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Alt 13.06.2005, 10:55
#26
Tari Ceres
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Registriert seit: 23 Jul 2004
Beiträge: 1.193
Leise seufzend, das Kinn auf die Hand gestützt, saß Tari am Fenster. Nachdem sie die Kinder zur Nachbarin gebracht hatte, war sie zum Jagdhaus geritten, um sich in die Stille zurückzuziehen und nachzudenken. Wie hatte sie sich über Alvels Brief gefreut, doch jetzt, jetzt schien alles so sinnlos. Seit Tagen schon hatte sie dieses beklemmende Gefühl in der Brust, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie fühlte sich so unzufrieden mit sich und ihrer Welt, und konnte nicht erklären, weshalb. Hinzu kam eine innere Sicherheit, dass Alvel sie verlassen haben musste. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl gehabt, einen geliebten Menschen verloren zu haben, und wer konnte es anderes sein als ihr eine Monatsreise entfernter Mann Alvel? Abermals gab sie einen verzweifelten und nicht gerade leisen Seufzer von sich. In den letzten Tagen hatte sie viel gearbeitet und war froh über jede Minute, in der die Zwillinge ihre Aufmerksamkeit brauchten, denn dann kamen die Gedanken nicht. Diese Gedanken von Trauer, Hilflosigkeit, Verzweiflung und Angst. Wie ein Kloß lagen sie in ihrem Hals und wollten nicht hinaus. Am liebsten würde sie schreien, weinen um sich Luft zu machen, diese schlimmen Gefühle loswerden, aber es gelang ihr nicht. Wenn sie nur wüsste, wie sie dieses Problem angehen sollte...

Als suche sie eine Antwort, blickte sie auf den Ring herab, den der Tränensammler ihr geschenkt hatte.

Aus Taris Notizen:
"Leer"

Das beschreibt es ganz gut.
Ich bin müde..
Aber nicht wirklich auf eine Art, bei der Schlaf was bringen würde.
Mir ist kalt..
Wahrscheinlich würde eine Decke helfen.
Aber ich will keine Decke.
Ist doch sowieso alles egal...
Was ich tue oder was ich nicht tue.
Entweder tu ich mir selbst damit weh oder anderen.
Ich fühl mich so leer. So egal. So taub. Ich kann ihn einfach nicht loslassen. Hoffe immer noch, dass alles wird wie früher. Aber das wird es nicht. Es wird nie mehr so sein. Aber ich schaffe es nicht, loszulassen. Zu akzeptieren, dass es vorbei ist. Doch liege ich auf meinem Bett, habe ich sofort vor Augen, wie es alles war, noch vor so kurzer Zeit. Wie schön es war...
Was würde ich dafür geben, diese kostbaren Momente noch einmal zu durchleben. Aber das werde ich nie wieder. Nie wieder.. Nie wieder... Nie..
Warum ist das Leben so erschlagend, so niederschmetternd..? Ich will das alles nicht mehr. Ich will nur noch vergessen, nicht mehr denken, nie wieder. Die Zeit heilt alle Wunden... Aber will ich das überhaupt? Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder jemanden zu finden, dem ich so vertraue, bei dem ich mich so wohlgefühlt habe und der das Gleiche über mich denkt.
Oder wieso sitz ich hier, und bin fast am weinen und weiss nicht, wieso? Ich bin nur nach draussen gegangen und schon hatte ich wieder diesen Kloß im Hals. So ein.. was soll das... ich will das nicht... ich will nicht mehr weinen, nie mehr... Aber selbst wenn ich wollte, es geht irgendwie nicht... es will nicht raus... ich will es nicht mehr. Ich will gar nichts mehr. Nicht leben. Nicht sterben. Nur meine Ruhe. Nein, ich will nicht meine Ruhe haben. Ich will, dass Alvel zurückkommt.
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Alt 14.06.2005, 12:33
#27
Tari Ceres
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Beiträge: 1.193
Der Morgen war noch lange nicht angebrochen, als Tari sich aus Levins gerade ausreichend großem Bett erhob. Leise streifte sie sich Stiefel und Robe über und betrat die Stube, wo Chana noch immer zusammengesunken auf einem der Sessel saß und schlief. Ein leiser Seufzer entfuhr Tari. Warum mussten ihre Freunde immer gleich alles so... schwer nehmen? Während sie zur Weide ging und Alvels Stute einfing, um sie ein wenig zu bewegen, dachte sie über den vergangenen Abend nach. Selbst für eine so an Arbeit gewöhnte Person wie sie war der Abend mehr als Arbeitsreich gewesen. Zuerst war Melina gekommen und ließ die Brandwunde begutachten, die sie von dem Duell mit Arian davongetragen hatte. Natürlich sprach auch sie Tari gleich auf ihre augenscheinliche Niedergeschlagenheit an. Aber was sollte sie schon groß erklären? Woher sollte dieses Gefühl schon kommen? Mittlerweile war es Tari fast schon gleich, was war, wer war und wo wer war. Ihr Geist sehnte sich nach Ruhe, Stille, Dunkelheit. So musste sich Melina an diesem Abend mit kargen, einsilbigen Antworten zufriedengeben. Selbst wenn sie wollte, was hätte sie ihr schon groß erzählen sollen? Sie wusste nicht, wo diese Niedergeschlagenheit mit einem mal herkam. Auch wenn es viele Dinge gab, die ihre Nerven belasteten, konnte sie doch keinem davon konkret eine Schuld an ihren Gefühlen geben.
Später am Abend suchte der Gardist sie auf, der sich auf ihren Aushang hin gemeldet hatte. Mit offensichtlicher Skepsis folgte er ihren Erklärungen, wozu sie Elementarmagier suchte und was sie von ihnen erwartete. Was sollte sie tun, ihr fehlte schlichtweg der Wille, seine Zweifel auszuräumen, sollte er glauben was er wollte. Es hatten sich genügend andere Magier auf ihren Aushang hin gemeldet. Überhaupt war ihr im Augenblick absolut nicht danach, über das Ritual nachzudenken. Es würde ohnehin fehlschlagen, Chana würde kein Kind bekommen. Missmutig schnippte Tari einen Krümel vom Tisch, als die Tür des Arbeitsraumes sich erneut öffnete und Gwes eintrat. Trotz ihres augenblicklichen Desinteresses an ihrer Umwelt, konnte sie ihre Überraschung nicht verbergen. Der kahlgeschorene Kopf und die graue Robe sprachen Bände über seinen Verbleib. In ihrem tiefsten Inneren war Tari erleichtert, endlich wieder ihre beste Hilfe im Haus zu haben, doch sogleich breitete sich wieder das Gefühl der Gleichgültigkeit in ihr aus und so verlief ihr Gespräch nur schleppend. Schließlich stimmte sie seinem Vorschlag zu, bei Riane einen Bissen zu essen. Im Tala angekommen sah sie sich sogleich nach einem leeren Tisch um und stellte erleichtert fest, dass der in der ruhigsten und dunkelsten Ecke noch leer stand. So steuerte sie diesen gleich an, ohne Gwes oder Chana und Arian, die gleich an der Tür saßen, weitere Beachtung zu schenken, und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Seufzend stützte sie die Ellbogen auf den Tisch und legte das Gesicht in die Hände. Wieder stürmten Fragen und Gedanken auf sie ein. Was wollte sie hier? Was sollte sie hier? Warum ging sie nicht einfach irgendwohin, wo es nichts gab? Warum erwartete man immer Freundlichkeit von ihr, liess ihr nicht die Freiheit, auch mal zu trauern? Warum konnten sie nicht bei ihr sein und ihre Laune einfach hinnehmen, anstatt mit aller Kraft dagegen anzuarbeiten? Traurig sein war so einfach, so... angenehm. Fröhlich sein hingegen laut, anstrengend, schwierig. Tari hatte dass unbewusste Gefühl, dass ihr etwas fehlen würde, wenn sie nicht mehr traurig sein durfte.
Mit leisem Klappern stellte Gwes ein Holztablett mit Essen vor sich ab. Offenbar hatte er bei Riane die richtigen Worte gefunden, denn ausnahmsweise war das Tablett liebevoll angerichtet. Sogleich machte ihr Magen lautstark auf sich aufmerksam. Seit Tagen hatte sie ihn vernachlässigt, höchstens mal lustlos einen Kanten Brot gegessen, wenn die Zwillinge frühstückten. Trotzdem konnte sie sich nicht überwinden, etwas zu essen. Ihr war einfach nicht danach. Stattdessen starrte sie das Tablett an, als habe Gwes ihr etwas giftiges serviert.
Nur beiläufig nahm sie neben sich ein Stühlerücken wahr, und erst Arians schroffe Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Missgelaunt wie immer forderte er Tari auf, Chana endlich zu erklären, was mit ihr los sei. Wut keimte in ihr auf. Hatte sie es nicht am Vortag erst zu erklären versucht? Sogleich drang aber wieder ihre Gleichgültigkeit durch. Sie konnte es ihren Freunden ein Dutzend Mal erklären, verstehen würden sie es trotzdem nicht. Wie sollten sie auch, wenn sie es selbst nicht verstand? Eine fremde und doch nicht gänzlich unbekannte Stimme brach in ihren Gedankengang ein. "Nun sagt ihr schon, was Ihr mir gestern gesagt hattet". Träge blickte Tari auf und erkannte in dem Fremden gleich den Mann, der sie am Vortag am Markt davon zu überzeugen versucht hatte, dass ihre traurige Stimmung mit dem Tränensammler zu tun hatte. Mittlerweile wusste sie auch, dass er sich als Heiler bezeichnete und würde so normalerweise gleich ihr Interesse wecken. Doch bevor sie auf ihn eingehen oder ihn abweisen konnte, hatten Chana und Arian den Mann bereits im Visir. Während Chana ihn schlichtweg nur zu vertreiben suchte, spürte Tari förmlich Arians Angriffslust. Als der Fremde dann erklärte, er würde vor Taris Haus warten, bis sie mit ihm redete, war ihr klar, dass das mit das dümmste war, was er vor Arian hätte sagen können. So ungerecht er sie gerade noch zurechtgewiesen hatte, war sie ihm nun doch dankbar, dass er versuchte, diesen Mann von ihr und ihrem Heim fernzuhalten. Nur einen kurzen Augenblick später betrat Lia den Raum und Gwes eilte davon. Tari seufzte. Es sah den beiden ähnlich, Streit zu suchen, aber wenigstens schienen sie diesmal auf derselben Seite zu stehen. Während Chana sich mit Lia beschäftigte, nutzte Tari die Gelegenheit und schlüpfte aus dem Tala. Vorbei an Sabrae, die sichtlich verwirrt unter dem Vordach des Tala stand, und schon dicht gefolgt von Chana, die sie aufzuhalten und zurückzuholen versuchte. Doch Tari wollte nicht reden. Konnte man sie nicht einfach in Ruhe lassen? Entschlossenen Schrittes ging sie heimwärts, blieb aber überrascht stehen, als sie Arian, Gwes und diesen Fremden vor ihrer Tür auffand. Wie sie es nicht anders erwartet hatte, versuchte Arian den Mann auf eher unfreundliche Art von ihrer Tür zu vertreiben, während Gwes es offenbar gelang, Arian davon zu überzeugen, dass keine Gewalt vonnöten war. Ohne die vier weiter zu beachten öffnete Tari die Haustür und ging hinein. Gerade wollte sie die Tür wieder zuziehen, als sie merkte, dass jemand seinen Fuß in den Spalt geschoben hatte. Seufzend trat sie beiseite und ließ Arian und Chana hinein. Ohne Umschweife, so wie es für ihn üblich war, versuchte er Tari zur Rede zu stellen, doch wieder wusste sie nicht, was sie antworten sollte. Bedrückt erzählte sie ihnen, dass sie Alvel vermisste und Angst hatte, dass ihm etwas zugestoßen sei oder er sich von ihr losgesagt hatte. Mit tonloser Stimme versuchte sie den beiden zu erklären, wie sie sich fühlte, warum sie sich ihrer Ansicht nach so fühlte und was der fremde Heiler damit zu tun hatte. Doch statt der üblichen Erleichterung, die sich in Tari ausbreitete, wenn sie sich ihre Sorgen von der Seele gesprochen hatte, fühlte sie nur weitere Leere und Trauer in sich. Nachdenklich blickte sie zu Arian. Er war für sie immer wie ein Bruder gewesen. Sie wusste, dass sie ihm alles anvertrauen konnte, dass er Rat für sie hatte aber in manchen Stunden auch einfach nur das Beisammensein mit ihr genoß. Warum war es jetzt nicht so? Fragende, verzweifelte Gedanken huschten durch ihren Kopf, während Arian ihr erklärte, dass sie sofort einen Eilboten nach Faerlan schicken und sich nach Alvel erkundigen sollte. Notfalls würde er sich persönlich darum kümmern, ihn schnellstmöglich zurückzuholen. Bis dahin sollte Tari mit den Zwillingen zu Chana ziehen, damit sie nicht so allein sei. Unwillkürlich seufzte Tari. in dem ganzen Jahr, das Chana nun mit Brulmir zusammenlebte, hatte sie das Haus, in dem die beiden lebten, nie betreten und hatte nun mittlerweile auch kein Interesse mehr daran, es zu tun. Bis vor ein paar Wochen hatte sie ja noch nicht einmal gewusst, wo genau es stand. Wenn die beiden dort ohne Besuch sein wollten, würde sie sich sicherlich nicht aufdrängen. So beachtete sie Arians Ausführungen nicht weiter, sondern entschuldigte sich und zog sich ins Schlafgemach zurück. Sollten die beiden für sich ausmachen, was zu tun war. Sie würde sich ganz sicher nicht einsperren lassen. Eher würde sie die Kinder nehmen und sich mit ihnen in das kleine Jagdhaus zurückziehen, von dem niemand wusste, wo es lag.
Eine Weile lag sie auf dem Bett und starrte an die Decke. Wie sehr vermisste sie ihren Alvel. Dieses Gefühl ihn verloren zu haben konnte doch nicht von ungefähr kommen. Sie war überzeugt, dass etwas geschehen sein musste, doch wagte sie nicht, einen Boten zu schicken. Zu groß war die Angst vor der Antwort.
Schließlich erhob sie sich wieder vom Bett. Wenn sie hier weiter herumlag, würden die anderen beiden sich nur noch mehr Sorgen machen. Als sie zurück in die Stube kam, stand Salunia bei den beiden und versuchte offenbar, Arian von einem Schlaf in ihrem Kinderbett zu überzeugen. Gerade hatte Arian nachgegeben, als es an der Tür klopfte. Draussen stand der fremde Heiler, der sie um die Erlaubnis bat, im Heilerhaus übernachten zu dürfen, da er keine Unterkunft hatte. Tari seufzte leise. Offenbar hatte er noch nichts vom Armenhaus gehört. Dennoch gab sie ihm schließlich die Erlaubnis, für einen Mond sein Lager dort aufzuschlagen, verlangte jedoch von ihm, dass er sich in der Zwischenzeit nach einer anderen Unterkunft umsah. Schließlich rang er ihr noch das Versprechen ab, am nächsten Tag mit ihr über den Tränensammler zu sprechen.
Als Tari die Tür wieder schloss und in die Stube blickte, waren Arian und Salunia bereits im Kinderzimmer verschwunden. So ging sie den beiden nach, um nach dem Rechten zu sehen. Eine Weile stand sie im Türrahmen und betrachtete Salunia, die bereits in ihrem Bettchen saß und Arian dabei beobachtete, wie er sich in selbiges zu quetschen versuchte. Zweifellos hatte der Anblick, wie Arian da in diesem kleinen Gitterbett hockte, etwas komisches an sich. Vermutlich hätte Tari an jedem anderen Tag herzlich darüber gelacht. Doch heute war ihr nicht danach. So schlug sie ihm vor, sich doch mit Salunia in Levins Bett zu legen, das etwas größer war und keine Gitter hatte. Doch Arian weigerte sich und gleich spürte Tari wieder einen Stich in ihrem Herzen. Wie konnte Arian so ein liebevoller, väterlicher Mensch zu den Zwillingen sein und gleichzeitig so gemein und respektlos gegenüber Levin? Schließlich schaffte sie es, Arian wenigstens davon zu überzeugen, mit dem kleinen Mädchen im Elternschlafzimmer Ruhe zu suchen. Sie selbst fühlte sich in dem großen Bett ohne Alvel ohnehin unwohl, und Levins Bett war sie von den vielen Nächten, in denen die Kinder Albträume hatten oder krank waren, ohnehin schon gewohnt.
Zurück in der Stube ließ sie sich in den nächstbesten Sessel fallen, wo sich Chana bald zu ihr gesellte. Rasch jedoch hatte der Schlaf ihre Freundin übermannt, so dass sie eine Decke holte und sie zudeckte, ehe sie ins Kinderzimmer ging, um selbst ein paar Stunden unruhigen Schlafes zu bringen.

Vorbei an der Zwergenstadt ritt sie aufs Meer zu, unter ihr die Occloerstute Mücke, die sich mittlerweile auch von ihr ohne Zügel führen ließ. Das Pferd genoß den gestreckten Galopp sichtlich, war die letzte Jagd mit Alvel doch schon eine ganze Weile her. Auch in Tari breitete sich ein Gefühl von Freiheit aus, während sie die Küste entlangritt. Schließlich waren sie an dem kleinen Holzhaus angekommen, dessen Bau gerade noch rechtzeitig vor Anbruch des Winters fertiggestellt worden war. Langsam ließ Tari sich vom Pferderücken rutschen und führte die Stute in das geräumige Gatter, wo sie sogleich von zwei aufgescheuchten Hühnern begrüßt wurde. Wie friedlich es hier war. Was würde Tari nur dafür geben, ebenfalls bald wieder einen solchen Frieden empfinden zu dürfen...
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Alt 23.06.2005, 12:25
#28
Tari Ceres
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Tari wusste mittlerweile gar nicht mehr, wie viel Zeit vergangen war. Waren es nur ein paar Tage gewesen? Oder doch schon einige Wochen, Monate? Es war jeden Tag der gleiche Trott. Aufstehen, Kinder füttern, Kinder anziehen, Kindern etwas vorlesen, Kinder zur Nachbarin, Heilerhaus, Tala, Kinder wieder abholen, füttern, ins Bett bringen, Geschichte erzählen und vorm Kamin sitzen bis sie vor Müdigkeit umfiel. Sie konnte nicht einmal sagen, warum es so war. Die einzigen Dinge, die sie wirklich nicht missen wollte, waren ihre Kinder, aber Tari wusste, wenn sie sich nicht wenigstens ab und an in der Stadt und im Heilerhaus zeigen würde, würde Chana wahrscheinlich binnen 2 Stunden wieder bei ihr eingezogen sein.

