06.05.2013, 11:00 |
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"Sie sind schon viel zu lange überfällig", raunte die Frau in der dunklen Felljacke ihrem männlichen Begleiter zu. Sie hatte lange, rotbraune Haare, war klein und sehnig und hatte jetzt ein etwas mürrisches Gesicht. Der Kragen der Jacke war hochgeschlagen, um die Frau so gut wie möglich vor dem eisigen Wind zu schützen, der jetzt in den Herbstnächten am Britainer Hafen wehte.
"Vielleicht kommen sie erst morgen", erwiderte der Mann. Er hob die Hand an die Stirn und spähte auf die dunkle See hinaus. Da, war da nicht ein Licht in der Ferne? Langsam kam es näher und jetzt war deutlich zu erkennen, dass ein mit Fackeln erleuchtetes Schiff sich dem Hafen näherte. Die Frau hob ihre Laterne und schwenkte sie drei Mal über dem Kopf. Offenbar hatte man das auf dem Schiff bemerkt, denn nach und nach gingen alle Lichter an Bord aus. Wie ein großer, mächtiger Schatten segelte das Schiff nahezu lautlos in dem tosenden Sturm auf die Hauptstadt des Herzogtums Britannia zu. "Wurde auch Zeit", begrüßte die Frau den Kapitän des Schiffs, als es eine halbe Stunde später angelegt hatte. Schauerleute begannen damit, allerlei Waren für die Stadt auszuladen und am Kai aufzustapeln, wo die Händler der Stadt sie am nächsten Morgen abholen würden. Doch das Schiff hatte auch noch eine andere Ladung an Bord: Nahezu unsichtbar in ihrer dunklen Kleidung huschte eine ganze Gruppe unscheinbarer Gestalten über eine schmale Planke am Bug des Schiffes. Die Gruppe versammelte sich im Schatten der Lagerhäuser und fast konnte man meinen, sie wäre unsichtbar; so gut verstanden die Menschen es offenbar, mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Als letztes ging ein großer, kräftig gebauter Mann von Bord, der geradewegs auf die Frau und ihren Begleiter zusteuerte. "Dem Gott der Diebe und des Zwielichts zum Gruße, Rona", sagte er. "Lange nicht gesehen." Die Frau reichte dem Mann die Hand und lächelte ihn kurz an. "Kann man wohl sagen. Das sind unsere Leute?", fragte sie mit einem Nicken auf die Gruppe. Der Fremde nickte. "Gut." Aus ihrer Gürteltasche holte Rona einen klimpernden Beutel, den sie dem Fremden reichte. "Grüß unsere Brüder und Schwestern, wenn du aufs Festland zurück kehrst. Endlich kann die Bruderschaft das Königreich der Schatten errichten." Mit diesen Worten wandte die Frau sich ab und ging auf die Gruppe zu. Kurzes Gerede, dann brach die ganze Gruppe auf, um im nächsten Einstieg der Kanalisation zu verschwinden. Nahezu unbemerkt war der Einzug der Fremden gewesen. Nur einige Bettler und Säufer, die erst mitten in der Nacht aus der Kneipe kamen, konnten den seltsamen und kurzen Zug durch den nächtlichen Hafen beobachten. Wenngleich keine Gefahr von der Gruppe auszugehen schien, suchten die meisten doch lieber still und heimlich das Weite, statt diesen Fremden mitten in der Nacht über den Weg laufen zu müssen. Was daraufhin in den zwielichtigeren Tavernen geredet wurde, beruhte deshalb auch nur zum geringsten Teil auf Tatsachen. |
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