28.12.2010, 09:52 |
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Reisender
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Neroel konnte es nicht fassen, als er endlich den Schlüssel zu seinem eigenen kleinen Reich in den Fingern hielt. Er hätte das nie für möglich gehalten, dass er innerhalb von nur einem halben Jahr das ganze Gold zusammen bekommen würde, um sich eine eigene Backstube zu kaufen.
Aber hinterher stellte sich heraus, dass der Katastrophe doch ein Glücksfall war. Und schmunzelnd dachte er zurück an den Tag, als er unsanft in Britain ankam. Er erinnerte sich daran, wie ihm die Knochen weh taten, nachdem der erste Maat ihn von Bord des Schiffes geworfen hatte. Die ganze Überfahrt wurde er mehr störend als alles andere behandelt. Und dass bei der Riesen Menge Gold, die diese Seeräuber von ihm, nein, das heißt, seinem Vater, verlangt hatten. Die Isabella sollte ihn eigentlich von Harbots nach Armes bringen. Aber als sie drei Tage auf See waren, änderte der Kapitän den Kurs. Gegenüber Neroel begründete er dies mit Der Wind steht ungünstig. Neroel machte sich da noch keine Gedanken, er hatte ja von der Seefahrt keine Ahnung. Aber als er am morgen des fünften Tages merkte, dass sie immer noch in die selbe Richtung segelten, stellte er den Kapitän zur Rede. Etwas, dass er im nach hinein bereute. Kaum hatte er das getan, wurde er auch schon vor die Wahl gestellt. Schwimmen oder den Mund halten und unter Deck verschwinden. Die Entscheidung viel ihm verständlicher Weise nicht schwer. Ab und an durfte er noch zum Luft schnappen an Deck, jedoch wurden seine Rationen von Tag zu Tag karger. In den letzten drei Tagen, bevor sie ihr Ziel, dass er damals ja noch nicht kannte, erreichten, gab es nur noch schales Wasser und hartes Brot. Und für einen Bäcker war ein hartes Brot schon schlimm genug. Aber dieses schmeckte wie... Bei diesem Gedanken schüttelte es Neroel. Kurz betrachtete er noch einmal den Kupferschlüssel, ehe er ihn ins Schloss steckte und die Tür zu seiner Backstube und, was für ihn eigentlich viel wichtiger war, zu seinem neuen Heim, öffnete. Dann kam die Stadt endlich in Sicht. Es dämmerte bereits und Neroel war gerade wieder einmal kurz an Deck, als der Ausguck im Krähennest den für ihn noch mehr ersehnten Ruf Land in Sicht! erschallen lies. Etwa drei oder vier Stunden später machten sie im Hafen fest. Mittlerweile war es bereits Stock Finster. Der Hafen war nur spärlich beleuchtet und für Neroel machte er nicht gerade einen einladenden Eindruck. Er war schon auf dem Weg zurück unter Deck mit der Hoffnung, noch bis zum Morgen an Bord bleiben zu können. Doch kaum auf der Hälfte des Weges kam ihm schon der Maat entgegen, einen Matrosen im Schlepptau und dieser mit seinen paar Habseligkeiten in einem Seemannssack. Noch bevor Neroel den Mund aufmachen konnte wurde er vom Maat gepackt und zurück Richtung Reling bugsiert. Neroel sah die Öffnung, in die gerade die Laufplanke gelegt wurde. Mit einem Ruck stolperte er die Laufplanke hinab und landete Krachend mit dem Gesicht voran auf der hölzernen Mole. Lachend warf der Matrose den Sack hinter ihm her. Knapp neben ihm schlug er auf und rollte einige Schritt weiter. Mit den Worten Willkommen in Britain! verabschiedete sich der Maat und verschwand hinter der Reling. Vor Schmerzen stöhnend rappelte sich