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Alt 01.05.2006, 14:54
#51
Gwescan Asturone
Reisender
 
Registriert seit: 07 Jan 2005
Beiträge: 346
Leise öffnete Gwes die Tür zum Krankensaal und trat auf Zehenspitzen an Taris Bett. Ihre relativ ruhigen Atemzüge verrieten den tiefen, heilsamen Schlaf. Für den Augenblick beruhigt, zog Gwes die Tür leise hinter sich zu und wandte sich an Carlin: "Ich habe noch eine Besorgung zu erledigen. Du schaust bitte regelmäßig nach Tari, bis ich zurückkehre. Es wird nicht lange dauern. Nur so lange, wie ein Fußmarsch zum Kloster und wieder zurück."

Carlin riß etwas erstaunt beide Augen auf, verkniff sich aber jede spitze Bemerkung und nickte pflichtschuldig.

Nur wenig mehr als zwei Stunden waren verstrichen, als Gwes erneut das Heilerhaus betrat. Sein Päckchen mit dem Gold und der Bitte um Gebete für Taris Gesundheit hatte er den Händen des klösterlichen Stallmeisters überantwortet. Er hatte sich in seinen Umhang gehüllt, sein Gesicht vorsichtig im Dunklen gehalten und nur wenige Worte gesprochen. Er war sicher, daß Asken ihn nicht erkannt hatte. Niemand brauchte zu wissen, wie sehr er sich um Taris Leben sorgte. Es ging sie alle nichts an.

Knapp nickte er Carlin zu, betrat dann die Küche, legte Umhang und Mütze ab und griff nach einem der Stühle. Leise, um Tari nicht zu wecken, tastete er sich durch die Dunkelheit des Krankensaals. Den Stuhl stellte er dicht neben ihr Bett. Er streckte er die Beine aus und gähnte erschöpft. Behutsam suchte er in der Finsternis nach Taris Hand, nahm sie in die seine. Wie kühl sie sich anfühlte - und wie sehr er wünschte, er könnte einen Teil von seiner Lebenskraft auf sie übertragen!
Mit diesem innigen Wunsch in seinem Herzen schlief er, ohne es zu wollen, ein.
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Alt 02.05.2006, 14:02
#52
Tari Ceres
Reisender
 
Registriert seit: 23 Jul 2004
Beiträge: 1.193
Der letzte Abend war ereignisreich gewesen. Gleich eine ganze Gruppe von Leuten hatte den Frieden im Heilerhaus druchbrochen, vornean der Major, mit Chana im Arm. Instinktiv erhob Tari sich aus ihrem Bett. Sie war Heilerin und da war eine Verletzte. Dass sie sich eigentlich selbst kaum auf den Beinen halten konnte, und die bewusstlose Frau vor ihr nicht mehr ihre Freundin war, zählte dabei nicht. Sie würde niemanden, der Hilfe brauchte, achtlos liegen lassen.

Ihr Einsatz scheiterte jedoch Sekunden später an Gwes, der ganz offensichtlich nicht wollte, dass sie ihm half. Stattdessen drückte Narsieda ihr die kleine Ciama in die Hand und kümmerte sich um die Dinge, die Tari sonst getan hätte. "Von der Heilerin zur Amme degradiert", dachte sie einen Augenblick finster, doch der Anblick des Säuglings brachte sie dann doch zum Lächeln. Es war schon schön gewesen, als ihre Zwillinge noch so klein gewesen waren, dass sie sie überall mit hin tragen konnte. Wie gerne hätte sie noch ein Kind gehabt, wo sie Kinder doch so liebte. Aber es war wohl der falsche Zeitpunkt, um über so etwas nachzudenken.

Eine ganze Weile lief Gwes geschäftig um Chana herum, und von ihrem entfernten Bett aus konnte sie erkennen, dass es sich dabei nicht um die Verletzungen eines einfachen Unfalls handelte. Es wunderte Tari nicht wirklich, dass sie früher oder später jemand so zurichtete. Das Gerücht (wobei Tari selbst ja wusste, dass es mehr als ein Gerücht war), dass sie mit Arian zu tun hatte, hatte ihr vermutlich mehr Feinde eingebracht, als man sich vorstellen konnte. Vermutlich war darunter irgendjemand gewesen, der die Gelegenheit nutzen wollte, um sich durch sie an Arian zu rächen.

Chana tat ihr leid. Was auch immer passiert war, Tari war sich sicher, dass es Chana nicht ganz unschuldig getroffen hatte. Dennoch gab es nichts, was es rechtfertigte, einen Menschen so zuzurichten.

Nachdem Chana versorgt worden war, verlief der Abend in ruhigeren Bahnen. Nach mehrmaligem Bitten hatte Gwes zugestimmt, sich noch eine Weile mit ihr in die Küche zu setzen. Tari war froh, einen Augenblick aus dem Krankenzimmer herauszukommen, denn obgleich ihr die Müdigkeit vieles entgehen ließ, waren Tayras und Chanas Getuschel und die Blicke nicht zu übersehen. Es lag auf der Hand, dass man hier Freundinnen, die sich nie wieder vereinen würden, in einen Raum gesperrt hatte.

Am nächsten Morgen wurde Tari von unterdrücktem Getuschel wach. Langsam und nur einen Spalt breit öffnete sie die Augen. Im dämmrigen Licht des Morgens konnte sie Tayra dabei beobachten, wie sie Chana aus dem Bett half. Das hätte sie sich ja denken können. Tari mochte es seit jeher nicht, dass ihre Patienten sich manchmal selbst aus ihren Händen entließen, und dass Chana, die es eigentlich besser wissen müsste, ebenso hielt, konnte sie nur als rücksichtslos bezeichnen. Persönlich war sie zwar froh, nicht mehr krampfhaft in eine andere Richtung sehen zu müssen, wenn sie Chanas Blick auf sich ruhen fühlte. Dennoch war es dumm und würde Gwes sicher noch einigen Ärger ins Haus bringen. Tari hätte das Haus darauf verwettet, dass die Garde Chanas Aussage so schnell wie möglich haben wollte.

Gwes.. Tari hoffte inständig, dass er sein Versprechen gehalten und sich nebenan ins Bett gelegt hatte, um zu schlafen. Denn wenn er so weiter machen würde, dann würden die beiden wohl bald die Rollen tauschen und er läge hier im Bett, während sie sich Sorgen machte.
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Alt 30.06.2006, 13:21
Abschied... f
#53
Tari Ceres
Reisender
 
Registriert seit: 23 Jul 2004
Beiträge: 1.193
Leise rauschend plätscherte das Wasser gegen die dicken Pfosten, die den Kai des britainer Hafens stützten. Besonders viel Salz schien heute, an diesem warmen Sommermorgen in der Luft zu liegen. Mit den Zwillingen an der Hand und Levin, der wie immer stolz sein stumpfes, kleines Schwert mit sich herumtrug, stand sie dicht am Rand und sah dem Fährschiff nach, das soeben den Hafen verlassen hatte und nun seine Segel setzte. Trotz der Morgensonne, die ihr in die Augen schien, konnte sie noch die Gestalt an der Reling ausmachen, die mit zum Abschied erhobener Hand stumm zu ihnen herübersah. Es war vielleicht zwei oder drei Jahre her gewesen, dass Alvel – damals gemeinsam mit Levin – dieselbe Reise angetreten hatte. Dieses mal jedoch wussten sie, dass sie an seinem Zustand nichts ändern würde.

Seit Arian, ihr bester Freund Arian, ihrem Mann den Rücken gebrochen hatte, hatte sich bei ihnen alles verändert. Tari wusste nicht mehr, wem sie noch vertrauen sollte, hatte diese eine, schreckliche Erfahrung doch noch weitere Enttäuschungen mit sich gebracht. Alvel versuchte, sein Schicksal mit Würde zu tragen, doch war das kaum möglich. Mit seinem steifen Bein hatte er Mühe, die kleinste Treppe zu bewältigen – einer der Gründe, weshalb sie ihr schönes, großes Haus hatten verlassen müssen: Im neuen Haus lag das Schlafzimmer im Erdgeschoss.
Alvels Stimmung wurde immer düsterer, war er doch mehr oder weniger ans Haus gefesselt. Ob Tari sich wegen seiner schlechten Laune mehr und mehr in die Arbeit stürzte, oder ob ihre häufige Abwesenheit von daheim selbige verursachte, vermochten beide im nachhinein nicht mehr zu sagen. Dennoch wurde die Situation für beide immer unerträglicher. Tari litt unter dem Leid ihres Mannes und unter ihren Schuldgefühlen, die sie in manchen Augenblicken zu erdrücken drohten. Wenn sie den Meinungen der anderen geglaubt hätte, wenn sie sich besser um ihn gekümmert hätte, anstatt sich blind in Arbeit und Leben zu stürzen, dann würde es ihm heute vielleicht besser gehen. Doch diese Gedankengänge führten zu nichts. Sie tat was sie konnte, und beide waren gleichermaßen daran schuld, wie es mit ihrer Ehe nun stand.
Es war Zeit für eine Veränderung geworden. Leicht fiel es ihr nicht, ihrem Mann vorzuschlagen, eine Reise zu unternehmen, um sich zu erholen und etwas von seinem Alltagstrott abzulenken. Glaron sei Dank hatte Alvel jedoch schon die gleichen Gedanken gehegt, sie nur nie geäußert, aus Rücksicht auf seine Frau, die auch so schon genug Arbeit hatte.
Also setzten sie sich eines Abends gemeinsam hin, um eine Reise nach Faerlan zu planen. Alvel wollte seine Schwägerin, Marill, eine Weile in ihrem Gasthaus besuchen und ihren Kindern Geschichten zu erzählen. Anschließend wollte er ein paar Monde bei seinen Eltern verbringen und die Gelegenheit nutzen, die Hauptstadt zu besuchen. Im Laufe des Abends wurde Alvel in Anbetracht der Reise immer lebhafter, immer neue Dinge fielen ihm ein, die er tun wollte, und immer neue Orte, die er unbedingt sehen musste. So wälzten sie stundenlang Atlanten und Karten, um eine Liste aller interessanten Gegenden zu erstellen. Nur die Reihenfolge, wann er was tat, wollte Alvel sich offen halten.

Ein paar Tage später war es dann schon so weit. Eifer hatte Alvel gepackt und ein Bote, der seinen Besuch bei Marill ankündigte, war schon ausgesandt. Mit etwas Einsatz und einer hübschen Stange Geld war dann eine Passage auf der nächsten Fähre gebucht worden.
Und hier standen sie nun. Das Schiff entfernte sich immer weiter und war bald nur noch ein kleiner Punkt am Horizont. Die Zwillinge begannen zu weinen. Es wurde Zeit für den Rückweg. Sie mussten ihr Leben jetzt neu ordnen, Alvel würde wohl frühestens im nächsten Frühjahr zurückkehren, wenn er überhaupt zurückkehren würde. Das war viel Zeit, um sich über die eigenen Gefühle und Gedanken im Klaren zu werden. Hoffte sie.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 26.07.2006, 00:12
#54
Tari Ceres
Reisender
 
Registriert seit: 23 Jul 2004
Beiträge: 1.193
Liebste Tari,

vorgestern bin ich endlich bei deiner Schwester angekommen. Die Reise war länger als erwartet, so dass ich meinen Aufenthalt bei Marill verkürzen muss, um rechtzeitig bei meinem Bruder zu sein. Von dort aus werden wir dann weiter aufbrechen nach...


Seufzend legte Tari den Brief beiseite. Die Faltkanten waren vom vielen Lesen schon ganz dünn geworden und würden wohl bald reissen. Bald zweieinhalb Monde war es nun her, seit der Bote ihr das mitgenommene Schreiben überbracht hatte, das erste, dem noch viele folgen sollten, das hatte er versprochen.
Aber warum kam nichts mehr?
In Gedanken malte sie sich die schlimmsten Dinge aus, die ihrem Mann zugestoßen sein könnten. Er könnte mit seinem Bruder in den Bergen abgestürzt sein. Vielleicht hatte man sie überfallen. War er überhaupt heil bei seiner Familie angekommen?
Tagtäglich holte sie die Karten hervor, um mit dem Finger die Route nachzufahren, die Alvel und Natu gehen wollten. Wann immer sie von einem Schiff aus Faerlan hörte, hielt sie sich möglichst viel zuhause auf, um ja keinen Boten zu verpassen. Doch die Wochen vergingen, und bisher hatte sie nichts mehr gehört.

Die Kinder nahmen die Abwesenheit ihres Vaters unterschiedlich auf. Levin vermisste ihn, doch war er von seinem Unterricht so sehr in Beschlag genommen, dass ihm das Fehlen Alvels höchstens beim Zubettgehen bewusst wurde. Faminia war da ebenfalls recht unkompliziert, sie lebte ja in ihrer eigenen, kleinen, friedlichen Welt. Salunia hingegen machte ihrer Mutter ernsthaft Sorgen. Auf jeden Mann, der sie daheim besuchte reagierte sie äußerst zurückhaltend. Zu Taris Entsetzen hatte das kleine Mädchen auf die Frage, ob sie ihren Vater vermisse, allen ernstes behauptet, sie habe keinen Vater.

Sie selbst hatte erst nach Alvels Abreise überhaupt gemerkt, wie sehr sie ihren Mann vermisste. Alltag, Leid und Arbeit hatten ihre Liebe so gut wie ersticken lassen. Dennoch waren sie immer noch ein Paar und gehörten zusammen. Nicht nur vor Glaron, sondern auch vor sich selbst und ihren Kindern. Eine Familie war nichts, was man leichtfertig zerbrechen lassen durfte, aus welchen Gründen auch immer, das war ihr nun klar geworden. Doch ein leises Stimmchen in ihr fragte scheinheilig "Und was ist mit dir...?"
Und so schob Tari die sich ihr aufdrängenden Fragen und Gefühle der Schuld und der Verantwortung für alles, was in ihrem Leben schief ging, wieder einmal beiseite, in der Hoffnung, dass eines Tages irgendjemand ihr irgendwie die Entscheidung abnehmen würde.

Ihre Gedanken wanderten zu Gwes. Er war vor wenigen Wochen ohne ein Wort auf Reisen gegangen, wie es typisch für ihn war. Tari war sich sicher, dass er irgendwo Ärger gehabt hatte. Wenn es nicht unmittelbar mit der Garde zu tun hatte, dann sicherlich mit dem Major. Ihr waren die unsicheren Blicke zwischen Sianne und Gwes nicht entgangen. Vielleicht war aber auch Angelina Schuld an dieser Reise. Gwes hatte sie oft genug von hinten bewundert, wenn er sich unbeobachtet fühlte.
Sie hätte es vorhersagen können: Kaum war sie mit ihren Schützlingen allein im Heilerhaus, wurde jede Hand gebraucht. Gleich drei Fälle hatte sie am Vortag erledigen müssen, und zu allem Unglück war Angelina irgendein alchemistisches Experiment misslungen und hatte heillose Unordnung in ihrer Küche hinterlassen. An solchen Tagen hätte Tari am liebsten die Tür hinter sich zugeschlagen und wäre ebenfalls einfach irgendwohin verschwunden. Aber sie konnte das Heilerhaus doch nicht schon wieder im Stich lassen. So stand sie also auch weiterhin jeden Morgen als Erste in der Tür des Heilerhauses, um wenigstens während des Tages das Bedürfnis, dem nahe zu sein, den sie liebte, mit dem Wunsch zu unterdrücken, anderen ihr Leid zu mindern.
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Alt 04.08.2006, 00:33
#55
Tari Ceres
Reisender
 
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Krachend, lauter als beabsichtigt, schlug sie die Tür des Hauses hinter sich zu. Wohnstube und Schlafzimmer offen stehen lassend warf Tari sich auf das große Bett und vergrub das Gesicht in den Armen. Einen Augenblick lag sie still da, ehe ihre Enttäuschung, die sich den vergangenen Tag über aufgestaut hatte, sich ihren Weg ins Freie suchte.

Am frühen Abend war sie in den Tala gegangen, um etwas Brot fürs Heilerhaus zu kaufen. Dort war sie auf Melina gestoßen. Melinas unbegründbare Abneigung ihr gegenüber war nichts neues für sie und sie war es müde, ständig Ausreden zu suchen, mit denen sie das Verhalten anderer rechtfertigen konnte. Daher lehnte sie eine Einladung an Melinas Tisch ab und nahm anderswo Platz.
Eine Weile später entdeckte sie Gwes mit Melina tuschelnd. Sie konnte den Stich nicht verhindern, den sie bei diesem Anblick fühlte. Er war also von seiner Reise zurück, von der sie erst durch Carlin erfahren hatte. Und offenbar hielt er es nicht einmal für nötig, sie zu grüßen.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, die Luft im Raum würde stickig werden, Übelkeit stieg in ihr auf. Hastig verabschiedete sie sich mit einer Ausrede, ohne auf die Übrigen zu achten.
Draußen rempelte sie eine junge Frau an. Während sie noch herauszufinden versuchte, ob dem Mädchen etwas fehlte, bemerkte sie, wie Gwes sich an ihr vorbeizustehlen suchte. Und ehe sie sich besinnen konnte, war es ihr herausgerutscht "Ich wünsche dir viel Spaß mit Melina.. dass sie leicht zu haben ist, wissen wir ja schon dank Kart." Sie wusste, dass sie damit einen Volltreffer gelandet hatte, Gwes Gesicht sprach Bände. Enttäuschung hatte sich in ihr ausgebreitet. So viel lag ihm also an ihr, dass er sich monatelang irgendwo herumtrieb und dann nach seiner Rückkehr mit der Nächstbesten nach Hause verschwand. Im Gegenteil, er schien gar nicht zu verstehen, warum sie so verärgert auf ihn reagierte.

