15.10.2011, 10:10 |
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Reisender
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„Was grinst du so dämlich, Bengel?“
Kaum drangen die Worte an seine Ohren, da brannte ihm auch schon die linke Wange. Schlagartig änderte sich sein Grinsen zu einem verzogenem Gesicht und ihm standen die Tränen in den Augen. „Und fang jetzt bloß nicht an zu flennen, die Ohrfeige hast du dir selbst zuzuschreiben!“ Mit verschwommenem Blick wendete er sich wieder seiner Arbeit zu, kehrte weiter die Holzspäne auf dem Boden zusammen. Aber den Anblick von Tessa, der Tochter seines Meisters, konnte er nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Er musst wieder etwas schmunzeln, achtete aber darauf, dass der Geselle ihn nicht dabei sah. Es war auch zu komisch, als sie die letzten drei Stufen der Treppe vom Wohnbereich nach unten gefallen kam, jede Stufe mit ihrem breiten Hintern mit nahm und hopsend unten am Fußende ankam und sich den Allerwertesten hielt. Es war ein kurzer Moment, in dem er etwas zu lachen hatte. Einer der wenigen. Er war nun zwölf, sein Vater und sein älterer Bruder arbeitete auch hier in dieser Tischlerei als Tagelöhner. Sie nannten es Helfer, aber so gut gestellt waren sie nicht. Gab es keine Arbeit, gab es für sie kein Geld, nicht wie für die Gesellen. Sein Leben davor? Wenig nennenswertes. Sie lebten in einer baufälligen Hütte vor der Stadt. Sein Vater müsste eigentlich das Wissen haben, jene auszubessern und wohnlicher zu machen, aber wenn er nicht arbeitete, betrank er sich in der Spelunke im Wald. Arbeitete er dann doch, so sollte man ihm Abends besser aus dem Weg gehen. Ohne Alkohol war er geladen und Serwin konnte sich nie erklären, woher er noch diese Energie nach der Arbeit nahm. Kamen sie, die Kinder, abends zu ihm, wollten ihm von ihrem Tag erzählen, ihm etwas zeigen, was sie den Tag über gebastelt hatten, so wurden sie verscheucht, wenn sie Glück hatten. Wenn sie Pech hatten, setzte es Grundlos eine Tracht Prügel. Lachen war, wenn sein Vater da war, eine Seltenheit. Und auch im Spiel mit den anderen Jungen waren die beiden Brüder eher vorsichtig. Eine Kindheit in ständiger Angst würde man sagen. Und Serwin konnte diese Übervorsicht nicht ablegen. Er gewöhnte sich eine grummlig-ablehnende Art an, die ihn ablehnend gegenüber allen und jeden erscheinen ließ. Selten nur zeigte er, wie er wirklich war, freundlich, offen, wortgewandt. Ein bedrückendes Leben. Das Schiff schwankte und er wachte in seiner Hängematte auf. Seit er auf der Flucht war, hatte er immerzu Träume aus seiner Vergangenheit, seinem Leben. Alpträume, wie der Grund, warum er floh, Alpträume, wie dieses Schiff hier. Er zog den Lumpen etwas hoch, der einst sein Hemd gewesen war. Halb auf der Flucht zerrissen, als er im Gestrüpp irgendwelcher Bäume und Sträucher hängen blieb, den Rest hier auf dem Schiff abgescheuert. Ab und an wünschte er sich, er wäre tot oder wäre dort geblieben. Dann wäre er auch tot, aber auf eine andere Art und Weise Der Maat war noch nicht gekommen und hatte sie aus ihren Hängematten geprügelt, also konnte er noch ein paar Minuten die Augen schließen. Nur noch ein paar Augenblicke oder doch lieber lassen und schon wach sein, bevor der Maat kam? Dann war die Prügel nicht so schlimm. Doch fielen ihm schon die Augen wieder zu. Sechzehn Jahre hatte er nun für den Meister gearbeitet. Sein Vater und Bruder waren immer noch dort, doch wohnte jeder in seiner eigenen Hütte. Er selbst hatte viel Zeit investiert, sie in seiner freien Zeit herzurichten, damit sie nicht ganz so schäbig wie die anderen wirkte. Doch erntete er nur Neid. Er hätte ja auch für die anderen gearbeitet, ihre Hütten auf Vordermann gebracht, doch verbot es die Gilde der Zimmerleute, nicht Mitgliedern eine