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Alt 03.10.2007, 23:37
#76
Tari Ceres
Reisender
 
Registriert seit: 23 Jul 2004
Beiträge: 1.193
Am späten Abend war Tari nach Hause gekommen. Sie war beim Oberst gewesen, der sie wegen Arians Grabschändung und den Folgen daraus sprechen wollte. Nun sollte sie versuchen, alle ausgegrabenen Knochen irgendwie ihren Besitzern zuzuordnen. Herrjeh, wie sollte sie das schaffen? Sicherlich konnte sie anhand der Größe und des Zustandes der Knochen ungefähr abschätzen, welche zueinander passen. Bei den neueren mochte das noch halbwegs passen, doch gerade die älteren würden sich sehr ähneln und kaum noch zu unterscheiden sein.
Beunruhigt war sie am Ende des Gespräches zum Friedhof aufgebrochen. Der Oberst hatte erwähnt, dass das Grab von Siannes Vater geschändet worden war, und nicht weit davon lag Levins leibliche Mutter begraben. "Lag", war die richtige Bezeichnung, denn wie sie kurz darauf feststellen musste, war auch Narissas Grab entweiht und geleert worden. Levin wusste mittlerweile um seine richtige Mutter. Wie sollte sie ihm das nur beibringen? Ein dicker Kloß hing ihr im Hals "Muttergöttin, wie konntest du so etwas zulassen?", murmelte sie leise.
Schweigend ging sie nach Hause. Wenn sie doch wenigstens mit Gwes darüber hätte reden können! Doch ihm ging es nach langer Krankheit endlich besser und sie hatte ihn zu ihrer Schwester geschickt, damit er sich erholen konnte. Zu gern hätte sie ihn begleitet, auch wenn er erst einige Tage weg war vermisste sie ihn nicht nur in diesem Augenblick schmerzlich. Allein zu Angelinas Hochzeit wäre sie gern in seiner Begleitung gegangen. So würde sie nun wohl Arathel fragen, ob er sie als Freund begleiten würde. Oder Alaron.
Schließlich war Tari zuhause angekommen. Im Haus war alles ruhig, Mathilde hatte die Kinder längst zu Bett gebracht. Hier und da lagen noch Spielzeuge herum, die nicht weggeworfen waren. Tari war zu müde und zu traurig, um sich ein Abendessen zu bereiten, und so ging sie gleich nach oben. In ihrem Schlafzimmer entkleidete sie sich träge und zog sich ein Nachthemd an. Doch ehe sie sich ihrem Bett zuwandte, beschloss sie, doch noch etwas zu trinken. So begab sie sich wieder zur Treppe und tastete sich im Halbdunkel hinunter.
Auf der ersten Stufe nach dem Treppenabsatz trat sie auf etwas weiches. Noch während sie haltsuchend nach dem Treppengeländer griff, rutschte das kleine Stofftier unter ihrem Fuß hinweg die Treppe hinunter. Tari verlor das Gleichgewicht und rutschte hinterher, bis sie am Fuß der Treppe unsanft auf der Seite aufkam.
Ein stechender Schmerz fuhr durch ihr Bein. An der Stelle, an der es gebrochen war, färbte sich die Haut bereits blau und schwoll etwas an. Sie presste die Lippen zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Doch zuerst galt es, sich irgendwie in eine erträgliche Lage zu bringen. Mit viel Mühe schaffte sie es, sich an die Wand zu lehnen und das gebrochene Bein gerade auszustrecken. Sich allein fortzubewegen war undenkbar, und so musste sie bis zum Morgen warten, ehe Mathilde kam und sogleich Carlin holte, der das Bein versorgte. Es würde einige Wochen dauern, ehe sie ihr Bein wieder würde benutzen können und bis dahin konnte sie nun das Schicksal teilen, das Gwes im Jahr zuvor ereilt hatte: Bewegungslos in ihrem Bett zu sitzen und zuzusehen, wie die Tage vergingen.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 23.12.2007, 17:16
#77
Gwescan Asturone
Reisender
 
Registriert seit: 07 Jan 2005
Beiträge: 346
Lange Zeit war ins Land gezogen. Gwes saß im ersten Stock in seines Bruders Haus und ließ den Blick nachdenklich über Dutzende von bepflanzten Schalen schweifen, in denen es in unterschiedlichen Wachstumsstadien grünte und blühte. Vor sich hatte er ein Pergament, das eng von seiner Handschrift bedeckt war und sich zu dem Chaos aus aufgetürmten Büchern und Dokumenten, alle in seiner Handschrift, hinzugesellte. Seine Handschrift hatte sich verändert: Ebenmäßig und elegant geschwungen war sie schon immer gewesen, doch der leichte Hang der Buchstaben, zur linken Seite zu kippen, war verschwunden. Der dankbare Blick seiner leuchtenden Augen wanderte nun zum Fenster und hinaus in den strahlenden Tag. Menschen hasteten hin und her, die Geräusche der nahen Straße drangen zu ihm hinauf: Das Wiehern der Pferde, das Schnaufen von Sumpfdrachen, quietschende Karrenräder - pulsierendes Leben.

Mit einem wehmütigen Lächeln packte Gwes seine Schreibutensilien zusammen, faltete das Pergament und versiegelte es. Anschließend schlenderte er zum Hafen, wo er Ausschau nach einem ganz bestimmten Schiff hielt: Ein schlankes, wendiges Schiff - nicht groß, aber gebaut, um den Stürmen der Hochsee zu trotzen. Dort dümpelte sie an der Mole vertäut vor sich hin: Die "Schwalbe" mit Heimathafen Faerlan. Ein paar Münzen und ein versiegeltes Pergament wechselten den Besitzer. Für einen kurzen Moment schien es so, als wolle Gwes dem Matrosen das Schreiben doch nicht überlassen - oder selbst mitfahren, doch dann ließ er los und wandte sich um, ohne noch einmal zum Schiff zurückzusehen.

********

Viele Monde später, in Britain: Ein Matrose übergibt im Hafen ein von der langen Reise sehr mitgenommenes Schreiben zusammen mit einer Münze einem Botenjungen, der es zum Haus von Tari trägt. Das Pergament ist mittlerweile rissig und an den Rändern vom Seewasser angegriffen. Wird das Siegel gebrochen, kann man folgendes lesen:


Liebste Tari!

Bitte verzeih mir! Und bitte verzeih auch Deiner Schwester, es war nicht ihre Schuld, sondern die meine. Du kennst mich - Du weißt, wie ich bin und vielleicht kannst Du deshalb auch ermessen, daß Deine Schwester keine Chance hatte gegen mich. Also hege bitte keinen Groll gegen sie.

Wenn Du diesen Zeilen hier liest, sei gewiß, daß ein Teil von mir für immer Dein sein wird und sich immer nach Dir sehnen wird. Dennoch ist mir klar, daß wir beide nicht für einander bestimmt sind. Ich würde Dich in den Untergang reißen.

Längst schon lebe ich in einem Dir fremden Land, unter einem Dir fremden Namen und bin jedem Zugriff entzogen. Verzeih, daß ich Dich auf diese Art betrogen habe. Als ich Deine Schwester verließ, wußte sie weder, daß ich gehe, noch wohin. Selbst mir war es nicht klar. Ich kaufte mir einfach eine Passage auf dem nächsten Schiff - ich wußte nicht einmal, wohin es segelte.

Ich landete auf einer Inselgruppe so weit im Westen, daß sie auf keiner der normalen Karten verzeichnet ist. Lange Zeit verbrachte ich in der Wüste bei einem sehr gelehrten Volk. Hier wurde mir klar, daß ich mein Leben von Grund auf ändern mußte. So nahm ich meinen richtigen Namen wieder an. Der Zufall - oder sollte ich besser sagen: Göttliche Vorsehung? - führte einen meiner Brüder zu mir. Zusammen gelang es uns, hier Fuß zu fassen, obwohl der Anfang sehr schwer war und wir manches Mal um Haaresbreite dem Scheitern entgingen. Doch nun sind wir angesehen und haben ein gutes Auskommen. Mein Leben hat sich gewandelt. Ich habe mich gewandelt. Vermutlich würdest Du mich nicht wiedererkennen; äußerlich vielleicht schon. Doch ich habe eingesehen, daß ich früher schlecht war. Ich habe gelogen und gutgläubige Menschen betrogen. Ich schäme mich dafür und werde hier alles dafür tun, um für meinen bisherigen Lebenswandel zu büßen und alles wieder gut zu machen, mit einer Art neuem Leben, das ich ganz in die Hände der Götter lege. Ich werde mein bestes geben, um all meine früheren Schandtaten auszugleichen.

