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Alt 17.04.2013, 11:19
Die Kunst des Handwerks
#1
Amea Sa-Alliel
Reisender
 
Registriert seit: 29 Sep 2012
Beiträge: 110
Wieder einmal kehrte sie dem Festland den Rücken. Doch dieses Mal war es anders. Sie verließ es nicht, um etwas Besseres zu finden, aus Angst, aus Niedergeschlagenheit. Nein, dieses Mal verließ sie das Festland, weil sie Heimweh hatte. Nicht Heimweh nach ihrer Insel, ihrer Heimat, sondern nach Britain, ihren neuen Freunden.
Und doch lag Wehklang in ihr. Sie verließ Johna. Viele würden wahrscheinlich denken, sie wären ein Paar gewesen, so wie sie von ihm schwärmte. Dass sie eigentlich vorbestimmt waren, sich zu vermählen und Kinder groß zu ziehen. Aber keiner wusste, was Amea wusste. Johna war ein Mann, ein wunderbarer Mann. Allerdings kurz vor den fünfzig Lenzen.
Und Amea? Sie war gerade einmal siebzehn geworden, jung, unbedarft, verspielt und naive. Und auch etwas verrückt, würde Johna sagen. Und dennoch sehr gelehrig. Hatte sie doch die gesamten letzten neun Monde mit ihm verbracht. Nicht wie Mann und Frau, aber wie Vater und Tochter. Ein wunderbares Gefühl.

Und alles begann in Britain…

Es war der 14. Im Ador des Jahres 1309. Diesen Tag wird sie nie mehr in ihrem Leben vergessen. Er begann wie jeder wunderschöne Sommertag. Die Vögel weckten Amea sanft aus ihrem Schlaf. Durch das kleine Ostfenster neben ihrem Bett drang langsam die Sonne in das obere Stockwerk ihres Hauses. Der Duft von Sommerblumen lag schwer in der Luft, gemischt mit Heu und etwas Salz. Er war stickig, dieser Adormorgen. Schon früh war es sehr schwül und es ließ keinen Anschein daran, dass es bald zu einem Gewitter kommen würde. Spätestens am Abend. Hoffentlich.
Grün lag der nahe Wald hinter der Stadtmauer, über die Amea von ihrem Erker aus sehen konnte. Dutzende Vögel flogen und pfiffen laut streitend von Baum zu Baum. Und sicher waren darunter noch einige größere Tiere unterwegs. Auf der Suche nach Futter oder nur auf der Durchreise.
Auf der Mauer kam einer der Gardisten vorbei und grüßte freundlich. Amea tat dieses ebenso freundlich zurück, war sie doch froh, hinter diesen massiven Mauern leben zu dürfen und sicher zu sein. Sicher sein, dass die Garde da war, um sie und alle anderen zu beschützen.
Der Gardist machte seine Runde auf der Stadtmauer weiter, ging noch ein Stück gen Osten und bog dann nach Süden ab, dem Meer entgegen. In zehn Minuten würde er wieder vorbei kommen und Amea würde ihm etwas zum Frühstücken zu werfen. So wie jedem Tag. Sie liebte dieses Haus an der Stadtmauer einfach. Auch, wenn es sehr klein und Eng war. Aber lieber Eng als auf der Straße nächtigen.
Der Morgen hätte nicht besser anfangen können, wenn sie sich nicht immer noch den Kopf darüber zerbrechen würde, wie sie, zum Henker und Galgen, diese beiden Türen für das Glaronskloster gießen sollte. Kaum hatte sie den Gedanken gedacht, hielt sie sich auch schon die Hand vor den Mund und blickte nach oben gen Zimmerdecke. Mit einem etwas verzogenen Lächeln, so dachte sie zumindest, blicke sie nun Glaron entgegen, zur Sonne hin, um sich schon in Gedanken zu entschudligen.
Aber dennoch ließ ihr das ganze keine Ruhe. Sie war gut, dafür, dass sie erst sechzehn war. Sehr gut, fand nicht nur sie. Aber sie beschränkte sich darauf, kleine Dinge zu gießen. Ringe und andere Schmuckstücke, Pfeilspitzen oder Allltagesgegenstände. Aber nichts so riesiges wie Türen. Und davon gleich zwei.