Auch in den letzten Tagen hatten ihre Schritte sie deshalb wieder ins Zentrum Britains geführt.Eher zufällig traf sie dort auf Aledan, doch kamen sie nicht zu einem Gespräch. Der Mann, der ihre Tränen gekauft hatte, und nach Ansicht der anderen Schuld an ihrer Trauer hatte, war dabei, seinen Stand aufzubauen. Während Aledan loseilte, die Garde zu rufen, war Tari bereits mit Alden zu dem Mann hin, um ihn zur Rede zu stellen. Offenbar wusste der Händler gar nicht, was sie von ihm wollten, völlig unbeteiligt blickte er sie an und ging nicht auf ihre Fragen ein. Tari sah Alden an, dass er den Händler am liebsten in Stücke gerissen hätte, und ihr ging es nicht anders, doch hätte es keinem von ihnen etwas gebracht. Schließlich kam ein Gardist um die Ecke, den Aledan geholt hatte. Umständlich nahm er den Händler fest und führte ihn zur Gardisterei. Auf halbem Wege hielt der Gardist inne, und forderte die anderen zum Bleiben auf, doch Tari dachte gar nicht daran. Es war ihr gutes Recht zu erfahren, was mit ihren Tränen geschehen war, und so gestattete der Baron, der zufällig des Weges gekommen war, ihr und den anderen, den Händler in die Gardisterei zu begleiten. Tari kannte den Ablauf von Verhören mittlerweile genau und sie hatte noch niemanden erlebt, der verhört worden war, ohne mit blauen Flecken oder Kerkerhaft davonzukommen. Umso erstaunter waren sie und die anderen, als der Baron so freundlich mit dem Händler sprach, als wäre er ein Vogt oder ein ranghoher Gardist. Keine forschenden Fragen, wie der Major sie gestellt hatte, stattdessen hörte Bol von Britain sich die Lügen und Unterstellungen des Mannes an und glaubte sie, ohne Tari oder die anderen zu fragen, ob sie dies vielleicht bezeugen konnten. So hätte Tari dem Baron auch gleich versichern können, dass Myrikenes der Heiler ganz sicher nicht die Tränen vom Händler gestohlen hatte, wie dieser behauptete. Dazu hatte Myrikenes sich viel zu sehr darum bemüht, die Angelegenheit aufzuklären, und so etwas bösartiges, wie Tränen zu verfluchen, traute sie ihm schlichtweg nicht zu. Doch ihre Ansicht wurde nicht gefragt, stattdessen wurde der Händler mit höflichen Worten und 5.000 Goldstücken als Entschädigung für seinen Marktstand, den Alden angeblich zerstört hätte, des Landes verwiesen. Tari und die anderen trauten ihren Augen nicht. Die Garde war für ihre Unhöflichkeit bekannt, umso mehr verwunderte es sie, dass ein Fremder, der unter dem Verdacht der Hexerei stand, einfach so gehen durfte, ohne vielleicht noch von der Inquisition befragt zu werden. Tari, Aledan und Alden waren schlichtweg ausser sich. Der Baron hatte gesagt, das Wohl seiner Bürger läge ihm am Herzen, doch was da in der Gardisterei vor sich gegangen war, strafte seine Reden Lügen. Stattdessen war der Major am nächsten Tag auf der Suche nach Myrikenes. Seitdem hatte Tari ihn nicht mehr gesehen, und sie war sich sicher, dass er mittlerweile im Kerker der Garde saß. Offenbar hatte man ihm, der in ihren Augen völlig unschuldig an der Sache war, nicht so leicht geglaubt, wie diesem fragwürdigen Händler.
Unter normalen Umständen wäre Tari wirklich aufgebracht gewesen, doch mittlerweile berührte sie all das nicht mehr. Nichts berührte sie mehr, und sie merkte, dass sie zu nichts mehr Angang hatte. Wieder trugen ihre Schritte sie in den Tala, wo sie gleich am ersten Tisch Tarnum entdeckte. Bei ihrem letzten Zusammentreffen hatte er eine Auseinandersetzung mit Arian gehabt, über sie. Am Ende dieses Streites hatte er Tari stehen lassen, mit den Worten sie solle aufhören, alle außer sich in Schutz zu nehmen. So war Tari sich nun nicht sicher, ob er immer noch wütend auf sie war, und trat eher leise an seinen Tisch heran, um ihn zu begrüßen. Er sah nicht auf und seine Worte waren mehr als knapp. Aha. Seine Exzellenz war offenbar immer noch verärgert. Oder eher nein: er schmollte schlichtweg. Tari hätte gern mit ihm geredet, sie fühlte sich wohl bei Tarnum, aber grundlos zu Kreuze kriechen würde sie auch bei ihm nicht. So entschuldigte sie sich für die Störung und nahm bei Riane am Tresen Platz. Eine Weile saß sie da, starrte auf ihren Becher mit Wasser und wusste schlichtweg nicht, was sie tun sollte. Langsam gingen ihre Gedanken in dumpfes Brüten über. War es nicht eh alles sinnlos? Sie glaubte nicht mehr daran, dass sich etwas ändern könnte. Selbst wenn der Händler Recht hatte und ihm die Tränen gestohlen worden waren... Der Dieb war sicher längst über alle Berge. Während sie so in Gedanken versunken am Tresen saß, kam Melina, und später Chana zu ihr hinzu. Tari wusste nicht wirklich, was die beiden sprachen, sie konnte und wollte ihnen nicht zuhören und so beschränkte sie sich auf ab und an eingeworfene "Ja", "gewiss", "gut". Einmal erwischte Tari sich sogar dabei, ein zustimmendes Nicken von sich zu geben, als Melina und Chana längst wieder gegangen waren. Was sollte sie tun? Seufzend tasteten ihre Finger nach ihrer Tasche, auf der Suche nach irgendetwas, wie ihre Finger sich beschäftigen konnten außer mit dem Rand ihres Bechers. Schließlich hatte ihre Hand einen Gegenstand gefunden und zog ihn aus der Tasche. Es war ihr silberner Dolch, den sie weniger zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken immer bei sich trug, sondern um mit der scharfen Klinge Kleidung, Bandagen und Fäden zu durchtrennen. Nachdenklich betrachtete sie das Messer. Es lag gut in der Hand. Als Heilerin fielen ihr auf Anhieb 20 Wege ein, wie sie mit diesem Messer ihre Probleme lösen könnte. Wobei "lösen" vielleicht der falsche Begriff war. "Beenden" traf es eher. Alles beenden. Einfach alles hinter sich lassen.
Schließlich steckte sie das Messer leise seufzend wieder weg, und warf dabei ihren mittlerweile leeren Becher vom Tresen, der am Boden klirrend in tausend Einzelteile zersprang. Nur den Bruchteil einer Sekunde später standen schon Chana und Melina neben ihr und betrachteten sichtlich erschrocken das Geschehen. Tari selbst starrte dem zerbrochenen Becher erst einen Augenblick nach, ehe sie verstanden hatte was geschehen war und langsam vom Stuhl rutschte um die Scherben aufzusammeln. Dann legte sie selbige auf den Tresen, nicht bemerkend, dass sie sich an einer Scherbe offenbar geschnitten hatte. Als Melina sie darauf hinwies betrachtete sie den Schnitt nur einen Augenblick verwundert, ehe sie die Hand in ihrer Manteltasche verschwinden ließ und sich wieder der Betrachtung des Tresens widmete. Tari folgte dem Gespräch der beiden nicht mehr weiter, erst als der Major zu ihr trat und sie direkt ansprach, bemühte sie sich um eine Antwort, die sie ihm nicht geben konnte. Sie hatte keine Ahnung mehr, wie der Magier aussah, der etwas von einem Ritual erzählt hatte, denn sie war beschäftigt gewesen, mit Valore zu sprechen. So ließ auch der Major sie schließlich in Ruhe und Tari nutzte die Gelegenheit, um den Tala zu verlassen und heimzugehen.

Dort verbrachte sie noch einige Stunden grübelnd auf ihrem Sessel, ehe der Schlaf sie schließlich übermannt hatte.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 23.06.2005, 21:33
Recht und Unrecht
#29
Tari Ceres
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Tari war fassungslos, was sie da eben auf dem Markt hatte miterleben müssen. Schon vor ein paar Tagen bemerkte sie Myrikenes Fehlen im Heilerhaus. Nahe lag die Vermutung, dass man ihn in den Kerker geworfen hatte, unter dem Verdacht, er habe die Tränen gestohlen. Tari war mehr denn je überzeugt gewesen von seiner Unschuld.

Abends war sie im Tala eher zufällig auf einen Mann gestoßen, der ihr eine Geschichte aus seinem Dorf erzählte: Auch dort war der Tränenhändler gewesen, doch erzählte der Mann weiter, dass Jaako gelogen hatte. Die Tränen waren ihm nicht gestohlen worden, der Fremde war Augenzeuge geworden, wie der Händler die Tränen eigenhändig fortgeschafft hatte. Das war der Beweis für Myrikenes Unschuld! Eilig ritt Tari nach einem kurzen Treffen mit Aledan und Alden zurück nach Britain. Sie hoffte, den Major irgendwo anzutreffen um ihn von den jüngsten Entwicklungen zu unterrichten. Doch statt dessen fand sie auf dem Markt einen Richtplatz vor, und in Ketten gelegt vorm Henkersblock: Myrikenes. Soeben war der Baron dabei, die Hinrichtungsgründe vorzutragen: Falsches Verhalten und falsche Anschuldigungen gegenüber Adel und Garde.
Erschüttert schüttelte sie den Kopf. Bis heute verstand sie nicht, wie auf so etwas die Todesstrafe stehen konnte. Ganz abgesehen davon, dass es sowieso in der Willkür des Adels lag zu entscheiden, was eine Beleidigung war und was nicht, traute sie Myrikenes ganz und gar nicht zu, jemanden schlimm zu beleidigen. Wie viel plausibler klang es da, dass die Garde offenbar versucht hatte, ein falsches Geständnis aus ihm herauszupressen? Tari war sich sicher, dass es mit ihrer Höflichkeit auch nicht weit hin wäre, wenn man ihr eine Tat unterstellte, die sie nicht begangen hatte. Und das ausgerechnet jetzt, wo der Tränenhändler als Lügner entlarvt war. Das kam also davon, wenn man anderen Leuten grundlos mehr glaubte, und anderen genauso grundlos weniger. Tari war davon überzeugt, dass Myrikenes sein Leben letzten Endes nur durch die Lüge des Händlers verwirkt hatte. Sie kannte ihre Mitarbeiter gut genug um sicher gehen zu können, dass sie den Adel oder die Garde nicht einfach aus Lust und Laune heraus beleidigen würden. Aus ihrer Sicht war das, was sie eben miterlebt hatte, schlichtweg ein Verbrechen.

Und sie hatte zugesehen.

Wie hatte sie das tun können? Hätte sie nicht versuchen sollen, einzugreifen? Wo sie so überzeugt von der Unschuld des Mannes war? Doch dann wäre wahrscheinlich auch ihr eigenes Leben verwirkt gewesen. Nachdem sie schon vor Wochen ihren Willen verloren hatte, weiterzumachen, hatte sie nun offenbar auch noch ihre Courage verloren. Tari konnte sich selbst nicht mehr in die Augen sehen.

Wohin sollte das noch führen?
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Alt 27.06.2005, 12:14
#30
Tari Ceres
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Der Wind, der über die weite Wiese fegte, nur um gleich darauf von den Bäumen am Waldesrand gebrochen zu werden, war eisig hier draussen. Ein Fensterladen, der vom Wind losgerissen worden war, klapperte laut hin und her. Ungebremst rüttelte der kalte Winterwind am Haus, das der Naturgewalt trotzte. Nicht lange und es würde der erste Schnee fallen. Zum Glück hatte sie noch vor Wintereinbruch genügend Holz und Heu besorgen können, so dass die Kinder und sie nicht frieren und die Pferde nicht hungern mussten. Nachdenklich sah sie aus dem Fenster und beobachtete die Pferde. Den beiden schien das Wetter nichts auszumachen, sie standen dicht beieinander und knabberten sich an der Mähne. Einen Augenblick lächelte Tari. Diese kleine Occloerstute sah mit Winterfell wirklich eigenartig aus. "Kuselig", wie die Zwillinge zu sagen pflegten. Glücklicherweise lag die Weide halbwegs vom Wind geschützt, so dass die Tiere wenigstens nicht frieren mussten, wenn sie schon nicht sehr viel Auslauf bekamen. Hier draussen war schlichtweg nichts, und sie konnte die Kinder nicht allein lassen, so dass sie nur einmal im Mond für das Nötigste in die nächste Stadt ritt.
Ein leiser Seufzer entfuhr Tari. Wie lange sie wohl hierbleiben würde? Wahrscheinlich den ganzen Winter über, allein wegen des Wetters würde Alvel kaum vor dem Frühjahr ankommen. Ihren nahenden Geburtstag würde sie wohl nicht feiern, aber vielleicht war er zu ihrem 2. Hochzeitstag zurück. Zwei Jahre... lebte sie nun wirklich schon so lange an seiner Seite? Es kam ihr vor, als wäre es gestern gewesen, dass sie ihn kennengelernt hatte. Und wie rasch sie dann zu ihm gezogen war, weil sie sich in ihrem alten Haus als Fremde fühlte. Wenn sie das nächste mal in die Stadt ritt, würde sie an ihrem ersten gemeinsamen Haus vorbeireiten. Es interessierte sie doch zu sehr, was für Leute dort wohl nun wohnten.
Gemächlich erhob Tari sich von ihrem Stuhl. Es dämmerte schon etwas und die Kinder spielten friedlich am Kamin und so wollte sie die Zeit nutzen, den Garten auf den Winter vorzubereiten. Mühselig erntete sie das letzte, schon etwas angefrorene Gemüse und legte es in eine Kiste. Dann bedeckte sie das Beet mit Stroh. Diese Arbeit fiel ihr nicht leicht, denn obgleich die Trauer, die sie in den letzten Monden verspürt hatte, verschwunden war, forderte ihr Körper, den sie in der Zeit eher vernachlässigt hatte, seinen Tribut. Einen Moment lang wurde ihr schwarz vor Augen und sie griff haltsuchend nach dem Zaun. Gleich darauf war das Gefühl aber wieder verschwunden und sie begab sich zurück ins warme Innere des Hauses. Tari wusste, wenn ihr hier etwas geschah, war niemand in der Nähe um zu helfen. Trotzdem bereute sie ihre Entscheidung nicht. Das Heilerhaus war bei Gwes und Chana in guten Händen und so konnte sie die Abgelegenheit und Ruhe ihres Hauses nutzen, das Ritual für Chana vorzubereiten. Im Frühjahr sollte es so weit sein, hatte sie beschlossen, und bis dahin gab es einiges zu tun.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 09.07.2005, 11:24
#31
Tari Ceres
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Leise betrat Tari das in nächtlicher Stille da liegende Haus. Nur wenige Stunden zuvor hatte Alvel mit einer Engelsgeduld versucht, die widerspenstigen Zwillinge ins Bett zu bringen. Die beiden Mädchen waren wirklich schlimmer, als ein Sack Flöhe, immer wieder fiel ihnen neuer Unsinn ein. Vor allem der Trick, über das Gitterbett auf ihre Truhe zu klettern, um von dort auf den Boden zu rutschen, um so aus dem Bettchen auszubrechen, war nicht von schlechten Eltern. Tari musste gar nicht groß nachdenken, von wem die Mädchen das wieder hatten. Leise öffnete sie die Kinderzimmertür, wo die beiden Mädchen friedlich schliefen. Dann fiel ihr Blick auf das dritte, leere Bett. Ein wehmütiges Seufzen entfuhr ihr. Wann würde sie Levin wiedersehen? Ob er sich überhaupt noch an seine Schwestern erinnerte? Leise, um die Kinder nicht zu wecken, schloß sie die Tür und wandte sich zum Schlafzimmer um. Alvel würde sicher schon...
Nein, würde er nicht. Schon vor Tagen hatte er dem Major einen Brief geschrieben, in dem er um Wiederaufnahme in die Garde bat. Heute abend nun, waren die beiden verabredet, um genauer darüber zu sprechen. Wenn sie das Gesicht des Majors richtig deuten konnte, war Alvel nun schon längst wieder Mitglied der Garde, und wahrscheinlich auch gleich für einen Auftrag unterwegs.
Für einen Augenblick zog sich beinahe krampfhaft ihr Magen zusammen. Sie wollte nicht, dass Alvel wieder zur Garde ging, zu sehr lag ihr noch der Schrecken in den Knochen, als sie über einen halbtoten Gardisten gestolpert war, und Melina nur Augenblicke später mit ihrem nicht minder schwer verletzten Gatten zu ihr kam. Natürlich erklärte niemand ihr mehr, als sie wissen musste. Dennoch konnte sie sich aus dem, was sie sah und hörte, einiges zusammenreimen: Der Major und zwei weitere Gardisten waren in einen Hinterhalt geraten und dort übel zugerichtet worden. Offenbar war der eine von ihnen verschwunden (Tari mutmaßte, dass es sich um den Baron von Britain handelte, denn die erste Frage der beiden galt seinem Verbleib.). Tari bezweifelte, dass der Major und der Gardist am Leben hatten bleiben sollen. Glaron sei Dank waren die Verletzungen zwar schwer, aber nicht an sich lebensgefährlich. In den nächsten Tagen glich das Heilerhaus einer kleinen Festung. Ständig wurde kontrolliert, wer das Haus betrat und was er wollte, selbst zu spätester Nachtzeit traf man noch Gardisten an. Ruhe war erst eingekehrt, als der Major sich selbst entlassen und man den anderen Gardisten mit einer Trage abgeholt hatte.
Mitten in diesen Geschehnissen war Alvel heimgekehrt, erkältet von der unbequemen Schiffsreise, doch sichtlich besser gelaunt. Tagelang hatte Tari versucht, Alvel von der Garde fernzuhalten. Doch mit jedem Tag, an dem er ihr diesen Gefallen tat, wurde er missmutiger, und so hatte sie schließlich nachgegeben. Letzten Endes musste er es für sich selbst wissen, und wenn sie nur die Wahl hatte zwischen einem übellaunigen Ehemann und der ständigen Angst vor seinem Tod, musste sie wohl mit zweiterem Leben.

Mit einem mal ertönte hektisches Klopfen an der Tür, und augenblicklich fuhr neuer Schmerz durch ihren Magen. Da musste etwas passiert sein! Rasch öffnete sie Tür, und war für eine Sekunde verwundert, niemanden zu sehen, als ein lautes, freudiges "MAMA!" an ihr Ohr drang. Schließlich entdeckte sie Levin, ging in die Hocke und drückte ihn fest an sich, ehe er auch nur den Hauch einer Chance hatte, ihr zu entkommen. "Wo kommst du denn auf einmal her? Und wie groß du geworden bist. Hat es dir in Faerlan gefallen?" Tari war völlig aus dem Häuschen über die überraschende Rückkehr ihres Sohnes. Jeder wusste, dass Levin eigentlich nicht wirklich ihr Kind war, und die Rührung zog sich fast schmerzhaft um ihr Herz. Das war das erste Mal gewesen, dass er sie "Mama" genannt hatte, und nicht "Ari".
Den weiteren Abend verbrachte sie damit, Levin über seine Reise auszufragen, und ihn immer wieder glücklich zu betrachten. Sie gab sich keinerlei Mühe, ihre Freude und Rührung zu verbergen, lange war sie nicht so glücklich gewesen wie jetzt, als Levin auf ihrem Schoß saß und begeistert von seiner Reise erzählte. Auch Fami, die wieder einmal nicht schlafen konnte, kam später hinzu und selig lächelnd beobachtete Tari die Kinder dabei, wie sie sich erkannten und Unterschiede in ihrer Größe feststellten. Levin hatte sich wirklich verändert. In der Zeit, in der er fort war, hatte er wirklich einen guten Schuß gemacht. Er wirkte mutiger, und vor allem ordentlicher. Auf dem ersten Blick fiel ihr keine der Unsitten auf, die Sec ihm damals beigebracht hatte, für einen fünfjährigen fand sie sein Benehmen tadellos, auch wenn er sicher nicht mit Kalian mithalten konnte, dem Muster an guter Erziehung. Zumindest wenn Arian oder Sabrae daneben standen, dachte Tari schmunzelnd.
Gerade wollte sie mit den Kindern einen kleinen Ausflug durch das friedlich im Schnee daliegende Britain machen, als Alvel heimkehrte. Er war sichtlich blaß um die Nase, und sein Verhalten verriet Tari, dass er gleich an seinem ersten Tag so einiges erlebt haben musste, was andere nicht so schnell verkraften würden. Doch auf ihre Fragen, was geschehen sei, erhielt sie keine Antwort. Melina hatte Recht: Sie war nur mit dem Zivilisten verheiratet. An dem Gardisten Alvel hatte sie keinerlei Ansprüche und sie würde nie wirklich etwas über seine Arbeit von ihm erfahren.
So brachte sie dann die Kinder ins Bett, und gesellte sich noch einen Augenblick zu Alvel, ehe auch die beiden sich zur Ruhe begaben.