Dir, meine Liebste, wünsche ich, daß Du endlich glücklich wirst und einen Mann findest, der Deiner würdig wäre. Denke bitte nicht im Haß an mich, sondern vergib mir.

In Liebe und Dankbarkeit

Aanso - "Gwes"
Gwescan Asturone ist offline  
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Alt 23.12.2007, 18:16
#78
Tari Ceres
Reisender
 
Registriert seit: 23 Jul 2004
Beiträge: 1.193
Tari war überrascht, als sie Gwes Brief bekam. Sie hatte schon längst nicht mehr mit irgendeinem Wort von ihm gerechnet und sich an die Vorstellung gewöhnt, dass er entweder in irgendeinem Gefängnis saß oder sich mit irgendeiner reichen Frau "über Wasser hielt". Dass nun ihre eigene Schwester sie hintergangen hatte, verschlug ihr glatt die Sprache. Zwar war Marill schon immer die unbesonnenere und irgendwo auch die mutigere gewesen, aber Tari hätte von ihr doch mehr Vernunft erwartet. Bezeichnend für sie war es, kein Wort davon gesagt zu haben. Weit weg von Britannia war es ja auch eher unwahrscheinlich, dass Tari davon irgendetwas erführe.
Tari hatte sich nie vollkommen auf Gwes Treue verlassen und das in Kauf genommen. Doch dass er sie mit ihrer eigenen Schwester hinterging war.. ihr fehlten die Worte. Blass vor Wut und Enttäuschung, den Brief so fest in der Hand, dass die Knöchel weiss hervortraten stand Tari da. Einem ersten Impuls nach wäre sie am liebsten zu Gwes Haus gegangen und hätte alles einfach zerschlagen oder in Brand gesteckt. Wollte er sie mit der Behauptung, er hätte sich gebessert, trösten? Sie glaubte so sehr an diese Worte wie es im Sommer schneite. Sollte er sich doch selbst etwas vormachen, wenn er damit glücklich war.
Das Gefühl der Wut wich der Enttäuschung bald und Tari musste gegen die Tränen ankämpfen. Doch sie hatte mittlerweile gelernt sich zu kontrollieren, musste es ja schon jahrelang bei all diesen Versteckspielen mit Gwes. Keinesfalls würde sie ihm den Gefallen tun und auch nur eine Träne um ihn weinen. Tari warf den mittlerweile zerknüllten Brief ins Herdfeuer und ging nach oben, wo sie mit einer unglaublichen Ruhe ein schwarz gefärbtes Kleid aus ihrem Schrank holte und es anlegte. Anschließend setzte sie sich in die Stube und wartete darauf, dass Levin, Salunia und Faminia aufstanden, um ihnen mitzuteilen, dass ihre Tante Marill verstorben sei und sie sie nie wieder sehen würden.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 24.12.2007, 09:24
#79
Tari Ceres
Reisender
 
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Beiträge: 1.193
In der Nacht hatte Tari dann doch geweint und kein Auge zugemacht. Mathilde musste sie am Morgen drei mal wecken, obwohl ihr gar nicht wohl dabei war. Schließlich zwang Tari sich dann aber doch, aufzustehen und ihre Maske der Beherrschung zumindest so gut aufzusetzen, dass ihre Kinder nichts merken würden.
Während sie den dreien beim Frühstück zusah kam ihr ein neuer Gedanke. Gehässig, rachsüchtig - gar nicht von der Art, wie Tari sie normalerweise hatte. Andererseits hatte ihr noch nie jemand das Herz gebrochen. Und vor allem nicht auf eine derartig niederträchtige Weise.
Sie ging zur Bibliothek, die in Arathels Haus lag. Einen Augenblick zögerte sie. Er mochte jetzt noch da oben liegen und schlafen, seit langem wissend, wie sehr ein gebrochenes Herz schmerzte. Und dennoch liebte er sie weiterhin. Tari konnte das nicht verstehen. Vorher nicht, und jetzt erst recht nicht mehr.
In der Bibliothek nahm sie Federkiel und Tinte zur Hand und begann einen Brief zu schreiben.

An die Gardegarnison der Inseln östlich Faerlans vorgelagert zu Händen des Oberst

Glaron zum Gruße Oberst,

ich entsende Euch dieses Schreiben aus dem fernen Britannia, da ich eine Anklage vorzutragen habe, die zwei Personen betrifft, die nicht in meinem Einzugsbereich sind. Es handelt sich dabei um die Wirtin Marill Tiwele, Besitzerin des Gasthauses "Zur quirligen Magd" auf der südlichen Insel, sowie einen hier in Britannia stadtbekannten Gauner namens Gwescan Asturone, der mittlerweile möglicherweise den Namen Aanso trägt.
Nachdem Herr Asturone einen beträchtlichen Teil meines Vermögens, um genau zu sein etwa 600.000 Goldmünzen, durch Spiel und Frauen durchgebracht hatte, ließ er mich mit meinem ungeborenen Kind sitzen. Er brannte regelrecht durch mit meiner ehemaligen Köchin, der Wirtin Tiwele, die mir als Abschiedsgeschenk ein Gift ins Essen gab, durch das ich mein Kind und beinah mein Leben verlor.
Herr Asturone ist zudem der hiesigen Garde wegen Kontakten in die Unterwelt, Giftmischerei, Ketzerei und Handels mit verbotenen Waren bekannt. Er erhielt deswegen schon zahlreiche Strafen von der Garde und der Inquisition.

Herr Asturone hält sich nach meinen Informationen auf einer weniger bekannten Insel im Westen Faerlans auf. Ich bitte Euch inständig der beiden habhaft zu werden und an ihnen Gerechtigkeit walten zu lassen.

