Sagen von Bergmonstern und kalten Wanderern wieder aufleben.
Tags darauf war frischer Schnee gefallen und wieder war es Munic Ferilan, der die Spuren fand. Er war der Älteste von Gerrans noch lebenden Söhnen und ihm war eine große, blutige Zukunft prophezeiht. Nur wenige im Dorf dienten der Göttin so inbrünstig.
Wieder hatten die Spuren weder Anfang noch Ende, doch wanden sie sich weit durch die Umgebung. Zudem schienen nun auch Wölfe dem Dorf nahe gekommen zu sein. Die harschen Winter in den Bergen trieben die Tiere oftmals so sehr zur Verzweiflung, dass sie auch vor den Dörfern nicht Halt machten. Und doch machten uns nur diese ersten Spuren Gedanken. So riefen wir also die Männer zusammen und begaben uns auf die Suche.

Die Spuren verliefen weit, bis hinauf in die Berge und die kargen Fichtenwälder, und uns packte es wie ein Fieber diese Kreatur zu finden. Die Nacht kommt schnell in den Bergen und so waren wir nach Augenblicken umgeben von Finsternis. Auf Derrens Drängen hatten wir die Fackeln mitgenommen, die seine Frau vorbereitet hatte. Loricas Lob auf das Weib. Wir beschlossen, noch ein wenig der Fährte zu folgen, ehe wir umzukehren gedachten. In der Nacht der Sternenschwärze zu lang im Freien zu wandeln bedeutet Gefahr für Leib und Leben und so drängten wir uns zusammen, auch wenn wir mehr als einmal unsere Wege trennen mussten, um den Pfad wieder zu finden. Auf eine absonderliche Weise schienen die Spuren des Mannes, wenn man so sagen konnte, von mal zu mal in eine Wolfsfährte über zu gehen. Als wir den dritten Wechsel beobachteten, war es Derren genug. Fluchend auf Göttin und seiner Mutter Mutter trat er den Schnee von sich und verkündete, er würde umkehren. Garkald und Wymarn stimmten ihm zu und auch ich war durchaus geneigt, kehrt zu machen. Nur der junge Ferilan war nicht einverstanden und bestand im Angesicht Loricas darauf, dass wir die Kreatur finden und ihr zu Ehren erlegen sollten. Das Feuer der Jugend lodert hell. Zu hell für ihn.
Uns allen fuhr das Eis bis in die Seele, als wir ihn hörten. Nie werde ich das Geräusch vergessen, den Schrecken, zu dem einzelne Laute verschmolzen: Das Klirren von Metall, das Scharren einer Klinge durch Leder und Fleisch und das Aufstöhnen eines Mannes, dessen Stimme erstarb. Ich schwöre es, so wahr ich nur noch eine Hand habe, in diesem Moment riss der Himmel auf und der Mond schien auf das grässliche Bild, dass sich uns darbot. Hinter dem zusammen gesunkenen Garkald stand ein Mann, fahl im Licht der Mondscheibe, das Schwert blutverschmiert. An seinem Rücken trug er einen Mantel, als habe er das Blut tausender Opfer zu einem Kleidungsstück verwoben. Schnee lastete schwer auf seinem Leib, als habe er darunter geschlafen und sei just von den Toten auferstanden. Ohne Zweifel musste er einer der kalten Wanderer sein, einer jener Untoten, die durch Frost und Eis gestorben waren. Seltsam vertraut wirkte er, doch konnte ich nicht benennen, woran es lag. Garkalds Fackel erlosch im Schnee wo er gestorben war und auch ich ließ mein Feuer fallen, gab uns der Mond doch all das Licht, was wir brauchten und zwei Hände für den Speer waren besser als eine.
Wymarn war als erster bei ihm, hieb mit Fackel und Axt nach der Kreatur, doch schien diese in der Lage zu sein, Wymarns Schläge voraus zu ahnen, entglitt ihm wie eine Schlange und schnitt selbst tief in das Fleisch des Mutigen, wo dieser seine Deckung in der Hast vernachlässigte. Nach drei, vier Herzschlägen war auch Wymarn tot.

Im Licht des Mondes wirkte das Blut, dass dampfend in den Schnee tropfte, pechschwarz. Wind kam auf und wehte mir Schnee in die Augen. Ich sage euch, darin lag Hexerei, denn als ich ihn mir aus dem Gesicht gewischt hatte, lag auch Derren leblos darnieder. Ich hatte kaum meine Fassung zurück erlangt, da griff ich meinen Speer fester und ich schwöre noch heute: Mein Eisen drang ihm ins Fleisch, bohrte sich ihm bis auf den Knochen. Doch nur wenig Blut fiel zu Boden, alle Höllen, ich kann nicht mal sagen, dass es überhaupt das Blut der Kreatur gewesen ist. Immerhin, er schrie und mit ihm schrie ich vor Triumph. Ich lachte, aufgrund der Lächerlichkeit einen Triumph zu verspüren, wo die Bestie schon drei gute und brave Männer zur Göttin geschickt hatte. Ich hatte kaum meinen Speer wieder befreit, da wurde mir aber ganz anders und der kalte Wanderer begann, sich mit der Geschwindigkeit eines schlagenden Falken zu bewegen. Ich weiß, ich schwöre viel, aber darauf schwör ich tausend Eide. Verschwommen war er und ich hatte Mühe meine Stiche richtig anzusetzen, bis mich beißender Schmerz durchfuhr und ich den Speer fallen lassen musste. Hier, ihr seht es. Manchmal, wenn es morgens besonders kalt ist, spüre ich sie noch. Der Bastard hatte mir die Hand abgehackt. Ich stand nur noch einen Augenaufschlag, dann sank auch ich zu Boden und es wäre um mich geschehen, wäre da nicht der junge Munic gewesen, der über mich hinweg gesetzt und die Kreatur angegangen hätte. Er focht wie kein zweiter und, bei meiner Mutter, ich glaubte für eine Weile, er könne der Bestie den finalen Stoß versetzen. Doch dann wurd ich der ganzen Grausamkeit gewahr: Die Bestie spielte nur mit ihm.
Als die beiden Gegner sich für die Dauer eines tiefen Atemzuges trennten, ging der kalte Mann in die Hocke. Schnee und Wunde schienen ihn nicht zu hindern, ganz im Gegensatz zu Ferilan, dem der Schweiß auf der Stirn gefror. So verharrte er, abwartend, und als Munic vor trat, im Angesicht der Göttin, da schlug er zu. Munic Ferilan starb wie ein Mann sterben sollte, das sage ich euch. Bis heute glaube ich, dass die Göttin die Aufmerksamkeit des Ungeheuers verschleierte, damit ich nun unter euch sitzen und die Taten eines ihrer Begünstigten vortragen kann.