Jetzt hatte es also wieder angefangen, dieses Leben zwischen Stolz über Alvel und der Angst um sein Leben. Tari konnte nur hoffen, dass das Schicksal nach all dem Leid endlich einmal etwas Glück für ihren Mann bereithielt.
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Alt 16.07.2005, 11:13
#32
Tari Ceres
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*aus Taris Notizen:*

Es ist schon merkwürdig, wie leicht die Welt um einen erschütterbar ist. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, ihn oder seine Welt wirklich gekannt zu haben, auch wenn ich nie wusste, ob ich ihn achten oder verachten sollte, für das was er tat. Wahrscheinlich muss man für ein Amt wie er es hatte, geboren sein. Zwei Tage ist es nun her, dass der Major seiner Frau die schlechte Nachricht überbracht hatte. Es war schrecklich, zu sehen wie sie litt, und ich mache mir Sorgen, dass sie eine Dummheit anstellt. Auf keinen Fall hätten wir sie im Lazarett allein lassen sollen. Aber steht mir das Recht zu, dem Major Anweisungen zu geben? Wohl kaum.
Gestern habe ich dann Melina im Tala angetroffen. Offenbar war auch sie schon von seinem Tod in Kenntnis gesetzt worden, und offenbar hatte man auch sie zum Schweigen verpflichtet. Es ist nicht sonderlich angenehm, Wissen mit sich herumzutragen, das alle angeht, und nicht darüber sprechen zu dürfen. Es ist weniger sein Tod, der mich trifft, als die Tatsache, dass ich unsere Vögte, Barone und den Herzog irgendwie immer für unangreifbar hielt. Ich weiss, es war ein dummer Gedanke, aber irgendwie dachte ich, solche Leute würden immer da sein, fast als seien sie unsterblich, unverletzlich. Seine Familie und seine Freunde tun mir leid. Als meine Eltern starben war ich viel zu klein, um richtig zu trauern. Ich weiss nicht, was es bedeutet, jemanden zu verlieren, den man liebt. Ich fürchte, das einzige, was ich tun kann, ist da sein und zuhören.

Alvel sagt, ich soll mir nicht so viele Gedanken machen. Ihn selbst trifft der Tod des Barons schwer, war er doch sein Vorgesetzter. Es führt einem die eigene Sterblichkeit vor Augen, denke ich. Wenn ich daran denke, dass Alvel bei dem Überfall dabei gewesen wäre, und nun vielleicht ebenfalls tot, wäre er nur ein paar Tage eher aus Faerlan zurückgekehrt... Wie soll ich solche Gedanken abstellen? Wie soll ich mir keine Sorgen machen um sein Leben? Er sagte mir, er habe nun seinen Eid geschworen, ein zurück gäbe es nun nicht mehr, Gardist bis in den Tod. Meine Güte... Ich weiss nicht wie ich, wie wir alle, die wir die Frauen von Gardisten sind, ruhig da sitzen können sollen, warten, bis unsere Männer eines Tages im Dienst sterben. Ich weiss nicht, was ich dann tun würde, tun sollte. Am liebsten würde ich die Augen einfach schließen, ignorieren, welch gefährliches Leben mein Mann führt, mir einreden, dass es nur die anderen treffen wird, uns selbst gewiss nicht. Lebt es sich mit einer Lüge leichter? Lebe ich leicht? Wäre nicht mein ganzes Leben eine einzige Lüge? Belüge ich mich nicht schon die ganzen Jahre selbst? Doch kann ich der Wahrheit, dem Leben, seinen Schatten, ins Auge sehen?

Wie beneide ich Chana, dass ihre einzige Sorge ist, endlich schwanger zu werden.
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Geändert von Tari Ceres (16.07.2005 um 11:16 Uhr).
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Alt 19.07.2005, 12:10
#33
Tari Ceres
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Was für ein Tag. Ich war auf einer der Inseln. Manchmal, wenn ich Langeweile habe, streife ich ab und an durch die Höhlen und übe mich in der Beschwörung von Wesen. Eigentlich ist es ja nicht zwingend notwendig aber es ist ein netter Ausgleich zu meiner Arbeit. Zu sehen, was ich schaffen kann, ja, ich gebe zu ich bewundere die Kraft meiner Geschöpfe. Zumeist bediene ich mich eines Ophidiankriegers oder eines Waldgeistes. Ich weiss nicht, ich mag diese Wesen. Gestern aber ist etwas merkwürdiges passiert.
Ich hatte einen Ophidian herbeigerufen und wollte tiefer in die Höhlen eindringen. Doch das Gelände ist recht uneben, überall sind Felsen und Erdspalten und mit der Intelligenz eines solchen Wesens ist es nicht weit her. Ich versuchte, ihn mit Befehlen an den Spalten vorbeizudirigieren, doch er reagierte nicht mehr. Stattdessen fing er an, sich zu verändern. Der Schwanz schrumpfte, und die Haut schien an manchen Stellen Blasen zu werfen. In meinem ganzen Leben habe ich nicht so einen markerschütternden Schrei gehört, wie von diesem Wesen (niemals hätte ich gedacht, dass ein beschworenes Wesen Schmerz empfinden kann). Schließlich ließ es seine Waffe fallen und verwandelte sich in einen... meine Güte ich kann es immer noch nicht fassen, ich weiss nicht, wie das passieren konnte. Es verwandelte sich in einen Dämonenritter. Warum ich die erkenne? Weil ich schon einmal einen beschworen habe, wenn auch unbewusst. Aber niemals, niemals ist es mir vorher geschehen, dass sich ein von mir beschworenes Wesen ohne mein Zutun in seiner Form gewandelt hat. Viele von uns können sich sicher noch gut an den Schatten erinnern. Doch allein vom Eindruck ist der nichts gegen dieses gigantische Wesen. Ich verstehe das nicht. Seit mir dieses... Missgeschick passiert ist, sehe ich überall solche Wesen. Ich dachte ja immer, meine Augen spielen mir einen Streich, aber dieser Dämon gestern, er war so wirklich. Glaron sei dank ließ sich die Beschwörung trotz allem ohne weiteres beenden. Ich weiss nicht, was ich getan hätte, wenn sich herausgestellt hätte, dass der Dämon ein echter gewesen wäre. Was wollen diese Wesen von mir, ich verstehe es nicht. Oder bilde ich mir das doch alles nur ein? Vielleicht sollte ich erst einmal einen Mond Pause machen, bevor ich wieder ein Wesen beschwöre. Und vielleicht sollte ich versuchen, mich besser zu konzentrieren.

So, es wird Zeit, ich muss das Ritual vorbereiten. Hoffentlich geht nichts schief, das wäre schrecklich.


Noch einmal liest Tari den Zettel. Dann knüllt sie ihn zusammen und wirft ihn ins Feuer, ehe sie ihren Mantel nimmt und das Haus verlässt*
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Alt 19.07.2005, 22:18
#34
Tari Ceres
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Leises Vogelgezwitscher durbrach die Stille der Nacht und kündigte die nahende Morgendämmerung an. Langsam erhob sich die Sonne am Horizont und versprach einen schönen, sonnigen Wintertag. Nur vereinzelt konnte man kleinere Wolken am Morgenhimmel erkennen, die sich im Laufe der Zeit von einem Sonnenbeschienenen rosa in ein klares Weiss wandelten. Trotz der frühen Stunde befanden sich schon einige Personen im Tala, darunter zwei in recht auffällig und edel anmutender Kleidung. Ein feiner Schimmer schien von ihnen auszugehen, die das Weiss und Grün der Roben zu verstärken schienen. Bald darauf öffneten sich die Türen des Tala, und nach und nach traten weitere Personen in den Raum, allesamt in Roben gekleidet, deren bunte Farben ungewöhnlich intensiv schienen. Schließlich war die Nummer der Anwesenden auf acht gewachsen. Gemeinsam verließ die Gruppe den Tala wieder, vor dessen Türen die blonde, weiss gekleidete Person ihre Hände hob und leise, aber konzentriert die Worte sprach, die nötig waren um ein Reisetor zu öffnen.

Mit aufmerksamen Blick und zweifellos erwartungsfreudigem Herzen traten die Personen aus dem Tor wieder heraus. Rasch zählte die weissgekleidete Frau, ob alle anwesend waren und führte die Gruppe dann zu einem kleinen Kreis aus Pflanzen, der dort wild gewachsen schien und in seiner Form doch so wirkte, als habe ihn jemand vor langer Zeit angepflanzt. Nacheinander betraten die bunt gekleideten Personen den Kreis, dabei jeweils einen bestimmten Platz einnehmend. Obgleich kein Wort gesprochen wurde, schien jeder genau zu wissen, wo er hingehörte. Während die fünf Magier den Kreis ausfüllten, und eine kleine, ebenfalls weiss gekleidete Frau mit einem Mann, der offenbar ihr Gatte war, sich in der der Mitte des Zirkels aufstellte, verteilte die blonde Frau Räucherwerk um den Kreis und entzündete es. Sogleich begann feiner, weisser Rauch über den Boden zu wabern. Danach zog sie einen silbern schimmernden Dolch aus ihrem Gürtel und stach ihn tief in den Erdboden. Während sie leise Entschuldigungen zum Boden murmelte, lief sie langsam um den Pflanzenkreis herum, den Dolch dabei nach sich ziehend und so eine feine Narbe im Gras hinterlassend. Schließlich war der Kreis geschlossen, und auch die Frau betrat den Kreis.
Mit konzentriertem Gesichtsausdruck entzündete sie eine Kerze und trat dann auf die erste, in schimmernden Gelb gekleidete Person zu. Leise holte sie Luft, ehe sie mit fester, klarer Stimme zu sprechen begann. "Kreatur der Luft, Hüter der Winde, ich reinige dich und weihe dich, um alles schlechte in der Welt zu vernichten." Und mit ebenso fester und entschlossener Stimme antwortete die gelbgekleidete Frau "So ist es und so sei es." Offenbar war war dies die Antwort, die die Frau erwartet hatte, denn sie neigte respektvoll ihren Kopf und wandte sich dann der nächsten Person zu. Auch hier sprach sie mit fester Stimme: "Kreatur des Wassers, Hüter der Wellen..." und wieder erhielt sie die Antwort "So ist es und so sei es." Nach und nach vollzog die Frau diesen Dialog mit jeder der fünf im Kreis stehen Magier und beschwor damit die Kräfte der Elemente und der Natur. Anschließend traten sie und die fünf Magier auf das Paar in der Mitte zu. Die ebenfalls weiss gekleidete Frau schien der Mittelpunkt des Rituals zu sein, denn nun begann die gelbgekleidete Frau, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten schien, zu sprechen. "Die Kraft der Luft durchdringt dich und wird dir zu Diensten sein zwischen den Welten, in allen Welten, jetzt und immerdar" Wie in einer ungenannten, aber bestimmten Reihenfolge begannen nun auch die anderen Magier zu sprechen und versicherten der Frau der Hilfe des Elementes, das sie vertraten. Schließlich traten die Magier zurück, und nur die beiden weissgekleideten Frauen und der Mann blieben in der Mitte zurück. Sichtlich konzentriert holte die blonde Frau ein rotes Band aus ihrer Tasche und wand sie um das Paar, während sie leise sprach. "Schnur umwinde, Kräfte binde. Licht gespiegelt, sei versiegelt." Dann verschloß sie das Band mit einem leichten Knoten.
Anschließend nahm sie eine Schale zur Hand und füllte etwas Milch hinein. Dann streute sie eine handvoll Samenkörner in die Schale und reichte sie der anderen Frau. Dann hob sie die Hände und sprach erneut mit ihrer festen Stimme:

"Oh Mutter, sieh die Schale voller Leben
Wasser und Erde will ich Dir geben
Die Milch als Symbol der Mutterschaft,
die Samen für Wachstum und Manneskraft.
Die Flamme lass brennen voller Verlangen,
die Leidenschaft soll sie umfangen
Auf dass aus Luft neues Leben erwächst"

Mit sicherem Griff holte sie vier Kerzen aus ihrer Tasche, zwei rote und zwei blaue, die sie um das Paar herum aufstellte und entzündete. Und wieder erhob sie ihre Stimme und sprach:

"Im Kreis entzünd´ ich die Kerze nun, rot oder blau
Symbol für Mädchen, Mutter und alte Frau.
Sie brennet im Kreis mit Freud, nicht mit Schmerz,
schenk Tochter oder Sohn ihr, drum bittet mein Herz
Wir erbitten von Dir,
Gieß Fruchtbarkeit in ihren Schoß
Lasst den Keim in ihr erblühen
Damit sie bald ein Kind erziehen.
Neue Liebe in ihrem Heim
So woll´n wir´s haben, so soll es sein."

Gleich darauf erklang die letzte Zeile der Beschwörung auch aus den Mündern der anderen Magier. Ohne Hast löste die Frau das rote Band vom Paar. Dann ergriff sie wieder die Kerze und trat auf eine grün gekleidete Frau zu, die offenbar die Magie der Natur vertrat. "Gedankt seist du, Kreatur der Natur, Hüter des Lebens". Respektvoll neigte sie ihr Haupt vor der Frau und bedankte sich ebenfalls bei den anderen Vertretern der Elemente. Dann trat sie zurück in die Mitte des Kreises und senkte den Blick. Eine Weile konzentrierten ihre Gedanken sich auf den Wunsch ihrer Freundin und beschwor die Kraft der Magie noch einmal, ihr zu helfen, sie zu heilen. Dann hob sie dem Blick wieder und nickte jedem der Anwesenden sanft zu. Nacheinander verliessen die Teilnehmer dieses Rituals schweigend den Kreis, zuletzt die weiss gekleidete Frau. Mit konzentriertem Gesichtsausdruck begann sie, den mit dem Dolch gezogenen Kreis wieder aufzulösen, dabei Worte des Dankes an den Erdboden richtend.

Nach einem Augenblick des andächtigen schweigends öffnete sie erneut ein Reisetor, und die Gruppe löste sich auf.

Stunden später ließ Tari sich daheim auf einen der weichen Sessel fallen. Nachdenklich blickte sie in den Kamin. Während des Rituals hatte sie die Kraft der Magie deutlich gespürrt, doch schien sie hin und her zu wanken, schwächer zu sein, als erwartet. Nur von Elaya, die den Kreis der Natur vertreten hatte, schien ein gleichmäßig starker Strom an Magie auszugehen. Doch nun war das Ritual vorbei und eine tiefe Müdigkeit breitete sich in ihrem Körper aus. Sie hatte getan was sie konnte. Alles weitere lag nun nicht mehr in ihrer Hand.
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Alt 26.07.2005, 11:20
Wettlauf mit der Zeit
#35
Tari Ceres
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Es hatte gerade zu dämmern begonnen, als Melina vor ihrer Tür stand. Tari hatte angeboten, sie zur Beisetzung Bols zu begleiten. Nachdem die beiden einen raschen Tee getrunken hatten, erreichten sie die Kirche, vor der sich bereits einige Menschen eingefunden hatten. Eingelassen wurde bis auf Adel und engste Familie allerdings noch niemand, erst als die herzogliche Familie und der Sarg mit dem toten Baron die Kirche erreichten, durfte auch das restliche Volk eintreten. Während der Beerdigungsfeierlichkeiten hielt Tari Melinas Hand, die spürbar zitterte. Obwohl Tari praktisch in keinerlei Verbindung zu Bol von Britain stand, bekam auch sie einen Kloß im Hals, sah sie doch, wie sehr seine Witwe und seine Familie litten. Schließlich war der Gottesdienst beendet, und die Leute brachen zum Friedhof auf, um den Leichnam endlich zu bestatten.
Erst ging auch alles seinen ruhigen Gang, und Tari war eine der letzten, die bemerkt hatte, wie sich 3 Gestalten auf den Rand des Friedhofs geschlichen hatten, in ihrer Mitte mehr tragend als festhaltend, Bol von Britain. Binnen kürzester Zeit wurden die Trauergäste von Garde und Templern zum Rand des Friedhofes zurückgedrängt. Was dann geschah, ließ sich kaum mitverfolgen. Von Gift und Gegengift war die Rede, und einer der Männer zog einen Dolch. Dann trat plötzlich Rauch auf, offenbar eine Rauchbombe, der Baron fiel zu Boden und die drei Fremden verschwanden. Gesehen hatte Tari alle drei schon, doch wirklich sicher war Tari sich nicht, was ihre Namen anging. Nun musste alles schnell gehen. Tari eilte zu Bol. Vergiftet war er. Woher sollte sie wissen, was das richtige Gegengift war? Doch ehe sie irgendetwas tun konnte, wurde sie mit barscher Stimme von Erindor Brithil zurückbefohlen. Was um alles in der Welt sollte das? Da stellten sich der Inquisitor und einer der Paladine zusammen und... beteten. Einen Moment lang überlegte Tari, ob sie versuchen sollte, heimlich Magie anzuwenden, um dem Baron zu helfen, doch fürchtete sie, man würde seinen Tod ihr anlasten, sollte sie versagen. Doch dann schien sich ein Leuchten um Bol auszubreiten. Tari war tatsächlich einen Moment ausser Fassung: Hatte sie da gerade ein unmittelbares Einwirken Glarons erlebt, bewirkt durch die Kraft der Gebete?
Mit vereinten Kräften hob man Bol auf eine Trage und brachte ihn ins Lazarett der Garde. Tari wusste nichts über das Gift. Wie lange es schon im Körper des Mannes war, was es bei ihm verursachte, rein gar nichts. So tat sie, was sie konnte und flößte ihm schließlich mit Hilfe von Aurelie von Britain das stärkste Gegengift ein, das sie bei sich trug. Und tatsächlich schien es zu helfen, denn bald darauf gab Bol erste, schwache Lebenszeichen von sich. Tari fiel ein Stein vom Herzen, doch gerettet war er damit nicht. Der Trank hatte ihm höchstens etwas Zeit verschafft, ohne das richtige Gegengift war es höchst zweifelhaft, ob er jemals genesen würde. Doch zum Nachdenken kam Tari nicht, denn gleich darauf wurde ein Templer hereingebracht, der offenbar durch Säure verletzt worden war. Der Mann hatte Glück im Unglück. Obwohl die Säure seine Rüstung stark zerstört hatte, war dadurch doch der Großteil der gefährlichen Substanz nicht bis zu seiner Haut vorgedrungen, so dass nur oberflächlich einige Narben bleiben würden.
Einige Stunden verbachte sie noch damit, ständig zwischen dem Baron und dem Templer hin und herzulaufen, Tira weitere Anweisungen zu geben, mit ihrer Hilfe weitere Salben herzustellen und die beiden zu versorgen. Es war schon früher Nachmittag, als endlich Ruhe im Lazarett einkehrte, und Alvel sie zur Tür brachte. Doch auch daheim fand sie keine Ruhe. Sie wollte sich nicht darauf verlassen, dass ihr Heiltrank dem Baron wirklich dauerhaft geholfen hatte und so durchstöberte sie ihre Bücher auf der Suche nach Giften und Gegengiften. Doch es war vergeblich. Solange sie nicht wusste, was den Baron vergiftet hatte, war es praktisch unmöglich, das richtige Gegengift zu finden.
Den ganzen Nachmittag und Abend verbrachte sie über ihren Büchern und legte sie erst beiseite, als Alvel heimkehrte. Gerade hatte er sie davon überzeugt, ins Bett zu gehen, als es erneut an der Tür klopfte. Arlamiert sprang Tari aus ihrem Sessel, als sie die Stimme des Majors an der Tür vernahm. Es war doch nicht schon wieder etwas geschehen? Ohne große Umschweife überreichte der Major ihr eine kleine Flasche mit grünem Inhalt und erklärte ihr, dass es sich hierbei um das Mittel handele, mit dem der Baron vergiftet worden sei. Ein Gegengift gäbe es nicht, es wäre nun an ihr, selbiges herzustellen. "Sein Leben liegt nun in Eurer Hand", waren die nicht sonderlich aufbauenden Worte, die der Major ihr mit auf den Weg gab. Ehe er ging fügte er dann noch an, dass ihm gesagt wurde, es wären fünf Tage Zeit, ehe das Gift den Baron töten würde.