Hochachtungsvoll,

Tari Ceres,
Heilerin am Hofe Herzog Eleasars von Britannia und Gelehrte


Der erste Teil des Briefes war eine glatte Lüge, doch in ihrem unbändigen Hass konnte Tari sich jede einzelne bis auf jenen Teil, der das Kind und ihre Schwester betraf, rechtfertigen. Immerhin hatte sie Gwes wirklich viel Geld gegeben. Auch wenn er sich stets geziert hatte, es anzunehmen. Gespielt hatte er, und andere Frauen hatte es auch gegeben. Und seine Kontakte in die Unterwelt hatte er ihr ja selbst gestanden. Hätte sie all das nicht für sich behalten, sondern es Oberst Govaine gesagt, wäre Gwes danach vermutlich nicht mehr in der Lage gewesen, irgendein Schiff zu betreten.
Wieder kroch der Ärger in ihr hoch. Es war doch ihre Schuld. Sie hatte ihn über ein Jahr gepflegt, damit er nicht starb. Es war ihre Idee gewesen, ihn zur Genesung zu ihrer Schwester zu schicken. Die einzige Person, von der Tari genug Anstand erwartete, dass sie sie aus geschwisterlicher Liebe nie im Leben betrügen würde. Die einzige Person, von der Tari gedacht hatte, dass Gwes sich ihr niemals im Leben nähern würde, weil er wusste, dass sie ihre Schwester war.
"Sei es drum", wischte sie den Gedanken verärgert fort. Gwes hatte den Bogen gewaltig überspannt, und nun würde er die Konsequenzen dafür tragen. Es wäre vermutlich nicht einmal nötig gewesen, den Brief zu unterschreiben. Die Anschuldigungen waren schwer genug, ihn und Marill für Jahre in den Kerker zu bringen, und Gwes besaß vermutlich noch genug Verstand um zu verstehen, aus welcher Richtung dieser Schlag kam. Wenn es ihn auch überraschen dürfte, dass er von Tari kam. Aber letzten Endes hatte Tari sich für ihren wirklichen Namen entschieden. Sie wollte, dass die beiden büßten, und sie wollte, dass die beiden wussten, wer das veranlasst hatte. Sie setzte ihren Ruf mit dieser gemeinen und hinterhältigen Lüge aufs Spiel, aber es war ihr egal. Ihre Schwester hatte sie ohnehin für tot erklärt, und eine Wirtin und ein stadtbekannter Gauner ohne jeden Leumund konnten unmöglich beweisen, dass die Hofheilerin Britannias, anerkanntes Mitglied der Gesellschaft, stets durch ihre Ehrlichkeit und Gutmütigkeit bekannt aus den niederträchtigsten Gründen die größte Lüge ihres Lebens zu Papier gebracht hatte.
Tari Ceres ist offline  
Geändert von Tari Ceres (24.12.2007 um 09:27 Uhr).
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Alt 06.02.2008, 12:12
#80
Tari Ceres
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Ein halbes Jahr war seit Gwes' Brief mittlerweile vergangen. Seitdem schlief Tari schlecht. Kaum eine Nacht verging, in der sie nicht nach spätestens drei Stunden wieder aufwachte, und dann erst nach Stunden wieder Schlaf finden konnte - der nicht lange währte, denn irgendwann wurden ja auch die Zwillinge und Levin wach. Sie hatte sich längst an diese Schlaflosigkeit gewöhnt und nutzte sie zur Entspannung, so gut sie konnte. Meistens versuchte sie, sich mit schönen Gedanken aus der Vergangenheit zu trösten, Dinge, die sie mit Alvel erlebt hatte, und mit Arian und Chana, damals ihre besten Freunde. Anfänglich hatte sich über kurz oder lang Gwes in ihre Gedanken gestohlen, doch mittlerweile schaffte sie es ganz gut, ihn nicht einzulassen. Nichtsdestotrotz schmerzte dieser beidseitige Verrat von Gwes und ihrer Schwester sie sehr. Marill hatte ihr ein paar mal geschrieben, vermutlich nichts von Gwes "Beichte" wissend. Doch Tari hatte die Briefe einfach ins Feuer geworfen, bevor jemand anders sie sah. Für sie war ihre Schwester tot, und das würde sie auch bleiben. Nur Tarathir hatte sie mittlerweile eingeweiht. Er war immerhin einer ihrer ältesten Freunde, hatte das Wissen über ihr Geheimnis verdient und sie wusste, dass er es nicht weitererzählen würde.
Es hatte gut getan, ihm davon zu erzählen, auch wenn er in seiner üblichen Hilflosigkeit nicht wusste, wie er ihr da hätte helfen können. Das war auch nicht wichtig, denn allein das Wissen, dass nun jemand dieses Wissen mit ihr teilte, erleichterte die Last von Scham, Wut und Trauer dermaßen, dass sie in dieser Nacht leichter einschlief.
Tari war sich mittlerweile darüber klar geworden, für Gwes nicht mehr als ein Beutestück gewesen zu sein. Nicht in finanzieller Hinsicht, denn er hatte sich stets geweigert, von ihr Geld anzunehmen, sei es noch so dringend gewesen. Es muss wohl daran gelegen haben, dass sie ihm Jahre widerstanden hatte, zu Alvel und ihrem Eheversprechen hielt, obgleich sie Gwes gern hatte und mit dem mittlerweile trübsinnigen Alvel nicht mehr viel Glück erlebte. Tari kannte das ja selbst mit seltenen Dingen. Je schwieriger man daran kam, desto mehr wollte man sie haben, und desto hartnäckiger wurde man. Seltsam, dass diese bittere Parallele ihr erst aufgefallen war, nachdem man ihr das Herz gebrochen hatte. Das zumindest würde ihr nicht mehr passieren.
Wenn sie nur wüsste, wie sie Arathel in ihr Leben einordnen sollte. Sie hatte ihn immer noch aufrichtig gern, zweifelte nicht an seinen Qualitäten als Ehemann und Vater, und er war vermutlich die beste unverheiratete Wahl, die man im Herzogtum treffen konnte. Ausserdem liebte er sie immer noch.
Doch nicht nur, dass sie sich damals für jemand anderen - schlimmeren - entschieden hatte, wie konnte er ihr nach allem noch die Hand entgegenstrecken? Sie wünschte sich sehnlichst, seine Anwesenheit öfter genießen zu können, aber war darüber hinaus mehr noch möglich? Wäre es nicht noch schändlicher, ihn nicht nur zu verlassen, sondern dann auch noch zu ihm zurückzukommen, nur weil die erste Wahl sich als fauler Apfel herausgestellt hatte? Nein, deswegen sicher nicht. Niemals würde sie sich jemand anderem zuwenden, nur weil man sie fallengelassen hatte. Aber war es nicht genau das, was jeder denken würde? Dass sie nur zu Arathel zurückkehrte, weil es nichts besseres gab? Würde und wollte sie überhaupt zurückkehren? Das würde sich wohl zeigen müssen, wichtiger war es erst einmal, mit Arathel alles aufzuräumen, was sich in den letzten Jahren zwischen ihnen aufgebaut hatte.
Doch erst einmal würde Tari auf den kommenden Sonnentag warten. Ein weissmagisches Konzil hatte der Baron von Fenisthal da einberufen. Zwar war sie keine Magierin, aber das war der Baron ja auch nicht. Also schien es auch für Leute wie sie zu gelten. Interessieren tat es sie allemal, zu erfahren, was der Baron sich davon erhoffte. Allzu viel erwartete sie aber nicht. Der Fremde, der mit ihr den Aushang gelesen hatte, traf es ganz gut: "Ein zwielichtiger Magier und ein bescheidener Baron". Es war schon merkwürdig, wieso ausgerechnet er auf so eine Idee kam. Vermutlich hatte er einfach gemerkt, dass er sich nicht mit Ruhm bekleckerte, indem er sich in Fenisthal versteckte und sich niemandem mehr zeigte. Dennoch war Tari sich sicher - und Tarathir stimmte ihr da zu - dass mehr als hohles Gerede dabei kaum herumkommen würde. Aber das war immerhin auch irgendwie etwas, auf dem man aufbauen konnte.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 27.06.2008, 12:13
#81
Tari Ceres
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Missmutig und müde saß Tari am Schreibtisch in der kleinen Bibliothek. Die andauernde Dunkelheit setzte ihr zu, aber das tat sie ja bei jedem. Nein, Alvel war es, der ihr den Schlaf raubte. Ihr totgeglaubter Mann, der nach acht Jahren überraschend heimgekehrt war, nur wenige Tage bevor sie Arathel hatte heiraten wollen. Nun - von einer Heirat konnte jetzt selbstverständlich nicht mehr die Rede sein. Tari war sich ganz und gar nicht sicher, was sie von Alvels Rückkehr halten sollte, doch so ehrlos war sie nicht, dass sie Terendur Marograth bitten würde, ihre vor zehn Jahren gegebenen Gelübde Alvel gegenüber zu lösen.
Es war auf eigentümliche Weise schön gewesen, wieder mit Alvel zu sprechen. Er war im Grunde genauso wie früher: Nach außen hin der unberührte, unbeeindruckbare Gardist, den sie so sehr verabscheut hatte, doch innen drin liebevoll und sensibel, wenn man es nur einmal geschafft hatte, dorthin vorzudringen. Und doch war er anders. Wie konnte man sonst erklären, dass er sie hinter ihrem Rücken bei der Inquisition anklagte und vor ihr so tat als wüsste er von nichts? Oh, er sollte bloß nicht glauben, dass sie noch die naive achtzenjährige war, die er damals geheiratet hatte.
Seufzend griff Tari nach einem Federkiel und begann das Pergament zu beschreiben, das vor ihr lag.

Teure Mutter,

ich weiss nicht, ob du schon Kunde davon erhieltest, dass dein Sohn Alvel wohlauf hier in Britain weilt. Wir sind alle froh, dass ihm nicht das Schicksal widerfahren ist, das wir damals annahmen, doch wer würde besser verstehen, in welchem Zwiespalt ich mich befinde, wenn nicht du?
Es war mir wichtig, euren Segen für eine Ehe mit Arathel zu haben, seid ihr doch auch für mich Mutter und Vater. Doch was soll ich nun tun? Ich werde nicht an den Eiden rütteln, die ich vor zehn Jahren schwor, doch Mutter, es bricht mir das Herz wie sehr Arathel leidet, während Alvel mir das Gefühl vermittelt, es ginge ihm nur darum, seinen alten Besitz zurückzuerhalten? Ich will ihn nicht als Unmenschen darstellen. Zweifellos hat er viel durchgemacht in seiner Abwesenheit, doch hat er keinerlei Verständnis für das, was bisher geschah. Ich wage es kaum, ihm zu berichten, was ich dir alles anvertraut habe. Ich glaube, er hätte kein Verständnis für mich.
Oh Mutter, bitte gib mir Rat. Alvel hat mich vor der Inquisition des Ehebruchs angeklagt. Wenngleich ich es bereue, Gwes damals kennengelernt zu haben, ist es doch etwas, das ich nicht rückgängig machen kann, ebenso wenig wie ich meine Verlobung mit Arathel vergessen machen kann. Doch wieso versteht er das nicht? Hat er denn so eine geringe Meinung von mir, dass er denkt, ich hätte mich ebenso verhalten wenn ich gewusst hätte, dass er nicht längst bei Glaron weilt? Ich wünschte, ich wüsste, was ich tun könnte. Von Arathel habe ich seit Alvels Rückkehr nichts gesehen und nichts gehört und ich mache mir große Sorgen um ihn. Schließlich trifft ihn keine Schuld an alledem, und doch muss er das größte Leid daraus ertragen. Und was soll ich mit Alvel tun? Nach allem, was in den letzten Wochen geschah, scheint es mir unmöglich jemals wieder so mit ihm zu leben, wie wir es damals taten. Und doch kann ich noch immer nicht recht glauben, dass er mich wirklich angeklagt haben kann. Aber soll ich an den Worten des Inquisitors zweifeln?
Wenn du irgendeinen Rat für mich hast, dann lass es mich wissen, denn weder will ich mich mit euch, noch mit ihm entzweien. Doch zur Zeit sehe ich keine Hoffnung.
Liebe Grüße soll ich euch von euren Enkelkindern ausrichten, die euch gern einmal wiedersähen. Levin ist mittlerweile größer als wir alle und muss sich langsam entscheiden, was er mit seinem Leben anfangen will. Er ist sehr glücklich über Alvels Rückkehr. Auch den Zwillingen geht es gut, wenngleich sie die Lage noch nicht ganz zu begreifen scheinen.