Ich kam später wieder zu mir. Es war noch immer stockdunkel und der Mond war fast vollständig von Wolken verhangen, aber in dieser seltsamen Klarheit, die man im Angesicht des Todes verspürte, stellte ich fest, dass er sich kaum bewegt hatte. Ich erspare euch, wie sehr ich unter dem Schmerz und dem Blutverlust gelitten habe. Wichtig ist nur, dass ich es schaffte mich aufzurichten. Um mich herum lagen noch immer die Toten wie sie gefallen waren. Ich griff mir meinen Speer, um mich zu stützten und machte mich auf den Rückweg. Oft kam ich beinahe vom Weg ab, denn der Mond war wie ein launisches Weib, aber zumindest hatte der Mörder meiner Gefährten keine Absicht, seine Spur diesmal zu verschleiern. Ich konnte sogar feststellen, dass er tatsächlich selbst blutete und dass es ihn zu behindern schien, doch fand die, nur aus dünnen Tropfen bestehende Spur neben dem Pfad seiner Beine, nach kurzer Zeit ein Ende. Ich mühte mich nur noch schneller, wieder Heim zu kehren. Alles in mir schrie nach meiner Herlindt und wie ich hoffte, sie ein letztes mal in meinem Leben in die Arme schließen zu dürfen.

Es muss nach Mitternacht gewesen sein, als ich das Dorf erreichte. Ich hatte den Brandgeruch schon eine ganze Weile in der Nase gehabt, hatte es aber nicht wahrhaben wollen. Nun war es traurige Gewissheit und die letzten Schritte waren die schwersten meines Lebens.
Und oh, meine Freunde, was sich mir für ein Anblick bot: Auf dem verschneiten Platz lagen mehrere Männer, erschlagen, und Frauen liefen umher, schrieen vor Trauer und Wut. Kinder standen in den Türen und heulten. Ich schleppte mich schwerfällig näher und war heilfroh meine geliebte Herlindt lebend zu erblicken. Ein Feuer war nicht zu sehen, aber aus den Fenstern des Blockhauses der Ferilans fiel bedrohlich flackernder Schein. Ehrfürchtig schritt ich darauf zu, gleichsam starr vor Angst und von Neugier getrieben, da schlug die Tür auf.
Die Bestie von Kargrad trat daraus hervor. Auf seinen Armen trug der kalte Wanderer Barlyn Ferilan, den jüngsten von fünf Brüdern und es verschlug mir den Atem, als ich selbigen bei dem dürren Jungen misste.
Hinter ihm begann ein Feuer zu lodern, doch die Bestie war schon aus dem Haus, ehe sie auch nur ein Funke erreicht hätte. Das Feuer spiegelte sich auf dem Metall, dass den Leib des Monsters umhüllte. Langsam trat sie zur Mitte des Dorfplatzes und die Weiber und Kinder wichen vor ihr zurück. Das ängstliche Gekreische war zu einem panischen Flüstern abgeschwollen. Dort, wo jeder sie sehen konnte, warf sie den Leichnam zu Boden und mich fröstelt in meinen Träumen noch heute, wenn ich mich der stechenden Augen erinnere. Augen, so vertraut, auch wenn ich sie noch immer unmöglich zuordnen konnte. Sie sprach nur einen Satz und nie wird er in Kargrad vergessen werden, genauso wie auf den verkohlten Resten des alten Hauses drüben nie wieder eine Hütte gebaut werden soll. Danach kehrte die Kreatur um, schritt in den Wald und kehrte seitdem nie wieder zurück. Ich will ihn euch verraten, zum Dank, dass ihr Met und Fleisch mit mir geteilt habt.

„Barlyn war der letzte, das Geschlecht der Ferilan ist tot .“
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Alt 11.07.2011, 11:01
Der Ritter muss b
#2
Bargon Ferilan
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Es war still. Kein Geräusch, nicht einmal störender Atem, störte das Kratzen der Feder auf dem Pergament, das nur selten einmal unterbrochen wurde. Wesentlich feiner und sauberer, als er es sonst gewohnt war zu tun, führte er die Feder über die unbeschriebene Seite. Die Tinte war ein kostbares Gut und nichts davon durfte verschwendet werden. Fast schwarz ruhte sie in der kleinen Flasche, aber an der Spitze des Federkiels funkelte sie blutrot. Passender hätte es kaum sein können.
Sie roch erdig und metallisch, eben fast wie Blut, und doch gänzlich anders. Bargon hatte nur wenige Worte damit zu setzen, aber dadurch, dass er sein gewohntes Schriftbild verbergen musste und dass die Nachricht von so ungeheurer Wichtigkeit war, musste er sich Zeit lassen.