Am liebsten hätte sie ihm dafür eine Ohrfeige gegeben, doch die umstehenden Zeugen ihres leisen, aber heftigen Disputes sahen schon mehr über ihre Enttäuschung und ihren Ärger, als ihr lieb war.
Völlig aus der Fassung brachte er sie dann, als er ihr vorschlug, doch mitzugehen. Hatte er das wirklich gesagt? War er noch bei Trost? Melina hatte seit gut einem Jahr kein Wort mehr mit ihr gewechselt und er erwartete allen ernstes, sie würden auch nur miteinander reden? Sie weigerte sich, doch er griff sie an der Hand und zog sie mit sich, mochte sie sich noch so sträuben. Bei der ungeduldig wartenden Melina stieß sie jedoch auf unverhoffte Schützenhilfe "Was willst du mit dieser Schnepfe? Lass sie hier." Tari fühlte sich durch diese Worte nicht einmal beleidigt, sie hoffte nur, dass Gwes nun klein beigeben und mit Melina heim gehen würde. Und sie selbst könnte ihn endlich ruhigen gewissens hassen, wie sie es schon so oft versucht hatte. Aber er war immer noch von der fixen Idee besessen, beide mitzunehmen. Wenn nun auch (vorerst?) nicht mehr, um irgendetwas unanständiges zu tun, sondern um die beiden verstockten Frauen zur Aussprache zu bewegen. Aber Tari wollte nicht und wehrte sich weiter, so gut es ging.
Mit einem Mal tauchte der Major hinter Gwes auf und seinem erfahrenen Blick entging die Lage nicht. Gwes ließ Tari so plötzlich los, dass sie einen Schritt nach hinten stolperte. "Was ist hier los?" fragte der Major mit strenger Stimme. Tari kochte vor Wut und Enttäuschung über Gwes rücksichtsloses, indiskretes Verhalten. Es lag ihr schon auf der Zunge, zu erwidern "Nichts, ausser dass Herr Asturone und Eure Frau mich zu einem Stelldichein zwingen wollten." Doch da traf sie Gwes bittender Blick. Sie wusste, was für eine Angst er vor dem Major hatte und sie war sich ziemlich sicher, wie der Major auf so eine Aussage reagieren würde. Sie brachte es nicht übers Herz.
"Nichts Herr Major.. er ist nur etwas angetrunken", erwiderte sie also, und fragte sich in Gedanken, warum sie überhaupt noch etwas für ihn tat. Nachdem ihr angeboten worden war, sie zum Heilerhaus zu geleiten - offenbar und ja ganz zu recht traute der Major Gwes nicht -, kehrte sie unbewacht dorthin zurück. Auf dem Fuß folgte ihr, eben so eisig schweigend wie sie selbst, Gwes. Wäre sie nicht so aufgewühlt gewesen, wäre sie vermutlich so geistesgegenwärtig gewesen, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. So aber ließ sie es zu, dass er ihr ins Haus folgte. Eine Weile standen sie nur verärgert schweigend mit dem Rücken zueinander.
Irgendwann kam Melina. "Ah.. hier bist du. Oh.. und sie auch." Innerlich rollte Tari mit den Augen. Das Gebäude gehörte ihr und sie arbeitete hier als Vorsteherin mit der Erlaubnis des Barons von Britain und der von ihr mehr denn je geschätzten Herzogin. Wenn einer von den dreien also Recht und Grund hatte, hier anwesend zu sein, dann sie selbst. Gwes versuchte, die Gelegenheit zu einer Aussprache zwischen den beiden zu nutzen. Warum Melina wütend auf Tari sei, wollte er wissen. Dass sie die Stadt im Stich gelassen und nach Fenisthal, ausgerechnet nach Fenisthal, gegangen sei, war die Antwort. Tari schloß die Augen. Das beklemmende Gefühl in ihrer Brust stieg. Ja, sie hatte die Stadt im Stich gelassen, einen ganzen Monat lang. Und es war beschämend gewesen, dass erst Erindor Brithil diesen Fehler aufzeigen konnte, dass sie selbst in ihrem blinden Ärger nicht bemerkt hatte, was sie damit unverantwortliches tat. Doch das war schon Ewigkeiten her, und seitdem bemühte sie sich nach Kräften, es wieder gut zu machen. Sehr zu Lasten ihrer Familie.
Wie benommen setzte Tari sich an den Tisch. Sie bekam die Diskussion zwischen Gwes und Melina mit, hörte zu ihrem Schrecken, dass Arian offenbar wieder sein Unwesen trieb und Melinas Familie, wenn nicht sogar die ganze Stadt bedrohte. Hätte sie doch nur früher etwas gemerkt.
Während der Kloß in ihrem Hals immer größer wurde und sie das Gefühl hatte, gleich zu ersticken, wurde das Gespräch zwischen den anderen beiden wieder entspannter. Sie machten schon wieder Scherze, die Tari am liebsten im Boden hätten versinken lassen.
"Jetzt fehlt nur noch Tari", meinte Gwes gut gelaunt, als Melina sich irgendwann neben ihn gesetzt hatte. Doch ihr selbst reichte es. Noch eine Minute länger, und sie würde platzen. Wortlos räumte sie ihre Sachen weg und nahm ihren Umhang. "Carlin ich werde die nächsten Tage nicht da sein.. ich.. ich fühle mich nicht so gut." Diese Lüge musste sein. Sie konnte Gwes einfach nicht mehr ins Gesicht sehen. Sie konnte ihn nicht mehr hören in dem Bewusstsein, dass er ihr eh nur Lügen erzählen würde, und war er mal ehrlich zu ihr, dann war es meist so verletzend, dass sie sich wünschte, er hätte sie angelogen. Sie musste endlich Ordnung schaffen in ihrem Gefühlschaos und das ging nicht, wenn sie ihm gleich am nächsten Tag die Gelegenheit gab, sie wieder um den Finger zu wickeln. Denn darin war er zweifelsohne ein Experte.

Fast fluchtartig hatte sie also das Heilerhaus verlassen und war auf dem schnellsten Weg heimgekehrt. Verzweifelt überlegte sie, was sie nun tun sollte. Sie könnte ihm die Schlüssel fürs Heilerhaus abnehmen und ihm sagen, dass er nie wieder herkommen sollte. Aber brachte sie das übers Herz? Er war eindeutig eine wertvolle Hilfe für sie, auch wenn die meisten seiner Charaktereigenschaften ihr die Haare zu Berge stehen ließen. Andererseits wusste sie nicht, wie lange sie dieses hin und her aus Freundschaft und Streit noch ertragen konnte. Nicht einmal reden konnte sie mit jemandem darüber, denn sie wusste, welch zweifelhaftes Licht es auf sie werfen würde, wenn jemand erfuhr, wie sie sich fühlte. Ganz zu schweigen davon, dass sie damit auch ihm schaden würde. Und egal ob sie ihn nun mochte oder hasste, wenn er Ärger mit jemandem hatte, wollte sie nicht der Auslöser sein.
Einen Augenblick kam ihr der Gedanke, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen. Zweifelsohne war er - wie lächerlich - eifersüchtig auf Herrn Toda. Es hatte in Taris Leben ausser Gwes und Alvel nur einen Mann gegeben, der ihr ansatzweise etwas bedeutet hatte, und das war Tarnum gewesen. Ja, jetzt erinnerte sie sich auch, wie eifersüchtig die beiden stets aufeinander gewesen waren. Damals hatte sie es nicht verstanden, da Gwes für sie nicht mehr gewesen war, als ein neuer Kollege.
Doch im nächsten Augenblick verwarf sie den Gedanken wieder. So niederträchtig war sie einfach nicht.

So zog sie sich die Decke über den Kopf und betete inständig, dass die Welt untergehen würde, ehe sie gewzungen war, eine von vielen möglichen Entscheidungen zu treffen, die sie vermutlich alle nicht glücklich machen konnten.
Tari Ceres ist offline  
Geändert von Tari Ceres (04.08.2006 um 18:08 Uhr).
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Alt 04.08.2006, 12:46
Was ist nur mit Mami los?
#56
Salunia Ceres
Reisender
 
Registriert seit: 13 May 2005
Beiträge: 15
"Och Mimi du störst mich!" nörgelnd schmiss Salunia ihre pinke Kuschelkuh die Treppe runter... wobei es ihr im selben Moment schon wieder leid tat! Was wenn Mimi sich nun verletzt hatte?!
Rasch hopste Salunia, schon immer der motorisch weitere Zwilling, die Treppe hinab und schloss Mimi die die Beine von sich gestreck auf dem Rücken lag in ihre Arme. "Oh tut mir leid Mimi... aber ich muss manchmal auch alleine arbeiten!" Murmelte Salu leise in das kleine Kuhohr und streichelte den schon recht ausgefransten Rücken entlang.
Sie spielte in letzter Zeit immer "Mama und Mimi" wobei Salunia die Mamarolle einnahm und die kleine Kuh eben ihre kleine Tochter war. Einen Papa gibt es nicht, auch wenn Levin es ihr einige Male angeboten hatte. Nein nein, Papas sollte es nie wieder in ihrem Leben geben!

Salunias Blick hob sich schnell zur Wohnzimmertür als sie etwas scheppern hörte. Auf Zehenspitzen schlich sie zur halb offenen Tür und luscherte heimlich in den Raum. Mama hockte vor einer Komode und war dabei Besteck zu pulieren... Hat sie das nicht erst gestern abend getan?

Verwundert hoben sich die kindlich hellen Brauen und Salu drehte den Kuhkopf so, dass Mimis Knopfaugen in Taris Richtung deuteten. "Schau Mimi... meine Mami muss nicht mehr arbeiten glaub ich...." Wisperte sie wieder leise in das Kuhohr und ließ die schmalen Schultern ein klein wenig sinken.

Es war irgendwie seltsam. Erst hatte Papa sie alle verlassen... Was Salunia absolut noch nicht verarbeit hatte. Doch wenn Mama oder sonst wer sie auf Papa ansprach, stellte Salunia sich auf stur... schwieg oder sprach prompt von etwas ganz anderem.
Auch wenn Famina von Papa reden wollte... rutschte Salunia ab und zu die Hand aus. Ihre Schwester sollte endlich aufhören von ihm zu reden!!! Er hatte sie allein gelassen und das nicht zum ersten Mal!!! Er hatte sie ganz gewiss nicht mehr lieb, da war Salunia sich in ihrer kindlichen Kombinationsarbeit hundert Prozentig sicher!

Und dann war Mama immmmmer weg. Zwar machte Mami noch oft Frühstück... und las ihr abends noch eine Gutenachtgeschichte vor. Aber... den Tag über war Mami immer weg! Salunia hatte sich schon ein paar Mal vorgenommen Mama zu fragen ob sie auch bald ganz wegbleibt, wie Papa eben... Aber immer wenn sie Mama dann sah war ihr Herz mit so viel Freude überschwemmt das sie einfach nicht sowas fragen konnte. Was würde auch passieren würde Mami das bejahen?!

Und nun war Mami zu Hause... auch am Tag! Was irgendwie verwirrend war... und Salunia überhaupt nicht verstand. Nicht nur das sie da war, sie war auch noch anders. Salunia wollte fast nicht von Mamis Seite weichen... irgendwie hatte sie angst, das Mami traurig war. Oder irgendwie... komisch!

"Ah ich weiß!" flüsterte Salu ihrer Kuh frölich lächelnd in das kleine Ohr und stülpte sich die Wollmütze auf den Kopf um leise das Haus zu verlassen. Draußen sammelte sie viele viele bunte Blätter und hielt sie wie einen Blumenstrauß zusammen. Das würde Mama sicher freuen!!!! Und vielleicht würde sie auch mal wieder lächeln? So wie früher... als Papa noch da war?!

Wieder drinnen angekommen tapste Salunia die Treppe zur Küche hinauf nahm sich ein Glas welches sie mit Wasser füllte und stopfte die Blätter eher gequetscht als hübsch in das Glas hinein.

"Du wartest hier, Mami muss das allein runterbringen!" Befahl Salunia ihrer Kuh welche sie auf einen Stuhl niedergelegt hatte und ging das Glas vorsichtig in beiden Händen balancierend hinab.

"Mami...?" Langsam trat Salu in das Wohnzimmer doch Mama war nicht mehr hier. Das pulierte Besteck lag zwar noch auf dem Tisch doch war von Mami nichts zu sehen! Blinzelnd stellte Salunia ihren "Strauß" auf den Esstisch und schlich auf Zehenspitzen zum Schlafzimmer wo Mama auf dem Bett lag... War sie etwa schon wieder müde??? Verwirrt sah Salu kurz zum Fenster.. es war doch helligster Tag!....?

Ganz leise krabbelte das Mädchen auf das Ehebett welches ohne Alvel immer genug Platz für die ganze Familie bot und schlüpfte unter die Decke sich an Mama kuschelnd welche ihre Tochter auch gleich schmuesend in den Arm nahm und ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn gab. "Mami... du musst mal wieder glücklich sein ja?" flüsterte Salunia bevor sie ihre Augen schloss und das erste Mal seit Jahren freiwillig die Augen schloss um ein Mittagsschläfchen zu halten.
Salunia Ceres ist offline  
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Alt 04.08.2006, 13:47
#57
Tari Ceres
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Mit verkniffener Miene saß Tari in der Stube und wienerte ihr Silberbesteck, das wertvolle Geschenk zu ihrer Hochzeit, das nur zu ganz besonderen Anlässen hervorgeholt wurde. Es glänzte schon längst im Tageslicht, Tari konnte ihr Spiegelbild in dem Metall erkennen, ohne dass es durch eine Kerbe oder einen Kratzer gestört wurde. Wie blass sie aussah.. aber sie hatte auch nicht sonderlich gut geschlafen, immer wieder hatte ihre Enttäuschung sich Luft gemacht und ihr den Schlaf geraubt. Und alles nur weil dieser elende Trampel einfach keinen Anstand besaß.
Leise seufzend legte sie das Besteck und das weiche Poliertuch auf den Tisch. Sie hielt es einfach nicht aus. Alvel war fort, Gwes ein Idiot und die ganze Welt verstand sie nicht. Die Arme voran ließ sie sich ins Bett fallen und rollte sich auf die Seite. Es brachte ja alles nichts. Niemand brauchte sie, niemand wollte sie und überhaupt wusste keiner zu schätzen, wie sehr sie sich abmühte.
Eine Weile lag sie halb dösend, halb ihren Gedanken nachhängend im Bett. Irgendwann merkte sie, wie Salunia zu ihr unter die Decke kroch. Sachte lächelnd legte sie den Arm um die Kleine. Wären sie doch alle noch wie Kinder, so ehrlich und ohne jede Arglist. Sie musste einige Tränen mühsam hinunterkämpfen, als sie Salus Worte hörte. Kindermund tut Wahrheit kund, dachte sie sich. Wenn es doch nur so einfach wäre, der Aufforderung ihrer Tochter nachzukommen...

Etwa eine Stunde später schreckte sie wieder hoch. Sie war wohl eingeschlafen. Nur widerstrebend verließ sie das warme Bett, in dem Salu noch friedlich schlummerte. Tari schob die schweren Vorhänge, die das Zimmer den ganzen Tag verdunkelten beiseite und sah hinaus. Es war ein wenig neblig draussen. Unzweifelhaft wurde Herbst. Wenn jetzt nicht bald ein Brief von Alvel kam, würde sie den ganzen Winter warten müssen, denn die ersten Schiffe von Faerlan würden erst im Frühjahr wieder anlegen.
In Gedanken ging sie weiter in die Stube und übersah im ersten Augenblick den etwas missglückten Strauß bunter Herbstblumen. Wie lieb ihre Kleine war. Wieso konnte Gwes sich nicht einmal zu so etwas hinreissen lassen, ohne gleich Hintergedanken zu hegen?

Energisch schob Tari den Gedanken beiseite. Sie wollte nichts mehr von irgendwelchen Männern wissen. Die nächsten Tage galten ihren Kindern. Sie würde mit ihnen spazieren gehen, sich von Levins Fortschritten überzeugen und ihren neuen Nachbarn, Herrn Toda, fragen, ob er Salunia und Faminia ein wenig in Lesen und Schreiben lehren konnte. Sie konnte und wollte das Heilerhaus nicht im Stich lassen, aber ein paar Tage Ruhe, das konnte niemand ihr verwehren. Angelina und Carlin würden es gemeinsam schon schaffen, und bei einem Notfall würde sie die beiden sicher nicht im Regen stehen lassen.
Auf jeden Fall würde sich im Hause Ceres einiges ändern, zumindest so weit es sich mit ihrer Arbeit vereinbaren ließ.
Während sie ihren Gedanken nachhing, kam ihr Faminia die Treppe hinab entgegen und stürmte ihr in die Arme. Sanft lächelnd hob sie die kleine hoch und ging mit ihr ins Schlafzimmer. Sogleich kuschelte Fami sich an ihre schlafende Schwester. Wie gut die beiden sich doch vertragen konnten, wenn sie es wollten.
Wenn schon nicht wirklich glücklich, doch wenigstens neu motiviert stieg Tari hinauf in die Küche. Der heutige Tag wurde zum "ungesunden Tag" erklärt. Die Kinder bekamen einen selbstgebackenen Apfelkuchen mit Milch und Tari würde ihren Kummer mit einem Becher heissem, gewürzten Wein dämpfen. Wenigstens, bis er sie Nachts, wenn die Kinder schliefen und sie wieder allein war, wieder einholen würde...
Tari Ceres ist offline  
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Alt 11.08.2006, 13:26
Mama ist wieder weg
#58
Salunia Ceres
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Die Unterlippe schmollig vorgeschoben setzte Salunia sich auf ihr Bett mit dem Gesicht zur Wand gedreht.

"Ah Salu man!" fluchte Levin genärvt und schmiss ein Kissen nach seiner Schwester die nur regungslos im Schneidersitz saß und als Reaktion die Arme verschränkte. "Geh weg!" Schrie sie dann so laut, dass Fami schnell ihre Hände auf ihre Ohren drückte. "Wir gehen jetzt zu Laro!" Schrit Levin genärvt zurrück, nahm Famina an die Hand und stapfte wütend die Treppe hinab.

Salunia ist widermal absolut ausgerastet... wie so oft in den letzten Monaten.

Als Levin ihr gesagt hatte das Mama nicht nach Hause kommt weil sie krank ist... und das ihre liebe Nachbarin nun erstmal für sie sorgen würde hat sie einfach angefangen zu schreien.

Erst bleibt Mama tagelang da... und dann ist sie wieder weg!!! Ohne was zu sagen... und man kann ja nicht auf einmal krank werden....!!!

Mit wütenden Blick kullerten ein paar Tränen über ihre etwas roten Wangen... aus Wut oder aus Trauer war unerkennlich... und tatsächlich war es eine Mischung aus beidem.

Mit entschlossenen Schritten stapfte sie durch das leere Haus hinab in das Wohnzimmer und zog sich ein Malblatt vor die Nase. Ein paar Tränen und ein wenig Rotz tropften auf das Papier das sie mit rotem Stift bemalte.

Auf dem Blatt waren fünf erkennbare Menschen gemalt. Einer war recht groß und hatte einen Bart doch war er mit einem Kreuz durchgestrichen wobei das Kreuz sicherlich zehnmal mit Druck nachgezeichnet wurde. So dass das Papier gar ein wenig eingerissen war. Neben jenem stand eine mittelgroße Figur und zwei kleinere Figuren wobei die eine kleine Figur ein wenig außerhalb stand. Die beiden zusammenstehen "Kleinen" lächelten vergnügt und die Alleinige hatte die Mundwinkel weit hinabgezogen. In der oberen linken Ecke war dann noch eine Figur mit einem Kleid an. Jene schaute auch traurig und hatte lange wirre Haare.
Salunia begann zu schluchzen, als sie auch über jene "Frau" ein Kreuz malte... aber bei weitem nicht so dick wie jenes über dem Mann.

Vor Wut zerknüddelte die das Blatt Papier und warf es mit all ihrer kindlichen Kraft in den Raum hinein so das es in der Mitte des Wohnzimmers zum Ball zerknüllt liegen blieb.

"Keiner hat mich lieb..." Schluchzte sie leis und eilte wieder zu ihrem Zimmer hinauf nun nur noch traurig weinend.... kaum noch wütend.
Salunia Ceres ist offline  
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Alt 11.08.2006, 15:19
#59
Gwescan Asturone
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Gwes fluchte leise vor sich hin, als er, deutlich angetrunken, auf seinem Weg vom "Troll" nach Hause im Dunkel über ein Bündel Mensch stolperte. Die Gestalt kam ihm sofort vage bekannt vor. Vorsichtig drehte er die Bewußtlose auf den Rücken und hob die Laterne etwas, so daß Licht auf ihr Gesicht fiel. Schlagartig wurde er nüchtern: Tari!

Sie war bleich wie der Tod. Sofort waren alle anderen Probleme vergessen, als hätte es niemals Streit zwischen ihnen gegeben. Ohne darüber nachdenken zu müssen, legte er die mittleren drei Finger seiner rechten Hand auf ihre Halsschlagader. Allen Göttern sei Dank: Sie lebte noch! Doch ihr Puls ging viel zu schnell und zu flach. Was war das nur für eine Krankheit? Das war nun schon das dritte Mal, daß sie einen solchen Anfall hatte. Vorsichtig hob Gwes sie in seine Arme und trug sie zum Heilerhaus. Mit dem Ellenbogen öffnete er die Tür und war gerade dabei, sie behutsam seitlich durch den Eingang zu bugsieren, als Carlins Stimme ungläubig von drinnen ertönte: "Gwes? Seid Ihr das? Hattet Ihr Euch nicht gestern verabschiedet, für immer? Wolltet Ihr uns nicht verlassen und nach Faerlan zurückkehren?" Gwes antwortete lakonisch: "Ja, aber das war gestern - und nun öffne mir die Türen."