Bitte sende mir bald Antwort,

deine dich liebende Tochter im Herrn,
Tari
Tari Ceres ist offline  
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Alt 23.08.2008, 19:04
Wandlungen
#82
Tari Ceres
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Lange lag Tari wach und horchte auf die leisen Atemzüge Alvels, der neben ihr lag. Seit einem Monat lebte er jetzt wieder bei ihr. Leider nicht in dem romantischen Sinne, in dem man gewöhnlicherweise von Zusammenleben sprach. Sie hatte mitbekommen, wie sehr ihr Mann unter der Trennung von seiner Familie litt, und wie hätte sie ihm, als gute Ehefrau, verweigern können heimzukehren, wenn er darum bat? Nein, sie hätte ihm auch Das Eine nicht verwehrt, wenn er es verlangt hätte. Doch sie war froh, dass er es nicht tat. Alvel wusste sehr wohl, dass seine Frau ihn zwar liebte, aber mittlerweile eher auf schwesterliche Art und Weise. Zumindest, solange sie die Trennung von Arathel nicht überwunden hatte. Und so war er rücksichtsvoll genug, ihr die nötige Zeit zu lassen, bis sie von selbst zu ihm zurückkam, und sie nicht dazu zu zwingen.
Tari war wirklich froh gewesen, Alvel leibhaftig und lebendig wiederzusehen. Vor allem während ihrer unglückseligen Affäre zu Gwes war Alvel immer das leuchtende Vorbild gewesen, der perfekte Ehemann und Vater, dessen Platz Gwes mit seinen Fähigkeiten als perfekter Liebhaber genauso wenig hätte einnehmen können wie Arathel, der sich aber immerhin bemühte, dem vermeintlich toten und noch immer strahlenden Konkurrenten so nahe zu kommen, wie es nur möglich war.
Nunja.. aus seinen Bemühungen wurde dann doch nichts, da Alvel zu des manchen Freud und zu des anderen Leid zurückgekehrt war. Tari war schrecklich zwiegespalten. Auf der einen Seite liebte sie Arathel, der in jeder noch so schwierigen Situation zu ihr gehalten. Auf der anderen Seite fühlte sie sich ihrem Ehemann verpflichtet. Schweren Herzens, aber mit dem Gefühl, das einzig Richtige getan zu haben, hatte sie sich dann für Alvel entschieden.. und damit war sie wieder am Anfang der Geschichte.
Doch das war nicht alles, was ihr Kopfzerbrechen bereitete. Die andauernde Dunkelheit machte sie mürbe, sie bereitete ihr Sorgen um Männer um Kinder, das mangelnde Licht bereitete ihr anhaltende Kopfschmerzen. Zudem war sie enttäuscht von den Reaktionen der Leute auf ihre Versuche, irgendetwas auszurichten. Niemand, nicht einmal der Baron von Britain, auf den sie doch so große Stücke hielt, hatte auf ihre Einladung zu einem Treffen auch nur reagiert. Erst als sie das Treffen abblies, meldeten sich immerhin Paladin Korr und Herr Bregoras, der Knappe des Grafen. Was war nur mit den Leuten los? Sie konnten angesichts der Dunkelheit und der offenbar dämonischen Bedrohungen doch nicht gleichgültig sein? "Sieht so aus, als bliebe es allein an dir, die Welt zu retten", dachte Tari mit einem Anflug von Galgenhumor, als sie leise aus dem Bett ausstieg und ihr Nachtkleid ordnete. Leise zog sie sich ein einfaches Kleid an und legte einen dünnen Umhang um. Dann ging sie hinüber in ihr Arbeitszimmer, in das sie sich immer zurückzog, wenn sie Ruhe zum Nachdenken brauchte. Eine ganze Weile saß sie so still da und starrte die Wand an, tief in Gedanken versunken. Was konnte man tun? Was sollte man tun? Ihre Entscheidung, was Alvel anging, hatte sie ja schweren Herzens gefällt, aber mit einer einfachen Entscheidung kam man gegen die Dunkelheit wohl eher nicht voran. Oder doch?
Ein Geräusch aus der über dem Arbeitszimmer liegenden Wohnung riss sie aus ihren sich ständig wiederholenden Gedanken. Offenbar war Arathel wach geworden und ging nun in seinen Räumen umher. Bald würde er zum Dienst aufbrechen. Wie die beiden Männer sich wohl im Dienst vertrugen?, ging ihr durch den Kopf. Mit einer kurzen Handgeste wischte sie den Gedanken beiseite. Das half ihr doch nicht weiter. Wieder horchte sie nach oben. Arathel stand nun offenbar im Schlafzimmer, denn die Geräusche waren besser hörbar. Leise, um ihrerseits nicht aufzufallen, stand Tari auf und verließ das Haus. Sie ging in dieser Dunkelheit ganz und gar nicht gern in den Wald, aber offenbar musste es heute so sein. Zielsicher griff Tari in ihre Tasche und zog eine Rune hervor, die mit ein paar einfachen, erinnernden Initialen markiert waren. Nur wenige Augenblicke später befand sie sich tief im Wald Vespers, an einem Ort, an dem selbst in dieser Dunkelheit die Blumen blühten. Seltsam eigentlich. Aber eigentlich auch gar nicht. Schließlich war der Schrein, der von den Blumen umgeben war, der lebensspendenden Göttin Libanú geweiht. Wo sollte das Leben noch den Anschein des Gewohnten wahren können, wenn nicht im Angesicht der Mutter aller Götter?
Vorsichtig, um keine der Blumen zu zerknicken, ließ sich Tari im Gras nieder, und sogleich begannen ihre Gedanken wieder zu kreisen. Offenbar vermochte die Nähe der Göttin den dunklen Einflüssen hier zu trotzen. War das ein Ansatz für eine Lösung oder war es nur ein Aufbegehren der Göttin gegen die Unfähigkeit der Menschen? Tari seufzte, und wünschte sich, dass Cormac, dieser bigotte Priester da wäre, um den Menschen zu sagen, was sie tun sollten. Um zu bestätigen, was allerorts gemunkelt wurde: Dass sie alle sich die Suppe mit ihrem Mangel an Gottesfürchtigkeit selbst eingebrockt hatten. Wenigstens würde sie bald mit Paladin Korr darüber sprechen können. Vielleicht würde wenigstens er eine Meinung dazu haben.
"Warum muss ich eigentlich hier zwischen allen hin und her rennen?", dachte sie in einem Anflug von Groll. "Weil du es nicht ertragen würdest, wenn du etwas tun könntest und es doch nicht tun würdest", antwortete ihr eine innere Stimme prompt. Tari seufzte. Ja das stimmte schon. Sie war keine einfache Heilerin mehr, und auch wenn sie sich nicht in der Funktion einer Diplomatin sah, konnte sie sich einer gewissen Verantwortung nicht entziehen. Als Beraterin der Herzogsfamilie nicht, als Heilerin sowieso nicht, und als sie selbst erst recht nicht. Sie machte nie einen Hehl darum, und mochte es sie noch so ärgern, wenn jemand ihren Rang nicht beachtete, so war sie dennoch die selbe Frau wie eh und je, eine Heilerin, die ungeachtet ihrer Schwächen und Stärken, obwohl sie so eitel und verwöhnt war wie man nur sein konnte, doch nur ein wirklich großes Ziel hatte, dessen Erreichung sie als ihre Hauptaufgabe sah: Das Wohl aller, ob groß ob klein, im Grunde genommen auch gleich, ob gut oder böse. Sie war keine Richterin, die über Leben und Tod entschied. Ihre Aufgabe war es nur, das Leben aller, die sich ihr anvertrauten oder ihr anvertraut waren, so gut es ging aufrecht und gesund zu erhalten.
"Vielleicht habe ich das Wesentliche ein wenig aus den Augen verloren", sagte sie leise zu sich, als ihre Finger sich anschickten, eine der Blumen zu pflücken und es dann doch bleiben ließen. Wie seltsam es war, dass es sie immer wieder hierher zog. Seit Jahren schon kannte sie diesen im Wald verborgenen, geweihten Schrein, und immer wieder war sie hierher gekommen, um zu ruhen, nachzudenken, aber auch die Anwesenheit dessen zu genießen, den sie liebte. "Regenbogenäugige Göttin, willst Du mir damit etwas sagen?", dachte Tari schmunzelnd. Ja.. vielleicht wollte sie das ja wirklich. Es war nicht so, als wäre Tari noch nie der Gedanke gekommen, dass der Glaube an Glaron zwar ein guter war, aber nicht das, was sie im Herzen und in der Seele wirklich erfüllte. Seit Jahren schon war sie innerlich zerrissen zwischen dem Glauben, zu dem sie erzogen worden war, und dem Glauben, zu dem sie sich seit jeher hingezogen fühlte. Doch bisher hatte sie nicht den Mut gehabt, etwas zu ändern. Sie wollte keinen Ärger mit den Templern haben, die ihr gegenüber in der Vergangenheit unglaublichen Großmut bewiesen hatten. Sie wollte auch nicht mit merkwürdigen Blicken bedacht werden, wenn sie auf der Straße Freunden oder Fremden begegnete. Und überhaupt, war es nicht ein zu großer Schritt, wo sie stets eine Verfechterin von Glarons Geboten war, wenngleich es ihr hin und wieder schwer fiel, sie einzuhalten? Und doch gingen seine Gebote ihr nicht weit genug, schützten sie doch Anstand und Moral, aber nicht das Leben.
Nachdenklich zupfte Tari an ihrem Kleid. Sie verehrte beide irgendwo.. den Einen aus Pflichtbewusstsein und Respekt offen, die Andere aus Liebe... heimlich.
Doch wozu führte das? War es nicht gerade jetzt in diesen Zeiten besser, zu dem zu stehen, was man mit der vollen Überzeugung vertrat, anstatt zu dem, der es "nur" verdiente? Doch, vielleicht war es das wirklich. Aber die Gefahren..., nein, an die Gefahren wollte Tari nicht denken. Wenn Alvel sie liebte, würde er ihre Entscheidung akzeptieren. Die Herzogsfamilie stand anderen Religionen gegenüber ohnehin offen, und die Templer.. nunja.. solange sie sich nichts anderes zu Schulden kommen lassen würde, könnten sie nicht mehr tun als über sie enttäuscht zu sein, und das nicht ohne Grund. "Doch wenn Glaron uns liebt, dann wird er das Beste für uns wollen. Dann wird er mir verzeihen, wenn ich meinem inneren Wunsch nachgebe. Schließlich habe ich nach wie vor den gleichen Respekt vor ihm." Tari war sich nicht annähernd so sicher, wie diese Worte klignen mochten. Sie war ganz und gar nicht davon überzeugt, dass man ihre Entscheidung einfach so hinnehmen würde, dass der ein oder andere nicht behaupten würde, sie hätte sich gegen Glaron gewandt, nur weil er nicht mehr der war, dessen Namen sie grüßte. Aber was half es. Auch wenn es ihr schwer fiel, wie bei Alvel hatte sie hier das Gefühl, den richtigen Schritt zu tun.
Und so erhob sie sich und ging heim, von wo aus sie einen Brief an das Yewer Kloster schrieb.
Tari Ceres ist offline  
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Alt 29.01.2009, 16:16
#83
Tari Ceres
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Der Herbst diesen Jahres entsprach wirklich dem, was sein Name sagte: Überall ging das Leben zuende und bereitete sich auf eine Zeit der Dunkelheit vor. Eine Woche war es her, dass Eliasad, ihre Priesterin und Mentorin überraschend starb. Tari hatte schon länger gemutmaßt, dass mit ihrem Herzen etwas nicht in Ordnung war, aber es war schwer, dagegen etwas zu unternehmen. Ganz wie Eliasad es gewünscht hatte, hatte Tari sie daraufhin in einem Sarg zurück in die Heimat geschickt, wo sie bestattet werden sollte. Das Kloster war kein Ort für den Tod.
Nach diesem überraschenden Verlust sah Tari sich vor einer großen Bürde. Abgesehen von einigen Mädgen und Knechten war sie allein im Kloster. Es gab keine Schwestern Libanus mehr. Es gab nur noch sie. Sie stand nun vor der Wahl, das Kloster sich selbst zu überlassen, oder zu versuchen, es wieder aufzurichten und zu neuer Blüte zu führen, wie es Eliasads Traum gewesen war. Was ihr dabei gelegen kommen würde war, dass ihre Ausbildung zu einer von Libanus Priesterinnen fast abgeschlossen war. Dennoch würde sie ihr Amt nicht so ausüben können, wie sie es bisher geplant hatte. Als Mitglied des Ordens zwar, aber doch immer noch mit Heim und Familie in Britannia. Wenn sie sich nun noch dem Kloster widmen wollte, musste sie einige Abstriche machen.
Die ganze Woche dachte Tari darüber nach, was sie tun sollte. Es war ihr Herzenswunsch, der Göttin zu dienen, und sie war davon überzeugt, dass das Kloster ihre Aufgabe war. Lange sprach sie mit Alvel über ihr Problem. Er war nicht begeistert von den Aussichten. Doch ließ er sich schließlich überzeugen. Als Priesterin hatte sie ihm und den Kindern schließlich nicht zu entsagen. Und die Mädchen waren mittlerweile elf Jahre alt - groß genug um auch mal ohne sie zurechtzukommen. Ganz zu schweigen von Levin, der bald ein Erwachsener war.
Also würde Tari ins Kloster ziehen, sobald dort alles eingerichtet war. Sie würde sich feste Tage einplanen, die sie bei Alvel und den Kindern verbrachte. Es würde kaum im Sinne der Göttin sein, diejenigen, die sie liebte, zu vernachlässigen. Nachdem Tari Alvels Segen hatte, fiel es ihr leichter, Eliasads Verlust zu verschmerzen und der Zukunft besser gestimmt entgegenzublicken. Etwas mulmig war ihr dennoch zumute, als sie Eliasads alte Kammer betrat, um den Schlüsselring des Klosters und die Insignien der Priorin an sich zu nehmen. Damit war sie die neue Vorsteherin des Klosters. Doch was half es, vor dieser großen Aufgabe zu verzagen? Sie vervollständigte die schon vor Wochen angefangenen Listen mit Ausbesserungsarbeiten und begab sich auf die Suche nach neuem Personal. Und vielleicht auch dem einen oder anderen Novizen.

