01.07.2003, 09:16 |
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Reisender
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Es war schon sehr spät in dieser Nacht…
Miguel war noch immer damit beschäftigt sämtliche Bücher die Lynephea angeschafft und herkarren hat lassen zu sortieren. Es waren drei oder vier Karren, voll beladen mit Büchern gewesen die sehr früh an diesem Morgen, kurz vor Sonnenaufgang vor den Toren der Akademie standen. Miguel hatte große Augen gemacht, als er die enorme Menge an Büchern erblickte. Lynephea hatte ihm, das Amt des Bibliothekars im Kreis der Kristallschwingen übergeben. Und so war es nun seine Aufgabe, mithilfe ein paar Schülern die Bücher vom Karren abzuladen und in die Bibliothek zu schaffen, wo gähnend leere Regale darauf warteten gefüllt zu werden. Lynephea hatte zu anfangs noch geholfen, musste sich dann aber später anderen Aufgaben widmen. Gegen Mittag hatten sie fast alle Bücher abgeladen. Türme von Büchern türmten sich nebeneinander in der Bibliothek. Kleine Bücher, große Bücher, Fibeln, Folianten, Leitfäden, Schriftrollen, Codici, in allen Größen und Formen lagen Bücher herum. Miguel fuhr sich mit der Hand durch sein nassgeschwitztes Haar und bestaunte erneut die enorme Anzahl an Büchern. Es würde Tage, wenn nicht gar Wochen dauern, all diese Bücher zu erfassen, katalogisieren und einzuräumen. Er delegierte ein paar Schüler die Bücher grob nach Inhalt zu sortieren. Mundane Bücher in die eine Ecke, Arkane Werke in die andere. Mittendrin saß nun Miguel, vor sich einen Stapel Pergamente Tintenfass, Federkiel und Federmesser auf dem Tisch und einen Stapel von knapp einem Dutzend Büchern. Miguel arbeitete sich langsam durch die Bücher durch, schlug immer ein paar Seiten auf, blätterte darin herum, notierte sich den Verfasser, den Titel und die ungefähre Thematik des Buches. Dann beschriftete er zwei kleine Karteikarten mit den selben Angaben. Eine legte er in die Vorderseite des Buches, die andere sortierte er in eine kleine Schachtel ein die er in verschiedene Thematiken eingeteilt hatte. Irgendwann kam Lynephea herein und brachte ihm eine Kleinigkeit zu Essen. Sie schien scheinbar sehr zufrieden zu sein, da sie ihm glücklich anlächelte und dann wieder ging, um ihn nicht weiter zu stören. Miguel war jedoch sosehr in seine Arbeit vertieft, dass er das Essen völlig vergaß und somit gegen Abend die Brote und die Milch immer noch unangerührt waren. Als Lynephea abermals mit etwas zum Abendessen hereinkam, staunte sie nicht als sie das Mittagessen noch immer stehen sah. Mit freundlichem aber bestimmendem Ton, sagte sie Miguel, dass er langsam mal eine Pause einlegen sollte, und klappte ihm das Buch vor der Nase zu. Miguel protestierte kurz, sah aber dann ein, dass sie recht hatte. So aß er dann seine beiden Mahlzeiten und Lynephea ging zufrieden lächelnd aus der Bibliothek. Mittlerweile war es nach Mitternacht. Miguels Augen waren schon schwer, und Miguel am Ende seiner Kräfte. Wohl an die fünfundsiebzig Bücher hatte er an diesem Tag wohl schon katalogisiert und entsprechend ihrer Thematik in die Regale eingeräumt. Zwei oder drei Bücher hatte er aber schon einmal aussortiert, da er mit Lynephea über deren Verwendung und Zugänglichkeit diskutieren wollte. Wo möglich würde man eine „Verbotetne Abteilung“ eine Art Giftschrank für gefährliche Werke und Schriften einrichten müssen, sollten sich solche Werke häufen. Miguel klappte ein letztes Buch für diesen Tag auf. Ein altes mit weißem Leder eingebundenes Buch. Es war ein ungewöhnlich glattes Leder und schien, wenn man es ein wenig im Licht bewegte, bunt zu schimmern. Es hatte zudem filigrane, ineinander geschlungene und sehr verworrene Gravuren im Leder. Das seltsame war jedoch, dass die Gravuren sich irgendwie zu bewegen schienen. Miguel schob es zunächst auf seine Übermüdung, doch auch als er mit dem Finger über das Buch strich, spürte er, wie sich die Gravuren leicht bewegten. Neugierig schlug er das Buch auf. Zu seiner Enttäuschung konnte er die verwendete Schrift nicht entziffern. Es schien eine sehr alte Schrift zu sein, zudem wohl auch noch in einer alten Sprache. Aber irgendwas faszinierte Miguel an dem Buch. Da er ohnehin vorhatte nach diesem Buch seine Arbeit für diese Nacht zu beenden, verkorkte er sein Tintenfass, löschte die Kerzen und verließ die Bibliothek. In seinem Zimmer angekommen, stellte er überrascht fest, dass er das seltsame Buch noch immer in Händen hielt. Überrascht legte er es auf den Nachtschrank. Völlig erschöpft zog er sich aus und legte sich ins Bett, woraufhin er sofort eingeschlafen war. Am nächsten morgen musste Lynephea lange klopfen bis Miguel endlich wach war. Er wollte eigentlich gleich nach Morgendämmerung aufstehen und sich an die Arbeit machen. Doch als er aus dem Fenster schaute stellte er erstaunt fest, dass es bald Mittagszeit sein musste. Als er sich anzog fiel das weiße Buch wieder in sein Blickfeld. Miguel legte es unter sein Kopfkissen, machte hastig sein