Gut über zwei Schritte mussten sie werden, aus Bronze. So sagte es Hochwürden Beckler. Und vorne darauf, die Intarsie eines Phönix. Als ob nicht schon die Türen schwer genug wären. Wie sollte sie es denn auch noch fertig bekommen, vorne darauf dieses Abbild eines Phönix zu bekommen?
Mit ruhigem Schritt ging sie auf ihren Tisch zu, umrundete einen der Stühle zu einem Viertel, zog ihn nach hinten und setzte sich in ihrem luftigen Nachtgewand darauf. Sie hatte sich ein neues gekauft, nach dem die Stadtwache auf der Mauer sie etwas schief ansah, als sie in diesem weißen Hauch aus nichts auf ihren Erker getreten war. Zum Glück verzichtete er auf eine Standpauke und Amea verschwand damals sofort wieder im Haus. Jetzt hatte sie einen blickdichten, samtblauen Schlafrock an. Luftig war er immer noch, nichts desto trotz schwitzte sie im Moment jede Nacht. Am liebsten würde sie sich in einen Waschzuber auf dem Erker legen und dort des Nachts schlafen.
Seufzend sammelte Amea ihre Gedanken. Sie war schon wieder von ihrem eigentlichen Problem abgeglitten. Die Türen. Vor ihr auf dem Tisch lagen ihre Notizen verstreut. Einige Zeichnungen, Berechnungen, Ideen und Niederschriften. Ein wirrer Haufen Papier, nichts geordnet. So wie ihre Gedanken.
Sie nahm sich das erste Blatt, das sie in die Finger bekam und betrachtete es. Eine Zeichnung. Die Tür, aus mehreren Ansichten. Von vorn, von der Seite, oben und auch diagonal. Sie war aufrecht in einem Erdloch gezeichnet. Neben den Zeichnungen der Türen waren noch andere. Eine zeigte die Wand des Loches, gemauert, mit hitzeunempfindlichen Ziegeln. Darüber, nur etwas weiter unten an der Zeichnung angedeutet, eine Schicht aus Lehm. Diese könnte man abschlagen, wenn man die Türe herausgraben würde. So würde die Türe auch eine gerade Fläche erhalten und nicht die Abdrücke der Ziegel annehmen.
Und doch hatte sie Zweifel, ob es so gelingen konnte. Sie nahm einen zweiten Zettel zur Hand, auf der viele Zahlen standen. Einhundert bis einhundertfünfzig Barren Bronze stand dort zum Beispiel. Und daneben das Gewicht. Und genau dieses machte ihr Kopfzerbrechen. Würde das Gewicht des Metalls schon beim Guss dazu führen, dass die Tür bauchig würde? Oder gar unten dicker wie oben? Oder bekamen sie diese später gar nicht mehr aus dem Loch gehoben, weil sie viel zu schwer war? Und wie sollte sie den Phönix in den Lehm hinein gestanzt bekommen? Da waren doch die Steine im Weg.
Seufzend schob Amea die Zettel beiseite, stützte ihren Kopf in die Hände, die Ellbogen legte sie auf dem Palmholztisch ab und vergrub die Augen in den Handflächen. Es war einfach nicht machbar. Nicht für sie. Sie war ja gerade erst der Lehre entsprungen. Wie konnte sie sich nur erdreisten, solch einen Auftrag anzunehmen? So einen immens wichtigen? Man macht nicht so nebenher zwei Türen aus Bronze mit der Intarsie eines Phönix für eine glaronsgeweihte Kapelle. So etwas dürfte nur einmal im Leben geschehen. Aber warum schon jetzt?