Diese Tinte war eine Waffe, wenn sie mit Bedacht eingesetzt wurde. Jetzt galt es nur, die Grenzen ihrer Fähigkeiten auszuloten. Welch ein Zufall also, dass eine ganz bestimmte Angelegenheit noch ihrer Begleichung harrte. Monate war es nun schon her, dass der vorlaute Bursche, der sich nun Ritter nennen durfte, ihn im Kampf besiegte. Unwissend, indem er sich Feuer und Tageslicht zu Verbündeten machte. Er hatte es gewagt, das Wort eines erfahreneren Dieners der Göttin anzuzweifeln. Nun gut, im Grunde stimmte das nicht, aber Bargons Stolz rang dennoch mit dieser Aufmüpfigkeit. Es war Zeit, den arroganten Emporkömmling wissen zu lassen, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Und wenn er auch nie erfahren würde, wer für sein Schicksal verantwortlich war.
Ein Gedanke ließ ihn schmunzeln. Er schien sich alle Ritter dieses Reiches zum Feind machen zu wollen.
Lass sie glauben, was sie glauben wollen, hatte der komische Kauz auf dem Friedhof ihm gesagt. Und genau das würde Bargon ihnen auch geben. Der junge Ritter sollte leiden, seine Ehre beschmutzt sehen, vielleicht sogar vor Gericht gezerrt werden. Und hinter all diesem würde er lachend stehen.
Wie konnte der Bursche auch wissen, mit was für einem Gegner er sich angelegt hat? Unsterblich. Ein Monster. Kurz durchfuhr Bargon ein kalter Stich und er fühlte für einen Moment die Trauer und den Selbsthass, denen er sich zu Beginn seiner neuen Existenz so sehr hingegeben hatte. Noch heute konnte er die rasende Bestie in seiner Brust nicht willkommen heißen. Aber es gelang ihm, in Sekal einen göttlichen Bruder Loricas zu erkennen, der ihm letztlich die Kraft gab, die die Göttin ihm verwehrte um das letzte Ziel zu erreichen. Ein geistiges Paradies: Der Beste zu sein. Der Preis für dieses Ziel ist hoch und der Weg beschwerlich, fand der falsche Loricaner doch nie Gefallen an Lügen, Magie und Heimlichtuerei. Aber schon zu den Zeiten, als er noch Yew beherrschte, lernte er mit Diplomatie umzugehen und seine Worte in schönere Kleider zu hüllen. Letztendlich war auch die Politik ja nur ein Kampf, der gefochten wurde und den man gewinnen konnte. Und alles, was man gewinnen kann, lohnt sich auch gewonnen zu werden.
Möglicherweise, ja, möglicherweise würde ihn die Göttin am Ende wieder anerkennen, den Fluch von ihm nehmen, das Schwert in die Hand geben und an ihre Seite rufen. Aber bis dahin würde er seine Gedanken weiterhin vor dem alten Zwerg verschleiern müssen und das Blut des Gottes in seinen Adern nutzen, um seine Ziele zu erreichen. Das alles würde dauern, aber Zeit war das einzige Gut, was Bargon nicht aufbrauchen konnte.

Er fiel aus den abschweifenden Gedanken zurück ins Jetzt. Der Schrieb war fertig. Mit einem trockenen Lächeln lehnte er sich zurück und betrachtete das Werk. Es war gut so, der Ritter musste büßen.
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Alt 01.01.2012, 14:14
Von der Kette gelassen
#3
Bargon Ferilan
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Der ranzige Geruch zog durch den verfallenen Schuppen am Ende der Seilergasse. Alter Fisch, schlussfolgerte er und sein Magen knurrte, als er sich vor Begeisterung fast überschlug. Der Hunger war beinahe unerträglich geworden. Geschickt wand er sich zwischen dem Gerümpel des Schuppens hindurch zu der Kiste, die neben der Tür abgestellt worden war. Ohne Zweifel, alter Fisch! Ungeduldig tastete er die Kiste ab, aber das Ding war fest verrammelt. Das würde ihn nicht aufhalten, überlegte er mit einem gewissen Stolz. Er war bekannt unter den seinen für die Gewalt, die er an den Tag legen konnte und hinter seinem Rücken neideten sie ihm seine 'Werkzeuge'.
Mit einem Knacken splitterte das Holz und der Gestank der Fische strömte in den kleinen Raum. Er war mittlerweile resistent gegen solcherart Düfte, ja, fand sogar Gefallen daran. Wenn man ein Leben im Dunkeln, zwischen Abfall, zwielichtigen Gestalten und Halsabschneidern führte, dann lernte man schnell, sich anzupassen und solche kleinen Kostbarkeiten willkommen zu heißen.
Gierig griff er nach einem kleinen Fisch, was für eine Art es war wusste er nicht und hatte ihn auch nie interessiert, und begann sein Mahl. Er musste so viel verschlingen, wie er nur konnte, ehe andere auf ihn aufmerksam wurden und ihm seine Beute streitig machen konnten. Schon konnte er sie schleichen hören. Die Schuppen entlang der Seilergasse und ihren Nebenstraßen beherbergten so manchen Halunken und Bettler und der Gestank des Fisches lockte sie aus ihren schattigen Verstecken. Sein Erfolg beruhte darauf, dass man ihn nicht kommen sah und nur wenige Eingeweihte wussten von seiner Existenz. Das beschränkte die, die ihm ans Leder wollte, auf ein Minimum und gab ihm eine gewisse Sicherheit. Man durfte sich nur nicht blicken lassen.
Kaum hatte er sich also den Magen randvoll geschlagen, wand er sich um um ungesehen zu verschwinden, aber es war zu spät. Hoch vor ihm aufragend stand der Alte vor ihm. Grau und gebeugt, und doch eine so viel machtvollere Aura ausstrahlend. Der Alte brauchte garnicht zu sprechen, es war klar, was er wollte. Aus seinen Augen sprach deutlich, dass er die Fische als sein betrachtet hatte und er es nicht akzeptieren würde, dass der Dieb davon kam. Diesmal nicht. Öfter schon hatte er dem Alten gegenüber einiges an Respektlosigkeit walten lassen und nur ein unerklärlicher Anflug von Großmut hatte es verhindert, dass der Alte zu diesen Zeiten gewillt war, ihn in Stücke zu reißen. Nein, diesmal wahrlich nicht.
Der Alte spannte seine Muskeln an, spreizte die verwachsenen Klauen, die seine Finger waren und ließ einen markerschütternden Schrei ertönen. Er machte sich bereit dem Alten zu begegnen, sein letztes Gefecht zu führen, da merkte er auf. Ein Rasseln, wie von Ketten! Und der Geruch von Öl. Nur eine Andeutung in der Luft, die der Alte nicht zu bemerken schien, bis es auch schon zu spät für ihn war. Eine Säule aus Gewalt fuhr auf den Alten nieder und hauchte ihm das Leben aus. Ohne auch nur Atem dafür zu finden sich bei irgendwelchen höheren Mächten zu bedanken, sah er zu, dass er davon kam, ehe ihm dasselbe widerfuhr wie dem Alten. Dieser Tag hatte schon zu viel Aufregung beinhaltet.