Sobald Carlin erkannte, wen Gwes dort trug, kam Leben in ihn. Rasch eilte er voraus, öffnete alle Türen und bereitete eines der Betten vor. Vorsichtig legte Gwes Tari darauf nieder. Ohne Worte wechseln zu müssen, arbeiteten Carlin und er zügig und effizient Hand in Hand, versorgten die Beule an Taris Kopf, untersuchten sie und sorgten dafür, daß ihr unterkühlter Körper warmgehalten wurde. Schließlich gab es nichts weiter zu tun, als abzuwarten. Vielsagend blickten sich die beiden Heiler über Taris bleiche Gestalt hinweg an.
Gwescan Asturone ist offline  
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Alt 11.08.2006, 15:32
#60
Tari Ceres
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Der frühe Morgen war seine ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer, in dem Tari schon geraume Zeit im Dämmerschlaf war. Sie fühlte sich unendlich müde und ein wenig übel war ihr auch, ganz zu schweigen von den Kopfschmerzen. Aber das war es nicht, warum sie sich so elend fühlte:
Auf ihr Drängen hin hatte Gwes sie zur Geheimnisträgerin gemacht und nun bereute sie es schmerzlich. Sie hielt es für richtig, die anderen zur warnen, doch Gwes hatte sie bekniet, es für sich zu behalten, und sie verstand warum. Sie selbst wurde vom Major schon nur geduldet, bei Gwes lauerte er vermutlich nur darauf, irgendeinen Grund zu finden, ihn wieder zu bestrafen. Obwohl er doch diesmal wirklich unschuldig war. Aber vermutlich würde sein langes Zögern schon Grund genug sein.
Sie wusste nicht, wie lange sie schon hier lag, war es ein Tag? Zwei? Hatte sie vielleicht sogar drei Tage durchgeschlafen? Eine Lösung musste her!

Entschlossen schlug Tari ihre Bettdecke zurück und schwang die Beine über den Bettrand. Schwungvoll und entschieden stand sie auf und bereute es sogleich. Sie spürte, wie ihr Herz zu rasen begann und einen Augenblick wurde ihr schwarz vor Augen. Am liebsten hätte sie sich gleich wieder hingelegt, aber es musste sein, sonst würde sie sich ihre Untätigkeit für den Rest ihres Lebens vorwerfen.
In kleinen, leisen Schritten ging sie zur Tür und spähte in die Küche. Im Dämmerlicht konnte sie Gwes Schemen erkennen. Offenbar war er über einer Tasse Tee am Herd eingeschlafen. Leise kam sie näher. In solchen Momenten, wenn sie sah, wie er sich um sie zu kümmern versuchte, bekam sie immer ein schlechtes Gewissen für die Vorwürfe, die sie ihm manchmal machte. Andererseits fühlte Tari sich in solchen Fällen meist zu ihren Vorwürfen berechtigt. Sie seufzte leise. Vorsichtig nahm sie seinen Umhang, der mal wieder achtlos über einen der Stühle geworfen war und deckte ihn behutsam damit zu. Einen Augenblick hielt sie inne, um sein nun friedliches Gesicht mit einem betrübten Lächeln zu betrachten. Er regte sich kurz, und erschrocken hielt sie inne. Unbewusst hielt sie sogar die Luft an. Wenn er jetzt aufwachte, würde es ein Donnerwetter geben. Sie wusste ja selbst, dass sie im Bett jetzt am besten aufgehoben war, aber sie musste etwas tun, das keinen Aufschub duldete. Und Gwes würde das nicht verstehen, nicht wollen.
Also setzte sie ihren Weg leise fort. Für einen Moment legte sie ihr Ohr an die Tür zu Carlins Kammer. Glaron sei Dank, der alte Mann schlief. Aber vermutlich nicht mehr allzu lang. Im Vorraum angekommen suchte sie rasch ein Pergament heraus und beschriftete es mit einem Kohlestift. Dabei gab sie sich redlich Mühe, in Druckbuchstaben zu schreiben. Als sie fertig war faltete sie den Zettel zusammen und steckte ihn ein. Jetzt musste er nur irgendwie überbracht werden. Suchend sah sie aus dem Fenster. Ob sie einen Botenjungen fand?

Sie musste ein paar Straßen weit gehen, ehe sie an einem kleinen Feuer sitzend ein paar Jungen fand, von denen einer sich bereiterklärte, ihre Nachricht zu überbringen. Aber wohin sollte sie sie bringen lassen? Wenn sie sie direkt zur Garde bringen lassen würde, würde man den Botenjungen vermutlich nach dem Absender fragen. Er könnte es zum Haus des Majors bringen. Nein. So weit sie es mitbekommen hatte, wohnten der Major und Melina wieder im Schloss. Vielleicht Sianne.. ja.. Sianne.. der Botenjunge sollte versuchen, sie zu finden und ihr den Zettel irgendwie zuzustecken. Ein paar zusätzliche Goldstücke überzeugten den Jungen von dieser unkonventionellen Methode, und noch ein paar weitere ließen ihn versprechen, eine völlig falsche Beschreibung von ihr zu geben, wenn Sianne ihn dabei erwischen würde.

Erleichtert ging Tari zurück zum Heilerhaus. Ohne Umhang fror sie in diesen frühen Morgenstunden schrecklich, obgleich sie das Gefühl hatte, ihr Gesicht würde förmlich glühen. Sie wollte zurück ins Bett. Leise ging sie zurück in ihr Zimmer. In Carlins Kammer raschelte es bereits. Er würde wohl bald aufstehen, dann würde auch Gwes geweckt werden. Sie hatte es wohl so gerade noch geschafft. Müde ließ sie sich zurück ins Bett fallen. War es nicht ein wenig albern gewesen, all diese Vorsichtsmaßnahmen mit dem Botenjungen, als habe sie etwas zu verbergen? In Gedanken schüttelte sie den Kopf. Es war der einzige Weg, diese Last von sich zu nehmen und gleichzeitig Gwes Vertrauen nur so weit zu strapazieren, dass sie das Wissen von ihm weitergab, ohne ihn zu verraten.

Langsam dämmerte sie wieder ein, immer noch frierend in ihre dicke Decke gewickelt. Hoffentlich war der anstrengende Gang nicht umsonst gewesen. Hoffentlich fand Sianne ihre Botschaft bald und nahm sie ernst. Hoffentlich.. sonst möge Glaron ihnen allen gnädig sein.
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Alt 11.08.2006, 17:09
#61
Sianne Lordal
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Sianne war gerade auf den Weg in den Stall, um ihr Lieblingspferd Sanjo zu holen, als ein kleiner Strassenjunge sie fast umrennt, ängstlich zu ihr hochsieht und fragt: "Wer bist du?" Verdutzt antwortet Sianne: "Sianne Govaine. und wer bist du??"
Der Junge steckt ihr nur einen Zettel hastig in die Hand und rennt davon. "Hey, bleib stehen, ich will doch nur wissen, wer du bist und von wem du hast hier überbringst.!!??" Doch der Junge war schon über alle Berge.

Kopfschütteltnd betrat Sianne den Stall, dort entfaltet sie jenen und liest ihn.....
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Alt 18.08.2006, 09:40
#62
Tari Ceres
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"Liebe Tochter,

gestern erreichte mich dein besorgter Brief, in welchem du dich nach deinem Mann und deinem Schwager erkundigst. So will ich versuchen, dir Auskunft zu geben, denn es ist schon geraume Zeit her, seit Alvel und Natu hier aufgebrochen sind. Genauer waren es nun zwei Monde, dass sie beschlossen haben, das Fangkagebirge zu überqueren. Du kannst dir vorstellen, dass ich selbst nicht wenig in Sorge bin, dieser Weg ist nicht sehr einfach, vor allem nicht für Alvel, und erst recht nicht, wenn es auf den Winter zugeht. Meine beiden Söhne wollten den schwierigsten Teil jedoch vor Wintereinbruch durchquert haben und die kälteste Zeit dann in einer der Handelsstädte am Fuß des Gebirges verbringen. Sie müssten also schon bald dort ankommen und werden sicher bald von sich hören lassen.
Doch lass mich zu erfreulicherem kommen: Dein Schwager Derrin hat geheiratet, das erste Kind steht schon an, ich werde also erneut Großmutter und du wirst Tante..."


Mit zwiegespaltenen Gefühlen legte Tari den Brief ihrer Schwiegermutter beiseite. Alvel geht es also gut. Zumindest tat es das vor drei Monaten, als er vom Haus seiner Eltern aus aufbrach. Warum hatte er ihr keinen Brief von dort aus geschickt? Oder war er nur nicht angekommen? Sie war beruhigt, dass Ihr Mann immerhin die weite Reise zu seinen Eltern wohlbehalten überstanden hatte. Dass er sich entgegen ihren Rat und den seiner Eltern ins Fangkagebirge aufgemacht hatte, beunruhigte sie hingegen sehr. Das Gebirge war recht hoch, nur wenige Pässe führten hindurch und die schneiten schon recht früh im Jahr zu. Und in den wenigen Monaten, in denen die Wege passierbar waren, konnte alles mögliche passieren: Räuberbanden, Steinschläge, Lawinen... Tari mochte gar nicht daran denken.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 22.08.2006, 16:14
#63
Tari Ceres
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Mit nachdenklicher Miene, aber einem leichten Lächeln auf die Lippen sah Tari auf die Tür, die sich wenige Augenblicke zuvor hinter Melina geschlossen hatte. Ihr Besuch war wirklich eine Überrschung gewesen, mit der Tari nicht gerechnet hatte, noch weniger mit dem, was Melina zu sagen hatte.
Offenbar hatte Melina in der letzten Zeit viel nachgedacht. Sie entschuldigte sich für ihr Verhalten und erklärte, wie es dazu gekommen war. Tari konnte Melina verstehen. Natürlich gehörte es sich für eine gute Ehefrau, zu ihrem Mann zu halten und ihn zu unterstützen. Obgleich der Major seine feindliche Einstellung gegenüber Fenisthal gut zu verbergen wusste, hätte Tari sich eigentlich denken können, dass hinter Melinas Verhalten ihr gegenüber mehr stecken musste, als nur eine Laune.
Dennoch war das Thema nicht so einfach, wie es erschien. Die Stellung, die der Major und auch der Baron von Britain gegen Fenisthal innehielten, hatten sicher ihre Begründungen. Aber man konnte doch weder einen Britainer, noch einen Fenisthaler für das verantwortlich machen, was ihr Lehnsherr tat. Gerade Tari, die ja nicht einmal dem Orden der Yil'Daner angehörte, hatte ja nun wirklich nicht den geringsten Einfluss auf das, was in Fenisthal vor sich ging. Ebenso wenig wie jemand wie Brulmir wohl dem Baron von Britain irgendetwas sagen konnte. Das versuchte Tari nun auch Melina zu erklären.
Die beiden zerstrittenen Frauen redeten eine ganze Weile miteinander. Nicht ein böses Wort fiel zwischen den beiden. Gwes hätte seine helle Freude gehabt, die beiden so einmütig zusammen sitzen zu sehen. Melina erzählte Tari, wie sehr sie sich von Bolwen entfernt hätte, und Tari vertraute Melina an, dass es ihr mit Alvel zum Ende hin nicht anders gegangen wäre.
Auch über ihre Kinder sprachen die beiden. Siannes Verlobung war eine Überraschung für Tari, wenn auch eine freudige. Melina sah sich offenbar schon als Großmutter. Wie gern würde Tari auch noch einmal ein Kind bekommen... aber wie sollte das gehen, ohne Vater? Solange sie allein zuhause war und sich um drei kleine Kinder und das Heilerhaus und ihre Schülerinnen kümmern musste, hatte ein viertes Kind, wohl leider keinen Platz in ihrem Leben.
Auch über Gwes sprachen die beiden. Sie hatten ihn beide gern, Melina meinte, dass sie seine lockere Art so schätzte. Es stimmte schon, seine Unkompliziertheit war erfrischend und tat ihr gut. Andererseits war gerade das auch in den meisten Fällen der Auslöser für Streit. Aber wie konnte sie Melina das erklären, ohne ihr die Dinge zu verraten, die Gwes ihr über sein Leben anvertraut hatte?
Also wechselten sie das Thema. Noch einge ganze Zeit saßen sie gemeinsam in der Küche und unterhielten sich. Dass Melina wieder mit Chana befreundet war, betrübte Tari. Sie glaubte nicht nur, dass Chana mittlerweile nur noch falsch war, sie wusste es. Zu schwer lag ihr auf der Seele, dass Chana lieber Arian deckte, anstatt ihre beste Freundin zu warnen, dass sie selbst ihren Mann für Arian verließ und dass Tari und Alvel nicht ein Wort des Bedauerns oder gar der Entschuldigung von ihr gehört hatten, als sie erfahren hatte, was Arian Alvel angetan hatte.
Aber sie war zu froh, dass endlich wieder Frieden zwischen ihr und Melina herrschte. Es war nicht sonderlich angenehm gewesen, sich aus dem Weg zu gehen. Sie hatte Melina und ihren Mann vor Chana gewarnt, mehr konnte sie auch nicht tun. Sie wollte die neu geschlossene Freundschaft nicht gleich wieder mit irgendwelchen Diskussionen über andere Leute zum Wanken bringen.
Stattdessen lud sie Melina zu sich nach Fenisthal ein. Herrn Toda würde sie auch dazuholen. Tari hatte miterlebt, wie Melina ihm die Freundschaft gekündigt hatte, und er würde sich sicher freuen, wenn er wieder auf freundschaftliche Weise mit ihr zusammenkommen könnte.
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Alt 30.08.2006, 18:21
#64
Tari Ceres
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Tari saß sicher schon eine Stunde in ihrer Stube und hatte kein einziges Wort gesagt. Der einstmals heisse und stark dampfende Gewürzwein, den Gwes ihr hingestellt hatte, war mittlerweile auf Zimmertemperatur heruntergekühlt und begann, bitter zu riechen.
Den ganzen Tag war sie wie betäubt durch die Gegend gelaufen und erst jetzt hatte sie Ruhe gefunden.
Nachdem Arian sie am Vorabend aufgesucht hatte, um zu erfahren, mit welchen Tränken der Major sich vor ihm zu schützen versuchte, hatte sie das Gefühl, die Welt stand Kopf. Er war völlig wahnsinnig geworden, anders konnte sie sein Verhalten nicht erklären. Die Art, wie er von seiner Kunst, wie er es nannte, sprach und wie er von Chana gesprochen hatte, die also wirklich zu Arian gehalten hatte. Ganz so, wie sie es schon seit Arians Angriff auf Alvel zu wissen geahnt hatte.
Und zu allem Unglück hatte auch noch der Zufall auf seiner Seite gestanden. Jetzt kannte Arian auch ihre letzte Schwäche, den Punkt, an den er jeden Hebel ansetzen konnte, wenn er sie zu irgendetwas zwingen wollte. Wie er mit gezogenem Dolch vor ihr stand und gedroht hatte, was geschehen würde, wenn sie sich nicht bei ihm entschuldigen würde. Dabei hatte sie nur von ihm verlangt, dass er die in Ruhe lassen sollte, die ihm nichts getan hatten. Für einen vom Konzil ausgezeichneten Magier ungebührlich, hatte er ihr Verhalten bezeichnet. Mit jedem Wort, das Arian mehr sprach hatte Tari das Gefühl, als hätte er sich selbst zerstört. Vielleicht war der Arian, den sie gekannt und geschätzt hatte kein Kind von Unschuld gewesen, aber ein Funken Ehre, Respekt und Freundschaft war in ihm gewesen. Doch davon konnte sie nichts mehr erkennen, nur noch das fanatische Glitzern in seinen Augen, als er von der Macht sprach, die die Angst anderer ihm zukommen ließe.
Obwohl sie es längst besser wissen sollte, hatte sie versucht mit Fragen und Vorwürfen an sein Gewissen zu appellieren. Doch am Ende war ihr nichts mehr übrig geblieben, als ihn um Verzeihung zu bitten, obgleich sie der Ansicht war, dass er sie für seine Taten um Verzeihung hätte bitten müssen.
Dann war er fort und zurück blieb nur der Auftrag, dem Baron von Fenisthal eine Nachricht zu überbringen. Mit besorgtem Blick hörte er sich an, was sie ihm von Arian sagen sollte, ehe er sie ohne eine Reaktion auf das Gesagte fortschickte. Seine vermutlich gut gemeinten Worte halfen ihr nicht viel, sie änderten nichts an ihrer Lage. Ohnehin verunsicherte seine Anwesenheit sie noch mehr, seit sie von den Verbrechen gehört hatte, die Arian ihm vorwarf. Sie wusste nicht, wem sie glauben sollte, und generell wollte sie seit dem Eklat mit dem Baron von Britain vor nunmehr einem Jahr nichts mehr mit Politik zu tun haben. Sie hatte ihre Botschaft überbracht, was der Baron damit tat, war nicht ihre Sache.

Das war ihr Pflichtteil gewesen. Auf dem Rückweg hatte sie mit ein paar dahingestammelten Entschuldigungen ihre Kinder bei Haldur abgeholt. Nun saßen die drei in der Stube auf den Stühlen. Im Flur stapelten sich ein paar Taschen, die mit Kinderwinterkleidung und Puppen gefüllt waren. Salunia hatte ihre Stoffkuh Mimi in ihren Armen und starrte bockig auf den Tisch. Levin verstand wohl noch am ehesten, warum ihre Mutter sie nun wegschickte. Tari hatte ihren Kindern nie geradeheraus gesagt, wer ihrem Vater all das angetan hatte, aber als sie Levin erklärte, dass dieser Mann zurück war, und sie sich Sorgen machte, half er ihr, ein paar Kindersachen einzupacken und versuchte, seine Schwestern zu beruhigen.
Er war viel schneller erwachsen geworden, als er sollte, ging Tari durch den Kopf. Aber das konnte kaum verwundern, hatte er doch nach und nach die Aufgaben seines Vaters übernommen.
Irgendwann klopfte es. Ihre alte Nachbarin aus Minoc stand vor der Tür. Auf Taris verzweifelte Bitten hatte sie sich bereit erklärt, eine Reise zu ihrer Schwester zu machen und die drei Kinder auf dem Weg bei Alvels Eltern abzusetzen. Ein hastig geschriebener Brief musste fürs Erste reichen, um ihrer Schwiegermutter den unerwarteten Besuch zu erklären und sie um Obdach für ihre Kinder zu bitten.
Schweren Herzens brachte Tari die Nachbarin und die Kinder nach Britain zum Hafen. Mit Tränen in den Augen umarmte sie Faminia und gab ihr einen Kuss. Dann drückte sie auch Levin an sich, ermahnte ihn noch einmal, sich gut zu benehmen und bat ihn, gut auf die Schwestern zu achten, was er ihr feierlich versprach. Zuletzt wollte Tari Salunia in den Arm nehmen, doch das kleine Mädchen schob nur beleidigt die Unterlippe vor und kehrte ihr den Rücken zu. Tari wusste, was in ihr vorging. Erst verschwand der Vater, und nun schickte auch noch die Mutter sie weg. Aber wie sollte sie einer fünfjährigen erklären, dass sie Angst um ihr Leben hatte? Dass sie ihre eigenen Kinder nicht zu beschützen vermochte?
Ihre Nachbarin legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. "Ich werde es ihr erklären, jeden Tag, wenn es sein muss. Macht Euch keine Sorgen, im Frühjahr wird sie sich freuen, Euch wiederzusehen." Tari lächelte dankbar.
Dann legte das Schiff ab und entfernte sich. Nun war sie allein. Gwes hatte recht, sie wollte nie allein sein, nicht in diesem großen, leeren, stillen Haus. Aber diesmal ging es nicht anders. Sie konnte sich nicht die nächsten drei Jahre irgendwo verstecken, damit ihren Kindern nichts geschah. Bei ihren Schwiegereltern waren sie sicher, und sie würden sie zu guten Menschen erziehen, wenn ihr etwas geschah.
Bei diesem Gedanken schossen ihr die Tränen in die Augen. Es lag in Glarons Hand, dass sie sich unnötig Sorgen machte, dass Arian niemals einen Grund haben würde, ihr zu drohen, dass sie die Kinder grundlos weggeschickt hatte. Doch lieber kam sie ein halbes Jahr ohne ihre Kinder aus, als dass sie früher oder später gezwungen sein würde, sie zu beerdigen. Sie, oder die anderen Menschen die ihr so viel bedeuteten.
Langsam und in Gedanken bahnte sie sich ihren Weg durch die engen Gassen des Hafens. Es gab zu viele, die ihr etwas bedeuteten. Sie sah keinen anderen Weg, als noch mehr Verbindungen zu unterbrechen, an denen ihr etwas lag. Noch einmal wollte sie nicht mitansehen müssen, wie ein Leben zerstört wurde, das ihr teuer war.
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Geändert von Tari Ceres (30.08.2006 um 18:23 Uhr).
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Alt 10.10.2006, 23:51
#65
Tari Ceres
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"Liebste Tochter,
ich hoffe, dich bei guter Gesundheit zu wissen, wenn mein Schreiben dich erreicht. Leider hat der Winter die längste Zeit ja jeden Briefverkehr verhindert, selbst bei diesem Brief bin ich mir noch nicht sicher, wann und ob er dich überhaupt erreicht. Ich hoffe es doch sehr, habe ich doch wichtige Neuigkeiten.
Verzeih, wenn es mir schwerfällt, die richtigen Worte zu wählen, denn was ich dir mitzuteilen habe, fällt mir nicht leicht. Doch ich schreibe es lieber geradeheraus, als dich mit Ausflüchten zu quälen.
Vor etwa einem Monat begann es hier wärmer zu werden und der starke Wind ließ nach. Dein Schwiegervater und dein Schwager Derrin nutzten das gute Wetter und brachen mit ihren Pferden auf zum Gebirge. Tari, ich bitte Glaron, dass du nicht allein bist, wenn du meine Zeilen liest. Sie haben Alvel und Natu gefunden, irgendwo im Gebirge, sie sagen mir nichts genaues. Sie waren schrecklich zugerichtet und ich konnte meinen geliebten Sohn nur an seinem Ehering erkennen, den ich dir mit diesem Brief übersende. Vermutlich haben die beiden schon vor Einbruch des Winters ihr Leben gelassen.
Wie konnte der Herr es geschehen lassen, einer Mutter ihre Söhne zu entreissen, deinen Kindern ihren Vater und dir deinen Mann? Ich wünschte ich hätte tröstende Worte für dich, doch fühle ich mich selbst über diesen Verlust so niedergeschlagen, dass ich meiner Trauer nicht anders Ausdruck zu verleihen weiss, als zu weinen und zu klagen.
Deine lieben Kleinen sind mir dabei eine große Stütze und auch wenn die Umstände, dass du sie mir geschickt hast, mehr als schrecklich sind, bin ich nun dankbar, sie um mich zu haben. Sei dir versichert, dass sie mir willkommen sind, solange du es bei dir daheim für zu gefährlich hältst. Auch du wirst uns immer willkommen sein, wenn du dich eines Tages entschließen solltest, deine Insel zu verlassen.