Fünf Tage... Fünf Tage Zeit, um das Gift zu identifizieren und ein Gegengift zu finden. Fünf kurze Tage, um das Leben eines Menschen zu retten.

Ein Wettlauf mit der Zeit, und sie hielt den Schlüssel in der Hand, der alles entscheiden würde...
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Alt 26.07.2005, 20:05
#36
Tari Ceres
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*aus Taris Notizen*


23. im Cun, 7 Uhr in der Früh
Habe das Gift genauer im Licht untersucht und einen Teil davon erhitzt, um es in seine Bestandteile zu zerlegen. Was die Beschaffenheit des Giftes angeht bin ich mir sicher, dass es sich um Pflanzengift handelt. Wenn ich nur wüsste, welches. Habe Celeste, unserer Hauskatze etwas von dem Gift verfüttert. Bisher zeigt sich keine Reaktion. Es muss ein langsames Gift sein.

23. im Cun, 10 Uhr früh
Celeste macht auf mich einen benommenen Eindruck. Sie läuft orientierungslos herum und findet die Dinge, die ich ihr vorwerfe, nicht. Ihre Pupillen sind geweitet, als wäre sie berauscht. Das könnten viele Gifte sein, Eibe, Belladonna, Stechapfel, Schierling... Ich muss die Pflanzen suchen, und mit ihren Giften weitere Versuche machen.

24. im Cun, 11 Uhr früh
Habe oben erwähnte Pflanzen besorgt und ihnen ihre Gifte entzogen. Danach habe ich sie an einige Katzen der Nachbarschaft verfüttert. Dabei stellte ich fest, dass die Wirkung des Stechapfels am ehesten zu den Symptomen passt, die Celeste aufweist. Habe den Tieren gezielte Gegengifte gegeben.
Der Stechapfel ist eine Pflanze mit grünen, gezackten Blättern und Stacheln. Sie enthält eine Kapsel, deren Samen hochgiftig sind. Die Einnahme kann zu Berauschung, Halluzinationen, Sehstörungen und Atemlähmung führen.

Ich muss wissen, ob der Baron eine dieser Beschwerden hat. *mehrfach unterstrichen*
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Alt 27.07.2005, 13:07
#37
Tari Ceres
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*aus Taris Notizen*


25. im Cun, etwa 18 Uhr
Habe Celeste das Gegenmittel gegen Stechapfel verfüttert. Nun heisst es abwarten, was geschieht.

25. im Cun, 22 Uhr
Celestes Zustand hat sich nicht wirklich verbessert, aber zumindest ist sie bisher nicht völlig erblindet. Stechapfel scheint tatsächlich eine der Zutaten zu sein.

26. im Cun, 1 Uhr
Celeste hat begonnen, zu keuchen. Offenbar bekommt sie keine Luft mehr. Habe dazu passende Gifte an andere Tiere verfüttert. Ich tendiere zu Eisenhut und Herbstzeitlose, doch ich brauche Gegenproben.

26. im Cun, 4 Uhr
Ich glaube, ich habe das Gift entschlüsselt! Die Beschwerden der Tiere passen, wenn ich jetzt noch wüsste, in welchem Verhältnis die einzelnen Gifte gemischt wurden. Jetzt heisst es versuchen, versuchen, versuchen.

26. im Cun, 6 Uhr
Meine Forschungen wurden aufgehalten, habe ein Findelkind gefunden, als ich in Buccaneer's Den Zutaten kaufen wollte. Habe es Melina gegeben. Sie wird sich gut um die Kleine kümmern. Als ich zurück zum Heilerhaus kamen, war Celeste schwer am Keuchen. Ich glaube, sie hält nicht mehr lange durch. Ich muss mich beeilen.

Später am Tage
Celeste ist am Gift verendet. Ich war nicht schnell genug, dabei glaube ich mich so kurz vor der Lösung. Die verschiedenen Gegengifte zusammenzumischen half nicht, ich glaube, sie behinderten sich gegenseitig. Ich brauche irgendetwas als Verstärker, nur was?
So leid es mir tut, ich muss einer neuen Katze das Gift verabreichen und hoffen, dass ich diese rechtzeitig retten kann.
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Alt 09.08.2005, 10:31
#38
Tari Ceres
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Müde saß Tari auf einem Sessel am Kamin, in der Hand ein Glas roten, schweren Weines. Die ganze Nacht war sie jetzt auf den Beinen gewesen, doch jetzt, wo der morgen dämmerte, konnte sie keinen Schlaf mehr finden. Zu sehr beschäftigte sie ihr Streit mit Arian. Der schlimmste Streit, den sie bisher hatten.

Angefangen hatte es damit, dass sein Schüler Epheas, offenbar eifersüchtig auf einen anderen Mann, im Tala eine lautere Auseinandersetzung vom Zaun brach. Eigentlich hatte sie sich auf einen ruhigen Abend mit Alvel gefreut, aber als Gardist hatte er keine andere Wahl, als dazwischenzuschreiten.
Arian hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, übliche Höflichkeitsfloskeln vorzubringen, er kam gleich auf dieses Thema, als Tari ihn nach seinem Befinden fragte. Wie immer, wenn etwas seinen Unmut erregte, sprach er davon, dass ihr Sohn Levin dafür büßen müsste. Bisher waren es immer nur leere Drohungen gewesen, Tari vermutete, dass es Arian eher darum ging, zu zeigen was er könnte, wenn er wollte. Doch in diesem Augenblick reichte es ihr. Dieser grüne Junge sonnte sich in Arians Einfluss und benahm sich wie er wollte, weil er davon ausging, dass Arian es schon richten würde, wenn er einmal erwischt würde. Offenbar scherte ihn weder sein Ruf, noch der Ruf seines Meisters, den er damit in den Dreck zog. Dass Epheas gleich von Alvels Einschreiten berichten würde, hätte Tari sich denken können. Dass Arian ihm glauben schenken würde, ohne Tari und Alvel zu hören, irritierte sie. Arian kannte Tari gut genug, um zu wissen, dass sie ihm eine objektive Sicht der Dinge geben würde, wenn er sie danach fragte, doch offenbar war er nicht daran interressiert.
Schmerzlich verzog Tari den Mund. Sie liebte ihn wie den Bruder, den sie niemals hatte und kaum jemand genoß so sehr ihr Vertrauen. Dennoch zeigte er in der letzten Zeit nicht die geringste Achtung vor ihr und denen, die ihr etwas bedeuteten. Levin würde für Arian immer das Kind eines Verräters sein, doch hatte sie es als seine Freundin nicht verdient, dass er zu ihr wenigstens so respektvoll war, dieses Thema nicht vor ihr anzusprechen? Widerwillig musste sie sich die Frage stellen, ob sie mit so einem Menschen befreundet sein könnte. Vielleicht war es besser, ihm eine Weile aus dem Weg zu gehen? Andererseits lag ihr viel an seiner Meinung, an seinen Ratschlägen oder einfach an seiner Anwesenheit. Ratlos blickte sie auf ihr Glas herunter. Vielleicht war es das beste, ihn ein paar Tage in Ruhe zu lassen und das ganze dann unter vier Augen mit ihm zu klären. Was Arian gegen Levin hatte konnte Tari zwar nicht einsehen, dennoch verstand sie die Gründe, die Arian dazu führten. Sie dachte zurück an die Zeit, in der Levins Vater Sec sich zu dem Mann veränderte, dem jeder nur aus dem Weg ging. Dem Mann, der sich mit großen, bedrohlichen Namen und noch bedrohlichereren Dingen umgab, und hoffte, damit Eindruck und Angst zu erregen. Der Mann, der Arian herausgefordert und dies mit seinem gesellschaftlichen Abstieg und letzten Endes mit seinem Tod bezahlte. Doch war das nicht gesühnt genug? Musste Arian seine Genugtuung nun an einem Kind suchen? Sie verstand es einfach nicht, genauso wenig, wie sie Arians Verhalten Alvel gegenüber verstand.
Als sie Fearon hatte sitzen lassen, war Arian der einzige, der zu ihr hielt, als sie zu Alvel gegangen war, und das würde sie ihm (und denen, die nicht zu ihr gehalten hatten) niemals vergessen. Doch danach hielt Arian sich eher auf Distanz, schien sich nicht sonderlich für den Mann zu interessieren, mit dem seine Freundin ihr Leben verbrachte. Erst als Alvel schwer verletzt im Heilerhaus war, begann Arian, so etwas wie Sorge um ihn zu zeigen. Doch sprach Arian wieder anders von ihm, weil er seine Pflicht getan und Epheas zur Räson gebracht hatte.
Tari seufzte leise und fragte sich, welchen Mann an ihrer Seite Arian wohl bedingungslos akzeptiert hätte. Vermutlich keinen.

Dennoch ärgerte es sie maßlos, dass ein grüner Junge, der auf Bäume kletterte und noch nicht einmal Unterwäsche trug, einen solchen Streit zwischen ihr und ihrem teuersten Freund verursachen konnte. Sie hatte Arian offen die Frage gestellt, ob ihm seine Freunde wichtiger waren oder sein Schüler, der sich immer nach dem richten würde, der ihm am meisten Macht versprach. Seine Antwort hatte sie nicht abgewartet, sondern hatte wütend den Tala verlassen.

Vielleicht hätte Tari näher über Arians Wesen nachdenken sollen. Sie hatte im Laufe der Jahre gelernt, dass er ein Mensch war, der mehr Macht hatte, als er offen zeigte, und sie hatte an Sec gesehen, was geschah, wenn man diese Macht unbegründet herausforderte. Mehrfach hatte er ihr angeboten, sich einiger Leute anzunehmen, die sie belästigten, doch Tari hatte abgelehnt. Sie wollte nicht, dass jemand ihretwegen gewalttätig wurde, obwohl sie sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen würde ausmalen können, was der Arian tun würde, der sich auch vor ihr bisher weitestgehend verborgen hielt. Für sie war Arian schlichtweg ein Teil ihrer kleinen Familie, ganz gleich wie grantig und unhöflich er manchmal war.
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Alt 15.08.2005, 10:39
#39
Tari Ceres
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Wie so oft in den späten Abendstunden saß Tari auf ihrem Sessel am Kamin. Die Kinder lagen längst im Stockwerk über ihr, auch wenn es nicht ohne Rangelei zwischen den dreien möglich gewesen war, sie in das große Elternbett zu bringen. Alvel war noch im Dienst, weiss Gott, wann er diesmal Feierabend haben würde. Nachdenklich sah sie auf das halbvolle Weinglas in ihrer Hand herunter. Vor wenigen Tagen hatte man, nur ein paar Schritt nördlich eine tote Frau gefunden. Tari wusste, wie übel sie zugerichtet war, da sie die Tote am Ende untersucht hatte. Und nur wenige Tage später wurden westlich des Hauses, nur einen Steinwurf entfernt, erneut einige Tote gefunden worden. Dorian hatte ihr erzählt, dass wohl die Mondkrieger dafür verantwortlich waren, und unwillkürlich schauderte sie. Sie war schon ab und an an der Feste der Mondkrieger vorübergeritten und kannte ihre Brutalität und Stärke. Es würde zu den schlimmen Verletzungen passen, die die tote Frau davongetragen hatte. Die Nacht über hatte sie mit Dorian im Hort verbracht. Unmöglich konnte sie den Jungen bei Dunkelheit allein nach Fenisthal laufen lassen, doch sie brachte es auch nicht über sich, ihn zu diesen Zeiten zu begleiten. Deshalb blieben die beiden im Hort und Tari brachte das Kind am nächsten Tag nach Hause.
Anschließend ging sie für ein rasches Frühstück in den Tala, wo sie Alvel sitzen sah. Wie immer hatte er das mürrische Gesicht, das er im Dienst trug oder wenn er sich in der Öffentlichkeit aufhielt. "Schade, dass die vielen Leute sein liebevolles Lächeln nicht kennen, das er daheim trägt", dachte Tari bei sich, während sie neben ihm Platz nahm. Als sie ihn fragte, ob er gut geschlafen habe, hob er nur nichtssagend die Schultern und schüttelte den Kopf. Einer Intuition folgend, fragte sie ihn, ob schon wieder jemand gefunden wurde, und er nickte. Und wieder war es in der Nähe ihres kleinen Anwesens gewesen. Dann erzählte Alvel, dass er um ein Zimmer im Schloß bitten wolle. Es wurde ihm zu gefährlich, er hielt die Mondkrieger, die offenbar für die Morde verantwortlich waren, für übermächtig. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählte er ihr, dass er vor kurzem Zeuge war, wie diese Mondkrieger drei Frauen auf brutalste Weise getötet hatten. Und nun waren schon drei weitere gefolgt. "Die Kinder schlafen bei uns, das Tor wird verriegelt. Und sie gehen nicht mehr ohne Aufsicht in den Garten. Wenn etwas passiert..." Mit einem Seufzen ließ er den Satz offen und berichtete, dass diese Krieger den Major schon bewusstlos geschlagen hatten, und nur mittels eines gut platzierten Pfeiles davon abgehalten werden konnten, ihn zu töten. Sichtlich entsetzt folgte Tari den Ausführungen ihres Mannes. "Pass bloß auf, ich will dich nicht zwischen den Klauen dieser Viecher sehen,", sprach er weiter. "Und wenn du etwas hörst, Hilferufe oder so etwas, du bleibst trotzdem im Haus." Obgleich sie seine Sorge verstand, wollte sie widersprechen. Wie sollte sie es unterlassen, jemandem in Not zu helfen? Doch unbarmherzig sprach Alvel weiter, erklärte, dass diese Wesen es offenbar auf Frauen abgesehen hatten, dass sie förmlich rot sahen, wenn eine Frau ihren Weg kreuzte.
Noch lange sprachen sie über die Wesen, die die Wälder und Wiesen bei ihrem Haus heimsuchten. Obgleich Alvel sich bemühte, sie trotz der ernsten Warnungen nicht zu verängstigen, stand Tari das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Schließlich begab sie sich heim, und das erste was sie tat, war die Kinder ihr Spielzeug packen lassen und ins Haupthaus gehen. Sie hoffte inständig, dass keiner dieser Krieger es schaffte, das eherne Tor zu überwinden und in ihr Haus einzudringen. Denn dann säßen sie im wahrsten Sinne des Wortes in der Falle.
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Alt 19.08.2005, 11:32
#40
Tari Ceres
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Langsam schritt Tari die Straße hinab zum Tempel der Elemente. Einer der Paladine hatte sie hergebeten, um ihre Dienste als Heilerin zu beanspruchen. Endlich sollte etwas gegen die drohende Gefahr durch die Mondkrieger getan werden. Am Tor selbst traf sie Tarathir, und auch die Templer trafen bald darauf ein. Nur die Garde war noch nicht erschienen. Aufmerksam ging sie ein paar Schritte weiter und entdeckte gleich darauf die Garde, angeführt von Bol von Britain in... du liebe Güte, trug der Mann da eine Rüstung aus Gold? Rasch wandte Tari ihren Kopf über die Schulter, um die Paladine auf die Gardisten aufmerksam zu machen, die offenbar von einem Waldelfen aufgehalten worden waren. Wieder sah sie zu den Gardisten herüber ehe ihr Blick an Alvel haften blieb.
Sie wusste, dass diese Mondkrieger es besonders auf Frauen abgesehen hatten, und dass sie nun Garde und Templer ins Feld begleiten sollte, war ihm offenbar ganz und gar nicht recht. Rasch wandte sie sich ab, ehe er die Gelegenheit ergreifen konnte, sie heimzuschicken.
Schließlich hatte der Baron genug mit dem Elfen diskutiert, und die Gardegruppe erschien am Tempel der Elemente. Zielstrebig trat Bol auf Tari zu und instinktiv schoß ihr die Frage durch den Kopf, womit sie diesmal seinen Unmut erregt hatte. Zu ihrer großen Überraschung reichte er ihr seine Hand. Sie spürte die Röte durch ihren Kopf schießen, als er ihr einen Handkuss andeutete und sich in aller Form dafür bedankte, dass sie rechtzeitig ein Gegengift für ihn hatte finden können. Dann war der Augenblick vorüber und die Gruppe wandte sich dem Tempel zu.

An der Festung angekommen, sammelten sich alle im Wald. Doch war da nicht ein leises Knacken zu hören? Tari rief noch "Vorsicht! Da vorn!", da hatte der Mondkrieger bereits eine Gardistin niedergeschlagen. Mit vereinten Kräften wurde der Krieger getötet, während Tari sich um die bewusstlose Gardistin kümmerte. Es wahr wohl mehr der Schreck denn eine wirkliche Verletzung gewesen, und schon bald stand die junge Frau wieder auf ihren Beinen. Die Gruppe hatte sich derweil auf einen Bogenschützen gestürzt. Auch Tari wagte es, einen ihrer wenigen Angriffszauber zu verwenden, den stärksten, den sie hatte. Zu ihrer großen Überraschung, schien der Mondkrieger diesen Spruch nicht einmal zu bemerken, so dass Tari sich wieder auf ihre eigentlichen Fähigkeiten besann. Langsam arbeitete die Gruppe sich auf dem schmalen Grat zwischen Festungsmauer und Klippe zum Eingang der Festung zu. Doch dort wurden sie offenbar schon von den Mondkriegern erwartet. Auf dem schmalen Weg, auf dem es kein Vor und Zurück gab, saßen sie praktisch in der Falle. Schon sah Tari die ersten Kämpfer ihrer Gruppe fallen, doch konnte sie nicht helfen, da Paladin Sabnock ihr wohlweisslich den Weg versperrte. Schließlich gelang es ihr doch, nach vorne durchzudringen und so gut es ging, versorgte sie die bewusstlosen Männer. Doch plötzlich vernahm sie hinter sich Schritte. Gerade noch konnte sie zur Seite springen, ehe eine schwere Keule nur haarscharf an ihrem Kopf vorbeischlug. Rasch stolperte sie auf den schmalen Pfad zu, auf dem die junge Gardistin stand. Tari rief ihr noch zu, sie solle Platz machen, doch die Frau rührte sich nicht. Schließlich versuchte sie noch, sie beiseite zu drängen, doch war die Gardistin offenbar stärker als sie, denn sie stand fest wie ein Fels im Weg. Tari saß in der Falle und nur einen Augenblick später wurde es ihr schwarz vor Augen.

