Nachts

[Melisandra Caron]

Es war schon dunkel geworden, als Melisandra durch das nächtliche Cerinor lief, der blasse Herbstmond warf sein Licht auf die wunderschönen Straßen aus sandfarbenen Steinen, verziert mit kerlatmiumblauen Pflastersteinen.
Melisandras Ziel war das Meer in jener Nacht. Als ihre nackten Füße auf Sand traten, atmete sie unmerklich auf, ihre Schritte wurden leichter. Sie ließ sich nieder am Ufer, die Wellen rollten langsam heran und benetzten Melisandras Füße leicht.

Sie schloss die Augen und ließ sich in den Sand zurückfallen, um die unzähligen Sterne am Himmel zu betrachten, alle waren sie Teil ihres Lebens. Dort oben lag die Ewigkeit. Lächelnd legte sie eine Hand auf ihren Bauch und horchte in sich hinein. Zwischen den hauchdünnen Fäden Thaydans, Ninniachs, Mandrions, Rai Shias und all den anderen Melodien hatte sie sie heute morgen einen zarten, neuen Ton vernommen, der sich beharrlich an die Oberfläche drängte. Erst hatte sie geglaubt, sich im ersten Wirrnis ihrer Träume verwoben zu haben, doch jetzt war sie ganz sicher. Ein winziges Wesen flocht in ihr neue Melodien. Bald schon würde sie zum zweitenmal Mutter sein. Eine Träne von Glück glitt über Melisandras Wange. In Gedanken war sie ganz nah bei all ihren Lieben. Wie würde es wohl sein, wenn sie wieder spürte, wie das Kind langsam größer wurde. Wenn sie zum erstenmal seinen Herzschlag spüren würde, zum ersten Mal wieder die Lebenskraft eines Ungeborenen fühlen? Sie freute sich unsäglich darauf. Auf Ninniachs Schwester, denn sie war sich fast sicher, ein Mädchen zu bekommen. Es war gut so, es wird gut werden.