---

Angewidert strich Bargon die Reste der Ratte von seinem Stiefel ab. Widerlichstes Tunkaligezücht. Hier wimmelte es nur so von den Biestern. Der Gestank von altem Fisch und Rattenunrat verpestete die Luft und reizte seine Sinne. Vereinzelte, schwache Lichtstrahlen fielen in den Raum wo die schiefen Bretter des Schuppens Löcher und Spalten offenbarten. Instinktiv wich Bargon ihnen aus, Jahre der Dunkelheit hatten ihn darauf geschärft, sich nicht von Licht berühren zu lassen.
An der Tür hielt er inne, wenn man es denn überhaupt eine Tür nennen konnte. Ein paar grobe Bretter waren zu einer Planke zusammen genagelt worden, die man einfach in die Öffnung des Schuppens gelegt hatte. Behutsam hob er sie beiseite. Bei Tage war diese Gasse wie ausgestorben, so dass er kein Risiko einging, entdeckt zu werden. Die Schurken, die sich hier bei Nacht herum trieben, schliefen ihren Rausch von der Vornacht aus und die Bettler zog es bei Tag zum Hafen oder zum Markt, wo sie auf Aufmerksamkeiten von den Seefahrern und Händlern hofften.
Kalt drang der dichte Nebel in den Schuppen. Die Tür bildete ein schwach leuchtendes Rechteck. Feuchtigkeit schlug sich auf seiner Kleidung nieder und Bargon zog das Mundtuch beiseite, um diese kühle Frische zu genießen. Es half, wenn auch nur wenig, die bleierne Müdigkeit zu vertreiben, die auf ihm lastete. Nur Sekunden hatte nun in dem Türrahmen gestanden und er spürte das vertraute Prickeln, das Jucken, das Ziehen unter der Haut. Gleich schon würde es sich in brennenden Schmerz steigern und, würde er nicht tiefer in die Schatten weichen, seine Haut verbrennen als hätte er sich in glühende Kohlen geworfen. Und doch blieb es aus.
Er legte die Handschuhe ab. Lange Augenblicke verstrichen, ehe er die Angst überwinden konnte, die sein Blut vor dem Licht des Tages hatte. Dann, ganz langsam, hob er die Hand aus dem Türrahmen heraus in das Licht, das, vom Nebel eingedickt wie Sirup, in die Gasse fiel. Es schmerzte, ja. Aber er konnte es ertragen! Er konnte es tatsächlich ertragen!
Ein Grinsen, ungeniert und schaurig, zog sich über sein Gesicht, als er betrachtete wie sich Glarons Auge alle Mühe gab, ihn zu Asche verglimmen zu lassen. Die drei weißen, runden Narben auf seiner bleichen Haut schimmerten beinahe magisch in dem Licht. Wer auch immer für den Nebel verantwortlich war, Bargon hatte ihm zu danken. Er war wahrlich von der Kette gelassen worden.
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Geändert von Bargon Ferilan (01.01.2012 um 23:32 Uhr).
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Alt 16.02.2012, 18:32
Schweigen im Herzen
#4
Bargon Ferilan
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"Nun Ferilan, ich sagte dir schon einst: Wir sollten uns stets einen Teil dessen bewahren, was uns einst ausmachte", sagte er und legte Bargon eine Hand auf die Schulter. "Nur das trennt uns davon kaltblütige Tiere zu werden, die nur noch von Instinkten geleitet werden."
"Ich neige in unserer Umgebung dazu, zu vergessen, dass einige der Unseren noch nicht völlig tot sind", war die Antwort darauf, wenngleich er sie ihm nur unwillig gab. "Gut, dass du mich daran erinnerst."

Kurz darauf stand Bargon allein im Tempel und sein Körper verlor alle Form. Wenige Augenblicke dehnten sich zu Sekunden, zu Minuten, zu Tagen, zu Jahren, die an seinem Auge vorbei flossen. Ihm war, als hielte die Zeit an, in diesem kurzen Moment, da er sich in dem unmenschlichen Wirbel aus Nebel verlor. In diesen Mauern ist viel Blut geflossen, sein eigenes, das anderer, ja sogar das Blut eines Gottes. Zwischen dem leblos kalten Stein ist so viel von dem roten Lebenssaft versickert, dass er zuweilen kaum wagte die Augen zu schließen, aus Angst, dass er in der Dunkelheit seiner Augenlider, der einzigen Dunkelheit die es noch für ihn gab, einen Blick durch den Schleier erhaschen und die Geister all der Ermordeten sehen könnte, die auf ihre Rache sinnen.
Er wollte sich zwingen mit Abscheu daran zu denken, aber er konnte nicht. Er liebte das Blut, es war Zeit, es sich einzugestehen. Ein Gott drang durch seine Adern und der Durst, der diesen Gott erfüllte, war sein eigener. Noch immer war der Plan nicht aufgegeben sich dereinst frei zu machen. Frei von allen Zwängen und wieder eigenmächtig unter den Himmeln zu wandeln, wieder der Göttin des vergossenen Blutes, nicht des getrunkenen, dienen und letztlich seinen Platz an ihrer Seite einzunehmen. Aber dieser Plan begann zu verblassen, wie alles, was vorher sein Dasein bestimmte. Sein einziger Trost war, dass es andere unter seinesgleichen gab, die genauso fühlten. Gefühle, die ihre Wurzeln verloren. Welcher Baum kann schon erstarken, wenn er mit Blut statt Wasser genährt wird?