Als sie wieder aufwachte, bot sich ihr ein schrecklicher Anblick: Überall lagen und standen benommene Mitstreiter. Binnen kurzer Zeit waren alle Nahkämpfer und Bogenschützen gefallen wie die Fliegen. Doch zu ihrem aller Glück schien es den Mondkriegern genügt zu haben, die Angreifer bewusstlos zu schlagen. So weit sie es überblicken konnte, hatte niemand eine schwerere Verletzung davon getragen. Langsam rappelte Tari sich auf, und ein Schmerz zuckte durch ihren Rücken. So wie es sich anfühlte hatte der Mondkrieger noch eine ganze Weile auf ihrem Rücken herumgeprügelt. Und was hat diese verdammte Gardistin getan, die neben mir stand?, fragte sie sich in Gedanken, während sie über ihr Hemd strich. Ihre Lederrüstung war verschwunden, irgendjemand musste sie ihr ausgezogen haben, als sie bewusstlos war. Stirnrunzelnd fragte sie sich, warum man das getan hatte, sie bezweifelte, dass die Mondkrieger Interesse an einer Rüstung aus Orkleder hegten. Im gleichen Atemzug war sie jedoch froh, kein wertvolleres Leder getragen zu haben.
Tari biss die Zähne zusammen und begann damit, die anderen so gut es ging mit Verbänden zu versorgen. Anschließend begab die geschlagene Gruppe sich zurück nach Britain, wo jeder seines Weges ging. Tari und Tarathir gingen noch zum Heilerhaus, um erst einmal einen beruhigenden Tee zu trinken. Doch die Ruhe wollte sich nicht einstellen. Wenn eine zehn Personen starke Gruppe von wenigen Mondkriegern niedergemäht wurde wie eine Wiese Heu, würde auch ein Eisenzaun sie von nichts abhalten. Ein eiskalter Schauder lief über ihren Rücken. Ihr Haus stand der Festung der Mondkrieger am nächsten, es wurden schon genug Tote in der Umgebung gefunden. Dort waren sie und ihre Familie ganz gewiss nicht mehr sicher.
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Alt 24.08.2005, 23:26
#41
Tari Ceres
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Langsam zählte sie die Münzen ab... einhundert... zweihundert... dreihundert... Dann nahm sie die kleinen Flaschen an sich und steckte sie vorsichtig in die Tasche. Damit wäre der Bedarf der Heiltinkturen fürs Heilerhaus für die nächsten Monde wieder gedeckt. Als sie sich erhob, wandte der Major sich ihr zu, der schon eine Weile am Stand war. "Frau Ceres, ich würde Euch gern sprechen. Im Schloss." Tari nickte und nahm ihre Sachen. Dass sie dazu zwingend ins Schloß musste, war eher ungewöhnlich. Ob sie wieder den Geisteszustand eines Gefangenen beurteilen sollte? Doch statt in den Kerker führte der Major sie zum Lazarett. Ein verletzter Gardist vielleicht? Doch aus dem Raum kam kein Laut, ausser der geschäftigen Geräusche der Lazarettheilerin Tani. Tari nickte ihr kurz freundlich zu, ehe sie an das Bett trat, neben dem der Major aufstellung genommen hatte. Auf selbigem lag nur ein lederähnliches Behältnis, das er mit einem geschickten Dolchschnitt öffnete. Darin zum Vorschein kam die Leiche eines Mannes. Während Tari den Körper musterte, erklärte der Major ihr, dass es sich um einen Mondkrieger handelte, den er in der Nähe von Cove aufgestöbert hatte. Da dieser sich nicht hatte ergeben wollen, habe er ihm die Schwerthand abgeschlagen. Daraufhin sei der Mondkrieger gestorben. Tari runzelte etwas die Stirn, als der Major weiter berichtete, dass dies vor etwa 12 Stunden geschehen war. Der tote Körper vor ihr sprach andere Bände. Rasch eilte sie ins Heilerhaus um einige Arbeitsmittel zu holen.
Im Lazarett angekommen legte sie Schürze und Handschuhe an und begann mit der Untersuchung der Leiche. Routiniert griff sie an das Lid des Toten und zog es hoch, doch statt eines blauen oder grünen Auges blickte ihr vollkommene Schwärze entgegen. Nachdenklich verzog sie die Stirn. Solche Augen hatte sie noch nie gesehen. Dann ließ sie das Lid wieder sinken und untersuchte weiter den mittlerweile schon totenstarren Körper. Für einen Krieger wirkte er unglaublich schmächtig, der Körper war fast muskellos. Umso verwirrender die Aussage des Majors, dass dieser Krieger kräftig zugeschlagen habe und kurz vor seinem Tod noch ausgeprägte Muskeln gehabt hatte. Dann folgte der unangenehmste Teil ihrer Arbeit. "Das kann jetzt übel riechen", warnte sie den Major noch vor, ehe sie auf den Bauch des Toten zwei Schnitte setzte: Einen entlang der "Linea Alba" hinab bis zum Unterleib und einen von einer Seite zur anderen, so dass eine kreuzförmige Wunde entstand. Vielleicht würden die Innereien des Mannes mehr Aufschluss geben. Tari atmete einmal tief ein. Auch sie kostete ein solcher Schritt, der Griff in einen toten Körper, Überwindung. Dann griff sie zu und griff ins... Nichts. Verblüfft starrte sie auf das klaffende Loch vor ihren Augen. Da war nichts. Wo Magen, Leber, Nieren und all die anderen Organe hätten sein sollten, herrschte gähnende Leere. Noch einmal untersuchte sie den Körper genau. War es möglich, dass jemand die Organe entnommen hatte? Nein das war unmöglich. Es hätte eine Narbe zu sehen sein müssen.
Ratlos sah sie den Major an. Doch auch er fand keine Erklärung für das, was sie da sahen. Eine seelenlose Hülle, das war es, als was Tari den Leichnam bezeichnete. Sie war nicht abergläubisch und es widersprach allem, was sie je gelernt hatte. Die Augen würden niemals sehen können, der Herzlose Körper würde niemals leben können. Trotzdem hatten sie den Beweis vor sich liegen.
Langsam, noch immer tief in verwirrten Gedanken, packte Tari ihre Sachen zusammen. Der Major war damit beschäftigt, der abgeschlagenen Hand das Schwert zu entreissen und Tani noch einige Befehle zu geben. Eher zufällig warf Tari einen letzten Blick auf den Toten, der stark zu rauchen begonnen hatte. Rauch? Brannte er? Rasch machte sie den Major darauf aufmerksam, und einen Augenblick starrten beide völlig fassungslos auf den Rauch, der langsam zur Decke stieg. Dann schien der Rauch sich zu sammeln und deutlich bildete sich eine Fratze heraus, die die beiden direkt ansah. Schützend stellte der Major sich vor Tari, doch zu ihrer Erleichterung löste der starre Blick der Fratze sich kurz darauf auf und verschwand... und mit ihm die Leiche.
Das war für Tari der letzte Beweis. Worum auch immer es sich handelte, diese Mondkrieger hatten außer ihrem Aussehen nichts Menschliches an sich, und nach dem was sie heute gesehen hatte, war schwärzeste Magie im Spiel.
Eine Weile unterhielten sie sich noch über den toten Mondkrieger, über dessen Worte, die er vor seinem Tod sprach und wie schnell er starb, nachdem seine Schwerthand fehlte. Fast als würde er sich selbst aufgeben, nachdem sein Sieg verloren war. Und dieser gleichgültige Gesichtsausdruck den der Tote trug... wie passte er ins Spiel?
Man musste Tari nicht sagen, dass sie über dieses Erlebnis den Mund zu halten hatte. Sie selbst war aufs Höchste beunruhigt und es lag in niemandes Sinne, wenn Panik ausbrechen würde.

Nachdenklichen Schrittes lief sie nach Hause. Wie passte das alles zusammen? Was hatte es zu bedeuten?
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Alt 28.08.2005, 10:44
Freundschaft
#42
Tari Ceres
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Es war erst wenige Tage her, als Tari nach ihrer Arbeit noch in den Tala einkehrte. An einem der Tische saßen Chana, Tayra und Karo - wie die Hühner auf der Stange, musste Tari schmunzelnd feststellen. Schließlich gesellte sie sich aber doch noch für einen Augenblick dazu, wenn sie an den Plaudereien auch eher zurückhaltend teilnahm. Zu viele Fragen geisterten in ihrem Kopf, auf die sie einfach keine Antwort fand. Irgendwann betrat Arian mit einem Freund den Raum. Tari bemerkte es nur im Augenwinkel und vermied es wohlweislich, ihn zu beachten. Wie sie ihn kannte, war er noch immer nachtragend und so wunderte es sie nicht weiter, dass er selbst der Freundin seines Schülers ("Dieses kleine Gör", wie er sie immer bezeichnete) ein freundliches Wort schenkte, während sie schlichtweg nicht beachtet wurde. Mit jedem Wort, das er an die anderen richtete, sank ihr Mut. Sie würde sich gewiss nicht die Blöße geben und irgendwie auf Arians Worte, oder vielmehr die Worte die er nicht sprach, reagieren. Sie war sich ziemlich sicher, dass er sich etwas derartiges erhoffte. So saß sie aufrecht in ihrem Stuhl, Blicke zu Arian tunlichst vermeidend und innerlich gegen den Schmerz ankämpfend, der sich langsam in ihr ausbreitete. Arian wusste zu gut, dass ihr Freundschaft neben der Familie das wichtigste war und hatte diesen wunden Punkt zielsicher getroffen. Den Rest des Abends verbrachte sie schweigend mit bitterer Miene am Tisch und ließ die Gespräche der anderen über sich ergehen. Einmal sprach Chana Tari an. "Was ist los mit dir?" Tari wusste nicht recht, was sie antworten sollte. Zum einen war sie tief verletzt von Arian, zum anderen kochte sie praktisch vor Wut über Epheas. So antwortete sie nur knapp, dass Arian die Worte eines vorlauten Görs wohl wichtiger seien. "Das vorlaute Gör bin wohl ich, mhm?" sprach Tayra eher leise und erhob sich, sichtlich eingeschnappt. Tari runzelte die Stirn. Wie konnte Tayra dabei auf sich schließen? Sie war mit eine der letzten, deren Worten Arian auch nur die geringste Beachtung schenken würde. Doch bevor Tari etwas sagen konnte, war Tayra bereits zur Tür hinausgerauscht. Ein seltsames Mädchen. Langsam begann sie wirklich an dem Geisteszustand von Chanas Schwester zu zweifeln. Sie schien nur auf das richtige Stichwort zu warten, um beleidigt sein zu können, ganz gleich, ob sie im Zusammenhang gemeint war, oder nicht. Während Chana und Karo ihr noch verblüfft nachsahen, erhob auch Tari sich langsam aus ihrem Stuhl. "Entschuldigt bitte...", sprach sie mit bemüht ruhiger Stimme, und versuchte mit aller Kraft ein Zittern in selbiger zu unterdrücken. "Aber ich denke, ich werde dem Beispiel meines ehemaligen Freundes folgen und nicht weiter mit den Leuten verkehren, die meiner Familie Schlechtes wollen oder mit solchen Umgang haben." Arian hatte recht. Sie war nicht die einzige Heilerin, es gab genug andere Leute, die Epheas und seinen Freunden helfen konnten, wenn es nötig war. Sollte dieser Bengel endlich lernen, dass seine Taten nicht nur auf ihn zurückfallen können, sondern auch auf seine Freunde. Mit diesen Worten ließ sie die beiden am Tisch zurück.
Zuhause angekommen, konnte sie sich dann nicht mehr zurückhalten. Sie war alleine, die Kinder schliefen und Alvel war auf der Arbeit. Wütend stopfte sie ihren Umhang in den Schrank. "Ich bin nicht auf deine Freundschaft angewiesen, Arian Karex." Dann aber verpuffte ihr Ärger mit einem Schlag und der Schmerz, den seine Nichtbeachtung herrührte, überwältigte sie. Eine Weile stand sie so in ihrem Schlafzimmer und kämpfte gegen die Tränen an. Sie verstand es nicht. Sie verstand einfach nicht, wie Arian langjährige Freunde einfach so wegwerfen konnte, nur weil sein Schüler Tatsachen verdrehte, wie er lustig war. Sah Arian nicht, was er damit riskierte? Würde er alle seine Freunde vergessen, wenn sie sich gegen die Frechheiten seines Schülers wehrten? Entschlossen lief sie zu ihrem Schreibtisch herüber und nahm ein Pergament, sowie eine Gänsefeder hinaus. Er war ein erwachsener Mensch, er musste selbst wissen, was er tat. Doch wenn er es vorzog, sie nicht mehr als eine Freundin zu betrachten, so hoffte sie doch, wenigstens ein höflich-distanziertes Verhältnis schaffen zu können, wie es damals war. Sie schrieb einen langen Brief:

Arian,

ich weiss, dass es deiner Art entspricht, mich mit Ignoranz zu strafen. So du gehofft hast, mich damit zutiefst zu verletzen, kann ich dir die frohe Kunde mitteilen, dass dir dies gelungen ist. Dein Schüler hin oder her, ich hätte nie gedacht, dass deine Freundschaft zu mir so seicht ist, dass ein grüner Junge sie gefährden kann. Ich bedaure es zutiefst, dass du meinen Mann nicht verstehst. Und noch mehr bedaure ich es, dass du ihm nachträgst, dass er seine Arbeit tut. Ich hasse es, mit dir zu streiten. Es lag nie in meiner Absicht, einen derartigen Streit mit dir zu führen, und es tut mir leid, dass Riane dich deswegen des Talas verwiesen hat. Ich weiss, dass du deine Gründe hast, diesen Jungen als deinen Schüler zu sehen und dich für ihn einzusetzen, auch wenn ich sie nicht nachvollziehen kann. Dieser Bengel ist nichts als niederträchtig und nicht im Geringsten gerissen.
Es dauert mich, dass dir an unserer Freundschaft so wenig zu liegen scheint, dass du Epheas widerspruchslos glaubst. Ich kann dir nur wünschen, dass er dich nicht eines Tages in größte Unannehmlichkeiten bringt, wenn er sich mit dem Falschen anlegt. Nicht jeder ist um eine friedliche Klärung der Lage bemüht, wie ich es bin.
Dennoch habe auch ich meine Grenzen. Dein Schüler und seine Freunde brauchen sich bei mir nicht mehr blicken lassen, und wenn ihnen ein Arm ausgerissen wird. Ich sehe nicht ein, dass dieser Junge eine Freundschaft zerstört, die mir sehr wichtig war, und ich ihm dann noch zu Diensten sein soll.

Du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich alles, was ich schreibe, ernst meine. Gern würde ich dir meine Hand reichen, ich bedaure es zutiefst, dass aus so einer Nichtigkeit ein solcher Streit wurde. Allerdings muss ich aus deinem Verhalten schließen, dass es dir so, wie es jetzt ist, lieber ist.

So bitte ich dich, gib Kalian einen Kuss von mir und grüße Sabrae. Ich werde euch nicht mehr belästigen.

Tari


Noch einmal überlas sie den Brief, dann faltete sie ihn und steckte ihn in einen Umschlag. Rasch holte sie ihr Pferd von der Wiese. Der Hengst freute sich sichtlich über einen Ausflug, war sie doch auf Anweisung von Alvel seit Monden nicht mehr geritten. Doch nach Minoc konnte sie keine unmittelbare Verbindung herstellen, und zu Pferd war sie immer noch schneller, als zu Fuß, sollte jemand sie verfolgen wollen. An Arians Turm angekommen schob sie den Briefumschlag unter der Tür durch. Es brauchte keinen Adressaten, ausser Arian würde niemand diesen Brief anrühren. Dann ritt sie wieder heim. Es war schon spät in der Nacht, als sie sich ins Bett legte, bald würde schon der Morgen dämmern und die Sonnenstrahlen würden sie wecken, um sie zu ihren Pflichten als Mutter, Heilerin und Hausfrau zu rufen. Doch der Schlaf kam nicht. In ihrem Brief hatte sie Arian die Entscheidung überlassen, ob ihre Freundschaft weiterbestehen würde, oder nicht. Sie versuchte sich einzureden, wenn er nicht wollte, hatte er ihre Freundschaft auch nicht verdient. Doch dann dachte sie an die vergangenen Jahre. Von Anfang an war er gewissermaßen an ihrer Seite gewesen. Zuerst als jemand, dem sie zu gehorchen hatte, damals, als Marie versucht hatte, sie für den Orden der Yil'Daner zu begeistern. Später dann als jemand, der ihr herausfordernde Diskussionen bot und schließlich als Freund. Wollte sie das wirklich einfach so aufgeben? War sie bereit, eine jahrelange Freundschaft aufzugeben und einen Bengel in gewisser Weise über sie und seinen Meister triumphieren lassen? Nein, dazu war sie nicht bereit. Rasch schlug sie die Decke zurück und kleidete sich an. Dann holte sie ihr Pferd von der Wiese, das sich gerade erst von dem langen Ritt nach Minoc erholt hatte.
Es war schon später Nachmittag, als sie ihr Ziel erreicht hatte: Den kleinen magischen Zirkel ganz im Süden der Insel. Viele Pflanzen wuchsen dort wild, und doch bildeten sie einen perfekten Kreis, als habe man sie gezielt dort angepflanzt. Tari kannte die Magie dieses Ortes schon länger, hatte sie für ihr Heilritual mit Chana genutzt, und anschließend zum Dank einen Teil ihrer Magie dort gelassen. Als sie nun vom Pferderücken glitt und ihre Füße den Boden berührten, spürte sie förmlich die Magie, die hier herrschte. Ohne dass Veränderungen zu sehen gewesen wären, wusste sie, dass auch andere nach ihr an diesem heiligen Ort gewesen waren und seine Kräfte genutzt hatten.
Langsam legte sie Umhang, Stiefel und Schmuck ab und packte die Sachen in ihre Satteltaschen. Dann nahm sie eine kleine Tasche und ging auf den Kreis zu. Mittlerweile hatte sich Taris Wissen um Rituale immer mehr erweitert, sie wusste genau, was sie zu tun hatte. Ruhig zog sie ihren silbernen Dolch aus ihrem Gürtel. Zuerst musste sie einen Schutzkreis ziehen, damit keine böse Magie von ausserhalb ihr Ritual stören konnte. So stach sie den Dolch in die Erde und während sie langsamen Schrittes einen großen Kreis zog, murmelte sie leise Entschuldigungen an den Boden und bat die Kräfte der Natur um ihren Schutz. Mit einem letzten Strich zog sie den Kreis zu und blickte in das Innere des Pflanzenzirkels. Sie wusste, dass Magie den Willen anderer beeinflussen oder gar brechen konnte. Doch das wollte sie nicht. Ihr Ritual würde ein Flehen an die Kräfte der Natur werden, um Arian ihrem Brief gegenüber aufgeschlossen zu stimmen. Mehr wagte sie nicht, einen Menschen, den sie liebte zu beeinflussen. Langsam trat sie in den Pflanzenkreis ein und liess sich in seiner Mitte auf den Boden sinken. Schweigend entzündete sie vor sich eine Kerze. Dann holte sie aus ihrem Beutel eine Schale, Feder und Pergament. Aufrecht saß Tari auf ihren Füßen, die Hände auf den Oberschenkeln liegend, die Augen geschlossen. Keine Regung lief über ihren Körper, nur der Wind spielte fast schon zärtlich an ihren Haaren und ihrem Kleid. Lange Zeit saß sie so im Gras, während ihre Gedanken anfänglich noch kreuz und quer schossen, sich dann aber schließlich auf das Ziel bündelten, das sie erreichen wollte. Die letzten Sonnenstrahlen fielen auf sie, als Tari ihr höchstes Maß an Konzentration erreicht hatte. Dann nahm sie die Feder und das Pergament und schrieb in ihrer schönsten Schrift die folgenden Worte darauf:

"Verstehe und verzeih'"


Dann sprach sie leise, aber mit fester Stimme. "Du weisst, was das Beste für dich ist. Mögen die Geister uns beide zum Vergeben und Vergessen geleiten." Langsam faltete sie das Pergament einmal in der Mitte und legte es in die Schale. Ruhig griff sie nach der brennenden Kerze und entzündete damit das Pergament. Zuerst begann es zu schwelen, schließlich zu brennen, und nur kurze Augenblicke später fiel das Pergament zu einem Aschehaufen zusammen. Tari setzte sich wieder aufrecht und formte mit ihren Lippen ein lautloses "Bitte". Dann griff sie mit beiden Händen die Schale und erhob sich, ohne sich abzusützten. Langsam schritt sie auf den Rand des Kreises zu, wo sie innehielt. Schweigend drückte sie einen Kuss auf ihre Fingerspitzen. Dann verrieb sie mit den selben Fingern die gezogene Linie im Boden und bedankte sich leise für den gewährten Schutz. Als sie aus dem Kreis herausgetreten war, stellte sie sich an den Rand der Klippen des nahen Meeres. Langsam streckte sie die Arme aus und kippte die Schale so, dass die Asche ins Meer wehte. Einen Augenblick sah sie den Pergamentfragmenten nach, dann wandte sie sich ab. Sie hatte getan, was sie konnte, alles weitere lag nicht mehr in ihrer Hand.