Deine dich liebende Schwiegermutter

P.S.: Natu und Alvel wurden hier auf dem Friedhof in einer bewegenden Messe beigesetzt. Vielleicht ist es dir ein Trost, dass sie bei ihrer Familie sind und du dir keine Sorgen um ihr Seelenheil machen musst."


völlig erstarrt starrte Tari den kleinen, rotgolden schimmernden Ring an, der dem Brief beilag. Mit zitternden Fingern gehalten schimmerte er besonders hell im Licht der Kerzen. In seinem Inneren konnte man zwei Buchstaben erkennen, ein A und ein T, kunstvoll in einander verschlungen. Das Gegenstück dazu steckte auf ihrem dünnen Finger, aus selbem Material, mit der selben Gravur. Bald sechs Jahre war es her gewesen, dass Alvel und Tari sich in Faerlan ewige Liebe und Treue geschworen und dies mit ihren Ringen besiegelt hatten.
Viel war nicht übrig geblieben von ihrer Ehe. Tari erinnerte sich noch an ein Gespräch mit Melina, kurz nach Alvels Abreise, als sie sich gerade wieder versöhnt hatten. Wie es wirklich daheim gewesen war, wusste wohl niemand so genau. Alvels verbitterte Miene, wenn er im Wohnzimmer saß und nur darauf wartete, dass die Zeit verging. Sie wusste, dass er ihr keine Schuld daran gab, was Arian ihm angetan hatte, aber seitdem harderte er seinem Schicksal mit aller ihm gegebener Kraft.
Tari war froh gewesen, Alvel auf die Reise zu schicken, froh, nicht weiter jeden Tag vergebens versuchen zu müssen, ihn aufzumuntern. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, war sie auch froh gewesen, dass sie die Sorge um ihn für ein paar Monate würde beiseite schieben können, um ihrem eigenen Leben etwas mehr Raum zu bieten.
Kopfschüttelnd umschloss sie den Ring fester, als könne sie ihn zerdrücken. Hätte, so es überhaupt jemanden auf Erden gab, nicht sie diejenige sein müssen, die das Leid ihres Mannes hätte lindern können? Hätte sie in ihrer Arbeit als Heilerin nicht noch tausendundein Hausmittel kennen müssen, mit dem sie ihm die Schmerzen nehmen und sein Bein beweglich machen konnte? Hätte sie als seine Ehefrau nicht noch beständiger versuchen müssen, ihm Mut zuzusprechen, ihm aufzuzeigen, dass sein Leben auch ausserhalb der Garde einen Sinn hatte?
Vergebens versuchte sie, die Tränen, die niemand sah, zurückzuhalten. Ihre Lippen bebten und jeder Atemzug war mehr ein verzweifeltes Japsen, denn der ruhige Atem einer Frau, die schon lange nicht mehr verzweifelte, wenn sie einen Schwerverletzten in ihrer Obhut hatte.
Um sich selbst zu beruhigen griff sie wieder nach dem Brief. Sicher hatte sie sich verlesen, Alvel und Natu waren sicher nur verletzt, sie hatte es nur falsch verstanden. Doch so oft sie die Zeilen auch lesen mochte, sie veränderten sich nicht und ihr Inhalt war unmissverständlich.
Verzweifelt schob sie den Brief von sich, den Ring noch immer fest umklammert. Schweigend sah sie zur Tür, als müsse jederzeit Alvel eintreten. Oder die Kinder. Oder irgendjemand sonst. Doch nichts geschah, totenstill war es im Haus. Nur das Schnaufen der Pferde und die Geräusche der gerüsteten Stadtwachen drangen von draussen herein. Nein, hier war niemand, der kommen würde. Ihre gesamte Familie war tausende Meilen weit weg, und im Winter würde ohnehin niemand nach Fenisthal hinausreiten, nur in der Hoffnung, einen Becher gewürzten Wein bei ihr zu bekommen.
Vorsichtig, als wäre er aus Glas, legte sie den Ring auf den Tisch, ehe sie die Hände wie in Zeitlupe vor ihr Gesicht schob. Endlich konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen, sich Trauer um den Verlust und Selbstvorwürfen hingeben und bereuen, dass sie es in ihrer Gutgläubigkeit so weit hatte kommen lassen, dass man ihre Familie zerstörte.

Einige Stunden saß sie da und weinte, und immer, wenn sie sich halbwegs beruhigt hatte, brachte sie sich selbst mit einer Wiederholung ihrer Vorwürfe erneut zum Weinen. Erst als der Abend dämmerte, wurde sie ruhiger, hatte ihre ganze Kraft weggeweint und saß jetzt nur noch still auf ihrem Stuhl. Die Arme hatte sie so verschränkt, dass sie sich selbst hielt, und ihre Augen sahen müde und verständnislos auf das Papier vor ihr.
Nach und nach brannten die Kerzen herunter, und das Feuer im Kamin erlosch, doch Tari rührte sich nicht. Erst als die Kälte der Nacht das Haus ergriff und in ihre Glieder drang, regte sie sich wieder. Wie eine Schlafende ging sie zum Nebenzimmer, wo sie sich angekleidet aufs Bett legte und in eine Decke wickelte.

Die Kerzen und Feuer im Haus würden in den nächsten Tagen nicht mehr brennen.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 11.10.2006, 13:41
Papa wohnt im Himmel
#66
Salunia Ceres
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Kurz huschte ihr Blick zu Levin... er stand dicht an Oma- ihre Hand in seiner haltend und weinte wie ein Schlosshund. Wann hatte sie ihren großen Bruder das letzte Mal weinen sehen?! Kam das überhaupt einmal vor?! Fast ein wenig verwundert beschaute sich die nun fünfjährige Salunia ihren Bruder eine ganze Zeit lang und drehte mit dem rechten Zeigefinger unsicher an ihrem linken, schwarzen Zöpfchen herum. Was sie immer tat, war sie nachdenklich, verlegen oder aber verwirrt. Gerade jetzt war sie alles.
Der feste Händedruck ihrer Zwillingsschwester weckte sie wieder und rasch sah Salu wieder geradeaus, wo einige Männer gerade den letzten der beiden Särge in die Erde niederlassen. Ein Mann in einer hübschen Gewandung murmelte die ganze Zeit Worte, welche Salunia nicht einmal wirklich verstand. Doch immer wenn das „So sei es“ erklang sprach sie diese Worte begeistert nach... das kannte sie aus der Kirche daheim!
Unverständlich blinzelnd legte Salu ihren Kopf schräg und beobachtete Opa und Onkel Derrin, wie sie zu dem Loch traten und mit einer kleinen Schaufel etwas Sand hinabrieseln ließen. Als Opa begann zu weinen stützte Onkel Derrin ihn und sie gingen beiseite... das schockte das kleine Mädchen noch mehr. Alle um sie herum schienen seit Tagen zu weinen!!! Papa war tot- das heißt, er ist bei Glaron und wohnt da jetzt. Und er kommt nie mehr wieder, aber er sieht einem vom Himmel aus. Das wusste Salu... das wurde ihr von Oma so erklärt. Aber warum weinten dann alle??? Am liebsten würde Salu auch mal tot sein... sie wollte schon immer mal schauen wie es im Himmel so aussieht!!! Aber Oma hatte sie nur kopfschüttelnd umarmt und sie fest in den Arm genommen als sie jenen Wunsch geäußert hatte. „Schätzchen, mein kleines Kätzchen....“ hatte sie immer wieder schluchzend gesagt und Salu so sehr an ihre Brust gedrückt das sie fast angst hatte zu ersticken!
Salu hatte mit Famina extra Stöcker gesammelt und sie mit Bändern so gut es ging zusammengebunden. Das war eine Arbeit von einem halben Tag und Salu war unheimlich stolz! Es sollte ein Geschenk für Oma und Opa sein... aber sie hatten sich nicht mal gefreut... obwohl Salu doch nun ganz allein Knoten machen konnte!!!
Etwas stockend tapsten die beiden Zwillinge, in neuen schwarzen Kleider gewandet zu den offenen Gräbern und blickten etwas unsicher hinab. Oma hatte sie sanft an den Rücken angestubst und drückte Salu und Famina nun jeweils eine Schaufel in die Hand. „Etwas Erde meine Kätzchen... werft etwas Erde hinab und sagt eurem Papa lebe wohl....“ Ihre Stimme war kaum zu verstehen so zitterig und verweint war sie. Aber das Spiel buddeln kannte Salu! Also nahm sie so viel Erde wie es mit dem Schaufelchen eben möglich war auf und ließ es hinab auf den Holzsarg fallen wobei man die Steinchen leis klopfen hörte. Selbiges tat auch Famina, wenn sie Salunia auch den Vortritt ließ und sich eher schüchtern zurückhielt. Dabei hielten sich die Mädchen die ganze Zeit bei den Händen. „Leb wohl sagen?“ flüsterte Famina ihrer Schwester fragend entgegen. Salu blinzelte Famina fragend an und nickte dann- obwohl sie nicht verstand... doch vielleicht machte Oma das glücklich?!
„Leb wohl Papa...“ sagten dann die beiden Mädchen wie aus einem Mund und Oma wimmerte verletzt auf, so das es Salu kalt den Rücken hinablief. Hatte sie Oma damit etwa weh getan?!
„Kommt Schätzchen... kommt.“ Murmelte Tante Mina und nahm die beiden Zwillinge an die Hand um sie wegzuführen.
Beide Mädchen hasteten ihrer Tante hinterher zu den anderen die etwas abseits am Gras standen. Es waren auch Leute dabei, die kannte Salu nicht mal. Und jene traten an sie heran, schüttelten die kleinen Hände und wünschten Beileid. Beileid... „Was ist’n das?!“ fragte Salunia neugierig und sah zu Mina hoch- doch jene schüttelte nur andeutend den Kopf und legte einen Finger vor ihren Mund. Fast schon eingeschnappt stampfte Salu einmal auf und löste sich von Famina um zu ihrem Opa zu gehen, welcher sich auf die Wiese gesetzt hatte und in das Leere blickte. Ohne weiter zu fragen kuschelte Salunia sich auf seinen Schoß und zuppelte mit Daumen und Zeigefinger an seinen dunkelgrauen Bart herum... wie sie es bei jedem Mann tat den sie gern hatte. Auch bei Papa aber Papa...
„Papa ist im Himmel Opa und er guckt auf uns runter.“ Murmelte Salu ihrem Opa zu und blickte ihn mit großen blauen Kulleraugen an. Jener senkte nun langsam seinen Blick zu seiner Enkelin hinab und tätschelte ihr die rosigen Wangen. „Ja Kätzchen... und er wird immer auf dich aufpassen....“ Salunia nickte stolz und breitete die Arme aus und deutete ein wedeln an- worauf Opa tatsächlich leise lachte!!!! Nach so langer Zeit!!!! „Ja.... oh du Hummelchen!“ Rasch nahm er Salunia in den Arm, streichelte ihren Hinterkopf und drückte sie etwas wiegend an sich. Schon wieder so eine komische Umarmung.
„Opa...?“ Salunias Stimme war ein wenig gedämpft, sprach sie doch gegen den Mantelstoff von Opa.
„Schätzchen?“ erwiderte er ebenfalls gedämpft- hörbar dem weinen nahe.
„Und auf dich auch... und auf Oma... Tante Mina und Onkel Derrin... und auch auf Fami und Levin und vor allem auf meine Mami!“ verkündete Salunia stolz und löste sich ein wenig um ihren Opa ansehen zu können. Ihr Opa sah seine Enkelin ganz stolz an... nickte, wobei Tränen über seine Wangen liefen und sich im Bart verhetterten und flüsterte leis. „Ja auf uns alle passt dein Papa auf... Kätzchen.“
Salunia nickte zufrieden, kuschelte sich wieder an die Brust von Opa und kraulte seinen Bart weiter. „Und weißt du noch was?“ verkündete sie piepsig. „Hm?“ erwiederte Opa nur leis. „Ich mag bald mal wieder zu Mami ja?“ Doch antworte Opa nicht... er stand auf, seine Enkelin im Arm haltend und trat zu den anderen zurück, würde es jetzt doch den Totenschmaus geben.
Salunia Ceres ist offline  
Geändert von Salunia Ceres (11.10.2006 um 13:43 Uhr).
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Alt 17.10.2006, 23:23
#67
Tari Ceres
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Registriert seit: 23 Jul 2004
Beiträge: 1.193
Als Tari, wie es mittlerweile ihre Gewohnheit geworden war, schon bei Anbruch der Dämmerung im Heilerhaus erschien, trat ihr ein übermüdet wirkender Carlin entgegen.
"Tari, sitzt dieser Mann noch vor dem Haus..?"
Fragend sah sie ihren ältlichen Kollegen an. "Ein Mann? Nein, da war niemand.. was für ein Mann denn?"
Mit knappen Worten erklärte Carlin von dem Landstreicher, der schon seit Tagen unauffällig ums Haus strich. Nur durch Zufall war er Carlin aufgefallen, und seitdem hatte selbiger den Mann den ganzen Tag und die ganze Nacht über vom Fenster aus beobachtet. Viel getan hatte er nicht, nur auf dem Gartenzaun gesessen, ab und zu eine Flasche aus seiner Tasche geholt und etwas getrunken und dann wieder wortlos die Straße hinuntergesehen. Hereingekommen war er nicht und Carlin hatte es auch nicht gewagt, hinauszugehen, um den Mann nach seinem Begehr zu fragen.
Nachdenklich sah Tari aus dem Fenster, aber nichts war zu sehen.

Später am Tag hatte Carlin sich für ein paar Besorgungen auf den Weg zum Markt gemacht. Tari war alleine im Haus und sortierte ein paar Bücher in ihr überquellendes Regal. Irgendwann hörte sie die Haustür gehen - Carlin sicher, oder jemand, der Hilfe brauchte. Rasch wischte sie die staubigen Finger an einem Tuch ab und ging zum Vorraum hinüber.
Mitten im Raum stand ein recht großer, heruntergekommener Mann. Mantel und Hut hatten schon bessere Tage gesehen, die Stiefel, die unter der Robe hervorlugten sahen löchrig aus und der Mann stand vor Dreck. Das Gesicht war unrasiert und die Haare verfilzt. Niemand, mit dem man freiwillig seinen Nachmittag verbringen würde.
"Das muss der Landstreicher sein, von dem Carlin gesprochen hatte", ging ihr durch den Kopf.
Abwartend stand sie im Türrahmen. Sie wagte nicht, diesen Mann anzusprechen und damit vielleicht zu irgendeiner unerwarteten Tat zu bewegen. Andererseits wagte sie auch nicht, ihn herauszuwerfen. Ein wenig Neugier schwang doch in ihr mit, was diese Gestalt wohl wollte.

Der Landstreicher musterte sie eine Weile eingehend, ehe er sie ansprach. "Ihr müsst Tari Ceres sein, oder? Passt ganz gut auf die Beschreibung... Naja.. ein bisschen."
Grübelnd, was dieser Satz zu bedeuten hatte nickte sie, noch immer nicht ermutigt genug, ein Wort zu sagen.
"Ich bin zufällig einem Freund von Euch begegnet. Soll Euch von ihm grüßen."
Noch immer fragend, diesmal mehr Neugier im Blick, sah sie ihn an.
Doch der Landstreicher winkte ab. "Ich werd erstmal was essen gehen. Bin die letzten Tage nur durch diese Stadt gelaufen, um das Haus hier zu suchen." Und schon wandte er sich wieder ab.
"Wartet", rief sie ihm nach. Sie wollte nun doch wissen, was es mit diesem Kerl auf sich hatte. Und ihn danach so schnell es ging loswerden. "Ich.. es ist noch etwas Eintopf hier."
Der Landstreicher nickte zufrieden und folgte ihr in die warme, behagliche Küche. Tari beeilte sich, ihm eine Schale vom heutigen Eintopf hinzustellen. Während der Mann die Suppe aß, betrachtete sie ihn wieder grübelnd, so weit wie möglich weg von ihm. Was konnte er für ein Mensch sein? Wer konnte so jemanden bitten, ihr etwas auszurichten?
Schließlich hatte der Mann die Schale geleert und füllte sie, ohne zu fragen, ein zweites mal. Diesmal ließ er sich mehr Zeit mit dem Essen und berichtete ihr zwischen den einzelnen Happen, was ihn hergeführt hatte.
"Eigentlich komm ich ja nicht so weit nach Osten.. auf so ne verdammte Insel.. aber hatte es diesem Kerl versprochen. Hätt mich aber gewundert woher so ne Dame wie Ihr so einen kennt..." Noch immer sah Tari den Mann überaus rätselnd an. "... Naja hätt mich gewundert, wenn er nicht gesagt hätte, dass er auch hier arbeitet. Auf jeden Fall soll ich sagen.. er hat ein bisschen Ärger mit ner älteren Dame gehabt und darf jetzt brummen. War ein paar Tage da zu Gast, wegen Landstreicherei. Hat sich n bisschen um mein Knie gekümmert, das schmerzt immer bei Regen, und zum Dank bin ich dann eben hierhin..."
Mit diesen Worten leerte er seine vierte Schüssel von dem Eintopf.
"Was.. redet Ihr von Gwes? Was hat er denn angestellt..? Wo seid Ihr ihm denn begegnet?"
Doch der Landstreicher winkte nur ab. "Das macht man schön unter Euch aus, wenn sie ihn irgendwann wieder rauslassen. Mehr weiss ich eh nicht. Ach.. wie gehts Euren Kindern?"
Bei diesen Worten lächelte er, wobei er eine recht unvollständige Zahnreihe entblößte. Noch ehe sie ihn aufhalten konnte war er schon zur Tür hinaus und zwischen den Häusern verschwunden.

