Scherbenmeer

[Azzura Morwen]

,,...zusammen besitzen wir, was wir einzeln begehren..."

ein Flüstern nur
ihre Wange schmiegt sich an das kalte Spiegelbild
der Atem entkommt ihr zittrig
beschlägt die glatte Oberfläche

gleich einem Blütenkelch öffnet sich ihre Hand
entblößt den Saphir darin als funkelnden Schatz
blau schimmernd
ein Beben fährt durch ihre Brust

,,Ich bin verloren...."

vollkommene Stille antwortet ihr
ihre Augen schließen sich
zeitgleich mit ihrer Hand
blau funkelt es weiter
im Geheimen

,,....ich finde dich."

[Azzura Morwen]

schweben
schwereloses Treiben
das Bewusstsein erblüht
zart, wie eine Knospe bricht es auf
umgeben von einer schützenden Hülle
leises Pochen - ein Herzschlag
Geborgenheit vermittelnde Wärme
ein weiteres Pochen
so nah
im Einklang mit dem Eigenen
die erste und wundervollste Melodie

,,Ich habe euch als Samen der Erde entnommen und unter mein Herz gepflanzt."

[Azzura Morwen]

,,Sternenfall..."

sie wiederholt es leise für sich
beinahe nur flüsternd kommt es über ihre Lippen
der Blick zum Blätterdach gehoben
reicht viel weiter hinaus

rabenschwarzes Haar umgiebt ihr Haupt
kringelt sich an manchen Stellen
schmiegt sich ans Moos
ziert sich mit Blättern
kitzelt ihre Wange

,,...ein Gefäß voller Sternenhimmel...."

ihre Augen schließen sich
dunkle Wimpern bilden einen starken Kontrast zur Haut
verspielt bewegen sich Licht und Schatten über ihr Gesicht
ausgelöst von den sich bewegenden Baumkronen

,,Wenn man es auskippen würde....fließt der Himmel dann und...
breitet sich aus?"

entspannt ruhen ihre Gesichtszüge
die Brust hebt und senkt langsam

,,...fällt man dann in ihn hinein und ewig herab?"

[Azzura Morwen]

Kälte liegt noch auf ihren Wangen
wird langsam verdrängt
die Felle bieten Geborgenheit
umgeben ihren zierlichen Körper
betten ihn auf sich

beide Hände umschlossen
sie halten etwas verborgen
allein das Wissen darum berührt ihr Herz
Freude kitzelt darin
wärmt ihre Brust

~+~

es bannt ihren Blick
hält ihn - wie gefangen
ein Flirren füllt ihren Körper
gleich der Luft vor einem Gewitter

goldene Splitter brechen in ihre Iris
entfalten sich wie Knospen
vertreiben den Bernstein darin
sie schließt die Augen rasch

,,Noch nicht!"

gleich einer Ermahnung zu einem Kind
das Flirren lässt nach
hinterlässt eine leichte Taubheit
sie öffnet die Augen
ein letzter goldener Funke protestiert darin
ehe er verglüht

[Azzura Morwen]

...ein Mädchen im Glauben an Wünschen sich fing
auf grüner Wies einen Schmetterling

sie hielt ihn fest, der Flügel brach
als leise ihren Wunsch sie sprach:
So fliegen möchte ich, wie du!
So flieg hinfort, ich schau dir zu.

Sie warf ihn hoch
Doch oh Not
Er fiel zu Boden
und war bald tot

Erschrocken trat sie zurück, ein paar Schritte
vergaß wohl hinter sich die Klippe
und stürzte in das Tal hinab....

...denn auch der Schmetterling hatte seinen Wunsch gehabt.

[Azzura Morwen]

der Wind bewegt ihr Haar
lässt es über ihre Wange streicheln
eine dunkle Locke auf weißer Haut
die Hände unter ihr Haupt gefaltet

ihr Gesicht wirkt unbeweglich
schlafend und wie filigrane Kunst in Stein gehaun
ein Gemälde im Wald
zwischen Wurzeln und auf Laub gebettet

ein Zucken durchfährt ihren Leib
und eine Hand gleitet unter ihrem Kopf hervor
legt sich um einen ledernen Beutel an ihrem Gürtel
ihre Lippen bewegen sich lautlos

...und im Inneren des Beutels funkelt der Jadestein
leis summend....

[Azzura Morwen]

,,Könnt ihr nicht sehen, dass etwas mit Euren Töchtern nicht stimmt?"

Wir haben uns ein Zelt gebaut
denn die Welt ist kalt
das Dach ist meine Fantasie
und deine Kraft gibt den Wänden Halt

,,Sie sehen durch uns hindurch und begeistern sich für Dinge, die nicht von Bedeutung sind."