Sie nahm sich weitere Zettel zur Hand, da sie keine Antworten in ihren Gedanken fand. Einer zeigte eine Zeichnung, in der die Türe flach im Boden liegen würde. Die Intarsie des Phönix nach unten in den Lehm eingelassen. Aber sie wusste, dass ein Guss geschlossen sein musste. Also war hier das Problem, die Bronze gleichmäßig hinein fließen zu lassen. Wie sollte dies also gelingen, durch mindestens sechs Löcher stetig denselben Fluss an Bronze in die Form zu bekommen? Und wie bekam man die Form stabil, wenn sie einen Schritt breit und über zwei hoch war? Sie würde doch sofort kollabieren, wenn man den Deckel oben auflegen würde. Und wie sollte sie bei so etwas dünnem die zweite Schicht Lehm auf den Deckel bekommen, ohne dass diese Risse bekam und die Tür hinterher verunstaltet war.
Ihre Faust ballte sich leicht und sie verknitterte das Papier, das sich gerade in jener befand. Sie kannte einfach kein Verfahren, dass ihr Erfolg versprach. Sie kannte eben nur den Guss mit Formen. Aber so eine große Form konnte sie einfach nicht herstellen. Nicht aus Holz, diese würde bei den Temperaturen und der Menge an Metall Feuer fangen. Und auch nicht aus Stein. Es würde wohl gehen, aber es würde Jahre dauern, diese Form herzustellen, bis sie überall so eben wäre, dass die Tür nicht verzogen aussehe oder irgendwelche Makel aufwies.

Amea kam so nicht weiter. Ihre Gedanken hingen in einer Sackgasse und kreisten immer um dieselbe Sachen. Und die Stadtwache ging heute auch ohne ihr Frühstück weiter ihrem Dienst nach. Der Arme dachte sie noch bei sich selbst und stürzte hinaus auf den Erker. Aber von der Wache war weit und breit nichts mehr zu sehen. Bedrückt und niedergeschlagen ging sie zurück in ihre Wohnstube. Auf Arbeit hatte sie auch keine große Lust. Die Tatsache, dass sich diese schon türmte, machte es auch nicht besser. Aber dies konnte ruhig noch ein wenig warten. Heute Nachmittag würde sie sich wieder um die Bestellungen kümmern.
Jetzt aber zog sie sich erst einmal aus und wusch sich. Der Schweiß der Nacht klebte noch auf ihrer Haut und sie empfand es als unerträglich. Auch roch sie nicht sonderlich gut, keinen falls wie eine Rose, eher wie eine Stinkmorchel.
Ein paar einfache Kleider entnahm sie ihrem Kleiderschrank und stieg hinein. Irgendwie musste sie sich ablenken, auf andere Gedanken kommen. Vielleicht fiel dann der Groschen bei ihr. Irgendetwas hatte sie übersehen, etwas nicht beachtet. Aber sie erkannte es einfach nicht. Ihr wollte der goldene Einfall einfach nicht kommen.
Als sie hinab kam durch ihre Werkstatt wurde es noch stickiger. Die Esse hatte über Nacht ausgeglüht, allerdings wurde sie nicht wesentlich kühler dabei. Einzig der Raum nahm noch das letzte bisschen Wärme auf, dass er ertragen konnte. Die Luft schien schon zu schwirren, als sie endlich die Türe aufriss und ihr die kühlere Luft von draußen entgegen schlug. Endlich konnte sie durchatmen.
Draußen herrschte noch etwas fahles Licht, kroch die Sonne doch erst langsam über die Stadtmauer. Etwas unsicher blickte sie sich nach links und rechts um, doch es war noch keine Menschenseele unterwegs. Sie war, wie meist so früh am Morgen, alleine.
Leicht wirbelte der Staub der kleinen Straße auf, als sie ihren Fuß darauf setzte. Alles schien so frisch und unberührt, dabei war gestern wie jeden Tag zuvor ein riesiger Trubel in den Straßen und Gassen. Und auch heute würde es sicher nicht besser werden. Sobald die Leute wach würden, wäre es vorbei mit der Ruhe. Kein Vogelgezwitscher mehr, nur noch das Rufen von Mensch und Tier, die Marktschreier, Ausrufer und kleine Kinder, die grainend irgendwo auf dem Arm der Mutter lagen, die mit ihrer Nachbarin ein Schwätzchen hielten. Eben eine ganz normale Stadt.