Nur zwei Tage später begegnete sie ihm im Tala. Höflich neigte sie ihren Kopf. Sie würde es ihm überlassen, auf sie zuzugehen. "Ich denke, wir müssen uns unterhalten", sagte er in seiner gewohnt trägen Stimme und ihr Herz machte einen Satz. Er würde sich nicht die Mühe machen, sie anzusprechen, wenn er ihr nur sagen wollte, dass er mit ihrer Entscheidung einverstanden war. Gemeinsam setzten sie sich an einen der ruhigeren Tische im Nebenraum. Arian begann davon zu sprechen, dass er ihre Entschuldigung annahm, weil er nicht auf ihre Dienste verzichten wollte. Tari musste ein Lächeln unterdrücken. Arian könnte genauso gut zu Marie gehen, doch wusste sie, dass er nur einen Grund suchte ihre Freundschaft zu suchen, ohne eingestehen zu müssen, ob sie ihm etwas bedeutete, und so schwieg sie. Tari war froh über Arians Entgegenkommen, auch wenn sie sich fest vornahm, in Zukunft etwas distanzierter zu ihm zu bleiben, bis sie sich sicher war, dass er ihr nicht mehr grollte. Leise sprach er weiter zu ihr. Zu ihrer großen Überraschung sagte er, dass er sich besonnen habe, sein Novize stünde ihm zwar nahe, aber nicht halb so nah wie sie es tat. Auf diesen unerwarteten Satz wusste sie nichts zu sagen. Arian äußerte mehr als selten Dinge, die seine Gefühle betrafen. Doch schließlich fasste sie sich wieder. "Du hast deine Gründe, dass er dein Schüler ist, und ich will keine Zwietracht zwischen euch säen. Doch genauso wenig will ich, dass er weiter versucht, uns beide zu entzweien." Eine Weile sprachen sie noch miteinander. Taris Vorsatz, sich distanziert zu halten war längst geschwunden. Dennoch war sie froh, dass das Gespräch sich langsam anderen Themen zuwandte. Ihre Töchter, sein Sohn... und natürlich die Mondkrieger. In kurzen Sätzen berichtete sie Arian, was sie berichten durfte, erzählte von den toten Frauen und dem Sturm auf die Festung. Dann wurde es Zeit, aufzubrechen, schließlich hatte sie sich noch um drei Kinder zu kümmern.

Sie war müde, als sie den Tala verließ, doch der Erschöpfung zum Trotz war sie nun sehr glücklich.
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Alt 05.09.2005, 11:51
#43
Tari Ceres
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Eilig streifte sie die Stiefel über und stolperte die Treppe des Hauses herunter. Wie konnte sie nur so verschlafen haben? Nur einen kurzen Mittagsschlaf hatte sie halten wollen, doch als sie erwachte, dämmerte der Abend schon. Rasch begab sie sich nach Britain und erreichte schließlich ausser Atem die Schriftenhalle, wo die anderen schon auf sie warteten. Freundlich nickte sie Aledan, Jolf und Tarathir zu. Es fehlte doch noch jemand, sie war nicht die letzte. Während Tarathir sich langsam von seinem Sessel erhob, betrat Ales Bai die Schriftenhalle. Jetzt waren sie komplett.

Ein paar Tage zuvor hatte Tarathir sie alle schriftlich um ihr Erscheinen gebeten. Schon seit Wochen war er dabei gewesen, die unglaubliche Summe von 100.000 Goldmünzen für eine Schatzkarte aufzubringen, die angeblich den Weg zu großem Wissen weisen würde. Heute Abend nun wollte Tarathir sich auf die Suche begeben.
Gemeinsam begaben sie sich in das Südland. Nördlich des Labyrinthes sollte dieser geheimnisvolle Schatz liegen, und unter Aledans kundigem Auge war der fragliche Ort rasch gefunden. Während Ales sich noch eine Rüstung anzog für den Fall eines überraschenden Überfalles, begann Jolf schon damit, den Fels zu zerschlagen, unter dem sich der Schatz befinden sollte. Wie sie erwartet hatten, hatten sich in der Nähe des Schatzes einige Wächter verborgen, doch da die Gruppe darauf vorbereitet war, konnten sie schnell erledigt werden. Neugierig scharten sich alle um das kleine Kästchen. Was sich wohl darin befinden würde? Tarathir öffnete die Kiste, doch zur Enttäuschung aller fand sich darin nur etwas Tand und - eine weitere Schatzkarte. Offenbar fühlte nicht nur Tari sich zurück in ihre Kindheit versetzt, denn trotz der Enttäuschung erklärte die Gruppe sich ausnahmslos bereit, auch den nächsten Schatz zu heben. Während alle sich neugierig über die Karte beugten um den nächsten Ort herauszufinden, lief Ales suchend durchs Unterholz. Er hatte irgendwo seine Hose abgelegt, damit sich die Rüstung leichter tragen ließe, und fand sie nun nicht mehr. Offenbar hatte Aledan schärfere Augen, denn rasch hatte er die vermisste Hose entdeckt, und die Gruppe zog frohen Mutes nach Süden.
Der Marsch durch den Dschungel war nicht einfach, überall versank man in sumpfigeren Stellen oder trat in kleine Wasserlöcher, die man wegen der Pflanzen nicht hatte sehen können. Trotz der sternenklaren Nacht wurde den meisten bald warm, und nach und nach hatte jeder seinen schweren Umhang in seinem Rucksack verstaut. Schließlich aber waren sie auf der kleinen Halbinsel angekommen. Müde ließ Tari sich auf den Boden sinken und die anderen taten es ihr gleich. Eine kleine Pause, bevor es weiterging war jedem recht. Doch schließlich hatten alle wieder ihre Kräfte gesammelt und Jolf begann, nach dem Schatz zu graben. Vielleicht befand sich nun in diesem Kästchen das geheimnisvoll angekündigte Wissen? Doch stattdessen fanden sie erneut etwas Schmuck, ein paar Edelsteine und... noch eine Schatzkarte.
Tari konnte sich ihre Belustigung nicht verkneifen. Solche Spiele hatte sie als Kind immer gespielt, wenn es Feiertag war und sie nicht arbeiten mussten.
Ihr nächster Weg führte sie ans andere Ende der Insel, weit ins Nordland, wo kaum ein Mensch sich sehen lässt. Erste Rufe nach Pferden wurden laut, und Tarathir, für dessen Alter diese Wanderschaft wohl die größte Strapaze war, begann ernstlich zurückzufallen. So beschloss man, dass Aledan zum fraglichen Platz reiten und die anderen dann mit Hilfe eines Reisetors holen würde. Erschöpft ließ Tari sich auf einen Baumstamm sinken und nutzte jede Minute, bis sich besagtes Tor öffnete. Auf der anderen Seite erwartete Aledan sie bereits. "Seid vorsichtig, da vorn sind Lindwürmer, mindestens einer." Überrascht blickte Tari in die Richtung. Sie wusste gar nicht, dass sich auch hier in der Gegend diese Tiere aufhielten. Gemeinsam riefen Tari, Tarathir und Aledan sich Waldgeister zur Hilfe. Dann marschierte die Gruppe auf die kleine Landzunge, wo sich ihnen sogleich ein beeindruckend großer Lindwurm in den Weg stellte. Mit vereinten Kräften war das Tier bald besiegt und der Schatz schnell gefunden. Rasch öffneten sie die Kiste und holten den Inhalt heraus. Eine Waffe aus Alchemistenmetall lag darin, etwas Schmuck, Edelsteine und... noch eine Karte.
Die ersten begannen offensichtlich müde zu werden, doch wollte niemand die Gruppe hängenlassen und so begab man sich auf dem schnellsten Wege zurück ins Südland, wo der nächste Schatz in einem Sumpf liegen sollte. Schließlich hatte man diesen erreicht, doch auch hier wollte der genaue Ort nicht preisgegeben werden. Er wurde von einem großen Sumpfmonster bewacht und in der nächsten Umgebung befanden sich einige verfluchte Bäume. Als der Schatz dann gehoben war sprangen auch noch zwei Zyklopen aus ihrem Versteck, um der Gruppe das Kästchen streitig zu machen. Doch mit vereinten Kräften gelang es. Wieder fand man allerlei Tand und zu niemandes Verwunderung eine weitere Schatzkarte.
"Das scheint im Waldelfengebiet zu liegen", mutmaßte Aledan nach einem Blick auf die Karte. Die Gefährten sahen sich unsicher an. Die Waldelfen würden es sicher nicht gern sehen, eine größere Menschengruppe, zum Teil bewaffnet, durch ihren Wald laufen zu sehen. Doch einige waren überzeugt, dass dies nun die letzte Karte sein würde, und so beschloss man, nach einer kurzen Rast im Tala ins Gebiet der Waldelfen vorzudringen. Als sie schließlich eine Lichtung erreichten, hörten sie einen seltsamen Gesang. Schön, doch fremdartig. Sangen hier die Waldelfen? Vorsichtig traten sie näher und entdeckten die Quelle dieses schönen Klanges: Sirenen. Tari hatte nie an die Existenz solcher Wesen geglaubt, doch jetzt stand sie vor ihnen und sie waren wunderschön. Doch offenbar duldeten die Sirenen keine anderen Frauen in ihrem Wald, denn rasch gingen sie zum Angriff über. Nur der schnellen Reaktion der anderen war es zu verdanken, dass niemand Schaden nahm an diesen Wesen, die so schön waren und doch so grausam. Dann eilte man sich, den Schatz zu heben, denn noch immer fanden sie sich im Gebiet der Waldelfen, und niemand wollte es darauf anlegen, einer solchen zu begegnen und Ärger zu bekommen. Also warf Aledan einen fachkundigen Blick auf die Schatzkarte, die man in dieser Kiste gefunden hatte. "Das muss irgendwo bei der Wüste sein." Ah, das passte ja endlich mal, kein langer Fußmarsch, denn Tari konnte in die Gegend ein Tor öffnen, immerhin wohnte sie dort.
An ihrem Anwesen angekommen ging sie mit Ales kurz hinein um die Waffen wegzulegen, die sie gefunden hatten. Als sie wieder herauskamen sahen sie die Gruppe in äußerster Erheiterung. Das Versteck des Schatzes war laut der Karte keine 150 Schritt von ihrem Haus entfernt. Na das waren endlich mal gute Nachrichten. Durch dieses Wissen motiviert liefen sie zu besagtem Ort und hoben eine große, schwere Kiste. Doch bevor sie sich daran machen konnten, sie zu öffnen, sprang aus dem Gebüsch eine Gruppe Mondkrieger. Tari blieb das Herz stehen. Waren sie Wächter des Schatzes oder streunten sie noch immer hier herum? Doch zum Nachdenken blieb keine Zeit. Mit vereinten Kräften wurden die Mondkrieger besiegt, doch dann...

..geschah etwas seltsames. Neben der Kiste bildete sich ein schwarzes Energiefeld, wie Tari es bisher nur selten gesehen hatte. Langsam streckte sich eine Hand aus dem Feld, bis es schließlich ein ganzer Körper war. Ein verzerrtes Lachen drang über die Wiese, als der Mann begann, in der Kiste zu kramen und schließlich herausnahm, was er zu gesucht hatte. "Endlich... ENDLICH! Eure Gier war nur der Anfang", sprach der Fremde. Dann trat er wieder in das Energiefeld und verschwand.

Wie benommen standen die Gefährten auf der Wiese und starrten auf die Stelle, an der eben noch der Mann gestanden hatte. Was hatte das zu bedeuten? Was hatte der Mann aus der Kiste genommen und... Tari wagte es gar nicht, diese Frage zu stellen. Welche Lawine hatten sie damit ins Rollen gebracht?
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Alt 02.01.2006, 02:59
#44
Tari Ceres
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Mit einem müden "Guten Morgen" grüßte sie Carlin, der wie immer pflichtbewusst im Heilerhaus war, entweder wach am Tresen oder nur in leichten Schlaf versunken in der kleinen Kammer, die sie ihm eingerichtet hatte. Carlin erwiderte den Gruß freundlich und musterte seine Vorgesetzte aufmerksam. Abgesehen von ihrer Familie bekam er, der doch eigentlich eine recht verschwiegene Natur war, recht viel von Tari mit, und ihm war nicht entgangen, dass es mit ihrer Stimmung schon seit einer Weile nicht mehr zum Besten stand. Er kannte diese Stimmungstiefs mittlerweile zu genüge und wusste, dass sie sich wieder legen würden, doch machte er sich dennoch seine Gedanken. Tari war zwar nicht leichtlebig, aber sie machte sich auch keine Sorgen um die Dinge, wenn es nicht sein musste. Was wohl diesmal in ihr vorgehen musste...?

Es war später Abend gewesen, vermutlich schon Nacht, und Tari war im Begriff, die Fensterläden zu schließen, als Lärm von der Haustür zu ihr drang. Tari seufzte. Notfälle hatten die Angewohnheit, mitten in der Nacht zu entstehen. Eilig lief sie nach vorn, um ihren Patienten in Empfang zu nehmen. Alden hatte ihn hergebracht und legte den Mann vorsichtig auf eines der Betten. Mit geübtem Blick musterte sie die verletzte Person und ihr Herz machte einen Aussetzer, als sie ihn erkannte: Es war Fearon, einst teuerster Freund, doch später nicht mehr als ein flüchtiger Bekannter. Während sie ihn aus seinem Harnisch befreite, erklärte Alden ihr, was geschehen war, beichtete ihr ohne Umschweife, dass er ihm sein Schwert in den Rücken gerammt habe. Fassungslos blickte sie Alden an, ehe sie sich wieder auf den Schwerverletzten besann. Rasch holte sie Tücher und versuchte damit, die stark blutenden Wunden notdürftig zu versorgen. Ein bedrohliches Keuchen drang aus Fearons Kehle, und verstärkten damit Taris Sorge, dass das Schwert seine Lunge durchbohrt haben könnte. Die ganze Nacht bemühte sie sich um den Mann, den sie einst geliebt hatte, bot alle Mittel, die sie hatte, auf, ob magisch oder unmagisch, doch als der Morgen zu dämmern begann wusste sie, dass der Kampf verloren war. Einige letzte Worte keuchte der Sterbende, ehe er in eine tiefe, schmerzlose Bewusstlosigkeit fiel. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie nach seiner Hand griff, ihm wenigstens in den letzten Minuten das Gefühl geben wollend, dass er nicht allein war. Doch schließlich hob und senkte der Brustkorb sich nicht mehr. Fearon war tot.
Langsam hob Tari den Blick zu Alden. Während der vergangenen Nacht hatte er ihr genauer berichtet, auf welch niederträchtige Weise er seinen einstigen Freund hingerichtet hatte. Tari konnte nicht verstehen, wieso Alden dies getan hatte, erinnerte sie sich doch noch zu gut an eine Zeit, in der Fearon der einzige war, den sein Schicksal interessierte. In ihrer Trauer, die sich in ihr ausbreitete, hatte sie ganz vergessen, dass Fearon ein Geächteter war, und so faltete sie ihm die Hände, deckte ihn zu und begab sich zum Nachbargebäude, wo sie den Major antraf und ihm von dem Vorfall berichtete. Er selbst konnte nichts tun, erklärte er ihr, und sie verstand, warum. Doch Alden und seine beiden Kumpanen hatten einen Fehler gemacht: Fearon war in Yew ermordet worden. Und in Yew war er kein Geächteter, sondern ein gewöhnlicher Bürger, und damit war der Überfall auf ihn nicht gesetzmäßig, sondern reiner Mord. Inständig hoffte sie, dass diesem Mann, der doch nur durch eine unglückliche Aneinanderkettung von Zufällen seinen guten Ruf verloren hatte, Gerechtigkeit widerfahren würde.
Einige Tage später fand Fearons Beerdigung statt. Tari war überrascht, dass man sie dorthin geladen hatte, dennoch war sie Tayra dafür dankbar, denn auch wenn das enge Band zwischen ihr und Fearon lange nicht mehr bestand, würde sie ihn niemals vergessen können. Erfüllt von Trauer starrte sie auf die hölzerne Kiste, in der Fearon lag, hörte jedoch nicht den Reden seiner Freunde zu sondern hing ihren eigenen Gedanken nach. Es schien ihr wie gestern, als Fearon ihr seine Liebe gestand, wie sie ihre Zeit im Haus der Boten verbrachten und nur ihre Nähe genossen, wie sie sich gemeinsam ein Haus kauften und.. wie sie ihn für Alvel verließ. Tränen stiegen ihr in die Augen und ließen sich nicht mehr aufhalten, während sie über das Schicksal des Toten nachdachte und darüber, wie es vielleicht verlaufen wäre, wenn sie nicht Jahre zuvor einen solchen Schnitt in sein Leben gebracht hätte. Doch es brachte wohl nichts, jetzt darüber nachzudenken. Sie liebte ihren Mann und ihre drei Kinder und bereute es nicht, sich damals zu diesem Schritt entschlossen zu haben. Trotzdem fiel ihr jetzt, wo er fort war, erst auf, wie viel Fearon ihr noch immer bedeutete. Er war kein schlechter Mensch gewesen. Nur ein furchtbarer Pechvogel.

Etwa zur selben Zeit, vielleicht einen Tag vorher, hatte ein Gardist sie im Heilerhaus aufgesucht. Anfangs noch freundlich, jedoch ernst, hatte er sie gefragt, wann sie Arian das letzte Mal gesehen habe. Es war schon eine ganze Weile her gewesen. Zumeist sah sie ihn ein paar Monde lang häufig und danach wieder eine ganze Weile gar nicht. Anfangs noch geduldig beantwortete sie die Fragen des Gardisten. Nein, seitdem Kart ihm beinahe die Nase gebrochen hätte, hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Nein, auch geschrieben hatten sie einander nicht, das taten sie nur, wenn sie sich etwas zu sagen hatten. Wo er sich aufhielt? In Minoc oder Moonglow vermutlich, wie immer. Ob sie sich da sicher sei? Langsam wurde Tari ungeduldig. Sie war es nicht gewohnt, dass sie Fragen fünf mal beantworten musste. Ja sie war sicher, dass er in Minoc oder Moonglow sein würde. Nein, sie kannte keinen anderen Ort, wenn Arian seine Ruhe suchte, zog er sich nach Minoc zurück. Ob sie wirklich keinen Kontakt zu ihm hatte, wollte er wissen, und sie verneinte erneut. Sie verstand nicht, was all die Fragen sollten. Sie hatte ihn ewig nicht gesehen, und die Gerüchte über ihn waren ihr bisher nicht zu Ohren gekommen. Ein Schwarzmagier sollte er sein? Ungläubig sah sie den Gardisten an. Wer konnte ihm denn einen solchen Bären aufgebunden haben? Unwillkürlich kehrten Taris Gedanken zu dem Tag zurück, als Arian mit Salunia in ihrem kleinen Kinderbett saß, um ihr eine Geschichte zu erzählen. Tari wusste selbst, dass Arian kein Heiliger war, zumindest nicht zu anderen. Sein Verhalten ihr und den Zwillingen gegenüber war immer tadellos gewesen, wie ein Bruder verhielt er sich stets und auch, wenn Arian nicht zu jedem so freundlich war, konnte ihm doch niemand derlei furchtbares unterstellen. Entrüstet fragte sie den Gardisten, wie er auf eine solche Behauptung käme, doch er erwiderte nur ausweichend, er habe Beweise, doch die seien unter Verschluss. Na schön, sollte er seine Beweise haben. Obwohl sie seine Launen doch kannte, konnte sie ihm so etwas wie schwarze Magie nicht zutrauen, und so erklärte sie dem Gardisten unvermittelt, dass sie von Arians Unschuld überzeugt sei, solange man ihr keine Beweise gäbe. Es war schließlich nicht der erste Versuch von irgendwem, Arian wegen irgendetwas in Misskredit zu bringen. Mit ernster Stimme erklärte der Gardist ihr, dass man sie als seine Komplizin bestrafen würde, wenn sie versuchen würde, ihn vor der Garde zu schützen, zu warnen, oder zu decken. Fassungslos sah sie den Gardisten an. Wie konnte er ihr so etwas unverschämtes unterstellen? Arian konnte gut genug auf sich selbst aufpassen, und von den Vorwürfen gegen ihn war er sicher längst informiert, also wie konnte dieser Gardist, der sie nicht einmal wirklich kannte, sie als Verbrecherin darstellen? Tari wusste zwar, dass der Major ihr gegenüber wegen der lächerlichsten Dinge misstrauisch war, doch selbst er hätte ihr so etwas kaum offen an den Kopf geworfen und so empfand sie es als Dreistigkeit, dass dieser Gardist es tat. Ärger stieg in ihr auf, dass er sie so verdächtigte, ihr so offen keinen Glauben schenkte und ihr Fragen fünf- oder zehnmal in Folge stellte, offenbar in der Hoffnung, sie würde sich verraten. Tari hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, und auch wenn dieser vornehmlich darin bestand, andere in Schutz zu nehmen, war es für sie doch ein Schlag ins Gesicht, dass man sie verdächtigte, nur weil sie seit Jahren mit einem Mann befreundet war, der sich ihr gegenüber zumeist von seiner besten und freundschaftlichsten Seite gezeigt hatte.