solche Arbeit für andere außer sich selbst. Und so musste er mit dem Unmut leben. Sechzehn Jahre. Tessa wurde in dieser Zeit nicht schöner aber dafür dicker. Kein Mann fand sich, nicht einmal für eine stattliche Mitgift ihres Vaters. So war sie, drei Jahre jünger wie er, noch immer ohne Mann. Ab und an fand er dann doch ein nettes Wort für sie, unterhielt sich ein paar Minuten mit ihr, aber mehr wollte und konnte er nicht für sie erübrigen, auch wenn der Meister ihn schon fragte, ob er nicht sein Schwiegersohn werden wollte, dem Übel der Hütten entkommen, ein Geselle werden. Aber der Preis war ihm zu hoch. Tessa war hinterhältig, verschlagen und hatte einen Hang dazu, andere zu quälen. So wollte er sein Leben nicht verbringen. Und auch andere Frauen, die er kennen lernten, waren eher drauf bedacht, ihre Männer die Freiheit zu nehmen, ihnen das Gold aus der Tasche zu ziehen und zu Hause Heim und Herd zu hüten aber möglichst wenig tun zu wollen. Zumindest sah er das bei seinem Bruder und anderen Freunden. Sei Vater behielt sich die Freiheit, aber zu einem Preis, den er nicht zahlen wollte. Er würde nie die Hand gegen eine Frau erheben oder gar gegen die eigenen Kinder. Niemals. Und dann kam der Tag, der alles veränderte. Sein Meister fing ihn morgens schon an der Tür zur Werkstatt ab, zerrte ihn dann hinein, stieß ihn gegen die Werkbank und fing an, ihn anzuschreiben, zu beleidigen und zu schlagen. Wie er dies nur könnte, sein Angebot auszuschlagen, sein Schwiegersohn zu werden aber dann doch mit seiner Tochter das Bett zu teilen und sie dann zu schwängern. Wie dreist er wäre, jeden Tag zur Arbeit zu kommen und so zu tun, als wäre nichts gewesen. Serwin verstand die Welt nicht mehr. Was hatte er damit zu tun. Er hatte Tessa niemals angerührt. Hatte diese falsche Schlange ein Techtelmechtel mit einem Kerl gehabt, dass Spuren in ihr hinterlasse hatte und wollte ihm nun das Kind unterschieben? Nach einer halben Stunde ließ der Meister von ihm ab mit den Worten, dass er nun sein Schwiegersohn werden würde und damit basta. Für Serwin verlor in diesem Moment alle Welt seine Farbe und er sah nur noch schwarz. Wäre er doch nie nett zu ihr gewesen. Hätte er sie doch genauso behandelt wie alle anderen Frauen. Warum hatte er so ein weiches Herz und Mitleid mit ihr? Eine weitere Welle riss ihn aus seinen Gedanken und im nächsten Moment konnte er schon das Gebrüll des Mates hören. Mit einem Satz stand er neben seiner Hängematte und war hellwach. Sicherlich würde er gleich wieder das Deck schrubben oder das Wasser aus der Bilch holen. Irgendeine niedere Arbeit, aber dafür war die Überfahrt umsonst. Und die Schläge und Erniedrigungen war er ja gewohnt. Aber er entkam wenigstens der Heirat. Er hätte nie Gedacht, dass er dazu fähig wäre. Er fühlte sich wie gelähmt doch als er Abends in seiner Hütte saß, wachte er auf. Rasch sah er sich um, ob er etwas mitnehmen wollte, doch fand er nichts, was ihm am Herzen lag. Nur Herzschläge später rannte er in den Wald und Richtung Küste. In zwei oder drei Tagen würde er jene erreichen und dann nach einer Hafenstadt suchen, wo er ein Schiff besteigen konnte. Er wollte nur weg, ihm war es egal, wohin. Völlig egal. Wieder brannte ihm die Wange wie vor sechzehn Jahren, doch diesmal war ein stechender Schmerz dabei. Der Maat kam bei ihm vorbei und schlug ihm die Faust ins Gesicht und Serwin fand sich in der Hängematte wieder, halb darüber gelehnt. Mit tiefer Stimme schnauzte er ihn an und schickte ihn dann in die Küche. Er war heute vom Glück gesegnet. Nur ein Schlag ins Gesicht und dann zur angenehmsten Arbeit auf dem Schiff verurteilt; Kartoffeln schälen. Heute war der schönste Tag seit langem für ihn, auch wenn er immer noch nichts zu Lachen hatte. |
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