Bett und ging in die Bibliothek. Wie er erwartet hatte, hatten die Schüler die ihm zugeteilt waren ihre Sortierarbeit wieder aufgenommen. Miguel setzte sich verschlafen an den Schreibtisch und begann Buch für Buch zu sortieren. Er war jedoch kaum bei der Sache, da ihm ständig das seltsame Buch vor Augen schwebte. Das allerseltsamste jedoch war, dass es so real erschien… geradezu so als ob es direkt vor seinem geschlossenen Auge wäre. Miguel versuchte sich weiter auf seine Arbeit zu konzentrieren, das Buch ging ihm jedoch nicht aus dem Sinn. Lustlos ließ er seine Feder auf den Tisch neben die Bücher fallen und erhob sich fast wie in Trance und ging an ein Bücherregal. Lange stand er davor und starrte die Bücher im Regal an. Irgendwann zog er ein Buch heraus und schlurfte zum Ausgang der Bibliothek. Die Schüler die ihn unterstützten schauten ihn fragend an, mit einem leisen, monotonen „bin gleich wieder da“ ließ er sie im Raum zurück und ging in sein Zimmer. Plötzlich von Hast getrieben verriegelte er rasch die Tür und kramte das Weiße Buch unter dem Kopfkissen hervor. Eilig blätterte er in dem Buch das er mitgebracht hatte und fand was er suchte. Das Buch war in zwei Sprachen verfasst, eine davon hatte er sein ganzen Leben gesprochen und geschrieben, die andere… war die, in der das Weiße Buch verfasst war. Er schloss rasch die Fensterläden, zog die Vorhänge zu, und entzündetet eine Kerze. Dann setzte er sich mit Schreibzeug, Kerze und den beiden Büchern an sein Schreibpult. Die Kerze war fast heruntergebrannt als Miguel die erste halbe Seite übersetzen konnte. Der Titel des Buches, wie er mittlerweile herausfinden konnte war „Licht und Schatten – Magie der Dämmerung“. Die Anleitungsworte waren Miguel vertraut… >>Aus meinen Erkenntnissen geht hervor, das die Schöpfung als Wesenheit im Grunde genommen zwei Prinzipien enthält: das Tun und das Sein. Weiterhin scheint es, als wären beide Prinzipien zwar eigenständig in ihrer Existenz und Gültigkeit, jedoch gleichzeitig auf bestimmte arkane Art und Weise miteinander verknüpft. Die Welt, wie wir sie erleben, erfahren und begreifen entsteht aus dem Zusammenspiel dieser beiden Urprinzipien. Im Folgenden möchte ich nun eine kurze Betrachtung und Definition dieser beiden grundlegenden Betriffe niederlegen, der sicherlich noch eine weitere Ausarbeitung und Vertiefung sowie Bezugnahme auf bestehende Verhältnisse, Vorstellungen und Tatsachen in Form eines größeren Werkes folgen wird. Sein ist die Eigenschaft des Bestehens, die Beschreibung eines Zustandes an und für sich. Jedes Ding dieser Welt, welches wir und mundane Menschen begreifen können, trägt in sich das Prinzip des Seins oder ist, wie man es anders ausdrücken könnte ein Bestandteil des Seins der Welt. Umgekehrt betrachtet existiert ein Ding, das sich nicht im Sein befindet, nicht auf dieser Welt. Doch die Vielfalt der Dinge macht deutlich, dass das Sein nicht von einfacher Natur ist, vielmehr wird das Sein eines Dings implizit charakterisiert vom Tun, wie später erläutert werden soll. Die Vielfalt des Seins führt zunächst auf zwei Aspekte: den grobe und den gewobenen. Der grobe Aspekt tritt zutage bei reinen, einfachen oder elementaren Dingen, wie Feuer, Wasser, Luft und Erde, aber auch in der reinen, ungeformten Kraft. Demgegebüber beschreibt der gewobene Aspekt die fein strukturierten Dinge dieser Welt, die oft viele Facetten der rohen Substanzen in sich vereinigen, sich dennoch aber von allen diesen abheben. Der gelehrte Leser wird nun schon erahnen, was ich als Beispiel für den gewobenen Aspekt aufzählen werde: den menschlichen Geist und Körper, die anderen Wesen der Schöpfung und schließlich jede Art von Abbild, welcher Natur es auch immer sein mag…<< Das war eine Passage aus dem Werk „Res Natura – Das Wesen der Dinge“, ein Buch das er zigfach gelesen und schon oft abgeschrieben hatte. „Was hatte das mit Licht und Schatten zu tun?“, dachte sich Miguel und übersetzte neugierig weiter. Plötzlich klopfte es eindringlich an seiner Tür. Miguel schreckte auf, schlug das Buch zu und eilte zur Tür. Hastig entriegelte er die Tür und schaute durch den Spalt. Vor ihm stand Lynephea, ihr Stirn in leichte Zornesfalten gelegt. „Miguel?! Was macht ihr denn den ganzen Tag? In der Bilbiothek stapeln sich die Bücher, die Schüler sitzen untätig herum und was macht Ihr? Ihr sitzt hier völlig im Dunklen, und macht was auch immer!“ Miguel schaute betroffen zu Boden, „ich mache mich gleich wieder an die Arbeit….“, sagte er und verschloss die Tür vor ihren Augen wieder. Lynephea zuckte mit den Schultern und ging. Miguel löschte die Kerze und verlies das Zimmer, schloss die Tür hinter sich ab und trottete in Richtung Bibliothek.. Dort erledigte er mehr oder minder gut seine Arbeit um dann, einigen Stunden später wieder, nach einer kurzen Abendmahlzeit wieder in sein Zimmer zu gehen. Rasch entzündete er die Fackel und machte sich wieder an das Übersetzen des Buches. |
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