Schließlich war der Gardist, wohl nicht ganz zufrieden, wieder gegangen und hatte Tari in Verwirrung und Ärger zurückgelassen. Sie wusste ja, dass Arian nicht immer ein Unschuldsengel war. Mit Genugtuung dachte sie daran, wie Arian mit Kart fertig wurde, doch gleich darauf versetzte es ihr einen Stich, wenn sie daran dachte, wie er mit Levin umging. Ob er nicht doch...? Nein, entschieden schüttelte sie den Kopf. Wenn sie dabei war, wenn Arian Magie anwandte, war es immer gewesen, um sie und ihre Kinder zu verteidigen. Man musste nur an diesen Darok denken, der Salunia in der "Ente" einmal furchtbare Angst eingejagt hatte. Arian war es gewesen, der dem Mann dann seinen Fehler klargemacht hatte.
Arian war ein Magier, und er war nicht ohne Fehl. Doch ihn gleich als Schwarzmagier zu bezeichnen, und das, ohne ihr jegliche Beweise dafür zu geben, konnte sie beim Besten Willen nicht nachvollziehen. Vielleicht hätte sie anders auf den Gardisten und diese Befragung, die mehr an ein Verhör erinnerte, reagiert, wenn sie auch nur einen Bruchteil von dem Leid gewusst hätte, das Arian in seinem Leben schon verursacht hatte. Vielleicht hätte sie eingesehen, wie gefährlich ihr bester Freund war, hätte sie gewusst, mit wem er im Bunde war und dass er indirekt die Schuld daran trug, dass ihr Adoptivsohn Levin eigentlich ein Waisenkind war. So aber sah sie sich nur ungerechtfertigten Vorwürfen ihr und Arian gegenüber ausgesetzt, die sie nicht verstand.

Lediglich Sorge wuchs in ihr. Sorge, dass Arian etwas zustoßen würde, Sorge, dass der kleine Kalian unter der Angelegenheit leiden würde und vielleicht auch ein ganz kleines bischen Sorge, dass in den Vorwürfen ihm gegenüber doch ein wenn auch nur kleiner, etwas verdrehter aber wahrer Kern steckte.
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Alt 10.01.2006, 16:33
#45
Tari Ceres
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Tari starrte in tiefe Gedanken versunken auf die helle Bettdecke vor ihrer Nase. Sie saß mehr oder weniger bequem auf dem Boden des Heilerhauses, angelehnt an einer Kommode und einem Bett, den Arm auf der Bettkante liegend und das Kinn daraufgestützt. Die ganze Nacht hatte sie so verbracht, ohne sich auch nur zu bewegen und den Blick von dem Bett abzuwenden. Nur langsam richtete sich nun auf und bereute es sogleich, als der Schmerz durch ihre steifen Glieder fuhr. Sie verzog die Miene und hob ihre Hand, um sich den Nacken zu massieren. Dann ließ sie sie wieder sinken und sah zurück zu dem Bett ihres Mannes, dessen Brustkorb sich fast nicht erkennbar hob und senkte. Wieder stiegen ihr brennend die Tränen in die Augen, als ihr Blick über Alvel wanderte und sich die erneute Welle der Erinnerung nicht mehr zurückdrängen ließ. „Warum schon wieder du?“ flüsterte sie mit heiserer Stimme, und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Keine zwei Jahre war es her gewesen, dass ihr geliebter Mann hier gelegen hatte, schwer verletzt von einem Feuerelementar, den ein Dämon nach Britain geschickt hatte. Und nun lag er wieder hier, kämpfte wieder um sein Leben und litt trotz all der Kräuter, die Gwescan ihm gegeben hatte ganz offensichtlich unter den Schmerzen. „Es ist wie damals,“ ging es ihr durch den Kopf. Und es stimmte. Alles war wie damals, bis auf eine kleine Ausnahme: Diesmal war es kein Dämon gewesen, der ihren Mann beinahe getötet hätte, sondern ihr bester Freund.

Der Tag hatte angefangen, wie jeder andere. Früh am Morgen war Tari zum Markt hinuntergegangen, um ein paar Einkäufe zu machen. Dort traf sie auf Gwes, mit dem sie sich eine Weile unterhielt, ehe sie sich verabschiedete, um die Kinder zu wecken. Im Haus begegnete sie Alvel, der, wie üblich, nur kurz daheim gewesen war, um etwas zu essen. Nur einen raschen Kuss gab er ihr, dann war er aus der Tür verschwunden. Tari seufzte. Es ging schon so lange so.
Dann stieg sie leise die Treppe zu den Zimmern der Kinder hinauf, wo sie die kleine Beatrix, die bei ihnen zu Besuch war, malend am Tisch vorfand. Gemeinsam mit der Kleinen ging sie hinunter in die Stube, wo sie ihr ein Frühstück machte und sich ein wenig mit ihr unterhielt. Wenig später kam auch Levin hinzu, und Tari begab sich erneut in die Küche, um auch ihrem Sohn etwas zu Essen zu machen. Sie hatte noch nicht angefangen, das Brot aufzuschneiden, als es heftig an der Tür klopfte. Gab es so früh am Tage schon Arbeit? Rasch eilte sie zur Haustür und öffnete Karo, die nur völlig ausser Atem etwas von einem Angriff auf Alvel sprach, und dass Arian etwas damit zu tun habe. Tari konnte spüren, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Augenblicklich ließ sie alles stehen und liegen und lief zum Marktplatz, wo man ihren Mann bereits auf eine Trage gehoben hatte. Entsetzt starrte sie seine Verbrennungen an, und zum ersten Mal ereilte sie die Erinnerung an jenen unglückseligen Tag, an dem ihm an fast derselben Stelle das selbe Unglück ereilt hatte. Ohne sich zu regen stand sie da und bekam gar nicht wirklich mit, wie mann Alvel forttrug. Erst als der Major in seiner schweren Rüstung in ihr Blickfeld trat und sie aufforderte, mitzukommen, da man ihre Hilfe sicher brauchen würde, fiel sie aus ihrer Starre und eilte zum Heilerhaus.
Dort hatte Gwes bereits alles in die Hand genommen und kümmerte sich um den Verletzten. Der Anblick ihres geliebten Mannes, der vielleicht sterben würde genügte, um sie mit einem wehklagenden Laut auf den Boden sinken zu lassen, wo sie hemmungslos zu schluchtzen begann. Es konnte doch nicht schon wieder sein, dass sie um das Leben ihres Mannes bangen musste. Unfähig, irgendetwas zu tun, vergrub sie sich in sich selbst und ihrer Angst um Alvel, und nahm dabei nur am Rande wahr, dass sie Gwes bei seiner Arbeit im Wege saß und er sie schließlich hochhob und auf das nebenstehende Bett setzte. Nur einmal sah sie auf zu ihrem Mann herüber und eine Woge heftigen Schmerzes erfasste sie, als sie sich an die Worte Karoylns erinnerte, dass Arian ihrem Mann das angetan hatte. Warum hatte er das getan? Sie verstand die Welt nicht mehr. Sie war so überzeugt gewesen, dass Arian zwar kein Unschuldslamm war, aber ihr und ihrer Familie auch nie etwas antun würde. Hatte er nicht vor zwei Jahren selbst noch an Alvels Bett gesessen und über ihn gewacht, damit sie sich etwas ausruhen konnte? Der Gedanke, dass der Mensch, den sie immer wie einen Bruder geliebt hatte, der in ihrem Haus verweilen und mit ihren Kindern umgehen durfte, ohne dass sie sich Sorgen machen musste, der manchmal sogar den Kopf für sie und die Kinder riskiert hatte, sie die ganze Zeit, die sie sich kannten nur belogen hatte, war unerträglich.
Stunden vergingen, ehe Tari sich auch nur einigermaßen beruhigt hatte. Sie fühlte sich so unendlich hilflos, so dumm und gutgläubig, dass er sie zum Narren gehalten hatte. Irgendwann kam Gwes und versuchte sie, zu einem Becher Tee zu überreden. Nur widerwillig ließ sie sich einen Schluck einflößen. Sie wusste, dass irgendein Beruhigungsmittel darin sein würde, und wenn sie in diesem Augenblick irgendetwas nicht wollte, dann war es sich zu beruhigen. Schließlich ließ Gwes sie wieder allein und es wurde ruhig im Haus. Entschlossen erhob sich Tari vom Bett und ging zu Carlin herüber, der sie mit großer Sorge und etwas Verwunderung über die plötzliche Entschlossenheit musterte. Sie achtete nicht weiter auf ihn, sondern entnahm der Schatulle Pergament und eine Feder und fing an, sich ihre ganze Wut über Arian und nicht zuletzt sich selbst von der Seele zu schreiben.

Arian Karex, du elender Mistkerl, gottverdammter Bastard ich verfluche den Tag, an dem ich deinen Weg gekreuzt habe!!! Wie konntest du mir das antun??? *ein paar Worte sind verschmiert, mit viel Fantasie könnte man sie als für Tari äußerst untypische Schimpfworte deuten* Ich fasse es einfach nicht, du hast mich SECHS JAHRE BELOGEN!!!
Ich wünsche dir von Herzen, dass dir eines Tages jemand das gleiche antut!


Verbissen schrieb sie weiter, während Carlin von oben herum mitlas, was sie schrieb. Irgendwann griff er zaghaft ihre Hand und sah sie ernst an. „Tari, Ihr solltet nicht weiterschreiben, Ihr vergesst Euch.“ Sie holte tief Luft und sah ihn einen Augenblick verärgert, dann nachdenklich an. Er hatte recht. Arian noch mehr ihre Meinung zu sagen, würde ihren Mann auch nicht wieder gesund machen. Also nickte sie, faltete den Zettel zusammen, steckte ihn in einen Umschlag und bat Carlin, ihn einem Boten mitzugeben.
Dann ging sie zurück in den Nebenraum, wo sie sich auf den Boden setzte und Alvels Hand griff. Sie fühlte sich heiss und leblos an. Warum hatte er das getan? Ihr bester Freund, für den sie alles, wirklich alles gegeben hätte? Der, dem sie alles anvertraut hatte, wenn sie Sorgen hatte und sich immer auf seinen Rat verlassen hatte? Warum tat er ihr so weh, indem er versuchte, ihr den einzigen zu nehmen, dem sie sich so zugehörig fühlte?

Oder war dies die Strafe Glarons, dass sie sich einmal, nur ein einziges mal ohne nachzudenken zu etwas hatte verleiten lassen, was ihr eigentlich ganz und gar widersprach? Dann wäre sie am Ende die Schuldige, an der alles lag. Verzweifelt schüttelte sie den Kopf und drückte ihn fest in das Kissen, das sie irgendwann im Laufe ihrer stundenlangen Gedankenwanderung gegriffen hatte und nun fest umklammert hielt.
Tari Ceres ist offline  
Geändert von Tari Ceres (10.01.2006 um 16:37 Uhr).
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Alt 13.01.2006, 14:43
#46
Tari Ceres
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Die folgenden Tage verliefen ruhig. Gwes hatte einen neuen Schüler ins Haus gebracht, der zwar kein Vorwissen bewies, die ihm aufgetragenen Aufgaben aber stets pflichtbewusst erfüllte. Auch Alvels Zustand besserte sich zunehmends, auch wenn es fraglich war, ob es ihm körperlich jemals gelingen würde, Rache an Arian zu nehmen. Aber auch an Tari hatte die Tat Arians ihre Spuren hinterlassen, wenn sie auch nicht so unübersehbar waren wie an Alvel. Dass ihr bester Freund sie so verriet, hatte sie schwer getroffen. Ständig grübelte sie darüber nach, wie es so weit hatte kommen können, weshalb er sie belogen hatte gleichermaßen mit der Frage, warum sie es nicht gemerkt hatte. Kein Mensch, ausser den Mitgliedern ihrer Familie hatte jemals so einen tiefen Einblick in sie gehabt, wie er, und der Gedanke, dass Arian Alvel vielleicht wirklich töten wollte, jagte ihr Angst ein. Er kannte ihre Stärken und Schwächen wohl wie kein anderer, und jetzt, wo er sein wahres Gesicht gezeigt hatte, traute sie ihm alles zu.
Mit müden Augen beobachtete sie Gwes und Danaag, wie sie sich um Alvel kümmerten. Noch immer fühlte sie sich hilflos und unfähig, irgendetwas zu tun. Es war, als hätte dieser Schlag all ihr Wissen und ihren Verstand einfach hinweggefegt. Leise erhob sie sich von dem Bett, auf dem sie saß. Hier im Haus stand sie nur im Weg, und die Tatsache, dass sie seit Tagen nichts erwähnenswertes gegessen hatte, ließen Übelkeit in ihrer Magengrube aufsteigen. Ein wenig frische Luft wäre jetzt das richtige. Doch ehe sie die Tür erreicht hatte, hatte Gwes sie an der Schulter gegriffen. Offenbar dachte er, sie wolle irgendeine Dummheit begehen, sei es jetzt, nur alleine durch die Stadt zu laufen oder in einem Anflug von Größenwahn nach Moonglow zu marschieren und Arians Haus einfach in Schutt und Asche zu legen. Schließlich gelang es ihr aber, ihn zu überzeugen, dass sie nur etwas frische Luft brauchte und er ließ sie gehen. Ihre Schritte führten sie zum Brunnen, wo sie nicht ohne Anstrengung etwas Wasser mit dem Eimer heraufholte. Das kalte Nass in ihrem Gesicht tat gut und ließ ihre Gedanken etwas klarer werden und die Übelkeit verschwinden. Nachdenklich blickte sie auf den Eimer, in dessen Wasser sich der kalte Vollmond spiegelte. Wenn sie sagte, sie verstand die Welt nicht mehr, war das noch eine glatte Untertreibung. Ständig wiederholten sich die Fragen in ihrem Kopf. Warum? Hätte sie es verhindern können? Hätte sie es ahnen können? War es nur ein Unfall oder hatte Arian in reiner Absicht gehandelt? Und vor allem die wichtigste Frage von allen: Würde er zurückkommen, um sein Werk zu vollenden? Kopfschüttelnd befestigte Tari die Kette, die den Eimer hielt wieder am Brunnen und wandte sich zurück zum Haus. Sie würde nie die Antworten zu diesen Fragen finden.
Gerade, als sie um die Ecke des Hauses bog, hörte sie ein lautes Rumpeln aus der Dunkelheit, ein unterdrücktes Fluchen. Sie konnte spüren, wie ihr Herz für eine Sekunde auf äußerst schmerzhafte Weise aussetzte. Niemand, der mitten in der Nacht im Verborgenen um ein Haus schlich, konnte Gutes im Sinn haben. Überraschenderweise besann Tari sich recht schnell auf ihre Fähigkeiten, sie hob ihre Hand in die Richtung des Geräusches, wo sich im Dämmerlicht, das aus dem Fenster drang, eine Gestalt an die Wand lehnte. Als sie die Person erst einmal ausgemacht hatte, fühlte sie sich ein kleines bisschen sicherer. Dennoch reichte es nicht aus, um den Anschein von Selbstsicherheit zu erzeugen und so fragte sie die Gestalt mit brüchiger Stimme, wer sie sei. Diese starrte sie entsetzt an und stammelte etwas von einem Kadetten und dem Korporal. „Woher soll ich Euch das glauben?“, fragte sie ihn, woraufhin der Kadett sich unter das Licht der Laterne stellte, um auf sein Gardeabzeichen zu deuten. Tari kniff die Augen etwas zusammen. Aus ihrer Entfernung konnte sie es nur vage erkennen. Vielleicht war es das Abzeichen, vielleicht aber auch nur eine gute Kopie. Misstrauisch beäugte sie den jungen Mann. Er konnte genauso gut von Arian geschickt worden sein. Vielleicht auch von Lidrath. Dass der Bund echte oder gefälschte Gardeuniformen besaß, war für sie kein neuer Gedanke. Schließlich hatte man vor einiger Zeit eine verbrannte Leiche in Gardeuniform gefunden, anhand derer sie fälschlicherweise als Baron von Britain identifiziert worden war. Ihre Hand begann merklich zu zittern, als sie den Mann erneut fragte, was er hier verloren habe. Er erzählte, er habe gehört, dass Alvel hier verletzt läge und er sich nach seinem Befinden erkundigen wollte, sich aber nicht zu stören gewagt habe. Noch immer glaubte sie dem Mann nicht. Er konnte ihr alles erzählen, wenn der Tag lang war, das hatte sie ja an Arian schmerzlich feststellen können. „Warum soll ich das glauben?“, fragte sie ihn, ihre mittlerweile stark zitternde Hand noch immer auf ihn gerichtet haltend. Der Mann antwortete nicht, sondern starrte sie nur an. „Antwortet mir!“, schrie sie ihn dann an und in Gedanken ging sie 1001 Wege durch, diesen Mann mehr oder weniger schmerzhaft zu vertreiben, ehe er dazu kam, ihrem Mann etwas anzutun.
Sie wusste nicht, wie lange er dort schon stand, doch mit einem Mal nahm sie den Korporal Kanthala wahr, der dem Kadetten salutierte. Arathel war ein Amtsschimmel, wie er im Buche stand, aber wenigstens wusste sie, dass er wirklich ein Gardist war, und offenbar kannte er diesen herumstreunenden Kadetten. Langsam ließ Tari ihre Hand sinken, beobachtete die beiden Gardisten aber immer noch kritisch. Man konnte ja nie wissen, ob da doch irgendetwas im Busch war. Arathel fragte zuerst den Kadetten, dann Tari, was der Grund dieser... Auseinandersetzung war, doch ihre Gedanken rasten noch immer um das Geschehen, überschlugen einander förmlich und ließen keinen sinnvollen Schluß zu. Schließlich brachte sie aber doch hervor, dass der Kadett ums Haus geschlichen sei, was diesem einen kritischen Blick durch seinen Vorgesetzten einbrachte. Dann ließ er ihn aber wegtreten, doch Tari ließ den Mann nicht aus den Augen, bis er hinter der nächsten Ecke verschwunden war. Noch immer konnte sie dem Mann nicht so recht glauben schenken. Gardisten streunen nicht nachts um Häuser, ging es ihr wieder verzweifelt durch den Kopf. Arathel sprach sie an und forderte nun ihre Aufmerksamkeit ein, so dass sie den Blick schließlich dem Gardisten zuwandte. „Ich nehme an, er hat Euch erschreckt?“, fragte er sie ruhig. Erschrecken war gar kein Ausdruck gewesen, doch Tari wusste nicht, was sie sagen wollte. Sie hatte ganz sicher nicht die Absicht gehabt, einer unbescholtenen Person Angst einzujagen. Eine Weile redete er beschwichtigend auf sie ein, offenbar in der Hoffnung, sie zu beruhigen. Doch seine Worte kamen nicht wirklich bei ihr an, zu sehr nahmen ihre eignen Gedanken sie in Anspruch. „...andererseits hätte Euch das Abzeichen auffallen müssen, aber in der...“ Abzeichen auffallen? „Im Dunkeln?“, fuhr sie ihn unbeherrscht an. „Ich bin keine verdammte Eule!“ Zugegebenermaßen, der Gardist machte seine Sache in der Situation so gut, wie man sie nur machen konnte. Besonnen sprach er weiter auf sie ein, dass sie keine Schuld habe... Irgendwann während der Auseinandersetzung war Gwes hinzugekommen und verlangte nun eine Aufklärung der Ereignisse. Ruhig erläuterte der Gardist Gwes, dass der Kadett Tari erschreckt und verwirrt habe. „Verwirrt?“, dachte sie und sprach es ohne es zu merken auch laut aus. „Ich möchte mal sehen, wie es Euch geht, wenn Euer bester Freund versucht, Eure Frau einzuäschern.“ Der Satz saß bei ihr und dem Gardisten gleichermaßen. Während er offenbar keine Erwiderung wusste, schwappten in ihr die Erlebnisse der vergangenen Tage erneut hoch und ließen sie in Tränen ausbrechen. Sanft griff Gwes sie am Arm und brachte sie zurück ins Haus, wo sie sich auf eines der Betten setzten. Verzweifelt schüttete Tari all ihre Gedanken aus, die sich in den letzten Tagen angesammelt hatten. Sie war schuld an der Sache, hätte sie es doch längst merken müssen, was für ein Spiel Arian spielt. Es gab schließlich genug Hinweise. Andererseits war er immer so liebevoll zu ihr und den Kindern gewesen. Alles hatte sie ihm erzählt und all ihr Vertrauen in ihn gesetzt. Und immer wieder der Gedanke, wer am Ende die Schuld an dem Unglück hatte.
Irgendwann hatte sie sich halbwegs beruhigt, und während Gwes in der Küche Tee zubereitete, ließ Tari sich ins Bett fallen und schlief völlig erschöpft ein.