Amea setzte rasch einen Fuß vor den anderen. Es sah aus, als wollte sie zielstrebig irgendwohin. Doch nur sie wusste, dass es nicht so war. Sie lief blindlinks los, hinein in die Stadt. Nach Britain. Vorbei an noch immer verschlafenen Häusern, die ihre Fensterläden geschlossen hatten. Vorbei an geschlossenen Türen, Läden und Tavernen. Einzig die Bäcker waren schon wach und es roch herrlich nach frischem Brot, als sie an einer vorbei kam.
Mit vollem Mund und kauend ging sie nun weiter ihres Weges. Amea konnte wie immer nicht der köstlich riechenden Verlockung widerstehen. Und mit jedem Schritt nahm die dunkle Siluette der Stadtkirche vor ihr mehr und mehr Konturen an. Die beiden Turmspitzen lagen schon im hellen Sonnenlicht, so als wolle Glaron seinem Haus vorsichtig ein neues Gewand überziehen. Das Kirchenschiff hingegen lag noch im finsteren Schatten, so als müsse es noch befreit werden von den finsteren Machenschaften der Nacht.
Und je näher sie der Kirche kam, desto größer wurde die Straße, auf der sie lief und die Häuser traten immer mehr in den Hintergrund. Und so eröffnete sich mit jedem Schritt der Marktplatz immer mehr und mehr. Bis sie vollends auf jenem Stand, mit dem kleinen Brunnen, der Linde und dem Denkmal an den verstorbenen König Erdain. Und bis auf diese paar wenigen Sachen war der Markt leer. Kein Mensch war anwesend, nicht mal im Schandkäfig saß jemand. Heute war wohl kein Markttag.
Immer noch kauend steuerte sie das große Gasthaus am Marktplatz an. Der Tala hatte fast immer offen. Eigentlich hatte er immer offen. Vielleicht waren dort schon ein paar Gäste der darüber liegenden Herberge wach und es fand sich ein Gesprächspartner. So müsste sie wenigstens den Morgen alleine verbringen. Dies machte sie schon viel zu oft.
Leise rutschte der Riegel zurück in seine Halterung, als sie die Türe hinter sich verschloss. Eine einfache Mechanik, im Vergleich zu ihren komplexen Schlössern. Man zog den Riegel zur Seite und etwas nach oben, dann rutschte er aus seinem Verschluss und gab die Türe frei. Wenn man bei dieser Art Schloss einen Verschluss mit Schlüssel anbringen wollte, konnte man nur den Riegel mit einer Art Bolzen verklemmen oder versperren. Aber wenn der Riegel aus Holz war, war das nicht wirklich ein guter Einbruchsschutz. Eine Tür aus Eisen wäre da schon einfacher. Und da war wieder ihr Problem. Ein leichtes Brummen entrückte ihrer Kehle, als sie sich dem Schankraum zuwendete.
Und wirklich, an einem der kleinen Tische saß ein älterer Herr, Johna, wie sie später erfahren sollte. Er aß eine Kleinigkeit und schaute kauend der Türe entgegen. Ein freundliches Lächeln bildete sich auf seinen Zügen und mit einem kleinen Kopfnicken begrüßte er sie. Noch immer kauend sprach er jedoch keinen Ton.
Amea begrüßte ihn ebenso mit einem freundlichen Lächeln und einem kleinen Nicken. Hingegen zu ihm begrüßte sie ihn, noch immer an den Resten ihres kleinen Brotes kauend, mit vollem Mund, worauf Johna seine Brauen etwas hob. Mit leicht dunklem Kopf ging sie weiter in den Schankraum hinein, als ihr klar wurde, was sie soeben getan hat. Es war einfach nur unhöflich.
Bei Teresa bestellte sie rasch eine Milch, bezahlte diese und ging mit etwas eingezogenem Kopf zurück durch den Schankraum. Als Johna sie ansprach, zuckte sie etwas zusammen. Damit hatte sie nun wahrlich nicht gerechnet. Auch nicht damit, dass er sie an seinen Tisch einlud. Aber es schien, als wolle er genauso wenig alleine Frühstücken wie sie alleine sein wollte.