Am nächsten Tag erreichte Tari ein Brief, der ihre gute Stimmung wieder zerschlug. Arian war tot. Arian, der skrupellose Magier, der immer auf der Hut war vor Angriffen. Wie oft hatten die Garde, die Templer und andere vergebens versucht, seiner Herr zu werden. Wie viele Menschen waren durch seine Hand gestorben. Tari hatte immer gewusst, dass es mit Arian kein gutes Ende nehmen würde, doch es erschien ihr beinahe absurd, dass es so plötzlich und so.. aufwandslos geschehen war.
Sie hatte genug Gründe, Arian zu grollen, und das hatte sie auch lange getan. Sie hatte ihm seine Taten nie verziehen, doch was hätte ihre Feindseligkeit ihm gegenüber irgendwem gebracht? Sie hätte nur den letzten Funken Einfluss verloren, den sie auf Arian hatte.
Dennoch war der Frieden, der seit einigen Jahren zwischen ihnen herrschte eher schleichend gekommen. Es war schwer zu beschreiben, wie es dazu kam. Doch noch schwerer war es, zu beschreiben, welches Band Arian und Tari verband. Es war schwer zu beschreiben, wie man befreundet sein konnte, ohne eine richtige Freundschaft zu führen. Und noch schwerer war es zu erklären, wie beide sich einander auch in den hasserfülltesten Zeiten immer für den anderen und seine Kinder verantwortlich gefühlt haben konnten, obwohl keiner der beiden je einen solchen Anspruch an den anderen erhoben hätte. Am treffendsten war es wohl, wenn sie Arian als einen Bruder beschrieb. Ein missratener Bruder, der viel Unglück angerichtet hatte und keine Reue darüber zeigte. Aber dennoch ein Bruder um den man sich zu sorgen hatte.
Wenngleich er also eigentlich der verhasste Feind war, war er doch gleichermaßen der Freund, den sie nun aus tiefstem Herzen betrauerte. Ungeachtet all seiner Untaten war er ein Mensch gewesen, eine Schöpfung der Göttin. Ein Leben. Ein Leben, das sein Ende vor der Zeit fand. Wenngleich Arian sich das selbst hatte zu Schulden kommen lassen, konnte Tari nicht verhindern, dass Arians Verlust sie um Weiten mehr schmerzte als der Tod des Paladins, den sie schon allein auf Grund ihrer Einstellung zum Leben zutiefst bedauerte.
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Alt 09.07.2011, 23:31
#84
Tari Ceres
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Tari hatte ihr ruhiges und beschauliches Leben genossen, auch wenn es etwas lebhafter dadurch geworden war, dass sie das Kloster aufgegeben hatte, um wieder dort zu leben und zu arbeiten, wo sie als Heilerin und Priesterin wirklich gebraucht wurde. Zugegeben, ihr Gewissen gegenüber den Schwestern und den Yewer Bürgern, die sie immer respektvoll und zuvorkommend behandelt hatten, war nicht ganz rein. Aber was sollte eine Heilerin in der Abgeschiedenheit eines Klosters? Vor allem, wenn man so lebensfroh und manchmal auch ein wenig eitel war wie Tari?