Noch als sie abends wieder zuhause war.. in ihrem neuen Obdach, das für sie und die Kinder einen Neuanfang darstellen sollte, dachte sie über das, was der Landstreicher erzählt hatte, nach. Sie hätte sich denken können, dass Gwes, wenn er so lange von Britain fern blieb, irgendwo in Schwierigkeiten geraten war. Aber es rührte sie auch an, dass er extra jemanden überredet hatte, ihr zu sagen, dass es keine Unzuverlässigkeit oder schlimmeres waren, die ihn dieses Mal fernhielten.
Sie trank den letzten Schluck aus ihrem Weinglas und stellte es auf den Tisch. Es war Zeit schlafen zu gehen, in diesen Wänden, die noch nach frischem Putz rochen und auf kindliches Leben warteten, das sie mit Lachen und Spielzeug füllte.
So Glaron ihr nach allem, was geschehen war, noch wohlgesonnen war, mochte er geben, dass sie nicht mehr lange in ihrem Heim allein sein musste.
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Alt 03.11.2006, 16:25
#68
Tari Ceres
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"So, das war es." Zufrieden klappte Tari die schwere Truhe zu. Stundenlang hatte sie nun mit Carlin im Heilerhaus zusammengesessen, um den Vorrat an Tränken zu erneuern, während Levin mit seinen Schwestern durch die Stadt lief. Sie war nun rechtschaffen müde und freute sich, heute Abend schlafen gehen zu können. Die letzten Abende hatte sie meist allein bei Riane verbracht. Sobald die Kinder im Bett waren, zog eine Stille durch das Haus, die ihr nicht gefiel. Nur das Wiehern der Pferde konnte man hören, aber keine Wachen oder die Geräusche aus den Häusern anderer Leute.
Gewickelt in einen schwarzen, aber dünnen Wollmantel verließ sie das Haus, um ihre drei Racken zu suchen. Die warme Sonne tat gut und hob ihre Stimmung etwas.
Mit einem mal bleib sie abrupt stehen und betrachtete das strohgedeckte Fachwerkhaus, zu dem ihre Füße sie getragen hatten, ohne dass sie es bemerkt hatte. Die Fensterläden waren zum Schutz vor dem Winter noch verschlossen. Ohne darüber nachzudenken holte Tari ihren Schlüsselbund hervor und öffnete mit einem der Schlüssel die Tür. Sie knarzte etwas, war sie doch monatelang nicht bewegt worden.
Im Haus selbst roch die Luft stickig. Also legte sie ihren Schlüsselbund auf den Tisch aus Weidenholz und öffnete die Fenster, so weit sie es zuließen. Gleich darauf strömten frische Luft und warmes Sonnenlicht in den Raum, und nahmen ihm die gespenstische Verlassenheit, die ihm zuvor noch innegewohnt hatten.
Auf den Möbeln lag dicker Staub, und ohne sich zu fragen, ob es dem Besitzer des Hauses überhaupt recht war, nahm sie aus einem der Schränke ein Tuch und feuchtete es etwas an. Dann wischte sie den grauen Belag von Schränken, Stühlen und Tischen herunter, ehe sie sich ins obere Geschoß des kleinen Hauses begab.
Gwes hatte sie nicht gebeten, sein Haus instandzuhalten, aber wo er ihr nur für den Fall der Fälle einen Schlüssel überlassen hatte, konnte sie sich nun auch ein wenig darum kümmern.

Eine Stunde später verließ sie das Haus wieder. Noch immer sah es verlassen aus und lag Dunkel im schwächer werdenden Licht der Abenddämmerung da. Aber wenigstens sah es nicht mehr nach einem verschmutzten, abbruchreifen Haus aus.
Der Major musste sich ziemliche Sorgen machen, wenn er sich wünschte, dass Gwes hier wäre, um ihr zur helfen. Aber er hatte recht. Sie wünschte, er wäre da. Aber wer weiss, wie lange er noch in Faerlan in seinem Kerkerverlies abzusitzen hatte.
Aber schön wäre es schon gewesen..
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Alt 15.11.2006, 11:35
#69
Alaron Celinas
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Aufrecht stand er über ihr und sah nur wenige Sekunden zuvor mit an, wie ihr Leib leblos zu Boden fiel, wo sie unsanft aufkam. Sein gesamter Körper bebte und der Brustkorb hob sich mit jedem seiner Atemzüge. Dutzende Male zuvor stand er Körpern gegenüber, wie sie ihn hatte. Hilflos, ausgeliefert. Schon lange sah er nicht mehr, als eine Art Vieh in den Menschen. Einige ragten zwar heraus, hatten sie doch Gaben die seiner möglicherweise ebenbürtig werden könnten, hätten Menschen nicht den Nachteil ihrer Sterblichkeit. Andere wiederum besaßen Gaben, die sein Instinkt mied, die ihn gar zum wegrennen bewegen konnten. Nur zu gut erinnerte er sich noch an Aledan Celnath, einer der wenigen Menschen, die ihn vertrieben haben.
Doch Tari war anders. Nun bereits jahrelang mit ihr befreundet, kannte er sie zumindest soweit, als das er wusste, dass sie nichts besaß, das sie ihm entgegenstellen konnte. Zumindest nicht, wenn man ihr keine Zeit ließ.

Ein stechender Schmerz durchzog seinen Kopf und dieser unbändige Durst betäubte ihn tief in seinem Innersten. Es war schon einige Tage her, ja gar schon über einen Wochenlauf. Er hätte nicht solange warten sollen, doch auch er konnte keine Zufälle herbeiführen, die ihm Möglichkeiten offenbart hätten. Was sollte er schon tun, war er doch darauf angewiesen nicht erkannt zu werden. Er konnte ja schlecht in eine Schenke gehen und sie vor den Augen anderer mit jemanden verlassen, dem möglicherweise kurz daraufhin etwas zustößt, während nachweislich sichergestellt werden kann, dass er der einzige war, der zugegen war.
Er war sich bewusst, dass es keinerlei solcher Zufälle mehr geben dürfte, wenn selbst der Baron selbst ihn auf diese seltsamen Begebenheiten aufmerksam machte, obgleich sie ihm nie etwas nachweisen konnten.

Abermals pochte der Schmerz in seinem Kopf und er fiel auf die Knie, die rechts und links von ihrem Körper landeten. Es schien beinahe so, als würde er von etwas beherrscht. Er konnte es nicht kontrollieren, es war so als wenn der Vampir in ihm, der tief in seinem Inneren schlummert und der keinerlei Reue oder Mitleid kannte, die Oberhand gewinnen würde. Er war zwar seit mehreren Jahren ein Kind seines neuen Vaters, doch hatte er immer stets genügend Selbstbeherrschung, nicht in den tierischen Zwang überzugehen.
Anfangs hatte er weitaus größere Probleme, besonnen seine Taten auszuführen. Als er noch jung war, neu in seinem Körper, in seinem Leben, in der Welt. Sein Handeln war zur damaligen Zeit beherrscht vom Instinkt, ohne nachzudenken. Er wusste einfach, was es zu tun galt. Doch war es zugleich ein seltsam spaltendes Gefühl, beobachtete er doch fast aus der Sicht eines Dritten, das Treiben von einer anderen Person, die sich über den hilflosen Leib hermachte.

Sein Blick wurde trüb und sein gesamter Körper spannte sich an. So hart, wie er es nie gespürt hatte. Es fühlte sich beinahe so an, als würden seine Muskeln reißen. Seine Adern traten unter der Haut förmlich hervor und seine Miene bekam, wie unendlich viele Male zuvor schon, den ungnädigen, gierigen Ausdruck, der einem wilden Tier glich, das seine Sinne verlor. Seine Augen trübten sich, verloren die Farbe und sahen vielmehr aus wie gläserne Kugeln, frei von jedem Ausdruck, von jeder Emotion, von jedem Gedanken.
Sein Oberkörper ließ sich nach vorne fallen und er fing sich mit den Händen auf, die er auf den Höhlenboden neben ihrem Kopf presste. Seine Lider schlossen sich halb, als sein Kopf sich senkte und er über ihre Schläfe leckte, an der sich eine Platzwunde geöffnet hatte, nach dem unbarmherzigen Schlag, den er ihr verpasste.
Man konnte förmlich sehen, wie sein Körper sich noch mehr anzuspannen schien. Seine Fingerkuppen gruben sich in den Boden und bildeten kleine Furchen. Er riß den Mund auf und seine spitzen Eckzähne wurden offenbart, die er ohne zu Zögern durch ihre weiche Haut stach, um sie durch ihr zartes, rosa Fleisch zu schneiden. Tiefer und tiefer, bis er ihre Hauptschlagader erreichte, wo er instinktiv inne hielt.
Anders als sonst hob er seinen Kopf und löste die Lippen von ihrer warmen Haut, die schier pochte, ob der jüngst zugefügten Verletzung. Ihr Blut rann augenblicklich aus den Wunden und er näherte sich dem Rinnsal mit der Nase, um den süßen Duft mit einem tiefen Atemzug in sich aufzunehmen. Seine Lider schlossen sich nun vollständig und er leckte, wie ein Tier, über ihren Hals und durchschnitt das Rinnsal. Nun endlich presste er seine spröden, blutleeren Lippen auf ihre Haut und umschloss die beiden Wunden, aus denen unentwegt Blut quoll.
Er konnte es spüren, wie ihr Puls tief im Inneren pochte und schliesslich auf der Haut spürbar war, die er mit seinen Lippen berührte. Fast im rasenden Takt ihres Herzschlages, sog er so stark an ihrem Hals, wie er es bis dahin selten tat. Er war so durstig, so endlos durstig. Sein Verstand schaltete sich ab und so gab er sich voll seinem Durst hin. Dem Vampir in sich, in seiner reinsten Form. Immer wieder leckte er über ihre Wunden und seine weißen Zähne wurden in einem dunklen Rot getränkt, so wie seine Zunge und Gaumen. Er schmeckte ihr Blut so intensiv, wie er es noch nie tat. Sein Atem wich dem unkontrollierten Schlucken und seine Augen pressten sich fest zusammen. Er spürte wie die Kraft in sein Innerstes kam. Wie es ihn stärkte. Ihn und seinen Vater. Seine Haut bekam eine gesunde Farbe, mit jedem Schluck, der Tari um ihr kostbares Blut beraubte, während sie immer blasser wurde. Schleichend entwich ihr die Farbe und er spürte, wie ihr Leib sich verkrampfte. Spürte sie etwa Schmerzen? Es war ungewöhnlich, denn für gewöhnlich, wich die Kraft aus dem hilflosen Leib, was den Körper erschlaffen ließ. Doch dieses Mal war anders. Ungnädig und fordernd entzog er ihr das Leben, mit harten Zügen.
Möglicherweise hatte sie ihr Leben nur der Tatsache zu verdanken, dass selbst ein Vampir gezwungen war zu atmen. Sein Leib bäumte sich auf, der Oberkörper warf sich samt Kopf nach hinten und durch die schnelle Bewegung spritzte etwas Blut aus seinem Mund, was er nicht mehr schlucken konnte. Japsend und keuchend rang er nach Luft und drohte sich an dem Rest Blut zu verschlucken. Doch konnte er sich im letzten Moment fangen und ließ den Rest die Kehle hinunter rinnen. Völlig außer Atem und ungläubig über das, was geschah, sah er die Höhlendecke an. Seine Augen wurden klarer, bekamen langsam wieder einen lebendigen Ausdruck. Das Braun in seiner Iris verdrängte die bleiche, weiß wirkende Farbe und langsam schien er wieder zur Besinnung zu kommen. Langsam schien er wieder zu kommen.
Sein Körper entspannte sich zusehends. Die Eckzähne verschwanden in der oberen Zahnreihe und blieben dem verborgen, der nicht wusste das sie da waren. Seine Miene bekam nach und nach einen weicheren Ausdruck, was die tierische Gier vertrieb, die ihn dominierte.
Er neigte den Kopf wieder nach vorne und sah sie daliegend an. Ihr Blut lief, wenn auch nur langsam, immer noch aus ihrem Hals und er wusste, wenn er nichts tat, wäre dies ihr Ende gewesen.
Mit einem Griff holte er einen schwarzen Dolch hervor, der auf der Rückseite seiner Hose in einer Lederhülle steckte. Er umfasste die Klinge mit der linken Hand und presste sie fest zur Faust zusammen, um den Dolch nach oben heraus zu ziehen, was einen Schnitt auf seiner Handfläche zur Folge hatte. Mit ruhiger Bewegung brachte er die geschlossene Faust über ihre Schläfe und anschliessend über ihren Hals, wo er sie kurz anspannte und etwas von seinem eigenen Blut auf die Wunden tropfen ließ.
Wie von selbst breitete sich sein Blut auf den Wunden auf, so dass es die komplette Öffnung überdeckte, welche die Wunde darstellte. Wie ein dünner Film legte es sich darüber und verklebte sie, um das Blut daran zu hindern weiter auszutreten. Noch während er den Dolch wieder in die Lederhülle gesteckt hatte, begann das Blut seine Farbe zu verändern, um sich Taris Teint anzugleichen, wodurch es immer schwerer war, auszumachen wo ihre Haut und wo sein Blut war. Einen Lidschlag später, war es nun mehr unmöglich zu bestimmen, wo mal eine Wunde gewesen war, liefen die Ränder doch nahtlos ineinander über.
Mit einer Bandage säuberte er ihren Hals und ihre Schläfe weitestgehend vom Blut, das in kleinen Rinnsalen hinunterfloss. Beinahe zärtlich beherrschte er sein Handeln nun wieder. Leise stöhnte sie auf und er hob ihren Oberkörper behutsam etwas an, um sie auf dem rechten Arm halb sitzend zu halten.
Leise flüsternd, beinahe beruhigend rief er ihren Namen. Wollte sie wecken. Ihr einmal mehr Lügen erzählen.
Es dauerte eine Weile, da öffnete sie tatsächlich ihre Augen. Doch schien ihr der schwache Zustand förmlich in den Augen zu stehen. Hilflos, beinahe panisch sah sie ihn an. Unwissend darüber, was passiert war.
Immer noch mit beruhigendem Ton in der Stimme, erklärte er ihr was passiert sei. In seinen Augen. Doch vernahm sie es kaum und verlor stattdessen wieder ihre Sinne. Seufzend legte er sie wieder auf den Boden und sah unschlüssig zum Eingang der Höhle. Diesmal hatte er es fast übertrieben. Er hätte sie beinahe getötet. Sicher, bedeutete sie ihm nicht mehr als ein Gegenstand. Doch schwor er sich selbst, stets besonnen und bedacht zu handeln. Ihr Tod würde Fragen aufwerfen und möglicherweise weit aus mehr ins rollen bringen.
Doch eine Tatsache, ließ ihn mit endloser Wut auf sich selbst erfüllen. Er war so durstig, dass er die Besinnung verlor und seinem Instinkt zum Opfer fiel, selbst wenn er gewollt hätte, hätte er es nicht verhindern können. Doch aufgrund dieser Begebenheit und die Folge die sie hatte, vergaß er die Zeit. Seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, als er dem Ausgang entgegen sah. Die Sonne schien, beinahe mit all ihrer Stärke. Er konnte unter keinen Umständen rausgehen und selbst wenn, er konnte Tari ja kaum dort liegen lassen. Seine Lügen waren gut und nur zu oft erfolgreich, doch hätte selbst er diesen Umstand nicht erklären können.
Resigniert seufzte er und schüttelte den Kopf. Sein Weg führte ihn in die hinterste, dunkelste Ecke der Höhle, in die er sich wie ein kleines Kind kauerte. Er breitete seine Robe und den Umhang über seinen zusammengekauerten Körper aus und verbarg sich so gut es ging, in dem Schatten seiner Gewänder. Er hatte Glück, dass diese Höhle so tief war. Nicht auszudenken was sonst passiert wäre.
So versuchte er zu ruhen, mit dem leisen, hilflosen Ruf nach seinem Vater.

Es war das erste Mal, das er einen Tag außerhalb des Tempels oder seiner Gruft verbringen musste. Schlaf fand er keinen, nicht einmal Ruhe. Die Sekunden schienen wie Minuten, die Minuten schienen wie Stunden, die Stunden schienen wie Tage. Wartend kauerte er da, darauf harrend das der Tag vorübergehen würde. Sein Atem ging unruhig und es machte ihn fast wahnsinnig, dass ein Mensch direkt neben ihm lag. Es war beinahe so unerträglich, wie das Sonnenlicht selbst. Obgleich Blut es war, das er stets suchte. Das er stets so liebte, nach dem er sich so sehnte. Doch war Blut, welches unantastbar war, wie ihres in ihrem Zustand, die reinste Qual. Es hätte nicht schlimmer für ein ausgehungertes Kind sein können, vor einer köstlichen Torte zu sitzen, deren Düfte so bezaubernd waren und doch aber getrennt von ihr zu sein, durch eine unsichtbare Barriere.
In seiner Gruft roch er kein Blut, so konnte er seine Gedanken frei lassen, ohne dem Instinkt zu verfallen, der sich nach Blut sehnte. Selbst der Fleck, den er mit Erde verscharrte schien unendlich verlockend. Auch wenn es bereits lang geronnen war, vermischt mit der dreckigen Erde, schien es so köstlich zu sein, als würde er es direkt aus ihrem Herzen trinken. Hätte er nicht gewusst, dass es unmöglich wäre, hätte er seinem Verstand geglaubt, das die Erde über dem Blutfleck pochen würde. Es war grausam, welch Halluzination sich ihm aufzwang.
Während all der Zeit schlief Tari und nur ein Stöhnen, das ab und an ertönte, bewies das sie noch lebte.
In seinen Gedanken, versuchte er zu seinem Vater zu fliehen. Bei ihm Beistand zu finden. Aber die Konzentration, wie er sie im Tempel erreichen konnte, war nicht einmal im Ansatz da. So verfiel er mehr in einem Selbstgespräch, als in eine Meditation.

Blinzelnd öffnete er die Augen und bemerkte zu seiner Erlösung, dass die Nacht eingebrochen war. Endlich hatte die Zeit des ausharrens ein Ende. Er wusste nicht, wie lange er der Versuchung noch hätte widerstehen können. Ihr Herzschlag schien für ihn selbst auf eine große Distanz hin hörbar. Pochen um Pochen, dass in seinem Geist einen unerträglichen Schmerz hervorrief, raubte ihm den Verstand. Doch nun konnte er dem ein Ende setzen.
Behutsam hob er ihren Körper mit beiden Armen hoch und ging mit ihr aus der Höhle.
Ohne auch nur eine Minute zu verschwenden, trug er ihren Leib die weite Ebene, durch den Wald entlang. Obgleich der Weg nicht allzu lang war, schien es für ihn als hätte er die dreifache Zeit benötigt, die er sonst gebraucht hätte. Doch letztlich war es nur wichtig, das es ein Ende hatte, als er mit ihr vor ihrem Haus stand. Mit ihrem Schlüssel entriegelte er ihre Tür und trug sie die Treppen hinauf, um sie auf ihr Bett zu legen. Rasch wandte er sich ab und wollte das Haus verlassen, doch kam er nicht umhin den jungen, süßen Duft dessen zu vernehmen, das nebenan schlief. Es war reiner, als alles was er bisher kannte. Unschuldig, unberührt, jung. Salunia. Famina. Levin.
Es kostete ihn Überwindung, die Gelegenheit verstreichen zu lassen. Aber es gelang ihm. Nicht noch einmal, schon gar nicht in so kurzer Zeit, wollte er nicht mehr Herr seiner Sinne sein.