>>Neu in der Stadt?<< Amea ergriff sofort das Wort, nach dem sie sich ein paar freundliche Begrüßungsfloskeln ausgetauscht hatten.
>>Hm, nein.<< kam es nur knapp von Johna.
>>Nein? Ich habe euch aber noch nie hier in der Stadt gesehen. Oder seid ihr aus Minoc? Cove?<<
Immer wieder schüttelte Johna freundlich lächelnd, vielleicht auch etwas schmunzelnd den Kopf. Amea hingegen legte ihren fragend schief und blickte ihn wohl ebenso fragend an.
>>Ich bin nur ausversehen hier auf der Insel Britannia gelandet. Ein Sturm brachte uns erst vom Kurs ab und beschädigte unser Schiff noch leicht. Jetzt wird es instand gesetzt und wir fassen Proviant.<<
Amea nickte etwas, als sich Johna noch ein kleines Stück Käse in den Mund schob. Immer wieder betrachtete sie ihn, versuchte ihn einzuschätzen, irgendwo in ein Kästchen zu stecken. Er hatte schon graue Haare, voll waren sie noch, nur ein paar kleine Geheimratsecken waren zu sehen. Sein Gesicht war grob, vielleicht etwas geschunden, aber er war glatt rasiert. Tiefe Falten zierten es, ganz so, als hätte er viel Entbehrung durchgemacht oder hart arbeiten müssen in seinem Leben.
Grobschlächtig würde sie das Gesicht dennoch nicht nennen. In seinen jungen Jahren war er sicher markant und kantig, eben mit viel Profil. Seine braunen Augen sprachen Ruhe aus. Die Ruhe, die man sich nur über viele Jahre erarbeiten kann. Und in seinem linken Ohr steckte ein kleiner, goldener Ohrring.
Scheinbar verfing sich Ameas Blick zu lange auf dem Ohrring, denn Johna nahm ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte ihn etwas.
>>Schön, nicht?<<
Amea konnte nur nicken. Sie war doch recht peinlich berührt, dass er bemerkte, wie sehr sie ihn anstarrte.
>>Das ist mein Zeichen der Zunft, dass ich Meister bin.<<
Nun war Amea völlig überrumpelt und starrte Johna unverhohlen an.
>>Meister? Welcher Zunft?<<
>>Der Feinschmiede und Giesser.<<
Amea sprang von der Bank hoch und vollführte einen Jubelschrei. Johna hingegen wusste nicht so recht, was er mit Ameas verhalten anfangen sollte. Etwas distanziert betrachtete er sie. Seine Verwunderung konnte nun auch er nicht verbergen.
>>Oh, verzeiht bitte. Ich bin Amea bint Esna Sa-Alliel… Eben aus jener Zunft.<< Zum Beweis legte sie ihre linke Hand auf den Tisch und zeigte ihm ihren Silberring.
>>Ah, ihr habt die Lehre bereits abgeschlossen, wie ich sehe. Ich bin übrigens Johna Kren.<<
>>Es freut mich wirklich sehr, Herr Kren. Und vielleicht könnt ihr mir bei einem Problem helfen, mir einen Rat geben.<<
Johne betrachtete sie nun eingehend, ehe er sich eine Traube in den Mund schob und etwas lächelte.
>>Eigentlich gerne. Aber mein Schiff läuft in nicht einmal zwei Stunden aus. Ich bin mehr oder weniger schon wieder auf dem Weg, diese Insel zu verlassen.<<
Amea sah ihn entgeistert an. Da tat sich ihr eine Möglichkeit auf, endlich einen Rat für diese Türen zu bekommen und dann schlug wieder irgendwer diese Tür vor ihrer Nase zu. Dass war doch nicht gerecht.
Seufzend sah sie zu ihm und nickte.
>>Schon gut. Ich bekomme dass auch irgendwie selbst hin.<<
Johna betrachtete sie nun eine ganze Weile kauend. Amea wurde es langsam unangenehm, wie er sie betrachtete.
