15.12.2003, 23:03 |
|
|||
Gast
Beiträge: n/a
|
Sanft schaukelt die kleine Nussschale über die Wellen, bei jedem Auf und Ab ein leises Knarren von sich gebend. Die Sterne senden unentwegt ihren stummen Gruß zu ihr hinab. Inzwischen hat sie es sich auf einem Haufen Taue gemütlich gemacht, in den dicken Stoff der Robe gewickelt. Kühle Meeresluft fährt durch ihr kurzes Haar, während sie stumm den Seemann beobachtet. Ein bärtiger Kerl, welcher sicher schon vierzig Sommer oder gar mehr zählt, mit einem abstoßenden, zahnlosen Grinsen und einem zernarbten Gesichte. Seine fettigen Haare verbirgt er unter einem zerfledderten, scheinbar stetig schweißnassen Kopftuch.
Noch immer rauscht das Adrenalin durch ihre Adern, erinnern sie an die Aufregung der heutigen Nacht. An ihre Flucht vor diesen vermaledeiten Glaronisten. Sie hatten sie zutiefst gedemütigt, sie ihres ... ihres geliebten Haares beraubt, all dies unter dem Deckmantel ihres dickbäuchigen, ewig guten Gottes. Verdammte Bastarde! Sie wollten sie zu einer der ihren machen, sie von Glaron abhängig machen. Es war pures Glück für sie, dass sie auf Arian gestoßen war ... er verhalf ihr letztendlich auch in dieser Nacht zur Flucht. Es war aber auch zu einfach! Sie brauchte sich bloß aus dem nicht verschlossenen Gasthause zu schleichen und sich mit Arian zu treffen. Zugegeben, es hätte Ärger geben können, hätte sie eine der Wachen bei ihrem Tun beobachtet. Ein fahles Lächeln streicht über ihre Lippen. Was für ein seltsamer Mann, dieser ... Arian. Er nimmt die größten Risiken auf sich, nur aus Überzeugung. Was für ein Narr. Was für ein närrischer Mensch! Ich kenne mich in Vesper gut aus, ich komme von da! krächzt der Matrose. Aithe hebt den Blick sachte an, reckt das Kinn stolz vorwärts. Wofür hält sich diese stinkende, alte Ratte? Glaubt dieses alte ... Fossil etwa, sie würde nur eine Minute mehr als notwendig mit ihm verbringen? Sie fühlt, wie sich ihre feinen Härchen auf den Armen aufstellen, wie der Zorn in ihr hochzukochen beginnt. Doch sie atmet nur einige Male tief durch, die würzige Seeluft genießend. Sie darf nicht auffallen, noch nicht. Es ist ihre letzte Chance. Das unentwegte, sachte Schaukeln des Bootes macht sie schläfrig. Bald schon legt sich die wohlige Dunkelheit der Erschöpfung um ihre Sinne, sie verbringt einen ruhigen, angenehmen Schlaf. Doch viel zu früh wird sie von dem alten Seebären geweckt. Mit lautem Geschrei kündigt er seine Ankunft den Hafenwachen von Vesper an, nur um ihnen gleich darauf einige wilde Flüche und Beschimpfungen an den Kopf zu werfen. Aithe’s Miene verfinstert sich zusehends. Wie gut, dass sie schon in wenigen Minuten von diesem Verrückten loskommt. Und so geschieht es auch, kaum war das kleine Segelboot am Kai vertäut, springt die junge Frau schon von dem Gefährte. Ihre Blicke wandern über den riesigen Hafen der Meeresstadt, wie Vesper (wohl nicht umsonst) genannt wird. Hoch ragen die kunstvoll gearbeiteten Brücken in schier unendlicher Zahl vor ihr auf, für die Vesper so berühmt ist. So verbinden sie eine ebenso endlos erscheinende Zahl von winzigen Inseln, wobei jede kaum mehr Platz als für drei Gebäude bietet. So wird dies also ihre neue Heimat sein. Den Blick immer noch wie gebannt auf die Architektur der Stadt gerichtet, bemerkt Aithe nicht den Schatten, welcher sich ihr mit schnellen, zielsicheren Schritten nähert. Erst im letzten Augenblick fährt sie herum, versucht, das Antlitz unter der alles verhüllenden Kapuze zu erkennen. Habt Ihr die Papiere dabei? raunt ihr die Gestalt mit heiserer Stimme zu. Aithe nickt wortlos, greift unter die Falten ihrer dicken Robe, zieht ein zerknülltes Pergament hervor. Ein Brief Arian’s an ihren Kontaktmann, wohl das vereinbarte Erkennungszeichen. Achtlos lässt der Mann dann das Papier hinab ins salzige Hafenwasser fallen, wo es sich schon in wenigen Minuten auflösen wird. Wie ist Euer Name? zischt der Verhüllte ungeduldig. Aithe blinzelt einige Male, spricht dann mit fester Stimme: Aithe Avhoste! Etwas schält sich das Kiefer des Mannes aus den von der Kapuze geworfenen Schatten. Aithe erkennt im fahlen Mondlichte, wie die gelblichen Zähne des Mannes aufblitzen. Nein! haucht er ihr beinahe genüsslich zu, Es existiert keine Aithe mehr! |
|||
|