Als sie am nächsten Morgen erwachte, lag ein kleiner Zettel auf ihrem Nachttisch, der in der Nacht bei Carlin abgegeben worden war. Auch ohne Unterzeichner, erkannte sie die Schrift auf den ersten Blick. Sie wusste nicht, was sie von Arian erwartet hatte. Vielleicht genug Takt, in Anbetracht der vergangenen Jahre ein wenig Reue zu heucheln. Stattdessen nur die Worte, dass sie und ihr Mann alles sich selbst und dem Major zuzuschreiben hatten. Es kam ihr wie Stunden vor, die sie auf das Papier starrte, ehe sie es zusammenfaltete und in die Tasche ihres Rockes steckte.
Mehr denn je war Tari davon überzeugt, dass ihr Leben trotz allem Unglück dem einzig richtigen Pfad folgte. Einen Augenblick durchflutete sie tiefes Mitgefühl bei dem Gedanken, dass Arian einen Weg eingeschlagen hatte, der ihm kein Glück bringen würde. Sie wusste, dass das Gefühl von Hass und Rache und das Streben nach Macht auf Kosten anderer nur kurzzeitig zufrieden stellen konnte. Arians Weg würde immer weiter nach unten führen. Aber ob sie dereinst da sein würde, um ihm die Hand zu reichen und ihn zurück ins Licht zu holen, das wusste sie nicht.

Aber nie wieder würde sie sich von ihrem Glauben an das Gute im Menschen in die Irre führen lassen.
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Alt 29.04.2006, 00:39
#47
Tari Ceres
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Als Tari erwachte, fiel nur schwaches Abendlicht in den Raum, in dem sie, ordentlich zugedeckt in einem der Betten lag. Wie war sie hierhergekommen? Fröstelnd zog sie ihre Bettdecke höher. Obgleich sie dicke Fellkleidung trug, fror sie, und Übelkeit zog durch ihren Magen. Langsam hob sie die Hand und tastete benommen an ihrem Hinterkopf. Sie spürte keine Schwellung, aber der Schmerz machte ihr rasch klar, dass irgendetwas hartes, schweres sie dort getroffen haben musste.
Krampfhaft versuchte sie, sich an die vergangenen Stunden zu erinnern. Sie wusste noch, dass sie am Strand bei den Kindern war. Und irgendetwas war geschehen, dass sie ihnen nur noch "Lauft!" zugerufen hatte. Das nächste, an das sie sich erinnern konnte, war ein dunkler Turm. Passte das zusammen? Sie sah sich selbst vor ihrem geistigen Auge, wie sie sich mühsam an einem brüchig aussehenden Geländer hochzog, nur um dann wie eine zweijährige eine Treppe hinunterzuklettern, die ins Erdgeschoß führte. Und dann?
Irgendwie musste sie ja hierhergekommen sein, ins Heilerhaus. Hatte jemand sie gefunden? Oder war sie selbst hierhergekommen? Nein, daran würde sie sich ja erinnern.

Tari wurde aus dem Gedanken gerissen, als die Tür zum Raum sich leise öffnete. Ein Name schoss ihr durch den Kopf und erleichtert atmete sie auf.Er würde ihr sicher erklären können, was geschehen war. Aber es war nur Carlin, der sie sichtlich erleichtert ansah. "Endlich bist du wieder wach.. was hast du angestellt?" Tari seufzte. Carlin wusste nie bescheid. Eigentlich verwunderlich, wenn man bedachte, dass er Tag und Nacht hier war. "Wo ist Gwes?," fragte sie noch immer müde. Carlin hob die Schultern. "Sein Gehalt liegt noch in der Truhe. Vermutlich hat er wieder irgendein dummes Mädchen gefunden, das er nun zuhause...", der Heiler ließ den Satz offen und grinste, unverkennbar die Schadenfreude, den lästigen Konkurrenten vor seiner Arbeitgeberin schlecht machen zu können.
Während Carlin sich nun zu einer ausführlichen Beschreibung ihrer Krankheitsanzeichen herabließ, drehte Tari den Kopf zur Wand, seinen Ausführungen nur halbherzig zuhörend. Es war schon fast einen Mond her, dass sie ihm sein Geld in die Truhe gelegt hatte. Und er war nicht einmal hier gewesen, um es abzuholen? Ärger machte sich in ihr breit, als sie sich an die Diskussion vom selben Mittag erinnerte, in der sich einige Leute beklagt hatten, dass sich niemand mehr um die Kranken kümmere. Dabei hatten sie schon vor fast zwei Monden den Betrieb wieder aufgenommen. Etwas wacher wandte sie ihr blasses Gesicht wieder dem Heiler zu. "Sag Carlin, wie lange bin ich denn wieder hier?" "Ach", erwiderte dieser freimütig, "seit der fünften Stunde heut morgen sicher.. also schon eine ganze Weile." "Und er ist nicht hier gewesen?" "Nein, nicht einmal."
Sie konnte nicht verhindern, das das Gefühl des Ärgers dem der Enttäuschung wich. Es war kaum zu glauben, dass er es nicht gehört haben sollte, wo er doch ständig im Tala herumsaß, ganz zu schweigen davon, dass es seine Pflicht gewesen wäre, sich wenigstens anstandshalber irgendwann im Laufe des Tages blicken zu lassen, um nach dem Rechten zu sehen. Vor ihrem geistigen Auge konnte sie ihn genau sehen, wie er... Mittlerweile wusste sie ja recht genau, womit sie es zu tun hatte. Allerdings konnte sie seit der Erkenntnis, dass Arian so ziemlich für alles Unglück, was sich in den letzten Monaten ereignet hatte, verantwortlich war, nichts mehr wirklich aus der Fassung bringen.

Naja.. doch. Sie erinnerte sich noch, wie sehr sie ausser sich war, als Gwes ihr sozusagen in letzter Sekunde offenbart hatte, warum er so besessen davon gewesen war, das Heilerhaus zu kaufen. Es hatte einen schweren Riss in ihr Vertrauen zu ihm verursacht, der mühsam wieder gekittet wurde. Was sollte sie auch tun? Heute hasste sie ihn regelrecht für das, was er tat, morgen würde sie versuchen, alles zu ignorieren und so zu tun, als gäbe es nichts, was sie verband, ausser ihrer Arbeit. Und übermorgen würde sie schon in aller Herrgottsfrühe nach Britain reiten in der Hoffnung, seinen Weg zu kreuzen. So ging es doch schon seit Monaten.

In ihren Gedanken versunken bemerkte sie nicht, wie Carlin den Raum verließ und kurze Zeit später wieder mit etwas zu Essen in der Hand zurückkehrte. Noch immer voller Enttäuschung und dem Gefühl der körperlichen Schwäche starrte Tari auf das gegenüberliegende Fenster. Dabei lag es doch auf der Hand: Jahre hatte sie mit sich selbst gekämpft, nur um etwas zu gewinnen, was ihr doch nicht gehörte, und ihr niemals gehören würde.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 29.04.2006, 12:28
#48
Gwescan Asturone
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Lange schaute Gwes besorgt auf die schlafende Tari herab, konnte sich kaum von ihrem bleichen Anblick losreißen. Hätte er sich doch gestern nachmittag nur nicht dazu hinreißen lassen, seiner neuesten Eroberung sein Haus zu zeigen! Notfälle geschahen immer genau dann, wenn man sie am wenigsten erwartete und absolut nicht brauchen konnte. Behutsam und sanft strich er Tari nochmal übers Haar, wandte sich dann um und verließ den Krankensaal, die Tür leise hinter sich zuziehen.

Der finstere Blick, der auf Gwescans meist fröhlichem, gutgelaunten Gesicht so ungewohnt und deplaziert wirkte, daß Carlin mehrmals hinsehen mußte, um sich zu überzeugen, daß dies wirklich Gwes war, verhieß nichts Gutes. Vorwurfsvoll kamen Gwes' blitzeschleudernden, braunen Augen auf Carlins verlegenem Gesicht zur Ruhe.

"Du verd...", brüllte Gwes los, beherrschte sich dann aber mit Mühe, denn er wußte, daß es keinen Sinn hatte, Carlin zu beleidigen. So fuhr er mit beherrschter, schneidender Stimme fort: "Du weißt, wo ich wohne, oder? Warum in aller Götter Namen bist Du nicht zu mir gekommen und hast mich geholt? Du weißt: Wenn ich nicht hier bin, bin ich im Tala und esse dort oder ich bin zuhause. Gestern nachmittag war ich zuhause und habe dort an meinen Büchern geschrieben - Du hättest mich jederzeit holen können!" Die kleine Lüge kam Gwes ohne jedes verräterische Anzeichen über die Lippen. Schließlich war er ja tatsächlich die ganze Zeit dort gewesen und hätte sofort alles stehen und liegen gelassen, um Tari zu helfen.

Carlin stammelte etwas von "In dem Moment nicht daran gedacht" und "Garde verständigen", doch Gwes hörte ihm nicht zu. Er wußte, daß Carlin sich nicht in sein Haus wagte, weil Carlin Angst hatte, der fragwürdige Lebenswandel seines jüngeren Kollegen könnte ihn beim Betreten des Hauses besudeln, auf ihn abfärben oder ihn irgendwie infizieren wie eine ansteckende Krankheit.

Anschließend ließ sich Gwes von Carlin darüber in Kenntnis setzen, was vorgefallen war.

In die ungemütliche Stille, die auf Carlins Worte folgte, sagte Gwes resigniert: "Hör zu, Carlin: Ich gehe jetzt was frühstücken und anschließend wartet ein Haufen Arbeit mit den frischen Tinkturen auf mich. Wenn wir die Tinkturen nicht wegwerfen wollen, muß die Arbeit getan werden. Aber wenn Tari aufwacht oder sich auch nur ein Jota an ihrem Zustand ändert, möchte ich gern, daß Du mich sofort holst, egal, ob ich arbeite, esse, schlafe oder tot bin, verstanden?" Carlin nickte verstockt.

Nach noch einen vergewissernden Blick auf Tari, wandte sich Gwes um und trat in den schmuddeligen Wintermorgen hinaus.
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Alt 01.05.2006, 10:52
#49
Gwescan Asturone
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"Kommt schnell, es ist etwas passiert - Ihr müßt nach Madame Ceres sehen!"

Diese aufgeregten Worte trafen Gwes wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf seinem Weg ins Heilerhaus. Er stammelte dem Überbringer dieser Nachricht irgendeine Entschuldigung. Es war dem Heiler jetzt völlig gleichgültig, ob man ihn für unhöflich hielt. Fast im Laufschritt eilte er weiter. Irgendjemand erzählte ihm auf dem Weg, daß er Madame Ceres besucht hätte und diese plötzlich und ohne jede Vorwarnung bewußtlos geworden sei. Gwes ließ den Redner vor der Tür des Heilerhauses stehen, ohne noch weiter Notiz von ihm zu nehmen.

Carlin war nicht da - natürlich. Carlin war nie da, wenn er ihn brauchte. Gwes riß sich im Gehen Mütze und Umhang vom Körper und warf beides achtlos irgendwo hin, während er mit langen Schritten dem Krankensaal zueilte.

Da lag sie, bleich wie der Tod. Nur ein leichtes Zucken der Augenlider und ein kaum spürbarer, flattriger Puls verrieten, daß sie noch lebte. Mit raschen Handgriffen sorgte Gwes dafür, daß sie leichter Luftholen konnte, ohne von Kleidung, Kissen und Decken beengt zu werden.

Wo war das ganze Blut geblieben? Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte hier alles blutverschmiert sein müssen, aber alles war sauber. Nicht der kleinste Kratzer fand sich an ihrem Körper, trotz eingehender Unterstuchung.

Gwes war am Ende mit seinem Wissen. Was war das für eine Krankheit? Dieser zweite "Anfall" so kurz nach dem ersten, kaum, daß sich Tari ein wenig erholt hatte, machte ihn schaudern. Konnte es Gift sein? Wäre es möglich, daß Ura so eifersüchtig wäre... Gwes verwarf diesen Gedanken rasch wieder.

Ganz gleich, ob er nun ein guter Heiler war oder nicht: Er konnte nichts weiter für Tari tun, als ihre Hand zu halten und ihr das ganze Ausmaß seiner Hilflosigkeit und Besorgnis vorzuenthalten.

Wie jedem erfahrenen Heiler, war es auch Gwes in all den Jahren schon mehrfach widerfahren, daß ihm jemand unter den Händen wegstarb, ohne daß er etwas dagegen hatte ausrichten können. Das war nun einmal der Lauf der Dinge. Gwes hatte dies niemals in Frage gestellt oder auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet. Es gab Krankheiten und Verletzungen, die unweigerlich den Tod nach sich zogen. Dies hatte ihn nie belastet oder seine analytischen Beobachtungen und Gedankengänge zu solchen Krankheiten beeinträchtigt. Doch als sich die stumme Frage ungewollt in seine Überlegungen bohrte, was geschehen würde, wenn ein dritter Anfall erfolgte, bevor Tari sich wieder erholt hatte, wurde ihm schlagartig übel. Eine kalte, nie zuvor gekannte Beklommenheit griff nach seinem Herzen und vernebelte sein Denken. Jetzt wußte er, wie es sich anfühlte, Angst davor zu haben, einen Menschen zu verlieren. Dennoch war er zur Untätigkeit verdammt. Welche Mächte trieben hier ihr Spiel?

Gwes beschloß, nichts, aber auch gar nichts, unversucht zu lassen, selbst wenn er über seinen eigenen Schatten springen müßte. Doch zunächst blieb ihm nichts anderes übrig, als Tari mit unverfänglichen Plaudereien die Zeit zu verkürzen, denn scheinbar fürchtete sie den Schlaf. So war er beinahe froh darüber, daß der junge Alchimist und anschließend Narsieda Diolas mit ihrem Kind kamen und Tari die Zeit vertrieben. So konnte er die notwendigsten Arbeiten im Heilerhaus verrichten und wußte Tari dennoch unter beständiger Aufsicht.
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Alt 01.05.2006, 13:07
#50
Tari Ceres
Reisender
 
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Beiträge: 1.193
Als Tari wieder aufwachte, fühlten ihre Knochen sich an wie Blei. Mit erschrockener Miene wuselte Carlin um sie herum, während Alaron sie vorsichtig zurück ins Bett legte und zudeckte. Sie fühlte sich hundeelend, dabei war Stunden vorher noch alles in Ordnung gewesen - weitestgehend.
Nachdem sie Gwes klargemacht hatte, dass sie nicht weiter herumliegen wollte, hatte er ihr erlaubt, sich in die Küche zu setzen und dort etwas zu essen. Irgendwann war er gegangen, um ein paar dringende Erledigungen zu machen. Er war noch nicht lange zur Tür hinaus gewesen, als Alaron eintrat. Mit besorgter Miene erkundigte er sich nach ihrem Befinden. Froh über jede Abwechslung unterhielt sie sich eine ganze Weile mit ihm. Sie klagte ihm ihre Sorgen über das Heilerhaus, dass der Baron offenbar ein riesiges Problem mit ihr hatte, obwohl sie nur versucht hatte, alles richtig zu machen. Ihm persönlich hätte sie sicher nicht verschwiegen, dass Angelina bei ihr war. Aber woher sollte sie ahnen, dass ein Korporal auch mehr zu sagen hatte als...?

Ihr Gedankengang wurde von Schwärze unterbrochen. Eine Faust hatte sie an der Schläfe getroffen und ehe sie sich dessen bewusst wurde, sank sie bewusstlos in ihrem Stuhl zusammen.

Erst als Alaron Carlin mit lauter Stimme zur Hilfe rief, wurde sie wieder wach. Es brauchte einen Augenblick, ehe sie wieder wusste, wo sie war. Da wurde sie bereits hochgehoben und weggetragen.
Die nächsten Stunden verbrachte sie im Dämmerschlaf, nur am Rande mitbekommend, wie erst Carlin, dann Gwes sie untersuchten und so gut es ging versorgten. Tari konnte ihr Herz rasen spüren, bei dem Versuch, das in gerade noch lebenserhaltener Menge vorhandene Blut durch ihre Adern zu befördern. Sie konnte nicht einschätzen, wie viele Stunden wohl vergangen waren, ehe sie sich wieder halbwegs entspannen konnte und das Herz nicht mehr ganz so schmerzhaft schnell schlug. In leicht durchschaubarer Ruhe erklärte Gwes ihr dann, dass sie wohl einen Schwächeanfall gehabt hatte und einfach umgefallen sei. Sie konnte ihm ansehen, was er sich für Sorgen machte. Auch sie selbst verstand nicht ganz, wie das geschehen sein konnte.
Am liebsten hätte sie sich einfach zusammengerollt und geschlafen, aber die letzten Tage waren so erdrückend langweilig gewesen, dass sie ihre Gesellschaft jetzt um keinen Preis hergeben wollte. Irgendwann kam noch Telgorond, der neue Alchemist hinzu und unterhielt sich mit ihnen. Tari blickte verstohlen zu Gwes herüber. Gelegenheit, für eine Minute die Augen zu schließen, ohne die Gesellschaft gleich zu vertreiben. So vergingen die nächsten Stunden, in denen sie sich mal mehr, mal weniger aktiv am Gespräch beteiligte.
Als es schon dämmerte, kam zu Taris Freude Narsieda mit ihrer kleinen Tochter zu Besuch. Sie vermisste ihre Kinder, aber Gwes hatte Recht: Die drei wilden Rangen wären jetzt vermutlich wirklich viel zu viel für sie gewesen. Irgendwann war dann auch Narsieda wieder weg, mit dem Versprechen, am nächsten Tag wiederzukommen. Die Tür hatte sich noch nicht einmal hinter ihr geschlossen, als Tari schon in tiefen Schlaf gefallen war der erst spät am nächsten Tag wieder enden würde.
Tari Ceres ist offline  
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