---

"Drei Male pocht es an das Tor
Die Jungfrau kommt zum Tanz hervor
Beschenkt mit Seide und Juwel
Die Hand war weiß wie Schnee"
- Strophe eines britainer Kinderreims

Bargon schlug an ihre Tür. Nur schwerfällig ließ er den hölzernen Dreiklang ertönen, mit dem er sich immer ankündigte. Ein erster Hinweis auf das Bevorstehende. Den Schlüssel nutzte er nicht. Er wollte nicht auch noch in ihr Heim eindringen, nein, es genügte was er diese Nacht zu tun hatte.
Als sie ihm öffnete, hätte ihr Anblick ihm beinahe den Atem verschlagen. Rein, weiß und auf eine gewisse Art unschuldig. Mit einem Lächeln im Gesicht, dass ihm beinahe das Herz schwer wurde. Er dagegen lächelte nicht. Er blieb am Fuß der Treppe, wie ein Bittsteller und überreichte ihr seine Geschenke.
Schmuck, der sie nicht für ihn strahlen lassen sollte, sondern für einen ganz anderen. Die Ironie wollte es, dass dieser andere in seiner Brust wohnte und er vermeinte zu spüren, wie das schnellere Schlagen seines Herzens aus dessen Lust geboren war. Diesem Anderen gefiel die Frau, die er durch Bargons Augen sah.
Sie wollte zu ihm heraus treten, doch er hielt sie zurück. Sie sollte nicht freiwillig kommen. Es war dem Anlass angemessener, wenn er sie forderte. Und selbst das war noch zu wenig. Wie sehr er sich im Einklang mit seinem Blut fühlte, als er tat was seine Art von ihm forderte, sie belog, und wie sehr es ihm, gegen seinen Willen, gefiel. Er schauderte, er wollte es, es stieß ihn ab.
Letztlich ließ sich der Moment nicht mehr aufschieben. Sie legte ihre Hand in seine. Die feinen Handschuhe fast so weiß wie seine Haut unter dem fahlen Licht eines weißen Mondes.


"Zum Schlafe wurde sie gebettet
Wer sie nun küsset mag sie retten
Doch einzig liegt der Tod ihr bei
Die Lippen weiß wie Schnee"
- Strophe eines britainer Kinderreims


Das Ritual begann. Der Künstler hatte nicht gelogen, was seine Fähigkeiten anging und so starrte das Abbild des Gottes herrisch auf sie hernieder. Das Kind bestrich derweil den Rahmen mit dem gesammelten Blut. Der Duft des Blutes, wenn auch nicht frisch vergossen, geriet ihm in die Nase und weckte das Biest im Inneren. Doch er ignorierte es, denn er war nicht bei klarem Geist. Als stünde er neben sich sah er sich in der Halle des Tempels stehen, den Blick voraus gerichtet und so eisern wie die Kralle, die sich um sein Herz geschlossen hatte. An seinen Arm gedrängt, als gebe er ihr Halt, stand das Mädchen. So trügerisch.
Seine Fassung geriet ins Wanken, als sie zu weinen begann. Wie viele starben schon zu seinen Füßen, ohne dass es ihn kümmerte, und doch rührte es ihn. Es rührte ihn, weil sie sich nicht wehrte, weil sie nicht versuchte ihm das Leben zu nehmen, sondern weil sie sich trotz allem in seine Gewalt gab. Sie hatte ihm Halt in einer Unendlichkeit gegeben, Zuneigung trotz des rasenden Monsters und er hatte sie Mal um Mal belogen. Er hasste den Alten dafür, auf dessen Befehl hin er die Beziehung erst begonnen hatte und er hasste sich selbst, weil er die Aufgabe vergaß und sich ihr annäherte. In dem Verlangen ein Stück Menschlichkeit zu genießen hatte er sich auf sie eingelassen, sich geöffnet. Und sie tat es ihm gleich. Wieder diese Ironie.
Der Alte sprach sein Gebet und nutzte die Macht seine Blutes, um alle Anwesenden mit der Illusion zu belegen. Alle Farben begannen zu verblassen, nur das Mädchen selbst blieb rosig, lebhaft wie zuvor. Wie eine Kerze in allumfassenden Grau. Letztlich fehlte nur noch eines, um das Ritual zu vollenden.


"Als ihrem Mund das Lächeln wich
Und all das Leben von ihr glitt
Zum End` das Licht der Augen bricht
Die Haut wurd weiß wie Schnee"
- Strophe eines britainer Kinderreims


Er hielt sie wie ein Kind. Das Schluchzen hatte ein Ende genommen und trotz all der Einigkeit, in der er sich zwischendurch mit dem Gott in seinen Adern befunden hatte, gewann am Ende doch die Leere. Er fühlte sich ausgehöhlt. Wie ein Strudel strömten die Ereignisse um ihn herum, das Mitleid des Künstlers, der stille Ernst des Kindes, das Predigen des Alten und die Verzweiflung des Mädchens. Angelina hatte ihm zuletzt noch die Wange gestreichelt und das hatte ihn am meisten geschmerzt. Über die Zeit, die sich das Ritual zog, wurde er sich immer mehr des menschlichen Teils in ihm bewusst, ausgelöst durch ihre Anwesenheit und die gemeinsamen Erinnerungen, die er mit ihr begraben würde. Die Worte, die der Künstler damals zu ihm sprach hallten in seinem Kopf wieder und mit einem Mal, da ihre Hand von seiner Wange glitt, überfiel ihn eine Welle von Trauer. Sie hatte ihn geliebt und er sie auch, für einen Moment. Es brauchte lange, bis er wieder bereit war, seine Augen zu öffnen.
Er würde sie vermissen, ja, er vermisste sie jetzt schon, aber in seinem Herz herrschte Schweigen. Als ihr Licht verstarb, spürte er die Zufriedenheit seines Gottes und auch, wenn sich ob seiner Trauer kein Hochgefühl einstellen wollte, so fühlte er sich berauscht.
Sie würde bei ihm bleiben, solang ein blutroter Mond am Himmel stand.
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Alt 22.04.2012, 00:39
Eine Geste der Freundschaft
#5
Bargon Ferilan
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-Übernahme von Yew Land und Stadt durch Bargon Ferilan, Bartos Eskalor und Arkja Eskalor
-Audienz bei Herzogin Jilyana von Britannia, Bestätigung als neue Herrschaft ausstehend
-Gründung der yewer Freischar als Bund freier Soldaten; gepresste Bauern auf ihre Höfe entlassen
-Umsiedelung des totenhexerisch verfluchten yewer Friedhofes zu einer Lichtung nördlich des Klosters der Libanú unter Hilfe von Hochwürden Geier
-Viehtrieb für die yewer Bauern im Herbst des Jahres
-Entlassung des Zwergenclans der Torkkrasch aus den Diensten der Herren Yews
[...]