War es eine Strafe Libanus, dass sie gemeinsam mit ihr das Kloster aufgegeben hatte? Wohl kaum. Es wäre vermessen, eine Entscheidung der Göttin von einem Menschen abhängig zu machen. Dennoch hatte Tari den Eindruck, die Zerstörung des Klosters habe irgendwie mit ihr zu tun. Wäre sie anwesend gewesen, hätte sie die Schwestern vielleicht verteidigen können. Oder zumindest den selben Preis für ein aufopferungsvolles Leben bezahlen können. Doch sie hatte es vorgezogen, unter Menschen zu leben und damit offenbar unbewusst ihr Leben gerettet. Wem schuldete es sie jetzt?

Niemand hatte sie aufgesucht, um ihr die Botschaft zu überbringen. Aber sie ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt und so waren es dennoch nur wenige Stunden, bis die Nachricht von dem Angriff auf das Kloster sie erreichte. Natürlich hatte sie sofort ihre Sachen gepackt und war dorthin gereist. Doch der Anblick der Klosterruinen und der Menschen, die sich anschickten, zu helfen, verstörte sie tiefer, als sie es für möglich gehalten hätte. Länger als eine Stunde stand sie da, verborgen von den uralten Bäumen des Yewer Waldes und starrte das Kloster an. Langsam lief sie im Bogen um das Kloster und stieß prompt auf Libannons toten Körper - grässlich zerschunden. Nicht einmal so eine gequälte Seele war verschont worden?

Allein und unbeobachtet gab sie sich den Tränen hin und trauerte um ihre gefallenen Schwestern, deren Tod - wer auch immer ihn verursacht haben mag - so sinnlos gewesen war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so erschüttert gewesen zu sein. Doch, eigentlich schon. Als sie erfahren hatte, dass Gwes - möge er an der Pest sterben und im ewigen Fegefeuer schmoren - und möge Libanu ihr diesen Fluch verzeihen - sie mit ihrer Schwester Marill betrogen hatte. Aber das war natürlich nicht dasselbe. Was war Liebeskummer schon gegen den Verlust geliebter Menschen? Was war Liebeskummer überhaupt gegen den grausamen Mord an Leben?

Während draußen vor ihrem Haus die Pflanzen in der Sommerhitze verdorrten und der fürsorgliche Ritter Zaryn sorgenvolle Blicke auf ihr Haus warf, während selbst Lithilions Boten keinen Einlass fanden - und erst recht niemand sonst - saß Tari in ihrer kleinen Stube und trauerte. Erst nach einigen Tagen, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, erwachte sie aus ihrer Starre. Sie legte ihre farbenfrohe Kleidung ab und holte ihre weißen Kleider aus dem Schrank. Weiß, die Farbe, die keine Farbe war und damit das Gegenteil von Libanus bunter Lebhaftigkeit darstellte, gleichzeitig das Symbol reiner, aufrichtiger Trauer, war jetzt genau das richtige. Es entsprach ihrem Gemüt und es war die Farbe, mit der sie auch den schmerzlichen Tod ihrer Schwestern angemessen würdigen konnte. Denn Würde, das war es, was sie jetzt zeigen musste, während die anderen mit zerschmetterten Gliedern unter den Trümmern lagen.

Die Nacht war schon hereingebrochen. Tari nahm sich nur kurz die Zeit, die halbverdursteten Pflanzen zu gießen, ehe sie nach Yew aufbrach. Fast hätte sie sich zu Tode erschreckt, als sie mitten in einem kleinen Lager landete, das offenbar der Ritter Zaryn dort aufgebaut hatte. Er habe das Kloster bewachen wollen, erklärte er ihr, nachdem beide sich wieder gefasst hatten. Sie wollte ihm danken, aber es war schwer, das, was in ihr vorging, in Worte zu fassen. Sie war fassungslos und fühlte sich hilflos und wusste doch gleichzeitig, dass sie als Priesterin auch in so dunklen Zeiten Mut und Hoffnung demonstrieren sollte. Doch irgendwie half es ihr, sich vor Zaryn zusammen nehmen zu müssen. Sie fühlte sich wieder stärker, nur weil es ihr gelungen war, vor ihm nicht das Häufchen Elend zu sein, das eine Frau so gerne im Angesicht des Schreckens war. Obwohl ihr nach allem anderen zu Mute gewesen wäre als dem, nahm sie sein Angebot auf einen Schluck Wein an. "Betet mit mir", bat sie ihn. Sie wusste, er verehrte Libanu. Und auch wenn er es nicht getan hätte, wäre es ihr ein Trost gewesen, in Gedanken an den Verlust mit jemandem vereint gewesen zu sein.

Nach dem Gebet sprachen sie noch ein wenig miteinander. Es gab keinen festen Ritus, mit dem die Schwestern begraben werden konnten, denn auch wenn der Tod zum Leben dazu gehörte, lag er doch nicht im Auge der barmherzigen Schwesternschaft. Doch wer hätte diese Aufgabe übernehmen können? Vater Alvar? Sicher. Aber nach Taris Überzeugung hatte Libanu sich der Seelen der Toten in dem Augenblick angenommen, in dem sie ihren letzten Atemzug taten. Eine Messe wäre nicht das richtige gewesen. Daher beschloss sie, die Toten zu verbrennen und ihre Asche im Klostergarten zu verstreuen. Dort konnten sie in den Kreislauf des Lebens zurückkehren und ihre unsterblichen Seelen in den Blüten des nächsten Frühlings wieder erblühen lassen.

Und einen weiteren Entschluss traf sie. Bei den Bergungsarbeiten wäre sie kaum eine Hilfe und ihr war nicht gerade danach zu Mute, sich unter Menschen zu begeben. Ihr grauste bei dem Gedanken daran, angestarrt zu werden, teils sorgenvoll, teils mit dem fragenden Blick "Warum ist sie nicht unter den Toten?". Aber sie war es ihren Schwestern schuldig, anwesend zu sein und die Würde aufrechtzuerhalten, die einer der Pfeiler ihres Glaubens war. Daher beschloss sie, nur kurz nach Hause zurück zu kehren, ein paar Sachen zu holen und dann einen der Bauern in der Nähe für ein paar Tage um Obdach zu bitten. Hier wollte sie ein wenig Schlaf und Ruhe finden, wenn die vielen Helfer, die sich offenbar angekündigt hatten, sich ebenfalls zur Ruhe begaben und es nichts mehr zu tun gab, außer für die Schwestern zu beten - und für all jene, die sich an Liebe, Solidarität und Hoffnung erinnerten - die Prinzipien einer Göttin, deren Verehrung die meisten Menschen heutzutage doch zu Gunsten der Magie oder ihres eigenen Selbstbewusstseins ablehnten.

Als Tari am frühen Morgen wieder nach Hause kam, wunderte es sie nicht, zwischen ihren goldblonden Strähnen weiße Strähnen zu finden, die sicher nicht nur das sich unausweichlich nähernde Alter geschaffen hatte.
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Alt 07.04.2013, 09:45
#85
Tari Ceres
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Die Jahre in Britain verliefen sehr ruhig. Das lag allerdings weniger daran, dass die Stadt ausgestorben wäre, wie es zum Beispiel in Cove oder Minoc passiert ist. Es lag eher an Tari selbst, dass man sie kaum sah: Wenn sie nicht gerade im Heilerhaus arbeitete, saß sie meistens zu Hause und gab sich Gedanken über die Welt hin. Die Zerstörung des Klosters, aber auch ihr eigenes Alter, hatten sie sehr nachdenklich gemacht.