Ihr Daumen bewegt sich über die Muschel
Eine zarte, geduldsame Berührung
Erkundet jede Rille
Kennt bereits jeden Riss auswendig

ihre Finger umschließen die Muschel
langsam, als solle sie nicht verängstigt werden
bis sie gänzlich und behutsam umschlossen wird
ihre Lider senken sich
verbergen ihren Blick unter herrannahendem Schlaf

dunkles Holz und Salz erfüllen ihren Traum
das Geräusch der Nacht
das funkeln des Meeres unter dem Mond
und das Gefühl von Sand unter nackten Füßen


,,Wir schweigen, denn die Welt ist taub..."

[Azzura Morwen]

sie halten sich an den Händen
ein Mädchen, dem anderen beinahe gleich
ihre zierlichen Leiber in Moos gebettet
ihre Augen suchend nach Märchen in den Baumwipfeln und Wolken

Geschichten voller Magie und Hirngespinste
Verwoben und verstrickt
begleitet von Gelächter und Staunen
bis sich der Himmel hinter den Wolken verfärbt

alles verschmilzt mit der Dunkelheit
ihre Augen gewöhnen sich an Silhouetten und Schatten
nehmen die facettenreiche Nacht im Zimmer wahr

ein tiefer Atemzug lässt sie nach unten sehen
ihre Finger streicheln über die Schläfen des anderen
gleiten in sein Haar und ziehen sich zurück
nur um das Spiel zu wiederholen

ihr Blick ruht auf seinem Gesicht
als hüte sie einen wertvollen Schatz
wachsam verharrt sie an seiner Seite
und hüllt ihn in Stille ein

[Azzura Morwen]

die Nacht umhüllt sie
ihre Schritte führen durch den Wald
leise, für einen Menschen
vorbei an den Spuren der grauen Tage
der Geruch des Winters in der Luft
mischt sich mit dem Alessandras in ihrem Gedächtnis

ein Gewitter aus Wortfetzen im Kopf
ein Sturm aus Gefühlen in der Brust

...und ein Gefühl im Nacken...
dünner, kalter Nadeln gleich

,,Gib Acht auf deinem Heimweg."
sprach der Wolf

und unbewusst lauscht sie wachsamer in die Nacht

[Azzura Morwen]

Gemunkel drang ihr zu Ohr
ein toter Mann
aufgeschlitzt wurde er
oder vergiftet?
ein Name wurde genannt

das ihr bekannte Gesicht dazu blitzte durch ihren Kopf
schnitt sich fast schmerzhaft in den Geist
zitternd presste sie die Hand auf ihr linkes Auge

die Stadt war zu laut
es tobte in ihrem Kopf
sie zog sich zurück
der Wald umarmte sie, wie eine tröstende Mutter

~+~+~+~

wie ein kleiner Teller
so groß, wie zwei ihrer Handflächen
geflochten aus Haselnusszweigen
ein kleines Säckchen lag darauf
der Inhalt ungewiss
doch war es hübsch gestaltet
von zwei Rabenfedern geziert
die linke Klaue eines Fasans daran gebunden

sorgfältig wurde es von getrockneten Eibenzweigen bedeckt
darüber nur noch etwas Reisig gehäuft

sie betrachtete ihr Werk
ehe ihre Hände es gar behutsam der Wasseroberfläche übergaben
nur wenige Funken von Feuerstein und Zunder genügten
die Flammen schmolzen sich in das kleine Gebilde
erhellten ihr Gesicht
knisterten leise
und es trieb vom Ufer ab, wie von selbst

ihr Blick folgte dem kleinen Feuerschein
sie schob die mit Ruß verschmierten Finger über ihre linke Gesichtshälfte
dann formten ihre Lippen ein lautloses Lied

Über Hügel und über Wiesen
siehst du eine Krähe fliegen....

[Azzura Morwen]

eine kühle Briese, gleich einem leichten Tuch
sie schlägt die Augen auf
doch bleibt ihr Körper auf den Fellen gebettet
beinahe bewegungslos

Was hatte sie geweckt?
das Knistern der Flammen im Hintergrund
War es ein Geräusch?
ein paar Atemzüge vergehen
Ja. Jemand hatte geklopft.
oder war es nur ihr Herz?

langsam richtet sich ihr Körper auf
der Blick gen Tür gerichtet
einzig das Pfeifen des Windes gesellt sich zu dem Flammenknistern
ihre nackten Füße tragen sie zur Tür hin
fast lautlos

sie lehnt ihr Ohr an das Türholz
spürt es kühl an der Wange
langsam, schon zäh drückt sie die Klinke herunter
die Tür öffnet sich und sie blickt in die Nacht hinaus

die Nacht starrt zurück
liegt schweigend vor ihr
ein Windstoß erfasst ihr Haar
treibt die letzte Wärme des Schlafes aus ihrem Körper
lässt ihn erschaudern

keine Spur von jemanden, der um Einlass bat
…und doch…

Spürt sie einen Blick auf sich ruhen?