Aufzeichnungen der Chroniken Yews zwischen Rado und Wyzzin des Jahres 1297



"In den grauen Tagen war es. Ich, der Geier und noch einer ... ich glaube, es war Larun. Wir waren im Stadtkern Yews, weil zu den grauen Tagen Geister umgingen. Ich hatte den alten Priester rufen lassen, damit er uns hilft, die Bastarde los zu werden. Was genau geschah, weiß ich nicht mehr, die Erinnerungen an die Tage vor meinem Tod verblassen langsam, aber eine Sache ist mir deutlich im Gedächtnis geblieben:
Wir hatten nicht einmal begonnen, die Geister auszutreiben, da kam der Fährmann, der alte Fährmann. Er nahm die Seelen der Toten mit sich und sprach uns an, als nenne er uns eine Prophezeihung. An diesem Abend erfuhr ich den wahren Namen des Geiers und versprach ihm, ihn nie weiter zu erzählen.
Ich frage mich ja, was aus Larun geworden ist ... "

Erzählung Bargon Ferilans



"Ich bin hier, um auf dich und Dagisto aufzupassen, Geier. Egal was Jin Zaykah sagt, ich bleib bei euch Priestern."
Bargon Ferilan, vor dem Zug der Saharess in den Süden zur Untersuchung der Kristalle im Jahre 1297

"Es tut mir unendlich leid, Herr Ferilan, aber ich muss euch berichten, dass der alte Mann, den ihr Geier nanntet, bei der Expedition fiel."
Aeleth Sefelya, nur wenige Tage nach dem Zug der Saharess

"Was ist nur aus dir geworden, Bargon?"
Der Fährmann, graue Tage im Jahre 1300


---


Das Jahr 1308. Er hatte sich auf diesen Tag vorbereitet. Die Weihe von Waffe und Leib und die Kraft, die ihn durchströmte, seit er den Mond rot gefärbt hatte; alles war perfekt. Der einzige Fehler daran war, dass die Macht des Mondes durch die Wolken der grauen Tage geschmälert wurde, aber allein das Wissen, dass er da oben war und nur darauf lauerte, das Land in Blut zu tauchen, gab ihm Zuversicht. Alles was er noch brauchte, war nun ein Grund für Ihn aufzutauchen. Aber, dachte er mit humorlosem Lächeln, nichts war einfacher als das. Schließlich hatte er selbst ihm die Anleitung dafür gegeben.
Die Angelegenheit gab ihm einen guten Grund, mit einer Sache vollständig aufzuräumen, alle Stränge, die ihn an Angelinas sterbliches Leben banden, zu kappen. Mayra Cantuur ... hübsches Mädchen und leider viel zu tief in die Sache eingebunden gewesen. Sie würde die Einladung für Ihn sein. Eine Einladung, der man nicht widerstehen konnte, so gewichtig, dass ein Kommen zur Pflicht wurde. Unter den richtigen Voraussetzungen genügte schon ein kleiner Anlass, um eben dies zu erreichen. Nur wenig weiß der Gast von dem, was ihn erwartet.

Sie hatte ihn eingelassen, sie hatten gesprochen. Sie hatte ihm sogar einen Platz zum Sitzen angeboten, fast wie alte Freunde. Sie tauschten ein paar Worte aus, Neuigkeiten, Höflichkeitsfloskeln. Er machte das Spiel mit, um sie in Sicherheit zu wiegen, auch wenn es nicht nötig gewesen wäre. Sie hatte sich nie bedroht gefühlt. Bis er die drei magischen Worte sprach...
"Ich tötete Angelina."

Mayra wand sich in Bargons Griff. Seine Hände lagen fest um ihren Hals geschlossen und verweigerten ihr die Luft zum Atmen. Das Mädchen würde diese Nacht sterben. Sie war die Einladung, die er brauchte um seinen alten Freund zu rufen. Sie kämpfte, versuchte seine Hände von sich zu reißen, doch er hielt den Druck trotz ihrer Bemühungen unablässig aufrecht. Nach und nach zwang ihre Kraftlosigkeit sie in die Knie und er beugte sich mit ihr hinab, ihr beinahe schon entgegen kommend. Wo Bargon sie Anfangs wie rasend angegriffen hatte, war diese unbegründete Wut nun einer konzentrierten Miene gewichen. Er wusste, dass nicht mehr viel Zeit blieb.
"Ruf den Geier! Ruf ihn!"
Sie tat ihm diesen Dienst in letzter Sekunde. Gerade bevor das Licht in ihren Augen erlosch hauchte sie sanft seinen Namen aus. Wäre der Anlass nicht so ernst gewesen, Bargon wäre versucht gewesen zu lächeln. Er hätte sich nichts Besseres vorstellen können, zu dem sie ihren letzten Atem aushauchen könnte. Und wie sich heraus stellte, war es genau wie er es sich vorgestellt hatte, dass es sein würde.
Nebel erhob sich aus dem Boden. In dünnen Fäden stieg er zwischen den Dielen empor, sickerte in den Raum und erhob zu einem undurchdringbaren Vorhang. Bargon wich von der Leiche zurück. Der entscheidende Moment. Die Gedanken rasten, als das Hufgeklapper ertönte wie ein fernes Echo. Immer lauter wurde das Geräusch, bis er fast schon meinte, das Pferd müsse neben ihm entlang galoppieren. Und dann riss der Schleier und der Fährmann ritt auf einem Pferd aus Knochen in den Raum hinein. Durchscheinend war er, wie die Geister die zu sammeln er gekommen war.
"Was ist nur geschehen, alter Freund?" Seine Stimme klang dunkel und Bargon konnte sich nicht des Gedanken an Totenglocken erwehren. Er wusste nicht mehr, wie die Stimme des Geiers im Leben geklungen hatte, aber er war sich sicher, dass sie nicht mehr war wie früher.
Wieder wurden Worte gewechselt, aber diesmal waren sie fern von aller Höflichkeit. Erschreckend und offen. Die Enttäuschung des einen und die Verbitterung des anderen, in Anschuldigungen gehüllt. Es mag erstaunlich scheinen, wie wenig sich zwei Unsterbliche zu erzählen hatten.
Bargon zog das Schwert. Es galt zu beenden, worauf er sich all die Zeit vorbereitet hatte.