>>Was ist denn dein Problem, Kind?<<
Amea genierte sich etwas, druckste herum und wollte nicht heraus mit der Sprache. Immerhin war es ihr peinlich, nicht über die Sachen ihres Handwerkes Bescheid zu wissen.
>>Na komm schon. Du kannst nicht alles wissen. Das tue ja nicht mal ich!<<
Etwas verwundert über Johna´s Aussage begann sie langsam und stottrig etwas von sich zu geben. Doch der leicht strenge, väterliche Blick, den er nun aufsetzte, erinnerte Amea zu sehr an ihren eigenen Vater. Mit einem Ruck saß sie gerade da und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter.
>>Ich soll eine Tür gießen. Eigentlich zwei. Mit einem Ornament vorne darauf.<<
Johna spitzte die Lippen.
>>Eine Tür also. Soso. Na, da kann ich dir nicht helfen, Kindchen.<<
Amea war entsetzt. War er nicht ein Meister ihrer Zunft? Es konnte doch nicht sein, dass er nicht wusste, wie dies ging. Er musste ihr einfach helfen.
Gerade als sie aufbegehren wollte und sie schon drauf und dran war, auf den Tisch zu springen, wild zeternd und hopsend über ihn herzufallen, mit Worten und Titel zu bedenken, lächelte er nur sachte und machte eine beschwichtigende Geste, die Amea sofort den Wind aus den Segeln nahm.
>>Kindchen, ich kann dir das Wissen, dass hierzu nötig ist, nicht in ein paar Minuten verraten. Oder magst du diesen Tisch hier als Aufzeichnungsheft nehmen? Und wo willst du es praktisch üben? Vielleicht hier mit dem Wachs der Kerze? Begreife bitte, dazu brauchst du und ich viel Zeit. Und diese habe zumindest ich nicht. Mein Schiff geht in nicht einmal mehr zwei oder drei Stunden.<<
Amea sackte geknickt zusammen. Für einen winzigen Augenblick tat sich eine Tür auf, ein winziger Spalt. Und es reichte nur der Hauch eines Luftzuges, um sie ihr vor der Nase wieder zu zuschlagen. Das Leben war wie immer so ungerecht.
Als Johna Amea so dasitzen sah, die hängenden Schultern, den Kopf samt Blick weit gesenkt, völlig in sich zusammen gesackt, entfuhr ihm ein leichter Seufzer. Immer noch mit seinem Essen beschäftigt fragte er, mit einem Stück trockenem Brot im Mund
>>Hast du hier irgendeine Verpflichtung?<<
Wie vom Donner gerührt saß sie da. Gar nicht wissend, was nun geschehen war. Fragend blickte sie wohl drein, denn Johna wiederholte seine Frage.
>>Hast du hier irgendeine Verpflichtung, Amea? Bist du Angestellt, hast du Familie, Mann, Kinder? Irgendetwas?<<
Nach kurzem Zögern schüttelte sie ihren Kopf. Ihr viel beim besten Willen keine zwingende Verpflichtung ein. Ihre Kunden, ja. Aber viele Bestellungen waren nicht offen. Ihre Freunde, die Handvoll, die sie hatte. Aber denen würde sie sicherlich noch kurz Bescheid geben können.
Jedoch verflogen all ihre Gedanken mit einem Schlag, als Johna ihre Hand ergriff und sie hoch zog.
>>Gut, dann auf zum Schiff. Du kommst mit mir und ich bringe dir all das bei, was du wissen willst.<<
Amea traf der Schlag. So schnell sollte alles von statten gehen. So, hier auf der Stelle, ohne Bedenkzeit, sollte sie eine Entscheidung treffen. Mitgehen oder bleiben. Lernen oder selbst, vielleicht über Jahre hinweg, versuchen. Allen Freunden die Rücken kehren, ohne dass sie wussten, wo sie war noch was geschehen war mit ihr. Sie würden sich sicher alle Sorgen machen um sie.
