24.11.2002, 17:28 |
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Deidra schmiegte sich an den Baumstamm, verschmolz fast mit der Borke. Das Braun und Grün des Unterholzes liess sie in ihrer Jagdkleidung Teil des Waldes werden. Schatten in Schatten. Nichts würde sie verraten. Dar, ihr Hengst, war ein gutes Stück weitab an einer geschützten Stelle angebunden. Der sachte Wind wehte gegen sie. Ruhig und ahnungslos ästen die Rehe dort vor ihr. Deidra war auf Jagd. Nichts aufregendes. Nur ein wenig Fleisch für den Abend. Ein Jäger mit Pfeil und Bogen mochte über ihre Art der Jagd lächeln, doch war sie mindestens genauso effektiv. Sie schlich sich fast auf dem Bauch kriechend noch näher heran. Das Wild hier in der Nähe der Stadt war so sorglos, Menschen so sehr gewohnt, dass sie vermutlich selbst offen hätte darauf zugehen können. Die völlig entartete Tierliebe der Städter hatte etwas für sich. Das Wild erwartete eher Futter als den Tod von den Zweibeinern. Ein abfälliges Lächeln huschte über Deidras Gesicht. Nun, ihr sollte es zugute kommen. Sie war jetzt nah genug heran an die Tiere. Leise zog sie ein paar Kräuter aus der Tasche, murmelte ein paar der gelernten Worte und richtete all ihre Aufmerksamkeit auf die Ricke vor ihr. Ein verletztes Tier, das auf dem linken Hinterbein lahmte. Wenige Sekunden später schrie das Tier qualvoll auf. Gift raste wie eine wütende Schlange durch seine Glieder und raubte das Leben. Es würde nicht genug sein, das Tier zu töten, doch es zu schwächen und an der Flucht zu hindern. Der Rest des Rehrudels stob mit fiependen Schreien in alle Himmelsrichtungen. Knurrend vor Aufregung stürmte Deidra zum Reh, den Schild gegen die wilde Gegenwehr des Tieres erhoben und die Keule gezielt auf den Schädel des Wildes schlagend.
Wenig später war alles vorbei. Noch zuckend lag die Ricke vor ihr, als die Jägerin den Kadaver aufschnitt, es mehr schlecht als recht aus der Decke schlug (sie wusste, dies musste sie noch sehr üben) und das Fleisch zum Ausbluten auf nahe niedrige Äste spiesste. Nur das Herz nahm sie an sich. Warm, voll von Leben noch. „Dir, großer Jäger zu Ehren“, murmelte Deidra, als sie es zum Himmel erhob, um gleich darauf herzhaft hineinzubeissen, dass ihr das Blut über Lippen und Kinn lief. Beinahe musste sie lachen. Sie war oft in der Stadt und hatte den ein oder andern der Bewohner näher kennengelernt. Was würden sie sagen, wenn sie sie so sehen könnten? Doch das war im Moment gleich. Hier war nur sie, der Wald und die Freude der Jagd. Einen Moment ruhte sie sich noch aus, dann sammelte sie das Fleisch ein, deckte den Kadaver des Rehs mit etwas Zweigen und Laub zu. Nur grob, um ihn vor Menschenaugen zu verbergen. Ein Geschenk an die Kreaturen des Waldes, in deren Revier sie jagte. Nur das nehmen, was man braucht. Nicht aus Gier oder Spass töten. Das hatte die Alte ihr beigebracht, damals, im Dorf. Bei den ihren. Damals, vor dem harten Winter und der Seuche... Deidra brachte die Beute zu Dar, zündete dort ein kleines Feuer an und briet das frische Fleisch darüber. Währenddessen hatte sie Zeit nachzudenken, sich zu erinnern. An ihr kleines Dorf. Zwei Tagesreisen im Westen Britains war es doch weiter entfernt von der großen Stadt, als man glauben mochte. Zumindest, wenn man in solch einem kleinen Ort aufwuchs. Ihre Mutter Serfeyne war eine Schwertfrau gewesen. Früher, als ihr Bein noch nicht vom Huf eines Kriegspferdes zerschmettert war. Sie konnte noch laufen, aber es reichte nicht mehr, in den Kampf zu ziehen. So lehrte sie jetzt die Söhne anderer Leute in den Grundzügen des Kampfes. Mochten sie noch so ungeschickt sein. Sie selbst, Deidra, hatte es ihr gleichtun wollen, doch fand sie nie die Geschicklichkeit, die Waffen so kunstgerecht zu führen. Zu beider Glück hatte das ihre Mutter früh erkannt und sie überredet, mehr ihrem Vater zu helfen. Dronhem Trongar. Sohn eines alten Nordgeschlechtes und Nachfahre wilder Krieger und nicht viel sanfterer Schamanen. Er hatte nichts mit ihnen gemein. Ein sanfter Mann des Wissens. Ein Historiker, ein Schriftgelehrter. Kein Magier, oh nein, eher ein Bibliothekar, ein Chronist. Deidra, in all der Wildheit eines jungen Herzens, hatte damals noch nicht erkannt, wie wertvoll Wissen war. Wie machtvoll. Er lehrte sie Lesen und Schreiben und viele Dinge aus den Büchern. Er versuchte ihr Ruhe und Disziplin