05.06.2003, 14:58 |
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Reisender
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Es war geschehen. Waren Vadraks Gefühle gestern noch im Aufruhr gewesen, so war er nun völlig ruhig. Fest und wie beschützend legte er seinen Arm um die schlafende Vio, zog den weißen Umhang, den er über ihren nackten Körper gebreitet hatte, um sie vor der Kälte zu schützen, etwas höher und drückte sie sanft an sich. Zärtlich ließ er im Schein der Laterne seinen Blick über ihre entspannten Gesichtszüge wandern, und sein Herz wurde ganz weit vor Liebe und Zufriedenheit. Schlafen konnte er nicht, denn jede einzelne Minute ihres gemeinsamen Glückes wollte er auskosten und wäre für jede dieser Minuten bereit gewesen, sein Leben zu geben. Er wußte, er hatte das einzig richtige getan, selbst wenn er den Sinn seines bisherigen Lebens mit dieser einzigen Nacht voller Glückseligkeit ausgelöscht hatte, so hatte er doch einen neuen Sinn erhalten, denn es war nicht nur einfach der Taumel der sinnlichen Begierden gewesen, sondern wahre, tief empfundene Liebe: Liebe, die schon seit vielen Jahren Bestand hatte und selbst unüberbrückbare Hindernisse und Gegensätze überwunden hatte. "Nie wieder werde ich dich verleugnen, meine Liebste," flüsterte er mit bewegter Stimme, "Was auch geschieht: ich werde zu Dir stehen." Der Kreis hatte sich geschlossen. Ein Eid war gebrochen, ein vor langer Zeit gegebenes Versprechen erfüllt.
Nachdenklich legte sich Vadrak zurück und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Draußen begannen die Vögel ihr Konzert und das erste blasse Morgenlicht ließ die Schatten weichen. Leise, um Vio nicht zu wecken, erhob er sich, kleidete sich rasch an und trat vor die Tür. Tief atmete er die kalte, würzige Morgenluft ein, die nach feuchtem Laub und den Düften des Herbstes roch. Den Blick gen Osten auf die aufgehende Sonne gerichtet, ließ er sich auf die Knie sinken und begann sein Morgengebet. Er bat Glaron nicht um Vergebung, denn er empfand keinerlei Reue und wußte, daß er somit jenseits allen Vergebens war, auch konnte er Glarons Wut beinahe körperlich spüren. Selbst wenn vorhin nicht zufällig sein Blick auf das nun ausgebrannte Schwert gefallen wäre, hätte er gewußt, daß Glaron in seinem Fall unversöhnlich war. Ja, er wunderte sich beinahe, daß er den heutigen Morgen lebend begrüßen durfte. Dennoch hielt er an seinem Gott fest und dankte ihm, denn seine Liebe zu Vior'la hatte seine Liebe zu Glaron in keiner Weise geschmälert, auch wenn er nicht erklären konnte, wie beides nebeneinander zu existieren vermochte. Nachdem er sein Morgengebet zu Ende gesprochen und sein Pferd versorgt hatte, trat er leise zurück in das Halbdunkel der kleine Kammer, in der sie beide die Nacht verbracht hatten. Vorsichtig, um sie nicht zu stören, legte sich Vadrak wieder neben Vio und schmiegte sich eng an sie. Er machte sich keine Illusionen, was ihre Zukunft betraf. Er wünschte Vio und sich zwar noch viele Tage und Nächte, die wie die letzte, von Liebe erfüllt waren, doch er wußte, daß ihnen nicht viel Zeit vergönnt war, denn er würde fortan gejagt werden - von zwei Seiten. Zum einen von dem Mann, mit dem Vio vor kurzem zusammen gewesen war und von dem er annahm, daß es sich um den Anführer jener "Schwarzen Lämmer" handelte. Vio gab sich nicht mit Handlangern oder Unterlingen ab, dachte er mit einem ironischen Schmunzeln. Der Anführer der "Schwarzen Lämmer" hatte schon vor langer Zeit seinen Untergang beschlossen, doch nun hatte er dazu sogar noch einen zusätzlichen persönlichen Grund. Zum anderen wäre er nun für seine eigenen Brüder ein Ketzer, jemand, der aufs Gröbste gefrevelt hatte und dafür nicht einmal Reue empfand. Kurz: er war Freiwild für jeden, der ihn abschwören lassen oder ihn einfach nur töten wollte. Auch die Garde würde vermutlich versuchen, seiner habhaft zu werden, sobald offiziell bekannt wurde, daß er zum Ketzer geworden war, um ihn zu ergreifen und der Inquisition vorzuführen. Dazu kam, daß beinahe jeder sein Gesicht kannte. Es war also nur eine Frage der Zeit, wie lange er zu überleben vermochte, um das gemeinsame Glück zu genießen. Noch bis vor kurzem hätte ihn die Aussicht auf seinen eigenen baldigen Tod völlig kalt gelassen, doch ironischerweise hing er nun sehr an seinem Leben. Vieles war nun zu erledigen: Als erstes mußte er zum Kloster, um dort seine wenige persönliche Habe an sich zu nehmen, dann mußte er seinen Habit, den er nun nicht mehr zu tragen das Recht hatte, einem der Brüder übergeben. Leise seufzte Vadrak. Hoffentlich konnte er Daria aus dem Weg gegen, denn er traute ihr ohne weiteres zu, daß sie versuchen würde, ihn einzusperren und zur Umkehr zu nötigen. Er wollte nicht gezwungen sein, gegen einen ehemaligen Bruder oder Schwester zu kämpfen, doch würde er es tun müssen, wenn man ihn in die Enge trieb. Sodann mußte er einen Brief schreiben an das Glarons-Hauptkloster in Faerlan, damit ein neuer Großmeister für Britain berufen würde. Als Vio ihre wunderschönen grünen Augen aufschlug und ihn ansah, bemühte Vadrak sich, ihr nichts von seinen Befürchtungen und Sorgen in seinem Blick zu zeigen. Er zog sie an sich und küßte sie zärtlich. Das Abschiednehmen fiel beiden schwer, doch dann machte er sich auf den Weg nach Britain, während Vio hinüber in das Haus des Heilers ging, wo sie Yani schlafen gelegt hatten. "Ich komme zurück, sobald ich kann," versprach er - und genauso meinte er es auch. |
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