Neroel auf. So hatte er sich eine Reise nicht vorgestellt. Man hatte ihm gesagt, eine Schiffsreise sei angenehmer als über Land. Gut, er kannte noch keine Reise über Land, aber wenn die Schiffsreise angenehmer sein sollte, dann wollte er sich keine Landreise ausmalen. Mit seinem Sack unter dem linken Arm geklemmt machte er sich auf dem schnellsten Weg hinaus aus dem Hafen. Er ging nur auf dem Weg, der seiner Meinung nach am besten Ausgeleuchtet war. Er wollte nun nicht auch noch in die Finger von Straßenräubern geraten. Vier Straßen weiter den Berg hinauf, hinein in die Stadt traf er einen gerüsteten Mann. Hierbei musste es sich um einen von der Stadtwache handeln. Und mit denen war in seiner Heimat nicht gut Kirschen essen. Also schlug Neroel einen großen Bogen um diese Person. Drinnen stehend in seinem kahlen, neuen Zuhause überkam ihm erneut ein Schmunzeln. Seine Angst vor der Garde war Naive. Nicht jeder nutze seine Stellung so schamlos aus wie die Stadtwache von Harbot. Er fand die Gardisten sogar richtig nett. Und jetzt würde er sogar die Garde mit frischem Brot versorgen. Leicht mit dem Kopf schüttelnd schaute er von einer kahlen Wand zur nächsten. Ja, die Gardisten waren nett. Auch wenn er meist nur junge Frauen kennen gelernt hatte. Frau Remlim, Rodin, Armanth. Das waren einige der ersten, mit denen er zu tun hatte. Und auch Gardist Fabior kannte er. Ach ja, und der Leutnant. Ein Mann, der einem Respekt einflößte. Aber dazu waren die Gardisten wohl da. Kurz lehnte er sich an die nun geschlossene Tür und überlegte. Im Großen und Ganzen hatte er fast nur junge Frauen kennen gelernt. Die Männer, mit denen er bisher zu tun hatte, konnte er an einer, vielleicht auch zwei Händen abzählen. Wieder musste er schmunzeln, vor allem über sein verhalten Frauen gegenüber. Kaum dass er mit Frauen zu tun hatte, schaltete sich sein Kopf ab. Er bekam kaum noch einen Satz heraus, meist nicht einmal mehr ein ganzes Wort. Er wurde hoch rot und schaute meist verlegen weg. Aber was sollte er auch dagegen tun. Seine Mutter hatte ihn zu gut behütet. Und die einzige Frau, mit der er zu tun hatte, war seine Schwester. Na ja, wenn man sie mit fünfzehn schon Frau nennen darf. Seufzend schloss er die Augen. Seine Familie. Er vermisste sie, war er doch das erste mal weg von zu Hause. Und dann hatte er über zwei Monde vergessen, ihnen eine Botschaft zukommen zu lassen. Sie waren sich in Angst vor Sorge um ihn und mahlten sich das Schlimmste aus, warum sie keine Botschaft von ihm bekamen wie versprochen. Langsam rutschte er zu Boden und setzte sich an der Tür auf den Boden. Vielleicht hätte er doch schnellst möglich zurück fahren sollen. Aber dann wäre er niemals Meister geworden, wenn er nicht die drei Jahre in einer anderen Stadt als Bäcker gearbeitet hätte. Wieder seufzend vergrub er die Augen in den Händen. Es war schon gut so, wie es nun war redete er sich ein. Immerhin konnte er hier den Gesetzen nach auch eine Backstube führen, wenn er kein Meister war. Und dass war Ansporn genug für ihn, hart zu Arbeiten. Auch wenn er deswegen in den letzten Tagen öfters beim Abendessen im Tala eingeschlafen war und dann von ein paar seiner Bekannten geweckt wurde. Wieder glitt seine Gedanken an seine Bekannten ab. An Jonas Turan, ein junger Mann wie er, der erst vor einigen Tagen hier ankam und sich