Sein Weg führte ihn ohne anzuhalten in seine Gruft, ungeachtet der Leute, die ihn kannten und gar grüßten. Dort angekommen, tat er etwas, das er schon seit Jahren nicht mehr tat. Er schlief bei Nacht.
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Geändert von Alaron Celinas (15.11.2006 um 11:36 Uhr).
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Alt 30.11.2006, 01:02
#70
Tari Ceres
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Leise schloss Tari die Tür ihres Hauses. Gerade erst war sie von ihrer Verabredung zurückgekommen und das schlechte Gewissen schlich sich bei ihr ein, dass sie den Nachmittag und den Abend nicht gearbeitet hatte.
"Ach, was soll es", dachte sie bei sich. "Zwei schöne Tage mögen jedem einmal vergönnt sein."
Doch während sie sich ein Glas Wein in eine Tonbecher goß wurde ihre Miene wieder ernster und nachdenklicher. In Gedanken ließ sie die letzten zehn Jahre Revue passieren. Ihre erste Verliebtheit damals mit Fearon. Wie sie sich gemeinsam ein kleines Häuschen gekauft hatten. Dann verschwand er, und als sie die Hoffnung auf Rückkehr aufgegeben hatte begenete ihr Alvel. Sie erinnerte sich noch, wie unsymphatisch sie ihn damals fand. Wie rasch sich so etwas doch ändern konnte. Er war so lebendig so... sarkastisch, und doch ein aufmerksamer Beschützer, ihr Fels in der Brandung, wie man so schön sagte.
Arian hatte das alles dann an einem Tag zunichte gemacht. Nicht nur, dass er Alvel lebensgefährlich verletzte, er hatte ihr Vertrauen in die Welt mit einem Schlag vernichtet, auch ihre Fähigkeiten als Heilerin erschienen ihr nichtig, als sie vergebens versuchte, die Verletzungen ihres Mannes zu heilen.
Tari machte sich noch heute schwere Vorwürfe für ihr blindes Vertrauen in Arian und Chana, mit jedem Tag, an dem sie Alvel mit verbitterter Miene in seinem Sessel sitzen sah, wurde die Last der Schuldgefühle schwerer. Sie konnte nichts für ihn tun und mehr und mehr hatte sie den Eindruck, dass er auch gar nicht mehr wollte, dass man irgendetwas für ihn tat. Tari suchte Rat bei Freundinnen, alle hatten Verständnis für ihre Hilflosigkeit, aber keine hatte einen Rat.
Ausser Gwes.
"Lebe, ohne zu denken", war sein Motto, das er ihr jeden Tag predigte. Sie wusste, dass er nicht nur meinte, sorglos zu leben, sondern auch den Gedanken an Konsequenzen für das eigene Handeln beiseite zu schieben. Ihr Innerstes hatte sich stets gegen diese Einstellung gesträubt. Es war nicht richtig, es war nicht gerecht für die, die die Konsequenzen tragen mussten. Ständig hatten sie sich deswegen in den Haaren und oftmals hatte sie ihn auf das Übelste beschimpft und verletzt, weil seine Einstellung der ihrigen so grundsätzlich widersprach. Dennoch war sie am nächsten Tag meist wieder froh, ihn einfach in ihrer Nähe zu wissen, als stillen aber beständigen Teil ihres Lebens.
Dann ging Alvel und nur wenige Wochen später Gwes und Tari war mit ihren drei Kindern allein. Es war merkwürdig, wenn sie heimkam und niemand in der Stube saß und mit mürrischer Miene davon berichtete, was die lästigen Schwertreiter heute wieder vor dem Haus getrieben hatten. Doch genauso merkwürdig war es, wenn sie ins Heilerhaus kam und da niemand mehr war, der ihr mit jeder noch so geringen Geste einfach das Gefühl gab, noch jemandem etwas wert zu sein.
Und diese schreckliche Stille im Haus. Die Kinder hatte sie ihrem Vater kurz nach seiner Abreise nachgeschickt, da sie Angst hatte, sie nicht weiter vor Arian schützen zu können. Das Lachen ihrer Kinder, das Zanken, ihre Spiele, das war es, was ihr am meisten fehlte.
Dann kam dieser schreckliche Brief mit dem Ehering ihres Mannes aus Faerlan. Lange hatte Tari nicht mehr geweint, und sich so furchtbar gefühlt. Im nachienein musste sie sich ehrlich eingestehen, dass es weniger so war, dass sie Alvel vermisste. Die Schuldgefühle waren es, die an ihrem Gewissen nagten, die Schuld, Arian vertraut zu haben, Alvel vielleicht nicht genug geholfen zu haben, ihm als treusorgende Ehefrau nicht genug Stütze gewesen zu sein. Natürlich machte auch die Tatsache, dass sie einen der wichtigsten Menschen ihres Lebens nie wieder sehen würde sie sehr traurig. Aber neben den Schuldgefühlen und den Sorgen, wie ihre Kinder damit zurechtkommen würden, verblasste dieses persönliche Bedürfnis. Wie so oft, wenn es andere Menschen gab, um die zu kümmern sie für wichtiger betrachtete, als sich um sich selbst zu sorgen.
Nachdem sie sich ein paar Tage allein zuhause ihren Gedanken zum Fraß vorgeworfen hatte, ging Tari wieder unter Menschen. Die Fragen der Leute waren wie ein Spießroutenlauf, aber es war wohl besser, es endlich hinter sich zu bringen. Irgendwann gewöhnten sich die Menschen auch an ihre Trauerkleidung und nahmen hin, was geschehen war. Die meisten in Britain hatten Alvel ohnehin schon vergessen, wie ihr schien.
Als sie Arathel ein paar Monate später im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme fiel, weil sie den schlimmsten Zusammenbruch ihres Lebens erlitt, änderte sich einiges. Es fing mit ihrer Kleidung an. Sie hatte Angelina gebeten, ihr ein Kleid von zuhause zu holen und selbige brachte ein hellviolettes, besticktes Kleid mit. Es behagte Tari nicht allzu sehr, das gewohnte Schwarz gegen so eine fröhliche Farbe zu tauschen, irgendwie hatte sie den Eindruck, der Augenblick wäre noch nicht der richtige.
Doch da kein anderes Kleid da war, zog sie es an. So schlimm fand sie es im Endeffekt gar nicht, und da sie den Eindruck hatte, ihre eigene Zurückgezogenheit, ihre Kleidung und ihre ständige Grübelei über das Geschehene wirkten sich negativ auf die Stimmung ihrer Kinder auf, beschloss sie, den Anstand beiseite zu schieben und ihren Kindern den Vorzug zu geben.
Nichtsdestotrotz bereiteten die Kinder ihr Sorgen, als Arathel immer häufiger bei ihr erschien, um nach dem rechten zu sehen. Tari glaubte, darin ursprünglich eine Art Pflichtbewusstsein gegenüber Alvel zu erkennen, doch fingen beide an, sich auf die Besuche zu freuen und die Gegenwart des anderen zu genießen, ohne dass sie viel mehr Taten als am Tisch zu sitzen und sich über die belanglosesten Dinge zu unterhalten.
Levin hatte eindeutig das bessere Gespür als sie. Er hatte schnell gemerkt, dass seine Mutter den Leutnant mochte und für ihn schien ganz klar, dass da jemand versuchte, an die Stelle seines Vaters zu treten und ihn zu verdrängen. Levin betrachtete die Rolle des Hausherrn mittlerweile als seine Pflicht und Tari konnte ihm ansehen, wie überfordert er war. Doch alles reden und schwören half nichts. Levin war fest davon überzeugt, dass sich bald niemand mehr an seinen Vater erinnern würde.
Wie sollte Tari ihm nur eines Tages beibringen, dass Alvel nicht sein Vater war und sie nicht seine Mutter?
Sie berichtete Arathel von ihren Sorgen, doch er wusste auch nichts rechtes. Wie sollte er auch, ohne Kinder?
Beim Gedanken an den Leutnant hellte sich Taris Miene wieder auf. Gestern war sie mit ihm in Vesper spazieren gegangen und sie hatten geklärt, wie sie zu einander standen. Sie hatten ein paar friedliche Stunden an einem kleinen Bachlauf verbracht und durch einen einzigen Kuss war aus dem förmlichen "Ihr" ein vertrautes "Du" geworden. Tari wusste noch nicht so ganz, welche Richtung das ganze ihrer Meinung nach gehen sollte. Sie hatte Arathel sehr gern und genoß seine Anwesenheit, andererseits fürchtete eine kleine Stimme in ihrem Kopf, dass sie sich ihm nur zugewandt hatte, weil sie sich einsam fühlte. Zum Glück ließ diese kleine Stimme sich bisher immer rasch aus ihren Gedanken verbannen.
Wie sie allen anderen das erklären wollte, wusste sie allerdings nicht. Ein Gardist - ausgerechnet - wo sie doch bei Alvel stets vor Sorge umkam, wenn er zum Dienst ging. Einer, mit dem sie vorher nur in dienstlichen Dingen zu tun gehabt hatte, das kam noch hinzu. Die Zwillinge würden es leicht aufnehmen, hoffte sie. Levin hingegen, so fürchtete sie, würde das Ganze als Bestätigung seiner Ängste sehen, obgleich er Arathel im Grunde zu mögen schien. Wer konnte noch das Bedürfnis dazu haben, seine Meinung dazu kundzugeben? Tari glaubte, dass Alvels Eltern sich freuen würden, dass ihre Enkelkinder wieder jemanden bekamen, der sie in Alvels Sinne erziehen könnte. Was Arathels Verwandschaft davon hielt, konnte sie nicht sagen, sie kannte da niemanden.
"Hm", ging ihr durch den Kopf. Der Major der Garde fiel ihr ein. Sie wurde nicht schlau aus ihm. Mal war er höflich, fast freundlich, dann wieder skeptisch, arrogant, entschlossen. In den meisten Fällen schien er ihr mit mehr oder weniger großem Misstrauen zu begegnen, obgleich er sich offenbar bemühte, wenigstens so zu tun als hielte er etwas von ihr.
Aber sein Brummen legte ihn meist herein. Irgendwie brummte er immer, wenn ihm etwas nicht passte. Er hatte auch gebrummt, als Arathel Tari nach Hause gebracht hatte.
Wenn sie das Hintergrundwissen, dass er ihr nicht vertraute, aber ihr alles zutraute, in Bedacht zog, glaubte sie, seine Gedanken recht gut deuten zu können:
Vermutlich sorgte er sich um seinen Leutnant, der ihr, diesem flatterhaften Wesen, das in seinen Augen nicht mehr Ansehen besaß als Keona der Bettler, ja ganz offenbar hilflos verfallen war. Sicherlich fürchtete er um den guten Ruf seines Offiziers, und wenn es nicht das war, dann war er vermutlich der Ansicht, dass Tari Alvels Andenken mit Füßen trat, weil sie nicht jeden Tag weinend in der Kirche saß und das mindestens für die nächsten zwei Jahre. Dann hatte sie vielleicht, aber nur vielleicht das Recht, sich um einen neuen Vater für ihre Kinder zu kümmern und nicht mehr jede Nacht an Salunia gekuschelt einzuschlafen.
Tari brummte leise und schüttelte sogleich den Kopf. Jetzt fing sie auch schon damit an. Nein, es ging nicht. In ihr rumorte es genug, was Alvels Tod anging, ihren Entschluss zu sehen, wohin es mit Arathel führte, und die Entscheidung die jenigen, die ihren Mann eh nicht kannten, mit Reden über ihn zu verschonen. Nein, sie würde sich höchstens vor ihren Kindern dafür rechtfertigen, und wer etwas dagegen hatte, der konnte das wenn es nach ihr ging auf ein Blatt Papier schreiben und ein Schiffchen daraus falten.

Mit entschlossener Miene leerte Tari ihren Becher und ging ins Schlafzimmer, wo sie sich auskleidete und ins Bett legte.

In der Dunkelheit musste sie für sich selbst dann aber doch erkennen, dass, wer auch immer ein Problem damit hatte, welchen Weg ihr Leben eingeschlagen hatte, es vermutlich auch schaffen würde, ihr dafür ein schlechtes Gewissen oder schlimmeres zu vermitteln.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 04.12.2006, 23:27
#71
Tari Ceres
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Tari fühlte sich wie erschlagen, als sie nach Hause kam. Achtlos ließ sie die Tür hinter sich zufallen und setzte sich auf eines der Kissen vorm Kamin. Es war still im Haus, die Kinder spielten offenbar im nahegelegenen Wald, daheim waren sie nicht.
Sie hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl gehabt, dass dieser Seemann Tifre sich auf Moonglow treffen wollte. Aber ihre Neugier auf die Sachen, die sie schon so lange suchte überwand jede Angst vor Arian und den Mitgliedern des Kreises der Kristallschwingen, so dass sie schließlich zur dortigen Bank hin aufbrach. Als sie dort ankam war ausser dem Bankier und dem Juwelier anwesend, und so wartete sie auf den Fremden, während ihr ungutes Gefühl in der Magengegend wuchs und wuchs.
Nicht zu unrecht, wie sich Augenblicke später herausstellte. Als hätte es nicht anders sein können, stand mit einem Mal Arian vor ihr, gehüllt in schwarze Kleidung und schwärzlich verfärbte, menschliche Knochen. "Ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich kommst.", sprach er, während ein müdes, unheimlich wirkendes Lächeln über seine Lippen huschte. Tari hätte sich am liebsten geohrfeigt, so dumm und berechenbar war auch wirklich nur sie.
Als wäre es das normalste in der Welt in einer solchen Situation, eröffnete Arian ihr, wie viel er von ihr für die ausgeschriebenen Fischschuppen haben wollte. Tari musste sich erst einen Augenblick sammeln, ehe sie begriff, dass Arian tatsächlich nur einen Handel im Sinn zu haben schien. Dennoch widerstrebte es ihr, mit möglicherweise blutbesudelten Dingen zu handeln, und wer weiss, wofür er das Geld verwenden wollte?
"Es würde nichts ändern, wenn dafür ein Mensch gestorben wäre. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, sie waren ein Geschenk." Glaubte sie ihm? Glaubte sie ihm nicht? "Was soll ich Söldner von dem Geld bezahlen, die nicht einmal ihren Vater kennen?", fuhr er fort, während ihre Gedanken sich im Kreis drehten. Er wollte handeln? Ganz normal handeln?
Vielleicht war das die Gelegenheit, sich von der Geißel, die er war, zu befreien.
"Ich möchte eine Bedingung knüpfen", sagte sie, mit mehr Ruhe als sie erwartet hätte. "Du sprichst nie wieder meine Kinder an, suchst sie auf oder tust ihnen etwas." Und mich und alle anderen auch nicht, fügte sie in Gedanken an, wagte es aber nicht, noch mehr Forderungen zu stellen. Es würde ihn kaum Mühe kosten, ihr oder den Kindern etwas anzutun, wenn sie seinen Unmut erweckte.
Arian stimmte zu, fragte sie aber, wieso sie sich darauf verlasse, dass er sein Wort hielte. Ja, einen Beweis oder eine Garantie hatte sie dafür nicht, sie klammerte sich lediglich an die unbegründete Hoffnung, dass nicht alles, was er ihr damals vorgemacht hatte, gelogen war, und sie sich wenigstens, was die Kinder anging, auf sein Wort verlassen konnte. Er war immer so nett zu den Mädchen gewesen...
"Solange du fügsam bist, wird dir nichts geschehen." "Ich werde niemals tolerieren, wenn du anderen Menschen Schaden zufügst.", erwiderte sie eisern. "Das wird auch nicht nötig sein, wenn sie sich mir nicht in den Weg stellen." Tari senkte den Blick. Arathel würde sich ihm in den Weg stellen, das war so sicher, wie das "So sei es" im Gottesdienst. Auch sie würde sich ihm in den Weg stellen, wenn er versuchen würde, Arathel oder den Kindern Leid zuzufügen.

Erst als sie wieder vor ihrer Haustür stand, wurde ihr klar, was sie da gerade erlebt und getan hatte. Hatte sie ihm wirklich gegen Gold das Versprechen abgerungen, ihre Familie in Ruhe zu lassen? Hatte sie sich schon wieder von ihm erpressen lassen, wenn auch auf eine andere Art und Weise als beim letzten Mal?
Bei Glaron, wie sollte sie das Arathel erklären? Wie sollte sie ihm klar machen, dass sie Arian begegnet war und ohne den geringsten Versuch, ihn festzuhalten oder für das, was er ihrer Familie angetan hatte, zu strafen? Wie sollte sie sich selbst erklären, dass sie mit einem "Lebe wohl, möglichst weit weg von mir", einfach wieder ging? Wäre es nicht, auch wenn sie auf Moonglow war, ihre Pflicht gewesen, irgendetwas zu tun?
Das letzte Vernünftige war es zumindest gewesen, mit ihm um die Sicherheit ihrer Familie zu feilschen und ihm dann in Gedanken an den Hals zu springen, weil er abfällig über Alvel sprach.
Und das alles hatte ihr nur ihre elende Eitelkeit eingebrockt. Sie konnte nicht einmal eine heldenhafte Entschuldigung für ihre Dummheit anführen.

Und was sollte sie nun machen? Erzählen konnte sie das kaum, wenn man sie nicht für verrückt erklärte, würde man sie vermutlich wegen Kooperation mit dem Feind in den Kerker stecken. Sie wünschte sich, Ehrwürden Sabnock wäre noch im Lande. Er hatte immer Verständnis gehabt, für das, was sie tat und ihr gerechte Bußen auferlegt. Aber er war weg, die anderen Paladine auch und zurück blieb nur ein Templer, dem die Ausübung von Macht gegenüber seinen Schäfchen in ihren Augen wichtiger war, als ihre wirklichen Sorgen.
Nein, das ging also nicht. Trotzdem konnte sie das niemand anderem erzählen. Es würde keiner verstehen, nicht einmal sie selbst. Sie hätte Arian eine Ohrfeige geben und gehen sollen.
Etwas anderes musste her, damit sie endlich ihre Dummheit ablegen konnte. Taris Blick fiel auf ihren Dolch, der noch auf dem Esstisch lag. Ja, das war das Richtige. Sie nahm ihn und ging mit ihm nach oben in ihr Ankleidezimmer. Noch ein Beweis für ihre unübertreffliche Eitelkeit.
Ehe sie sich selbst Gelegenheit zur Besinnung geben konnte, griff sie ihren überschulterlangen Zopf und trennte ihn weit oben ab. Wie Spinnenweben fielen die blonden Haare zu Boden, wo sie, einem Fächer gleich am Ende noch gebunden, liegen blieben. Auf ihre langen Haare war sie immer stolz gewesen, und es schmerzte sie, sie nun zu verlieren. Aber irgendwie rollte der Stein auf ihrer Brust dadurch nicht davon. Es war nicht genug, es bedeutete ihr zu wenig, obgleich es zweifelsohne wichtig für sie war. Nein, im Augenblick gab es nicht viel, dessen Verlust sie wirklich treffen würde. Aber anders wusste sie sich nicht zu helfen. "Er hätte ohnehin kein Verständnis dafür, dann ist es besser, wenn er es gar nicht erst sieht", ging ihr durch den Kopf.

Und als Arathel abends an ihrer Tür klopfte, öffnete sie ihm nicht, auch wenn das Geräusch des Klopfens ihr das Herz zu zerreissen schien.
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Alt 08.01.2007, 00:49
#72
Tari Ceres
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Ein letztes mal strich Tari sich über den weichen, blauen Stoff ihres Kleides. Die Stickerei aus Silberfäden stach hell hervor. "Hoffentlich nicht zu auffällig", dachte sie bei sich. Dann griff sie nach der, passend zu Kleid und Umhang eingefärbten, Haube und steckte sie mit einigen langen Nadeln auf ihrem Kopf fest. Heute war ihr ihr Auftreten besonders wichtig, war sie doch von seiner Hoheit in die herzogliche Residenz geladen worden.
Warum ihr diese Ehre zuteil wurde konnte sie nur mutmaßen. Einige Tage zuvor hatte sie einen Brief mit dem Hinweis auf eine möglicherweise ansteckende Krankheit an den herzoglichen Hof gesendet. Sie tat derlei immer, wenn es um die Gefahr einer Seuche ging, nur war ihr Ansprechpartner bisher immer der Baron von Britain gewesen. Da dieser nun fort war und sie keine andere Person wusste, hatte sie ihre Nachricht ohne genauen Empfänger an das Schloß geschickt.
Vielleicht wollte er sie dafür rügen? Sein Brief hatte keinen klaren Grund genannt.