Johna blickte sie schräg an, so als wolle er sie zurückholen aus ihrer Gedankenwelt. Amea hatte Mühe, wieder in das hier und jetzt zurück zu finden. Den Blick richtete sie mit Zweifel in den Augen auf Johna, unfähig irgendeinen Ton heraus zu bringen.
>>Ich für meinen Teil werde jetzt zum Hafen gehen, Amea. Ich hole mein Gepäck und werde vor dem Schiff auf dich warten, so lange ich kann. Aber ich werde auch ohne dich abreisen. Es ist deine Entscheidung. Ich biete es dir an, komme mit mir und lerne. Werde meine Schülerin.<<
Es lag etwas väterlich Warmes in seiner Stimme, dass Amea eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. Lange schon hatte sie dieses Gefühl nicht mehr verspürt. Sie fühlte sich zu Johna hingezogen, nicht als Frau, eher als Tochter. War es doch schon über zwei Jahre her, dass sie ihre eigene Familie zurück gelassen hatte, um ein besseres Leben zu leben, so wie sie es immer sagten. Und doch war es leer, dieses Leben. Und niemand vermochte es zu füllen. Niemand, bisher.
Mit einem Nicken besiegelte Amea das Versprechen.
>>In Ordnung, Johna. Ich komme mit dir. Aber ich muss kurz nach Hause, einige Sachen muss ich mit auf die Reise nehmen. Und sei es nur saubere Wäsche.<<
Amea sah das schmunzelnde Nicken, bei dem sich kleine Fältchen um Johna´s Augen bildeten. Sie hatte gehofft, er würde ihr zugestehen, noch rasch nach Hause zu rennen. Und auf dem Weg zum Hafen könnte sie noch bei Sarathai Bescheid sagen. Wenn er denn da sein würde.

Tja, dachte Amea so bei sich. Wäre er damals da gewesen, oder Nugambo, oder hätte sie einfach noch die Zeit gehabt, ein Schreiben aufzusetzen, so wären alle wohl nicht so sehr in Sorge gewesen um ihre Person wie sie es wohl waren. Nun sah sie langsam dem schwindenden Festland nach, als ihr Schiff volle Segel setzte und sich hart in den Wind legte.
Vor einem Mond hatte sie einen Boten durch die stürmische Wintersee voraus geschickt. Er sollte Nugambo eine Nachricht überbringen, dass sie auf dem Heimweg sei. Auf dem Heimweg. Ein schöner Gedanke. Nun, nach neun Monden, wurde es auch wirklich Zeit, nach Hause zurück zu kehren. Schließlich war sie gespannt, was sie alles in der Zeit ihrer Abwesenheit verändert hatte.
Ein schwerer Schlag ging durch das Schiff und Amea presste es in die Reling. Vom Achterdeck wurden Befehle gebrüllt und das Schiff neigte sich weiter nach rechts. Oder Steuerbord, wie die Seeleute sagten. Schwer stampfte der Segler, als er einige Wellen durchpflügte und die ersten Passagiere überließen ihr Frühstück lieber den Fischen.
Schmunzelnd sah sie nach oben, in die Takelage, wo Seeleute in den Wanden hingen und an ihren Tauen zogen. Langsam, so wie das Schiff selbst, drehten sich auch die Segel mit, bis sie vollends im Wind standen und wieder ein Ruck durch das ganze Schiff ging, als sie in die nächste Welle eintauchten. Der Winter mochte vorbei sein, aber der Frühling tobte sich ebenso gerne aus.
Als Amea die Seeleute dort oben sah, musste sie an die vielen Arbeiten in der Gießhalle denken, an jedes einzelne Mal, wo sie im Gebälk kletterte, um das Seil in den Flaschenzug zu spannen, damit man den Guss aus der Form ziehen konnte. Es war eine sehr schöne Zeit. Und diese Überfahrt würde nicht so kurzweilig werden wie die Hinfahrt.
Erschrocken schaute Amea aus, als sie plötzlich klatsch nass und völlig kalt im Wind stand. Eine Welle war über das komplette Deck herein gebrochen, einige Matrosen und Passagiere rutschten noch über das Deck und alle waren gleich nass wie sie. Von hinten brüllte wer, dass alle unter Deck sollten, die hier nichts zu suchen hatten. Dies musste man Amea nicht zwei Mal sagen.