der Garde verschreiben wollte. Oder der junge Magier Arunalo. Ihm fehlte es etwas an Manieren, aber auch dass konnte man lernen. Er dachte an Adyanne und Herrn Beckler, wo er seine Rohwaren her bekam. An Herrn Dogrem, den Schwager des Grafen, seine Schwester, die er beim hiesigen Markt kennen gelernt hatte. An Herrn Nerad, ohne sein Angebot wäre er nie darauf gekommen, hier in Cove eine Backstube zu eröffnen. An die Gardisten Remlim, Rodin, Armanth, Fabior und Kantala, welche zum Teil doch sehr gute Bekannte geworden waren. An Frau Lovonya, die in der Krähe bediente. Und an Livora Rigory, die Totengräberin. Er wusste nicht, warum ihn diese Frau so faszinierte. Aber er ertappte sich öfters beim Backen dabei, wie er an sie Dachte. Auch, wenn sie einen eigenartigen Humor hat und auf dem Friedhof wohnt, findet er, dass sie doch eine aufrechte und ehrliche Person war. Und unter dem harten Kern, dessen Anschein sie nach Außen wahrte, war bestimmt auch nur eine Frau, die sich nach jemandem sehnt, der die Frau in ihr sah und nicht die Totengräberin. Schmunzelnd stand Neroel wieder auf und schritt durch sein neues Heim. Es fehlte zwar noch alles, was er brauchte, aber er kannte ja die Leute, bei denen er alles bekommen würde. Aber das Schmunzeln blieb dieses Mal. Er dachte immer noch an Livora. Wie töricht er Anfangs war, vor ihr Angst zu haben. Gut, ihre Erscheinung ist auch etwas beängstigend. Ihre sehr hellen, vielleicht schon weißen Haare machen sie durch ihr schmales Gesicht doch etwas beängstigend wirkend. Er schätzte sie allerdings nur gering älter ein wie er selbst war. Aber was ihn wohl am Anfang am meisten einschüchterte, waren ihre grauen Augen, die ihr etwas gespenstisches Verliehen. Mit ihrem Blick konnte sie einen durchbohren und fesseln zugleich. Und wenn er an ihren ersten Besuch bei ihr zurück dachte, im Dunkeln auf dem Friedhof. Jetzt kicherte er darüber. Sie zeigte ihm Anfangs, dass es hier nicht anders war als in einem Garten oder im Wald. In den Bäumen saßen ein paar Vögel die des Nachts jagten und riefen über den dunklen Garten des Namenlosen hinweg. Vielleicht waren dort auch noch ein paar Hasen und andere Geschöpfe unterwegs, aber er bemerkte keine. Sie führte ihn herum und zeigte ihm, dass hier des Nachts keine Untoten aus ihren Gräbern stiegen. Später unterhielten sie sich noch ein bisschen in ihrem kleinen Häuschen direkt neben dem Leichenhaus. Ihm war wohl immer noch anzusehen, dass er sich unwohl fühlte und so erzählte sie ihm einige Schauermärchen über untote Haustiere, die draußen herumlaufen könnte und er acht geben sollte. So verängstigt schlich er alleine über den Friedhof zurück um ihr seinen Mut zu beweisen. Hinter sich hörte er dann Schritte und ein Rascheln. Noch mehr verängstigt stolperte er dann rückwärts und viel auf seinen Hosenboden. Lachend kam Livora hinter einem Busch hervor und schallte ihn, sich nicht von seinen Ängsten im Kopf leiten zu lassen. Sonst würden sich nur Trugbilder vor seinen Augen abzeichnen. Etwas beschämt schlich er von dannen. Aber die Lektion hatte er gelernt. Als er den Raum einmal durchschritten hatte blieb er vor der Tür stehen. Ja, er wusste, dass er sich auf seinen nächsten Besuch freuen würde. Und diesmal würde er auch den versprochenen Kuchen mitbringen. |
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