Wenig später wurde sie von zwei Wachen in die herzogliche Residenz eingelassen. Mit wackligen Knien erstieg sie die Treppenstufen und schalt sich in Gedanken selbst. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie vor ihren Herzog trat, und was immer er von ihr wollte, es würde wohl kaum etwas schlimmes sein.
Also klopfte sie leise an die Tür zu dem Raum, den man ihr gewiesen hatte. Niemand reagierte. Unsicher sah sie sich um. Hatte sie an die falsche Tür geklopft? Hinter ihr waren noch zwei Türen, und links von ihr eine zweite. Die linke Tür kannte sie, der Herzog hatte dort schon die eine oder andere Audienz gehalten. Und die anderen beiden? Sie führten vermutlich in die Privaträume des Herzogs und der Herzogin. Nein, das war wohl kaum richtig. Erneut hob sie die Hand und klopfte an die Tür, und diesmal wurde sie hereingebeten.
Der Herzog saß in einem Sessel an einem großen Tisch aus Tropenholz. Seine stattliche Figur ließ ihr jedes Mal flau im Magen werden, auch wenn er stehts freundlich zu ihr war, und es offenbar nicht in seinem Sinne war, sie in irgendeiner Form einzuschüchtern.
"Glaron zum Gruße, Hoheit", sprach sie mit fester Stimme, während sie den Kopf neigte und fast bis auf ihre Knie heruntersank, wie die höfische Etikette es verlangte. "Glaron zum Gruße, Frau Ceres", erwiderte der Herzog. "Bitte nehmt Platz." Tari erhob sich und wandte ihren Blick der Reihe an einfachen, mit Kissen bezogenen Stühlen zu. Doch ehe sie einen Schritt darauf zumachte, fiel ihr Blick auf die Hand des Herzogs, die einladend auf eine Reihe an Sesseln deutete. Ja die sahen weitaus bequemer aus als ein Stuhl, aber waren wohl doch eher etwas für edlere Personen als sie es war.
Sie ließ sich auf einem der Sessel nieder, rückte jedoch nicht ganz bis hinten an die Lehne, sondern blieb aufrecht an der Kante des Sessels sitzen. Anschließend faltete sie die Hände im Schoß und senkte den Kopf auf die Kante der Tischplatte, in der Erwartung, gleich angesprochen zu werden. Doch der Herzog schwieg und schien sich damit zu begnügen, sie eine Weile wohlwollend zu betrachten. Wollte er sie prüfen? Notgedrungen erhob sie das Wort. Ob sie ihn zu lange habe warten lassen, fragte sie ihn, und dass sie hoffe, nicht durch irgendetwas sein Missfallen erregt zu haben. Das brachte den Herzog nun auf den Grund seiner Einladung.
Ihr Brief war tatsächlich bis zu ihm durchgedrungen und wollte nun wissen, welche Maßnahmen Tari getroffen hatte, um zu verhindern, dass eine Seuche ausbrach. In einfachen Worten erklärte sie dem Herzog, dass sie Brulmir angewiesen hatte, nur mit einem Mundschutz zu seiner Gefährtin zu gehen und sich die Hände mit Essig zu reinigen. Seine Frage, ob sie die Krankheit nicht hiermit in die Residenz getragen haben könnte, erschreckte sie innerlich. Natürlich war es durchaus im Rahmen des möglichen. "Glaron möge es verhüten", erwiderte sie und versicherte ihm, dass sie alles tat, was in ihren Fähigkeiten stand, dass sich die Gefahr einer Krankheit nicht auf den Herzog oder jemand anderen ausdehne. Zu ihrer Erleichterung war seine Hoheit mit dieser Antwort zufrieden.
Er griff nach einem Schreiben, das vor ihm auf dem Tisch lag, offensichtlich ihr eigenes. Mit ruhigen Worten erklärte er ihr, dass man ihm zugetragen habe, dass es nach einem passenden Ansprechpartner für solche Angelegenheiten mangele. Ob sie noch andere Heiler kenne, die ebenfalls einmal eines solchen Ansprechpartners bedürfen könnten? Tari überlegte kurz. Natürlich Carlin und Sormen, obgleich sie mit Carlin ja ohnehin jeden Tag zusammenarbeitete. Und Marie in Fenisthal. Gwes und Theodore verschwieg sie. Gwes saß offenbar immer noch im Gefängnis oder trieb sich irgendwo herum, und von Theo sah man ohnehin nur in jedem Jubeljahr einmal etwas. Der Herzog nickte verständnisvoll. Er sah ein, dass ein Ansprechpartner ihr und den anderen die Arbeit leichter machen würde. Er wisse auch schon eine geeignete Person für dieses Amt, und sicher sei ihr der Name auch bekannt. "Meint er etwa mich?", schoß es ihr durch den Kopf. In der gleichen Sekunde verwarf sie den Gedanken wieder. Wie albern. Sie war viel zu kopflos für eine solch verantwortungsvolle Aufgabe.
Statt einer Reaktion sah sie ihn also weiter abwartend an. Langsam schob er den Brief zu ihr hin, von dem sie schon vermutet hatte, dass es ihrer war. "Der Name dieser Person steht hier", sprach er ruhig und deutete auf ihre eigene Unterschrift. Also doch. Sprachlos sah Tari ihren Namen an. Es dauerte einen Augenblick, ehe sie sich wieder gefasst hatte. Sie hatte das Gefühl, vor Freude über diese unerwartete Ehrung zu platzen. Mehrmals bedankte sie sich beim Herzog über die Ehre, die er ihr zuteil werden ließ und versprach, ihn nicht zu enttäuschen.

Eine Stunde später saß sie auf einer Bank, die in einer Nische an der Kirche stand und zum Markt hinwies. Es war recht dunkel dort, und so erlaubte sie sich, ihren neuen Ehren zuwider, sich undamenhaft zu benehmen und die Füße auf die Bank zu stellen und sich selbst gegen einen der mächtigen Pfeiler zu lehnen, die das Dach des Gotteshauses stützten. Nun war sie Hofheilerin. Das Wort schmeckte gut auf ihrer Zunge. Herzögliche Hofheilerin. Das bedeutete nicht nur, dass sie die Ehre hatte, die herzogliche Familie als Heilerin zu betreuen, sondern auch oder vor allem stellte sie nun die Ansprechpartnerin für jeden dar, der ein Anliegen über Heilerangelegenheiten hatte. Fortan musste sie nicht mehr den Baron von Britain oder jemand anderen fragen, wenn sie eine weitgreifende Maßnahme in Angriff nehmen wollte, die der Gesundheit des Herzogtums diente.
Ihrer ersten Amtspflicht war sie gleich nachgekommen. Von der herzoglichen Residenz aus führte ihr Weg sie direkt zu Brulmir herüber, um sich nach der Gesundheit seiner Gefährtin zu erkundigen. Zu ihrer Erleichterung konnte Brulmir ihr berichten, dass es Linaya bereits besser ginge, und sie schon ein paar Schritte gegangen sei. Sie konnte also Entwarnung geben, selbst wenn ihre Krankheit vielleicht ansteckend war - bedrohlich war sie nicht.
Anschließend war sie zum Marktplatz gegangen. Am liebsten hätte sie aller Welt erzählt, was der Herzog ihr gesagt hatte. Aber wäre das nicht Angeberei gewesen? Schließlich war es ihr immer zuwider gewesen, wie manche in jedem Satz den sie sprachen, auf ihr Amt hinwiesen und gleich betonten, was für eine schwere Bürde sie mit ihren Pflichten trügen. Als ob sie so eine Pflicht freiwillig wieder hergeben würden.
Tari hob den Blick zum sternenübersäten Himmel und seufzte glücklich. Wie der Name es sagte war sie als Hofheilerin Mitglied des herzoglichen Hofes, auch wenn sie keine Räume innerhalb des Schlosses erhielt. Wozu brauchte sie die auch? Sie hatte ein großes Haus nur einige Schritt weit entfernt mit gemütlichen Möbeln und einem schönen Garten. Das würde sie niemals gegen ein kleines Gemach einem kühlen Schloß eintauschen.

Wäre jetzt noch Arathel da, wäre ihr Glück perfekt. Sie wusste, dass er stolz auf sie sein und sich freuen würde. Aber er würde wohl noch mindestens für einen Mond bei seinen Eltern sein.
Entschlossen stellte sie die Füße zurück auf den Boden und stemmte sich von der Bank hoch. Eiligen Schrittes ging sie zu Ryan und kaufte ihm die besten und teuersten Bögen Pergament ab, die er in seinen Regalen finden konnte. Zuhause beschrieb sie die Bögen mit langen Briefen und verpackte sie in drei Umschläge. Zwei brachte sie zum Hafen, um sie mit dem nächsten Postschiff zu ihrer Schwester und ihren Schwiegereltern nach Faerlan zu schicken. Den anderen gab sie einem Boten und zahlte ihm den doppelten Lohn gegen das Versprechen, den Brief sofort zu dem Haus zu bringen, in dem Arathel mit seinen Eltern verweilte.
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Alt 18.01.2007, 18:22
#73
Tari Ceres
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Am frühen Abend suchte Tari den Oberst auf. Sie hatte ihn um einen Rat gebeten, was sie tun sollte. Levin hatte sich in den Kopf gesetzt, bei Aledan Celnath um Unterricht in Magie zu bitten, und Taris Gefühle dahingehend waren mehr als gemischt. Sie erinnerte sich noch gut an die Aushänge über den Kreis der Kristallschwingen und dem offenen Zugeständnis Aledans, dass der Kreis schwarze Magie unterrichte. Waren diese Vorwürfe noch immer nicht entkräftet und Sorge um Levin berechtigt, würde der Oberst es am ehesten wissen, und so war sie froh, dass er die Zeit gefunden hatte, ihr seine Meinung zu sagen.
Wie sie es erwartet hatte, bestätigte er ihre Sorgen. Obwohl man Aledan offenbar kein Verbrechen nachweisen konnte, erzählte der Oberst ihr von seinem Verdacht, dass der Kreis sich nicht auf schwarze Magie beschränke, sondern die Grenzen derselben noch um ein weites überschreite. Solange Aledan Celnath dies zumindest dulde, könne er ihr nur davon abraten, ihr Kind seinem Einfluss auszusetzen. So begeistert, wie Levin von Aledan war, wäre es nur zu möglich, dass es gelingt, den Jungen so für dunklere Seiten der Magie zu interessieren. Ebenso eindringlich könne er Tari nur davor warnen, sich auf Yewer Bürger einzulassen, die Arian, wenn sie es recht verstanden hatte, regelrecht hofierten. Natürlich wusste sie auch ohne seine Bitte, dass sie von ihrem Gespräch besser nichts weitersagte. Obgleich die Gesinnung der Yewer mittlerweile so mancher kannte, war Tari durchaus klar, dass Gerüchte über die schlechte Meinung des Oberst über Yew politische Probleme mit sich ziehen könnte, für die sie nicht verantwortlich sein wollte.
Kurz darauf beendeten die beiden ihr Gespräch, und der Oberst begleitete sie kurzentschlossen zur neuen Sommertaverne, in der sie auch auf Arathel trafen.
Später gesellten sich noch der Baron von Fenisthal und der Herzog hinzu, wobei Ersterer sich heute vor allem durch Schweigsamkeit auszeichnete.

Sie hatten fast bis zum Morgengrauen friedlich auf dem Dach von Ross' Bank gesessen und sich unterhalten. Nur ein Streit zwischen dem Oberst und Darok trübte die Stimmung etwas, aber der Herzog konnte ihn schnell beilegen.

Am liebsten wäre Tari gleich zu Bett gegangen, so müde war sie nach dem Besuch in der Sommertaverne. Aber sie blieb noch ein wenig mit Arathel unten in der Stube stehen. "Bist du glücklich mit mir? Willst du den Rest deines Lebens mit mir verbringen?"
Die Frage traf sie recht unvermittelt und sie überging den zweiten Teil geflissentlich. Einen Augenblick sahen sie sich schweigend an. "Tari, willst du meine Frau werden?", wiederholte er dann und sah sie freudig abwartend an. Das geht zu schnell!, schoss ihr durch den Kopf. "Ich würde gerne", erwiderte sie ausweichend. Arathel sah sie weiter an, offenbar nicht zufrieden mit der Antwort. Was spricht dagegen?, fragte sie sich selbst. Die Kinder? Vergangenes? Zukünftiges? Mit einem Kopfschütteln fegte sie die Gedanken beiseite. Sie hatte ihn sehr gern, er bemühte sich um ihre Kinder und war ein anständiger Mensch, es sprach nichts dagegen. Nur die Zeit.
Also sagte sie ja.

Doch sie fand keinen Schlaf in dieser Nacht. Sie zweifelte nicht an ihrer Entscheidung, sie zweifelte nur an der kurzen Zeit, die vergangen war, seit sie erfahren hatte, dass Alvel tot ist, seit sie Arathel näher kannte. Ich kann die Kinder nicht einfach vor vollendete Tatsachen setzen. Dass er hier einziehen wird, wird sie schon genug beschäftigen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Wie würde Levin das aufnehmen? Und der Rest der Stadt? Zweifelsohne konnte sich der ein oder andere denken, dass sich etwas angebahnt hatte, selbst der Herzog hatte sie ja schon darauf angesprochen.
Es war gerade mitten im Sommer, etwa ein halbes Jahr her, seit ihre Schwiegermutter ihr vom Verlust des Sohnes schrieb. Was sie wohl davon halten würde? Es würde sie sicher freuen. Aber so schnell?
Leise schob sie die Bettdecke zur Seite und erhob sich. Unten in der Stube bereitete Mathilde bereits das Frühstück vor. Mit einem kurzen, müden Lächeln begrüßte Tari ihre Haushälterin, ehe sie ohne Frühstück das Haus verließ. Ein Spaziergang war jetzt das Richtige.
Ihre Schritte führten sie zuerst zum Heilerhaus, wo Carlin recht verschlafen in der Küche saß. Aber irgendwie war ihr nicht nach einer Unterhaltung, also ging sie nach einem kurzen Gespräch weiter, zum Park hin. Nachdem sie ihn durchquert hatte, fand sie sich vor Gwes Tür wieder.
Schweigend betrachtete sie das Haus. Der Wind hatte einen Fensterladen gelöst. Das würde man reparieren müssen. Sollte sie? Sie holte ihren Schlüsselbund hervor und öffnete die Tür. Sie war vielleicht nicht immer eine gute Freundin, aber immerhin hatte sie versprochen, ein wenig auf sein Haus zu achten und das hatte sie lange nicht mehr getan. Außerdem würde hier sie kaum jemand stören, was das verstaubte Gebäude gleich etwas einladender wirken ließ.
Im einfallenden Sonnenlicht konnte sie die Staubteilchen aufwirbeln sehen. Herrjeh, womöglich haben sich hier noch Mäuse eingenistet. Tari öffnete alle Fenster weit, um die noch frische Sommerluft hineinzulassen. Wie beim letzten Mal, als sie hier gewesen war, begann sie im Erdgeschoss den Staub von Boden und Möbeln zu entfernen. Anschließend begann sie auch im Obergeschoss den Schmutz zu entfernen. Vorsichtig wischte sie mit einem Tuch über das Bild, das an der Wand hing. Doch ihre Berührung verwischte die Kohle des Gemäldes etwas. Verärgert biss sie sich auf die Unterlippe und legte das Tuch beiseite, um die die Spuren der von ihr verursachten Unordnung zu beseitigen. Anschließend ging sie zu Rashida, um einen Stapel weisser Leinentücher zu kaufen und auf dem Weg gleich einen Handwerker zu suchen, der das Fenster reparierte.
Zurück im Haus legte sie die Laken über die Möbel, beginnend mit dem Bild und den übrigen Dingen, denen der Staub nicht gut tat. Anschließend setzte sie sich in die kleine Küche auf einen der nun verdeckten Stühle und gab sich eine ganze Weile ihren Gedanken hin. Was vorbei ist, ist vorbei... Ich sollte mich auf die Zukunft konzentrieren, sagte der Teil ihres Kopfes, der für Gefühle zuständig war. Aber die Kinder... und die anderen.. du kannst sie doch nicht einfach übergehen, schalt die Vernunft. Du tust es ja nicht zuletzt für die Kinder, gab das Gefühl zurück. Du bist immer noch im Trauerjahr, wenn auch nicht sehr offensichtlich. Bis das vorbei ist, hast du genug Zeit gehabt, dich mit deinem Verlust abzufinden und die Kinder an einen neuen Menschen in ihrem Leben zu gewöhnen, merkte die Vernunft ungewöhnlich versöhnlich an. Genau., erwiderte das Gefühl und der Streit war beigelegt.

