03.04.2018, 15:37 |
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Reisender
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Der Abend war bereits weit voran geschritten als das Schiff endlich im Hafen von Britain anlegte. Die Sterne am dunklen Nachthimmel verblassten im Schein der Laternen an den Kaimauern und der umliegenden Häuser. Die Besatzung machte sich daran die Ladung zu löschen und die Passagiere rafften ihre Habe zusammen und gingen nacheinander von Bord.
Auch Sie war unter diesen Passagieren. Mit weichen Knien balancierte sie über die schmale Planke bis ihre Füße endlich auf den befestigten Steg trafen. Nach so langer Zeit auf See waren ihre ersten Schritte auf festem Grund wankend, doch gewannen sie schnell an Sicherheit. In der Dunkelheit der Nacht lief sie durch die verwaisten Straßen. Zu so später Stunde war fast niemand mehr unterwegs und das war ihr nur Recht. Sie hatte ein Ziel – und sie wollte es so schnell wie möglich erreichen. Als die hohen Mauern der Nordmark schließlich vor ihr aufragten wurde sie langsamer. Die Worte und Erklärungen, die sie sich auf der langen Schiffsreise zu Recht gelegt hatte, waren aus ihrem Kopf verschwunden. Einfach weg, obwohl sie sich diese so sorgfältig überlegt hatte. Nun würde sie improvisieren müssen. Der Hauch eines matten, skeptischen Lächelns huschte kurz über ihre Lippen. Was war sie doch für eine Närrin. Sie zog den schweren Schlüsselbund hervor. Ein Schlüssel passte. Sie hörte das vertraute Knacken und Rattern des Schließmechanismus. War das ein gutes Zeichen? Sie öffnete das Tor nur einen Spalt weit, schlüpfte hindurch. Der Hof war in Dunkelheit getaucht. Die Kontur des Turmes, das Herzstück der Nordmark, der über alles wachte, schien verändert. Wie lang war sie fortgewesen? Es waren doch nur ein paar Wochen gewesen, vielleicht Monate, aber gewiss doch kein Jahr. Oder? Das Gebäude zu ihrer Linken schien dagegen unverändert und sie atmete innerlich etwas auf. Ein wehmütiger Ausdruck trat auf ihr Gesicht, als die Erinnerungen auf sie einfluteten. Wie glücklich war die Zeit hier mit ihm gewesen. Und Sie? Sie hatte diese Zeit mit Füßen getreten, indem sie einfach gegangen war. Ohne ein Wort der Erklärung oder des Abschieds. Das war nie ihr Plan gewesen, aber die Ereignisse hatten sich einfach überschlagen und… alles Ausreden, schalte sie sich selbst. Du bist zu unstet, hast kalte Füße bekommen und jetzt kommst du zurück gekrochen. Leise schlich sie weiter, klopfte zaghaft an die Tür und als niemand antwortete, betrat sie den Raum, den sie damals liebevoll ihr Geheimversteck genannt hatten. Damals, als sie beide fast noch Kinder waren und einen Rückzugsort gesucht hatten, wo sie… nunja, ihre Zuneigung zueinander entdecken konnten. Doch von dem einstigen Zauber, den der Raum früher erfüllt hatte, war nichts mehr geblieben. Sie erkannte die Möbel, doch waren diese von einer dicken Staubschicht bedeckt. Dieser Raum war schon lange nicht mehr betreten worden. Ihr Blick ging zur Stirnwand. Hier hatte einst ein Bild gehangen. Ana hatte es gemalt und es zeigte Stina. Damals war sie 16 Jahre alt gewesen. Nun war das Bild fort und während sie sich noch die Frage stellte, wo es abgeblieben sein könnte, hörte sie leisen Gesang. Eine weibliche Stimme. Sie schlich zurück zur Tür, öffnete diese einen Spalt und linste hinaus. Von dieser Warte aus konnte sie direkt in den Stall blicken in dem nun eine junge Frau, leise vor sich her summend und singend, sich um die Tiere kümmerte. Neidvoll musste sie anerkennen, dass diese junge Frau auffallend hübsch war. Mit langem brünetten Haar und schmaler Taille. Sie biss sich auf die Unterlippe. Die Fremde bewegte sich selbstsicher zwischen den Tieren, die ihre Anwesenheit gewöhnt schienen. Sie sprach leise zu den Pferden und zu den Hunden und nachdem sie ihre Arbeit verrichtet hatte, verließ sie den Stall und entschwand aus ihrem Blickfeld. Komisch… Stina konnte sich nicht daran erinnern, dass Korad einst ein Stallmädchen beschäftigt hatte. Wie durch Zufall glitt ihr Blick noch einmal zu der Stelle, wo einst ihr Bild gehangen hatte und die nun verwaist war. Und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Erschrocken prallte sie zurück. Sie fühlte sich wie mit Eiswasser übergossen. Ihr ganzer Körper kribbelte und die klitzekleinen Härchen im Nacken und an den Armen stellten sich auf. Was hattest du denn erwartet, du dumme Kuh? Dass er den Rest seines Lebens auf dich warten würde, nachdem du dich sang- und klanglos aus dem Staub gemacht hast? Früher oder später bekommt jeder seine gerechte Strafe. Und jetzt auch du, für das was du getan hast. Was du ihm angetan hast. Stina schüttelte den Kopf, als könne sie die Stimme, die ihr gehässig die bösen Gedanken einflüsterte, wie eine Fliege verscheuchen. Nein, nein, nein. Das durfte einfach nicht wahr sein. So etwas hätte nie passieren dürfen. Sie vergewisserte sich, ob die Luft rein war, dann verließ sie ihr Versteck. So sehr es sie vorher noch zur Nordmark gezogen hatte, jetzt wollte sie nur noch weg. Sie verschloss das Tor hinter sich und rannte los. |
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