Auch wenn sie nicht immer ein vorbildliches Leben geführt hatte, so gab es doch zurückblickend nichts, was sie wirklich bereute. Zugegeben - mit Gwes hatte sie eindeutig einen Hang zu unvernünftigen Männern bewiesen und nach wie vor fiel es ihr schwer, ihm keine Flüche an den Hals zu wünschen. Aber nie in ihrem Leben hatte Tari das Gefühl, mehr gelebt und geliebt zu haben, als mit ihm. Zumindest so lange, bis er meinte, ihrer Schwester ein Kind anhängen zu müssen. Marill - diesen Namen hatte Tari seit Jahren nicht mehr in den Mund genommen, denn wenn man in einem Lexikon unter "nachtragend" nachsehen würde, würde man dort Taris Konterfei entdecken - Marill war mittlerweile längst gestorben. Genaueres wusste Tari nicht, denn außer einem höflichen Brief ihres ältesten Neffen (Gott sei Dank nicht auch noch Gwes' Kind!) hatte sie nichts über den Todesfall gehört. Tari trauerte über den Verlust ihrer Schwester, aber nur pflichtbewusst. Marill war einfach zu fern, um den Verlust noch schmerzhaft spüren zu können.

Überhaupt hatte das geistige Schmerzempfinden bei Tari erheblich nachgelassen. Es gab kaum noch etwas, das sie richtig aus der Ruhe bringen konnte. Als sie am Vortag bei Hochwürden Beckler im Kloster war, hatte der sie zwar aus ihrer Fassung gebracht - mit Lithilion Valandil stand jetzt ein weiterer Geliebter auf ihrer Liste, den sie in ihre Gebte einschließen musste, war er doch offenbar einem Dämon verfallen und für die Zerstörung des Klosters verantwortlich. Aber irgendwie war Taris Entsetzen nicht so groß, wie es hätte sein können. Nach einem Becher Wein und mehreren Stunden des Nachdenkens hatte sie diesen Schrecken schnell verwunden. Das mochte daran liegen, dass sie zwar einst die Geliebte des elfischen Barons gewesen war, aber außer einer guten Freundschaft keine innigere Beziehung zu ihm gehabt hatte. Bei Gwes, Alvel und Arathel war das ganz anders gewesen. Vielleicht hatte Tari auch unterbewusst gespürt, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmte. Vielleicht war es auch genau das, was sie so angezogen hatte. Wie bei Arian. Und eben bei Gwes, diesem verfluchten Sohn einer ...., den sie einfach nicht aus dem Kopf bekam.

Wenn man auf die 50 zugeht, ist es allerdings müßig, sich noch über Männer und die Liebe Gedanken zu machen. Zumindest über die körperliche Liebe. Zwar hielt Tari sich für ihr Alter ganz gut: Es gab nur wenige graue Strähnen in ihrem Haar und sie hatte schon Frauen in ihrem Alter gesehen, deren Falten wesentlich schlimmer waren. Auch ihre Zähne waren noch vollständig, und da Tari nur einmal in ihrem Leben schwanger geworden war, war auch die Figur noch halbwegs anständig. Aber Männer mochten eben keine alten Frauen und eigentlich war das auch in Ordnung so. Nicht, dass Tari nicht gerne noch einmal das Feuer des Verliebtseins erlebt hätte - aber es war nicht so, als brauchte sie das noch zu ihrem Glück.

Was sie sich hingegen sehnlichst wünschte, wäre ein Jungbrunnen. Natürlich war dieser Gedanke vollkommen unsinnig, aber der Gedanke, älter zu werden, behagte Tari einfach nicht. Auch wenn sie heute keine Leder und Felle mehr trug, war Taris Eitelkeit doch nach wie vor groß und sie gab ihr mit Freuden nach, so weit ihr Glaube und ihr Amt es ihr erlaubten. Leider hatte ihr Körper dazu eine ganz andere Meinung: Der Rücken schmerzte jetzt leicht, wenn Tari zu viel auf den Beinen unterwegs war, doch was noch schlimmer war, waren die Augen. Es hatte vor einigen Wochen angefangen, dass ihre Sehkraft merklich nachließ. Weit entfernte Dinge sah sie nur noch verschwommen, lediglich was direkt vor ihrer Nase lag, war noch klar zu erkennen. Gestern hatte es sie schon einiges an Mühe gekostet, den Brief des Glaronspriesters zu entziffern. Das Schlimme war: Die Schrift wurde nicht nur undeutlicher, sondern auch dunkler. Irgendwie wurde es mit jedem Tag schwieriger, Konturen und Farben zu erkennen. Verschwommene Flecken lagen mitten in ihrem Sichtfeld und ließen sich weder durch Reiben, noch durch Zusammenkneifen der Augen vertreiben.

Tari, die Zeit ihres Lebens Heilerin war, musste sich keine Illusionen machen, was das anging: Wenn ihre Augen sich nicht bald erholten, würde sie irgendwann blind sein.
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Alt 22.05.2013, 08:51
#86
Tari Ceres
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Manchmal ist schon eine Kleinigkeit genug, um viel zu bewegen. Nie im Leben hatte Tari damit gerechnet, ihren Mann Alvel noch einmal zu sehen. Oder eher, ihm noch einmal zu begegnen, denn mit dem Sehen haperte es in letzter Zeit ja ein wenig. Licht und Schatten ließen sich noch ganz gut unterscheiden, mit Farben war es teilweise schon schwierig. Tari fühlte sich wie eine alte Frau. Die alte Priesterin, die alleine in ihrer Klause lebte, nur mit ein paar Katzen an ihrer Seite.

Dass Alvel immer noch gesund und munter war, sogar seinen Dienst in der Garde fortsetzen würde, hatte Tari einigermaßen überrascht. Das passte gar nicht zum Alter, und als die beiden einmal im Tala beisammen saßen und über alte Freunde und die lieben Kinder sprachen, kam sie mehr und mehr zu der Überzeugung, dass ihr Gatte alles andere als alt war. Ganz im Gegenteil zu ihr selbst. "Man ist immer so alt, wie man sich fühlt", kam ihr da ein beliebter Spruch ihrer schon so lange verstorbenen Mutter in den Sinn. Und recht hatte sie. Tari wollte sich nicht mehr älter fühlen, als sie war.

.................................................. ..............

Am nächsten Morgen ging sie mit einem ganzen Stapel an Büchern unter dem Arm ins Heilerhaus.
"Manuel, du musst was für mich tun. Bitte"
"Sicher, Tari, was denn?"

Stundenlang saßen die Heilerin und ihr Gehilfe über den Büchern, wobei er las und sie erklärte.

"Tari... das kann nicht dein Ernst sein."
"Doch.. was soll schon schiefgehen?"
"Es ist gefährlich Tari, es kann alles schiefgehen."
"Ach was. Ich würde dich nicht darum bitten, wenn du es nicht könntest."
"Ich habe das noch nie gemacht!"
"Papperlapapp. Besorg dir einen Apfel und üb."

................................................

"Denk dran Manuel.. nur sieben von diesen Mohnkügelchen."
"Jaja.. lass mich machen, du hast es ja so gewollt."
"Und spül am Ende alles mit Wein aus."
"Ja...."
"Hast du auch dein schärfstes Messer und den Verband bereit liegen?"
"Nimm endlich die Kugeln, Tari!"

................................................

Als Tari wieder aufwachte, war es dunkel und ihr Gesicht schmerzte. Panik ergriff sie. War es schiefgegangen? Vorsichtig tastete sie über die Binde, die ihr jetzt über den Augen lag. Dann machte sie eine erste Bestandsaufnahme: Sie atmete, sie bewegte sich - offenbar hatte sie diesen gewagten Eingriff überlebt. Ob er auch geglückt war, würde sich allerdings zeigen müssen. Die Mohnkugeln jedenfalls waren ein Segen gewesen, denn Tari hatte nichts davon gespürt, wie Manuel sich mit seinem schärfsten Messer an ihren Augen zu schaffen gemacht hatte.