Das Reißen an seiner Seele ließ ihn erschrocken inne halten, aber es war zu spät. Sein Schwert, das er genau für diesen Moment vorbereitet hatte, steckte bis zum Heft in der Brust des Fährmannes. Die Hand des göttlichen Avatares schnellte vor und legte sich Bargon über die Augen. Es war, als habe sich ihm kalter Nebel auf die Haut gelegt, so sanft war die Berührung.
"Nimm diese letzte Geste der Freundschaft!", hauchte ihm der Fährmann entgegen, bevor er regelrecht zu zerbersten schien und den Raum in Schlieren dieses allgegenwärtigen Nebels tauchte. Wie eine Windböe umfuhr der Nebel Bargon, immer und immer wieder, bis er schließlich in die Klinge, die er noch immer in beiden Händen hielt, zusammen stürzte. Augenblicklich veränderte sich das Schwert, verlor an Substanz und gewann doch an Gewicht. Durchscheinend wurde es, wie zuvor die Gestalt des Fährmannes und doch beinahe untragbar schwer. Das war nicht Teil des Plans! Es war klar ersichtlich, dass sich in der Waffe ein Teil der Essenz des namenlosen Gottes band und nur der Segen, der auf ihm lag verhinderte, dass er sich in Schmerzen wand. Er konnte kaum klar denken, er musste die Klinge mitnehmen, aber tragen konnte er sie nicht ...
Letztlich warf er sie von sich, nur um sie nie wieder anheben zu können.

Dann war der ganze Spuk vorüber. Bargon bereitete die Szenerie vor, so gut es ging. Es sollte alles nach einem Einbruch aussehen, einem mit tödlichem Ende. Hastig stopfte er einige Wertsachen in seine Tasche und durchwühlte das Regal, als habe der Einbrecher nach etwas Bestimmtem gesucht, da fiel sein Blick auf die Leiche, die als Mahnmal seiner Tat direkt im Raum lag. Mit einem Mal war ihm, als zerreiße der Schleier, der über der Welt lag und gestatte ihm einen Blick dahinter. Deutlich sah er den Geist der Toten über ihrem erkalteten Leib stehen. Er erstarrte. Er wusste, dass das geschehen würde. Es hatte geschehen müssen, schließlich war das sein Vorhaben von Anfang an gewesen. Und doch traf es ihn im ersten Moment, wie ein Schlag mit einem Hammer.
Sie beschuldigte ihn, verfluchte ihn. Zu jeder Zeit werde sie nun bei ihm sein, sie, sowie die Geister all der Menschen, die er getötet hatte, lautete ihre Drohung. Er brauchte einen Moment, bis er sich so weit gefasst hatte, um zu erkennen, dass dies nur ein Zeichen dafür war, dass sein Plan geglückt war.
Er lachte vor Freude laut auf, wenngleich ein Hauch Verzweiflung darin lag. Er wusste, was er getan hatte und war sich auch der Konsequenzen bewusst, aber zum ersten Mal, seit er den Plan gefasst hatte, schlich sich ihm der Gedanke an das ein, was er sich damit auf die Schultern geladen hatte.
"Es ist deine Schuld, dass ich nicht meinen Frieden finden kann." Ihre Stimme war ein kaltes, fernes Zischen. "Und auch nach mir kein anderer Sterblicher. Du erschlugst den Fährmann!"
"Das war mein Plan, verdammtes Weib! Und verdammt sollt ihr alle sein, wie ich!" Bargon richtete anklagend den Finger auf sie, noch immer von diesem unmöglichen Rausch gefangen, vollbracht zu haben, was andere als Wahnsinn abgetan hätten.
"Ich werde dich weiter verfolgen und dich jagen! Ich werde dich noch tiefer in den Wahnsinn treiben, dorthin, wo Höllenqualen auf dich warten, bis du dich eines Tages selbst richtest."
Immer wieder brach der Sturm ihrer Worte über ihm ein, auch wenn es nicht mehr war, als dieses leblose Flüstern. Eines Tages mochte der Zeitpunkt vielleicht kommen, da ihm ihre Worte Angst bereiteten. Vielleicht würde sie mit allem Recht behalten, aber dieser Tag war fern. Noch genoss er seinen Triumph.
"Komm, Mädchen. Wir gehen nach Hause."
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Alt 29.07.2017, 22:13
#6
Bargon Ferilan
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Macht. Das Federchen hat davon gesprochen, als sei das etwas erstrebenswertes. Die Menschen gebrauchten das Wort regelmäßig, vor allem im Zusammenhang mit ihren eigenen Wünschen. Sie wünschen es sich noch mehr als Gold oder ein gewärmtes Bett, denn letztlich ist Macht das, was ihnen zu beidem verhilft. Hinter all ihrem Streben steht das Bedürfnis nach mehr Macht. Macht über andere. Macht über Untertanen, über die Nachbarn, über das eigene Eheweib. Wer über andere gebietet kann von ihnen verlangen, was auch immer er will, sei es nun der hart ersparte Groschen oder eine mehr oder weniger gewillte Gespielin. Macht, Macht, Macht. Das Wort wird so oft verwendet, dass es fast an Bedeutung verliert. Schließlich ist der Wunsch oft größer als die Wirklichkeit. Menschen sind solch simple Geschöpfe.