beizubringen und Ehrfurcht vor dem geschriebenen Wort. Sie wollte in die Wälder, wollte das Wild beobachten und herausbekommen, welche Kräuter was bewirkten. Dronhem zeigte ihr die alten Kräuterbücher, als sie sich einmal aus Neugierde fast vergiftete an Trollbeeren. Sein Wissen war es, das sie rettete. Dies war der Moment, an dem sie ihm das erstemal Achtung zollte. Ihm zuliebe durchforstete sie die Bücher in seinen Räumen. Und siehe, sie fand vieles erstaunliches. Alte Sagen und Mythen, Wissen um die Götter, Wissen um andere Völker. So wuchs sie heran, in der Dämmerung des Morgens und abends auf der Jagd im Wald um Kaninchen, Rehkitze und Kräuter heimzubringen, des Tags das Licht der Sonne nutzend über den Büchern des Vaters. Sie hätte so erwachsen werden können, heiraten, Kinder bekommen und altern. Der übliche Weg des Lebens im Dorf. Keine Überraschungen, wenn man von Unwettern und Raubtieren absah, die die Schafherden dezimierten. Oder die zwei, drei Male im Jahr wo ein Händler durchs Dorf kam. Doch eines Tages kam SIE. Zerschunden und erschöpft auf einem Pferd, dass am Verhungern war. Ihre Fellrüstung bestand nur noch aus Fetzen und das Schwert war so schartig, das es als Säge durchging. SIE war nicht mehr jung. Graue Strähnen durchzogen das einstmals rehbraune Haar. Die Augen blickten müde wie die eines Menschen, der alle Abgründe gesehen hatte. Doch sie brachte Gold mit. Kein wirklicher Reichtum, aber genug, sich ein kleines Haus nahe dem Dorf am Steilhang zum Fluss zu kaufen. Ihr Wert für das Dorf wurde erst nach und nach sichtbar. Sie wusste um die Kraft der Kräuter. Nicht sie zu Tränken zu mischen, das war ihr fremd. Magie war es, die sie wirkte. Sie heilte den ein oder andern Bewohner des Ortes und erhielt dafür das, was sie scheinbar am eifrigsten suchte. Ruhe und Abgeschiedenheit. Selten ging jemand zu ihr hinaus und noch seltener kam sie herunter ins Dorf. Deidra schlich von Neugierde geplagt des öfteren um ihr Haus, doch wagte sie sich nie heran. Kein Weg zu der Fremden, deren Name immer noch keiner wusste, die nur die „Zugereiste“ oder „die am Fluss“ genannt wurde. |
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24.11.2002, 17:29 |
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Doch auch das änderte sich. Eine der Jagden in der Abenddämmerung führte Deidra tiefer in die Berge als sonst. In fremdes Revier. In das eines ebenso alten wie bösartigen Bären. Er war leise auf dem moosbewachsenen Waldboden. Brüllend war er über ihr, bevor sie ihn überhaupt gesehen hatte. In seinen Augen las sie ihren Tod so gewiss wie den Lauf der Sterne. Doch heute ging der bittere Kelch noch einmal an ihr vorüber. Ein Schatten aus Dunkelheit, Fell, Zähnen, Klauen und Knurren sprang dem Bären an die Kehle, machtvoll wie ein göttliches Urteil, und warf ihn zurück. Magie entlud sich in Feuer und Blitzen, die den Bären Fell und Muskeln zerrissen bis tief ins Leben hinein. Tod lag in der Luft, der Geruch von Blut und verbranntem Haar. Deidra hatte sich schreiend in den Waldboden gekrallt, bis alles vorüber war und eine Stimme ihr forsch befahl, endlich zu schweigen. Verwirrt hatte sie aufgesehen und auf die gebleckten Lefzen eines schwarzen Wolfes geschaut. Als der Blick weiterwanderte, sah sie die Fremde, die Frau vom Fluss über sich stehen. Sie streckte ihr die Hand hin und zog sie unsanft hoch. Was dann folgte, war die wohl nachhaltigste Strafpredigt, die Deidra je über sich ergehen lassen musste. Über ihre Unachtsamkeit, ihr mangelndes Verständnis der Natur, ihre Ungeschicklichkeit bei der Jagd und noch zig anderer Punkte. In Anbetracht der eben überlebten Situation liess sie alles mit gesenktem Kopf über sich ergehen, bis die Stimme der Frau versöhnlicher wurde. „Ich heisse Hardela. Ich kann Dich lehren, besser zu werden. Und die Magie zu nutzen.“ – „Die Magie zu nutzen?“ Deidra hatte bis dahin noch nie darüber nachgedacht. Magier waren Leute, die von klein auf in Akademien herangebildet wurden, die von frühester Jugend an in den arkanen Künsten unterwiesen wurden und aus Büchern die alten Formeln lernten. Hardela lachte nur. Rauh und ohne Freude. „Hat man das Euch hier Glauben gemacht? Die Bücherzauberer, geht ihre Macht so weit, die Sklaven der Folianten, die im Staub leben?“ Voll beissendem Hohn und altem Hass waren die Worte gewesen, erschreckend in der Intensität.