Als Tari einige Stunden nach ihrem Morgenbesuch wieder ins Heilerhaus kam, lächelte sie Carlin fröhlich an und machte sich gemeinsam mit ihm daran, Unkraut im Garten zu jäten.
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Alt 05.02.2007, 15:05
#74
Tari Ceres
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Langsam zog der Mond über die weitläufige Bucht hinter Taris Haus dahin. Sie saß schweigend an der Klippe und beobachtete die Wellen. All das kam ihr so unwirklich vor, wie ein Traum. Es war ja auch absurd. Aber Arathel und der Oberst hatten es durchaus ernstgenommen, also wird es wohl wirklich geschehen sein.
Ihre Gedanken wanderten zurück zum vergangenen Morgen. Erst hatte sie gedacht, es handele sich um einen Notfall, als Darok und diese kleine, blonde Frau vor ihrer Tür standen. Umso verblüffter war sie, als Darok ihr den wirklichen Grund seines Besuches eröffnete. "Euer Freund Gwes schuldet mir Geld, und wie ich es mit ihm ausgemacht habe, hole ich Euch jetzt ab, bis er gezahlt hat." War der Mann betrunken? Am frühen Morgen? Das konnte ja wohl nicht sein Ernst sein. Tari dachte nicht daran, irgendwo hin zu gehen, nur weil Gwes sich verschuldet hatte. Überhaupt, wie kam er dazu, sie zu verpfänden wie ein Pferd? Langsam wurde sie wütend. Freiwillig würde sie keinen Fuß nach Yew setzen.
Darok zeigte Verständnis, er wolle sie nicht zwingen oder sie Gwes' Schulden zahlen lassen, wandte sich zum Gehen, machte dann aber noch einmal kehrt. "Ich habe einen anderen Vorschlag", sagte er und völlig unvermittelt packte er sie und hob sie auf die Schulter. "Ihr könnt in Yew darüber nachdenken, ob Ihr nicht doch bleiben wollt."
Sie versuchte sich gegen den Griff zu wehren, aber er hielt sie fest. Als sie an Brulmirs Haus vorbeikamen und sie zu rufen begann, beschleunigte er seinen Schritt und schon waren sie durch das Reisetor hindurch. Irgendwo im Yewer Wald angekommen setzte er sie auf einem Stein ab.
"So, wenn Ihr wollt könnt Ihr jetzt wieder gehen." Tari war wütend. "In einem Dorf voller Verbrecher bleibe ich sicher nicht." Sie erhob sich und wandte sich dem Mondtor zu. Offenbar hatte sie Darok damit wütend gemacht. "Sollen wir unsere Gesetze hier brechen, nur weil so ein Städter das sagt? Karex hält sich an unsere Gesetze. Das Herzogtum hat uns den Mörder Fearons ja auch nicht ausgeliefert. Nein, der sitzt gemütlich neben dem Oberst im Tala."
Sie hielt inne. Ja es gefiel ihr nicht, dass man Fearon hinterrücks ermordet hatte und sein Mörder im Herzogtum Immunität genoß. Aber war das eine Berechtigung, es dem Herzogtum gleichzutun und sich ebenso stur zu stellen? War das Neutralität? Oder hielten die Yewer das für ausgleichende Gerechtigkeit? Wie du mir so ich dir. Waren sie hier in der Sandkiste? Ohne ein gewisses Entgegenkommen würde da nie Friede herrschen.
Dass sie den Baron von Britain für willkürlich hielt, behielt sie lieber für sich. Er war ja weg und würde an der Sache jetzt nichts ändern.
Als Darok merkte, dass er Tari offenbar nicht freiwillig zum Bleiben überreden konnte, versuchte er es über ihren Stolz. "So wie Ihr ausseht, würdet Ihr doch keine Woche in Yew aushalten. Ihr habt doch in Eurem ganzen Leben noch keine wirkliche Arbeit getan." Wie konnte er so reden? Ja für einen Bauern, der im Wald gefunden wurde, war es vermutlich leicht, denen, denen es besser ging als ihm, so etwas zu unterstellen. Aber wie sehr er ihr damit Unrecht tat. Wie gern hätte sie in ihrer Kindheit Kühe gemolken oder Wäsche gewaschen. Diese leichte Arbeit war ihr selten zugeteilt worden, meist hatte ihre Tante ihr und ihrer Schwester Dinge aufgetragen, von denen sie am Ende zerschnittene Hände hatten und müde ins Bett fielen, jeden einzelnen Knochen im Leib spürend.
Darok würde sich doch sofort übergeben, wenn er einem Menschen den Arm abnehmen müsste. Keine drei Tage würde er das aushalten.
Hin und her flogen die Worte, mal herausfordernd, mal beleidigend, dann abwertend. Im Nachinein musste Tari sich eingestehen, dass sie sich nicht sonderlich diplomatisch verhalten hatte. Aber den wollte sie sehen, den man gegen seinen Willen nach Yew schleppte und ihm dort vorwarf, eine verwöhnte Person zu sein, dem im Leben ohne Arbeit alles zugefallen sei. Wer würde da noch höflich und besonnen bleiben? Die wenigsten, aber sie zuletzt. Darok hatte einen wunden Punkt getroffen, und das ließ sie ihn nun spüren. "Ihr habt doch keine Ahnung," fuhr sie ihn an. "Dann kommt mit nach Yew und beweist mir, dass Ihr ebenso wie eine anständige Yewer Frau arbeiten könnt." "In Yew gibt es doch nicht eine einzige anständige Person", erwiderte sie gereizt.
"Oh durchaus. Die Frauen hier wollten Euch sogar einen Empfang bereiten. Aber Ihr seid ja undankbar, das hätte ich mir denken können."
Einen Augenblick lang zögerte Tari. Dass man sie hier freundlich aufnehmen würde, hatte sie nicht erwartet, zwar hatte sie den Yewern nichts getan, aber was sie von ihrer "Neutralität" hielt, dürfte ihnen bekannt sein. Doch dann schalt sie sich einen Narren. Hatte Darok seine Entführung etwa vorangekündigt? Steckte dieser halbe Wald da mit drin? Nein das konnte sie nicht glauben, auch wenn ja zumindest einige Personen beteiligt zu sein schienen, wie diese blonde Adeptin, die die ganze Zeit schweigend danebenstand als wäre das hier ein Sonnentagsausflug.
Sie wandte sich zum Mondtor hin. "Ihr werdet noch von mir hören", sagte sie noch in Daroks Richtung, ehe sie hindurchtrat.

Während sie nach Hause lief, dachte sie über das Erlebte nach. Wie konnte so etwas passieren? Dass Gwes sich von Darok Geld lieh konnte ja noch sein, aber wie konnte er sie als Bürgen anbieten, ohne ihr nur einen Ton davon zu sagen? "Ich dachte, er liebt mich...", dachte sie enttäuscht. Liebe hin oder her, er war doch ihr Freund, sie hatte ihm vertraut. Und dann verschacherte er sie wie einen alten Gaul oder ein Schmuckstück an den Nächstbesten. Warum hatte er nicht sie gebeten, ihm Geld zu leihen? Sie hätte es ihm doch nicht verwehrt.
Die Enttäuschung wich der Wut. Es war unerheblich, wie er zu ihr stand oder warum er das getan hatte. Die Tatsache war, dass er sie hintergangen hatte, auf schmerzhafte, heimtückische Weise. Wer weiss, was geschehen wäre, hätte Darok (vermutlich aufgrund der angespannten politischen Lage) ihr nicht freigestellt, wieder zu gehen, sondern wenn er sie einfach festgehalten hätte? Vielleicht hätte er sie Wochen festgehalten? Wie konnte ihm Geld das wert sein?
Sie nahm ein Blatt Pergament und beschriftete es. Heute legte sie keine Sorgfalt an den Tag, dieser Hund konnte sich ruhig ein wenig Mühe geben, ihre verärgerten Zeilen und die Aufforderung, ihr nicht mehr unter die Augen zu treten, zu entziffern. Als sie das Schreiben beendet hatte, ging sie zu Gwes Haus. Er war nicht da, wie sie erwartet hatte. Die letzten Tage hatte sie ihn schon nicht mehr gesehen. Mit der flachen Hand schlug sie ihren Zettel auf den Küchentisch in seinem Haus. Da würde er ihn schon finden, wenn er den Ratten nicht eine willkommene Speise waren.

Als sie nach Hause kam, war Arathel schon da. Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie Gwes und Darok wirklich Ärger machen wollte, schließlich war ihr nichts geschehen. "Aber es hätte etwas geschehen können.. sie können doch nicht einfach.." Also erzählte sie Arathel in kurzen Worten, was vorgefallen war.
Wie zu erwarten war er verärgert und versprach, sich um die Sache zu kümmern. Sie hatte den Stein ins Rollen gebracht, zweifelsohne würde er dem Oberst davon erzählen, und dem war es vermutlich die reine Freude, etwas gegen Gwes und Darok tun zu dürfen. Recht muss sein, sie hatten es verdient.
Wie sie es erwartet hatte, teilte der Oberst ihr dann später mit, dass er mit dem Herzog über die Sache sprechen würde. Schließlich war sie nicht einfach irgendjemand, sondern Mitglied des Hofes. "Kein besonders vorbildliches, das eine ganze Stadt zu Verbrechern erklärt und einem Mann Verwandtschaft mit einem Waldschrat unterstellt", war ihr beschämender Gedanke. Sie würde sich beim Herzog für dieses Verhalten entschuldigen müssen, war es auch noch so naheliegend, sie selbst würde ein solches Verhalten als Herzogin wohl nicht dulden. Vor allem nicht, wenn das Verhältnis zwischen Herzogtum und Yew ohnehin schon zum Reissen gespannt war.

Nun saß sie hier am Ufer und sah aufs Meer hinaus. Irgendwie taten ihr die beiden leid, sie hatten einiges an Ärger zu erwarten, das hatte sie der Miene des Oberst ablesen können. Andererseits war sie zutiefst enttäuscht von Gwes. Sie konnte einfach nicht verstehen, was ihn zu einem solchen Kuhhandel gebracht haben konnte. Warum auch immer, er hatte es getan und das verletzte sie mehr als alles, was er ihr sonst willentlich oder unwillentlich angetan hatte.
Und Darok? Im Nachinein war sie froh, dass er sie hatte gehen lassen. Hätte er sie festhalten wollen, hätte sie ihn davon kaum abhalten können. Überhaupt, man stelle sich vor es wäre plötzlich Arian durch das Mondtor getreten, oder irgendein anderer Verbrecher, der in Yew Asyl fand. "Solange sie unsere Gesetze nicht brechen..." Schöne Neutralität. Konnten sie das ganze Herzogtum vernichten, Hauptsache sie taten in Yew nichts, waren sie auch Massenmörder - egal - es war ja nicht hier. Wie konnte man sich so blind stellen? Abgesehen davon - Tari zweifelte nicht daran, dass auch die Yewer eines Tages schmerzhaft feststellen würden, dass Arian sie nur für seine Zwecke benutzt hat. So wie sie.
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Alt 13.09.2007, 12:02
#75
Tari Ceres
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Mit schweren Knochen, doch innerlich hellwach saß sie am Tisch in der Stube. Die Sonne schickte sich gerade erst an, hinter den Bergen aufzusteigen, doch Tari konnte und wollte nicht an Schlaf denken.
Eigentlich hatte sie nur eine Verabredung mit dem Oberst wahrnehmen wollen, als sie in der Nähe des Mondtores bei Khaz'Dur auf drei schwarze Gestalten traf, zwei von ihnen vermummt. Noch ehe sie sich umdrehten, glaubte sie, in der unvermummten Gestalt Arian zu erkennen. Sie hatte keine Angst vor ihm. Das konnte sie nicht haben, nachdem sie ihn so lange Jahre kannte, und nachdem sie selbst gesehen hatte, wie liebevoll er mit ihren Kindern umging. Aber sie hielt ihn für verrückt und unberechenbar.
Als er sie erkannte, sagte er ihr, dass Chana sich das Leben genommen hätte. Tari konnte sich einer Betroffenheit nicht erwehren, als sie das hörte. Obgleich Chana eine feige Verräterin war, die jede Verantwortung von sich schob um Arian in Ruhe anhimmeln zu können, war sie immerhin auch zwanzig Jahre lang ihre beste Freundin gewesen. Sie hätte einen besseren Tod verdient, im Frieden mit sich selbst, wenn sie schon nicht vermochte, ihre Freunde um Verzeihung zu bitten. "Sie schrieb, dein Hass wäre schuld." Seine Worte trafen sie, aber sie glaubte sie nicht. Möglicherweise hatte sie es geschrieben, aber es konnte nicht stimmen. Chana war Tari aus dem Weg gegangen, keine von beiden hatte je versucht, auf die andere zuzugehen, und Chana wusste sehr wohl, warum Tari sie nicht mehr als Freundin betrachtete. Sie selbst hätte sich wohl kaum anders verhalten, wäre Tari in irgendeiner Form dafür verantwortlich gewesen, dass Chanas Mann etwas zugestoßen ist.
In diesem Augenblick kam ein Gardist um die Ecke. Tari sah ihn erst, als Arian seinen vermummten Begleitern befahl, ihn zu töten. Sie wollte sich den Vermummten in den Weg stellen, innerlich ganz und gar nicht sicher, ob eine der beiden Seiten sie nicht einfach umrannte, um die andere angreifen zu können. "Du kannst sie nicht alle schützen, Tari", sagte Arian in dieser merkwürdigen Stimme, die er sich angewohnt hatte. Und noch ehe sie etwas weiteres erwidern oder tun konnte, hatte er ihren Körper mit einem Zauber gelähmt.
Der Gardist nutzte die Gelegenheit, um zu flüchten.
"Bald wird es hier von Gardisten wimmeln. Nimm sie mit", sagte er zu einem seiner Begleiter und deutete dabei auf Tari. Dieser verwandelte sich in einen Oger, um sie hochzuheben, und folgte den anderen dann zu Taris Haus. Arian durchsuchte ihre Tasche nach einem Schlüssel und musste zahlreiche versuchen, ehe die Tür zu Arathels Haus sich öffnete. Tari erhielt langsam wieder die Kontrolle über ihren Körper, als Arian befahl, jeden zu töten, der sich im Haus befand. Inständig betete sie, dass Arathel nicht daheim sei und Salunia von ihrer Angewohnheit, bei ihm zu schlafen, heute ausnahmsweise abgelassen hatte. Doch der Vermummte, den Arian mit Sanrahel angesprochen hatte, fand niemanden.
Oben, in Arathels beschaulicher kleiner Wohnung sah es so friedlich aus in Anbetracht der Umstände, wegen denen sie hier waren. Tari versuchte sich möglichst unauffällig und scheinbar unbedacht gegen das Fenster lehnen. Käme die Garde hierher, würden sie sehen, dass jemand da war, und sich hoffentlich entsprechend verhalten. Doch natürlich fiel Arian dieser Versuch auf und befahl einem seiner Lakaien, aus dem Fenster den Garten zu beobachten, während er mit Tari sprach. Er kam auf Nilan zu sprechen, Chanas Sohn, und ob Tari ihn aufnehmen würde. Sie war sprachlos. Er warf ihr Chanas Tod vor und wollte dann, dass sie ihren Sohn, den er eine Missgeburt nannte, aufzieht? Unmöglich könne man ihn in Brulmirs Händen lassen, sagte er, doch auf ihre Frage, warum er nicht dasselbe aus ihm mache wie aus seinem Sohn Kalian, erhielt sie keine Antwort: Die Garde war eingetroffen.
Als sie sich dem Haus näherten, befahl Arian dem Gehilfen am Fenster, er solle eine Lavabombe werfen. Tari hatte keine Ahnung, was das war und wie es wirkte, aber es musste eine schreckliche Waffe sein, wenn man dem Namen glaubte. Drohend legte er ihr seine Hand, die mit einem Handschuh aus Knochen umhüllt war, auf die Lippen, doch als der Gehilfe das Fenster öffnete, schrie sie so laut sie konnte "Vorsicht!". Doch da hatte der Vermummte seine Waffe schon in ihren Garten geworfen, und sie hörte Schreie. Kurz darauf gab Arian ihr eine Ohrfeige, die weniger wegen der Kraft schmerzhaft war, als wegen des harten, kantigen Handschuhs.
Sogleich begannen die Magier, von den Fenstern und dem Balkon des Hauses, die übrigen Gardisten anzugreifen. Tari versuchte, dem einen Magier in die Arme zu fallen, um seinen Zauber zu unterbrechen oder wenigstens abzulenken, doch war sie zu langsam. Ein Pfeil traf den Oberst, wurde von ihm aber zurück auf den Sprecher geworfen. Bevor sie es erneut versuchen könnte, lähmte Arian sie wieder und ging hinunter ins Erdgeschoss. Was nun alles geschah, sah Tari nicht mehr, weil es nicht in ihrem Blickfeld lag, doch sie hörte die schwächer werdenden Schreie und den Geruch von Feuer und verbranntem Fleisch. Irgendwann packte einer der Vermummten sie und schlug sie nieder.
Als sie wieder aufwachte, fand sie sich in einem roten, mit Stoff ausgekleideten Raum wieder. Einer von Arians Dienern war gerade im Begriff, ihre Tasche zu durchsuchen, und so verhielt sie sich reglos, den Kopf nach unten gesunken und die Hände in Ketten, die an irgendwas befestigt waren. Er nahm ihren Kräuterbeutel heraus, dann wandte er sich irgendetwas weiter hinten im Raum zu. Es schepperte leise, und wenig später schleiften sie die verbrannten Überreste eines Menschen an ihr vorbei. Es musste einer der Gardisten sein.
Krampfhaft versuchte sie, ihren Schrecken zu unterdrücken und weiter die Bewusstlose zu mimen. Wer weiss, auf welche Ideen sie sonst noch kämen. Vorsichtig spähte sie in den Nebenraum. Viel konnte sie nicht erkennen, aber sie konnte Arians Stimme hören. Nach draussen sollten seine Diener den Toten schleppen, vielleicht könne irgendeine Meisterin namens Ines noch etwas damit anfangen. Tari erschauderte. Was war aus Arian geworden, dass er jetzt schon mit Toten experimentieren ließ?
Kurz darauf betrat der eine wieder ihr Gefängnis und gab ihr eine eher sanfte Ohrfeige, um sie zu wecken. Dann befreite er ihre Handgelenke, die von den Kanten der Handfesseln etwas schmerzten. Er führte sie zu Arian, der, wie sie nun sehen konnte, auf einem Sessel saß, der von Knochen umgeben war. Übelkeit stieg in ihr auf.
Er verlangte von ihr, dass sie eine Verletzung versorgte, die er sich in dem Getümmel zugezogen hatte. "Lässt du mich dann gehen?", fragte sie ihn, und als er dies bejahte, setzte sie aus Kühnheit hinzu "Mit dem Gardisten". Doch Arian sagte, der Gardist werde sich zu den Knochen um seinen "Thron" gesellen, den Rest würde der Herzog dann auf seine Türschwelle gelegt bekommen.
Also machte Tari sich daran, die Schnittwunde zu versorgen. Arian legte die Hände hinter den Rücken, und schien dort irgendetwas zu machen. Vielleicht holte er irgendwelche Kräuter aus einem Beutel, um sicherzugehen, dass sie die Gelegenheit nicht nutzen würde, und ihm ihr Messer in den Bauch zu rammen. "Er wird nie verstehen, was uns unterscheidet.", ging ihr durch den Kopf. Ihr Glauben, ihre Prinzipien, ihre Einstellung zum Leben verboten ihr von jeher, einen Menschen in Lebensgefahr zu bringen oder gar zu töten. Hätte sie die Möglichkeit gehabt, hätte sie vielleicht versucht, ihn zu überwältigen, aber sie war keine Richterin und nicht dafür zuständig, ihm die Strafe für seine Taten zukommen zu lassen. Sie konnte es nicht mit sich vereinbaren, mochte er auch ein noch so niederträchtiger, verrückter Magier sein. Ganz abgesehen davon hätte sie Arian vielleicht zwar erwischt, wäre dann aber zweifelsohne auf die qualvollste Art und Weise verendet, die seine Spießgesellen sich hätten ausdenken können.
Als sie fertig war, forderte sie erneut, den toten Gardisten mitnehmen zu können, doch Arian ließ sie einfach vor die Tür des Geländes bringen.
Kurz sah sie sich um. Die Mauern waren aus Sandstein und sie befanden sich auf einer erhöhten Ebene. Weiter im Osten konnte sie das Meer sehen. Irgendwo auf Moonglow musste sie sein.
Doch sie hielt sich nicht länger auf. Mit Hilfe der Kräuter, die sie zurückerhalten hatte, sprach sie ein paar kurze Silben und fand sich in Britain vor dem "Tala" wieder. Es dämmerte schon fast, als sie bei der Garde ankam, doch wie die Wachen ihr mitteilten, war niemand mehr wach, und da sie nichts zu sagen hatte, was Eile benötigt hätte, bat sie die Wachen nur, auszurichten, dass sie wieder da sei.
Anschließend trugen ihre Füße sie zu Alaron. Irgendwie hatte sie das Gefühl, er würde um diese Uhrzeit noch wach sein. Sie wollte nicht nach Hause gehen, wo alles nach Feuer roch, wo Gwes und die Kinder schliefen und sie niemand davon abhalten konnte, über das nachzudenken, was geschehen war.
Und sie hatte recht, Alaron war auf. Sie musste ziemlich durch den Wind aussehen, er schien ziemlich überrascht, als er sie hereinbat und ihr sagte, sie solle sich setzen. Er fragte sie, was geschehen war, doch sie brachte nicht mehr heraus, als dass Arian Schuld am Feuertod eines Gardisten hatte. Der Geruch und das Bild des Toten in Arians Garten schnürten ihr derartig die Kehle zu, dass sie nicht erzählen konnte, was überhaupt geschehen war.
Schließlich brachte Alaron sie nach Hause, und nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alle Kinder friedlich in ihren Betten lagen, ging sie hinüber in die Stube, um für alle Frühstück zu machen. Doch als sie fertig war, ging die Sonne gerade erst auf, es würde noch Stunden dauern, bis die anderen erwachen würden.
Also blieb sie einfach auf ihrem Stuhl sitzen, versuchte nach Kräften die schrecklichen Bilder zu verdrängen und schaffte es nicht. Irgendjemand musste heute Nacht seine Hand über sie gehalten haben, dass sie schadlos aus Arians Händen geriet, nachdem sie seinen Mordversuch an den Gardisten derartig durchkreuzt hatte.
Tari Ceres ist offline  
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