---

Neues Blut rauschte ihm durch den Leib. Neu und doch alt. Aber es war angefüllt mit einer Kraft, die ihm den Atem raubte. Das, nebenbei bemerkt, war eine interessante Note an dem Unleben, dass er führte. Atmen ist eine Angewohnheit, die er anfangs große Schwierigkeiten hatte, abzulegen. Sicherlich, zum Sprechen bedarf es der Lungen und so war er immer wieder mal gezwungen gewesen, Atem zu schöpfen. Doch mit den Jahren, die er sich zurückgezogen hatte, verschwand die Notwendigkeit zu reden. Wenn er sein Versteck verlassen hatte, dann nur um sich zu nähren und meist hatte er so lange gewartet, bis der Hunger übermächtig wurde, bis es ihm schien, als sei der ganze Körper nur ein einziges, weit aufgesperrtes Maul, mit dem er das Wild, das er stellte, verschlingen wollte. Kein Wort war zu diesen Gelegenheiten gefallen, die Bestie in seinem Inneren hatte übernommen und so gewöhnte er sich auch die Notwendigkeit Luft zu holen ab. Wenn er nach langer Zeit dann doch einmal den Weg zur Zivilisation fand, waren die ersten Worte ein Röcheln, bis er nach Luft schnappte um auch nur einen geraden Satz herauszuwürgen.
Nun aber brannte ihm dieses Blut in den Adern. Es war angenehm und warm, die einzige Wärme, die er noch wirklich spürte. Es war erhebend. Wie der erste Schluck.
Der Alte hatte ihm ein Geschenk gemacht, aber er war nicht so dumm zu glauben, dass er es tatsächlich auch von dem gebrechlich wirkenden Priester erhalten hatte. Es kam von weit höher und auch wenn ein letzter Rest in ihm widerstrebte, so gab sich der überwiegende Teil seiner Seele mittlerweile dem Gedanken hin. Er spürte, wie es ihn durchdrang und er ihm immer ähnlicher wurde.
Sein Sinnen schweifte zu diesem letzten Rest. Dieses wenige bisschen, dass sich an eine Vergangenheit klammerte, die zunehmend verblasste. Dinge, die früher einmal Halt gaben und bei denen er sich deutlich anstrengen musste, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen. Das rote Schwert. Yew. Decram. Beofin. Sein Sohn Sceius. Seine Tochter Dira. Kargrad. Eskalor. Er schüttelte den Kopf. Es war eigentlich eine natürliche Entwicklung gewesen. Schon zu Lebzeiten hatte er sich den Lehren des Blenders immer weiter angepasst. Erst aus Notwendigkeit, dann aus einer perversen Freude heraus. Er hatte Lügen und Blendwerk als Disziplin Loricas verstanden, nur ein weiteres Schlachtfeld, auf dem er sich mit anderen messen konnte. Er war der Falschheit des Gottes selbst in die Falle gegangen. Es war kein Wunder, dass der Alte ihn aufgespürt hatte.

Es hatte etwas anheimelndes, die alten Erfolge übertrumpfen zu wollen. In ihm reiften Pläne, die er mit seinen neuen Gefährten zu erfüllen gedachte. Viel davon wand sich um dieses neue Großreich. Anmaßend, durchaus, doch er war schon immer ein Freund von Aufschneidertum gewesen. Es würde fast schon schade sein, wenn er mit ihnen fertig war. Das war mit ein Grund, warum er sich Zeit ließ. Nicht, dass er davon nicht eh genug hätte. Es gab allerdings auch noch andere Dinge, die dafür sorgten, dass er nicht sofort losschlug. Die Täuschung durfte nicht gebrochen werden, die Küken waren nicht bereit. Höchstens das Federchen war einigermaßen fähig, ihm als Werkzeug dienen zu können. Sie war ein Skalpell, das er sorgfältig zu nutzen gedachte. Nur schade, dass sie nicht seinem Haus angehörte und er sich ihrer früher oder später würde entledigen müssen. Von ihr abgesehen war da nur das Küken, das so malerische Worte nutzte. Immerhin war dieser vom richtigen Haus und brannte regelrecht darauf, sich beweisen zu dürfen.

Es juckte in seinen Adern. Er zögerte noch. Nun hatte er Macht. Mehr davon, als er sich je hätte erträumen lassen. Und es war ihm im gleichen Moment schal geworden. Macht hatte etwas willkürliches, etwas kindisches. Kontrolle dagegen, das war etwas, an dem er festhalten konnte. Die Fäden in der Hand zu behalten und strukturiert zu bestimmen, was nach welcher Art zu geschehen hatte. Kontrolle konnte nicht missbraucht werden, sie war beherrscht. Mit diesem neuen Blut war es ihm nun gelungen, eine größere Kontrolle über die Macht des Blenders, die in seinem Inneren toste, zu erhalten.
Nun aber war es Zeit ausziehen. Das Rauschen war verebbt und er spürte den Drang, wie er sich anschickte, ihn zu übermächtigen. Er übte an sich selbst. Strapazierte sich, bis er zum Äußersten gehen musste. Bislang war er ohne Erfolg gewesen, doch auch das war nur eine Frage der Zeit. Er würde diese letzte Stimme in ihm zu unterdrücken lernen, sie zu kontrollieren. Diese Stimme hatte einen Namen und ihr war Hunger. Sie schrie nur ein Wort:
„Wüte.“
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Geändert von Bargon Ferilan (31.07.2017 um 17:49 Uhr).
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