Es war schwierig gewesen, Manuel dazu zu überreden. Tari selbst hatte so einen Eingriff noch nie gewagt, nur darüber gelesen. Natürlich war ihr klar, dass sie keine Wunder erwarten durfte. Aber was sollte schon schlimmeres passieren, als ganz zu erblinden? Und das würde sie ja sowieso irgendwann, wenn sie die Trübung ihrer Sehkraft nicht aufhielt. Aber wenn sie die Leute wenigstens wieder erkennen und vielleicht sogar größere Buchstaben lesen konnte, dann würde sie zumindest wieder arbeiten können. Und Briefe an ihre Kinder schreiben. Bis es so weit war, würde sie sich aber gedulden müssen, denn damit die Augen heilen konnten, musste sie die Augenbinde einige Wochen tragen. Genug Zeit, um sich mit ihrem Leben und ihrer Zukunft auseinanderzusetzen.
......................................
Und das tat Tari reichlich. Die Tage waren recht eintönig, denn außer gelegentlichen Besuchen und Verbandswechseln durch Manuel tat sich nicht viel. Also hielt Tari ausführliche Zwiegespräche mit ihrer Göttin. Und die brachten ihr einige Erkenntnisse. Leben und Lieben hatte sie jahrelang gepredigt. Aber hatte sie das ihren Mitmenschen auch vorgelebt? Der Verzicht auf jedes Vergnügen mit Rücksicht auf die eigene Priesterwürde – war das so im Sinne Libanus? Nicht, dass Tari vorhätte, einen kleinen Abstecher in die Welt des Jünglings auf seinem Ziegenbock zu machen, aber ein Leben aus Askese, Frömmigkeit und Disziplin zu führen war irgendwie keine richtige Würdigung des großen Geschenkes, das die Göttin ihr gemacht hatte. Zu leben, zu atmen, zu essen, zu lachen, zu lieben, manchmal auch Unfug zu machen.
Diese Erkenntnis fiel ihr wie Schuppen von den Augen und Tari fragte sich, wieso sie erst (hoffentlich nur kurzzeitig!) erblinden musste, um zu dieser Ansicht zu gelangen. Hatte sie ihren Dienst an den Göttern jahrelang falsch verstanden? Nicht, dass Tari sich jetzt benehmen wollte wie ein junges Mädchen, aber... einmal im gestreckten Galopp über eine Wiese reiten, einmal ein Glas Wein zu viel trinken oder einen schmutzigen Witz erzählen. Was sprach eigentlich dagegen?
Das erste, was sie tun wollte, wenn Manuel sie nach Hause gehen ließ, war ihr altes Pony aufs Gnadenbrot zu schicken und sich ein schnelles, feuriges Pferd zu kaufen. Wozu hatte sie schließlich das ganze Geld? Und auch ihre alten Lederkleidungen würde sie hin und wieder tragen. Ein wenig eitel zu sein gehörte zum Leben einfach dazu, zumindest zu Taris Leben. Natürlich stand sie nach wie vor dazu, dass Tiere nicht für Kleidung getötet werden sollten. Aber der Gardist hatte damals schon Recht gehabt: Die Sachen im Schrank verrotten zu lassen, würdigte das Opfer der Tiere auch nicht. Sie musste nur den richtigen Dreh finden, schließlich wollte sie mit ihrem Auftreten keine Begehrlichkeiten wecken, die die Jagd auf seltene Tiere auslösten. Aber naja... im Wald waren feine Kleider ohnehin nicht angebracht.
„Göttin, ist das der Weg, den ich einschlagen soll? Oder wendest du dich dann erzürnt von mir ab?“
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Alt 17.07.2013, 08:29
#87
Tari Ceres
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Die Nacht der Hinrichtung war die letzte, die Tari in ihrem Haus verbrachte. Es musste schon unheimlich gedankenverloren von ihr sein, gleich neben einem Hinrichtungsplatz zu wohnen, aber da der Schrein ihrer Göttin ebenfalls nebenan lag, war ihr das in aller Vorfreude auf ein neues Heim gar nicht aufgefallen. Zugegeben - als Libanupriesterin konnte man durchaus gute Gründe haben, den Hinrichtungsplatz zu betreten: Um dem Henker vorwurfsvolle Blicke zu schicken und die Richter zu einem milden Urteil zu überzeugen. Aber von dieser Hinrichtung wusste Tari erst, als sie die Schreie hörte - und sich dadurch lebhaft ausmalen konnte, dass nicht alles so glatt gelaufen war wie üblich.

Alvels Angebot, doch zu ihm zu ziehen, kam ihr gerade recht. Sie hatte schon lange mit den Häusern im Villenviertel geliebäugelt, auch wenn sie sich dann letzten Endes doch für das Handwerksviertel entschieden hatte. Aber der wirklich Ausschlag gebende Grund war natürlich Alvel selbst. Nachdem die beiden über zwanzig Jahre lang eher wie Freunde oder Geschwister miteinander gelebt hatten - jeder mit seinen ganz eigenen Eskapaden - wollt er jetzt wieder an alte Zeiten anknüpfen. Oder es zumindest versuchen. Tari war sich sicher, dass mehr dahinter steckte, aber sie war dennoch froh. Auch wenn sie mit Gwes so einiges erlebt hatte und für ihn gänzlich fremde Gefühle empfunden hatte, so war Alvel doch immer die Nummer Eins in ihrem Leben gewesen. Die erste Liebe, ihr Ehemann, Vater ihrer Kinder. Es war nur gut und richtig so, mit ihm zu leben. Selbst wenn es Gwes - möge er in der Hölle schmoren - noch gäbe, würde Tari nicht anders denken.

So packte sie leichten Herzens ihre wichtigsten Sachen, nahm ihr Pferd und ritt hinüber ins Villenviertel. Vielleicht würde sie das andere Haus vermieten. Wohnen würde sie neben dem Hinrichtungsplatz jedenfalls garantiert nicht mehr.
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Alt 07.02.2016, 20:33
Das ging wohl daneben
#88
Tari Ceres
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Still war es im Haus. Alvel war wieder einmal für Monate auf irgendwelchen Missionen unterwegs. Tari war es recht. So hatte sie genug Zeit, ihrem neuen Steckenpferd nachzugehen. Im Keller hatte sie sich einen gemütlichen, kleinen Raum eingerichtet. Eigentlich nutzte Tari ihn vor allem für ihre Übungen. Stundenlang saß sie da, ihr Körper in kleinste Teilchen aufgelöst (zumindest fühlte es sich an wie Stunden). Dann tat sie nichts anderes, als sich darauf zu konzentrieren, dass sie beim Berühren von Dingen nicht zerfloss. Was für eine öde Übung für den jungen, ungeschulten Geist. Aber Tari hatte immerhin schon die 50 überschritten, auch wenn man ihr das nicht ansah.

Doch heute wollte Tari nicht üben. Heute wollte sie etwas Neues ausprobieren. Ehrgeiz hatte sie gepackt. Es konnte doch kein großer Schritt mehr sein zu ihrem nächsten Ziel?! Vorbereitung war das Wichtigste, und so legte Tari alles, was sie brauchte, fein säuberlich vor sich auf den Tisch. Ein paar Reagenzien, ein wenig Spektralasche und ein Element des Wassers. Die Ruhe, die dieses Element ausstrahlte, war genau das Richtige, um sich auf den bevorstehenden Zauber zu konzentrieren.

An den Worten hatte Tari lange gefeilt, aber jetzt war sie sicher, die richtigen gefunden zu haben. Sie atmete einmal tief durch, dann ging es los. Jetzt oder nie.

Es puffte, knackte und knisterte. Die Kerzen im Keller erloschen. Die Kräuter verglühten in Sekundenschnelle. Um Tari herum wurde es schwarz.

Etwa eine Stunde später trat die junge Frau aus dem Haus. Gut gelaunt drückte sie dem überraschten Gardisten Javier einen Kuss auf den Helm. Dann spazierte sie davon.
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Alt 05.03.2016, 20:23
#89
Tari Ceres
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Tari fühlte sich müde, wie aus einem Dämmerschlaf erwachend, als sie am Grab ihres alten, lange verstorbenen Wegbegleiters stand. Es musste eine innere Stimme gewesen sein, die sie nach so vielen Jahrzehnten hierher geführt hat. Von Arian war vermutlich nicht einmal mehr ein Haufen Staub übrig.

Nun, wenn sie schon einmal hier war, konnte sie sich auch nützlich machen. Tari nahm die vertrockneten Blumen vom steinernen Sarg (wenngleich sie sich nicht sicher war, ob man nicht absichtlich vertrocknete Pflanzen hierher gestellt hatte). Die Natur hatte den einst so penibel und frei von jedem Leben gehaltenen Garten längst zurückerobert und so war es leicht, ein paar Blumen zu finden, die sie ihrem alten Freund verehren konnte.

Mit großer Sorgfalt entfernte sie Unkraut aus den Fugen der teilweise zersprungenen Steinplatten, nur um es außerhalb des verfallenden Gebäuses wieder einzupflanzen. Ohne sich um die Folgen für den empfindlichen Stoff ihres Kleides zu scheren, wischte sie den Staub von der steinernen Platte, die nach all den vielen Jahren nur noch eines preisgab: Den Namen eines Mörders, eines Schwarzmagiers und doch des treuesten Freundes, den sie je gehabt hatte.

Arian Karex
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