Doch hatte die alternde Jägerin ihr erzählt, welches Potential sie in ihr sah und hatte sie, wie versprochen, in all den Künsten unterwiesen, die sie beherrschte. Sie die Worte der Macht gelehrt, gezeigt, welche Kräuter man verwandte und wie man die Tiere verstand, die man erlegen wollte. Und auch die Achtung vor den Gaben der Natur wie vor ihren Gefahren. Und nicht zuletzt hatte sie von sich erzählt. Von ihrem Leben und dem Gott, dem sie folgte. Von Ehre und Freundschaft. Vom Überleben unter Feinden. Von ihren Begleitern, die nach und nach im Kampfe fielen bis die Gruppe zerfiel. Sie war die letzte, die überlebt hatte. Und sie war müde. Müde der Kämpfe, müde der Flucht, müde all der Sorgen des entbehrungsreichen Lebens. Ihr Gefährte war gestorben, zwei Monde bevor sie das Dorf erreichte, und ihre fast erwachsene Tochter mit ihm. In den Schwertern der Feinde. Und doch würde sie dem Pfad immer wieder folgen auf der Suche nach dem Einen, in den Spuren des großen Jägers, des Edlen der Dämmerung, des verbannten Gefährten. Dann kam der Winter, der die Hälfte des Dorfes mitnahm. Er war kalt, viel kälter als die vorhergehenden. Selbst der Fluss trug eine Schicht aus mannstarkem Eis. Die Tiere starben in den Wäldern und auch die in den Ställen der Menschen darbten in der tödlichen Umklammerung des Frostes. Wer über Nacht ohne Feuer heraussen blieb war des Todes, da schützten auch Bärenpelze nicht. Und dann kam die Seuche. Kein Mittel gegen sie half, selbst die Magie Hardelas nicht, die den Menschen des Dorfes half, wie sie früher ihren Gefährten geholfen hatte. So kalt wie der Winter war, so heiss war das Feuer des Fiebers, das die Menschen von innen heraus frass. Die Gebete der Menschen verhallten ungehört. Wie durch ein Wunder starb in Deidras Familie nur eine alte Tante, während bei andern ganze Generationen ausgelöscht wurden. Doch der Mensch, der ihr am meisten bedeutete, der ihr im Laufe der letzten Sommer so sehr ans Herz gewachsen war, wurde ein Opfer der Seuche. Hardela. Am Sterbebett gab die todkranke Frau ihr noch Unterweisungen, Wissen, Ratschläge. Deidra trauerte bis zum Frühjahr um sie und selbst heute, jetzt, am Lagerfeuer, durchzog Wehmut ihr Herz, wenn sie an sie dachte. Deidra war im Frühjahr dann aufgebrochen. Sie ertrug die Enge des Dorfes, die Nähe der Erinnerungen nicht mehr. Die große Stadt hatte sie gelockt. Sie war viel atemberaubender als erwartet. Laut, voller Menschen, dreckig, gefährlich. Aber auch voller Beute, erwarteter und unerwarteter. Es liess sich überleben hier, wenn man vorsichtig war und achtsam. Etwas, was ihr noch nicht immer gelang. Doch ihre Anführerin, eine stolze erfahrene Kriegerin, die sie in den Wäldern getroffen hatte, würde sie lehren. Und ihr Herr, der Mann, der über ihr Leben oder Tod entschied und dem sie Gehorsam geschworen hatte. Die junge Jägerin streckte sich. Das Fleisch war gar und kühl genug, verpackt zu werden. Das Fleisch würde sie und die Anführerin für ein, zwei Tage nähren. Einen Teil wollte sie an Bauern verkaufen, um ihre Kräuter zu zahlen, deren sie mehr bedurfte, als sie selber in den Wäldern fand. In der Stadt hatte sie einen Anschlag gelesen, der den Leuten Folgen androhte, wenn sie mit ihrem sinnlosen Wolfsmorden fortfuhren. Sie wünschte, es gäbe noch mehr, die den alten Wegen folgten, Achtung zeigten und die Menschen der Stadt für ihr Tun verachteten. Jagten sie doch oft nicht aus Notwendigkeit, sondern um ihren Freunden ihre Stärke zu beweisen oder nur zum Spass. Und derzeit war es wohl schick, sich die Pelze der schnellen Jäger zu kleiden. Dabei mussten die Mörder oft mehrere Tiere töten um aus einem noch einen nutzbaren Pelz zu bekommen. Kein Wunder, so stümperhaft wie sie oft töteten. Ein Fleischklumpen mit Fellfetzen war meist alles, was nach der „Jagd“ eines Städters von einem Beutetier blieb. Doch jetzt war es Zeit aufzubrechen. Sorgfältig löschte Deidra das Feuer, verpackte das Fleisch in den Satteltaschen und saß auf. Dar war ihr ein treuer Begleiter geworden. Sicher und ruhig schlug er den Weg durchs Unterholz ein, den sie ihm zeigte... |
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