Es waren nicht viele Schritt hinüber bis zum Luk, dass unter Deck führt, aber irgendwie kam es Amea so vor, als würde sie Berg auf steigen. Und tatsächlich, das Schiff krängte auf, legte sich nach Steuerbord und hinter Amea war nur noch Wasser zu sehen. Eimer, Holzstücke und allerlei Unrat rutschten ihr entgegen und im nächsten Moment verlor auch sie selbst den Halt. Auf den, vom Salzwasser rutschigen Planken, konnte sie sich einfach nicht mehr halten.
Mit den Füßen gegen das Rutschen stemmend, die Arme wild umher rudernd und nach halt suchend, schoss Amea über das bisschen Deck, dass sie von der Reling und dem dahinter liegenden Meer trennte. In Panik geratend versuchte sie irgendetwas zu fassen zu bekommen, doch nichts schien ihre rasante Fahrt gen Wasser bremsen zu können. Vielleicht könnte sie sich ja mit den Füßen oder Händen an der Reling festhalten. Oder sie sauste einfach zwischen den Sprossen hindurch ins Meer.
Schon mit dem Schlimmsten rechnend, die Augen geschlossen, blieb sie unvermittelt stehen, rutschte nicht weiter und in ihrer linken Hand konnte sie etwas fühlen. Rundlich, weich, warm. Als sie die Augen wieder öffnete, richtete sich das Schiff langsam wieder auf und Ameas Gewicht viel vornüber auf ihre Brust.
Verwundert blickte sie zu ihrer linken Hand hin, was sie denn da nun gefangen hatte. Und ihre Verwunderung wuchs. Es war ein Fuß. Ein Fuß und ein Stück Bein. Und als sie daran hinauf blickte, sah sie erst die dünne, dunkelblaue Leinenhose, ausgefranzt und ausgewaschen, durchnässt, wie das dreckige Hemd, das darüber zum Vorschein kam. Und in diesen ganzen Lumpen steckte ein junger Mann, vielleicht so alt wie Amea, eher etwas jünger. Einer der Schiffsjungen, würde man wohl denken. Und in seinen Augen konnte Amea die Panik sehen, die in ihr selbst gerade getobt hatte und nun nur langsam abebbte.
Etwas zittrig kam sie wieder auf ihre Beine, streckte den Rücken durch und lächelte den jungen schief an.
>>Wird schon werden, Junge. Bei dem schönen Wetter, wo die Sonne scheint, ist doch so eine Seefahrt etwas Schönes.<<
Dem jungen Mann blieben bei diesen Worten der Mund offen stehen. Gerade eben wäre diese junge Frau fast über Bord gegangen, hatte sich noch mit Müh und Not an seinem Bein festgeklammert; und dann sagte sie so etwas zu ihm?
Aber er wusste nicht, was Amea wusste. Und ihr war mehr als nur schlecht. Wie auch immer sie diese Worte hervor gebracht hatte, ein Talent für die Schauspielerei brachte sie wohl mit. Den Schiffsjungen nicht weiter betrachtend steuerte sie wieder das Luk an, das nun ebenerdig vor ihr lag. Was er wohl wirklich dachte? Bestimmt, dass sie spinnen würde.
Klatsch nass wie sie war, ihre langen Haare klebten an ihrem Gesicht, ihrem Körper. Genauso wie ihr neues, rotes Kleid, dass sie sich noch kurz vor der Überfahrt hatte gekauft. Johna hatte ihr sogar den Aufpreis für die Kabine in der zweiten Klasse gezahlt. Sie wollte ja ganz günstig unten in der Bilch reisen. Aber da hatte sie sich etwas anhören dürfen.
Da kommst du doch nie heraus, Kindchen. Wenn das Schiff absäuft geht eine der talentiertesten Gießerinnen mit untern. Und wofür hast du denn das ganze Gold gespart. Mit ins Grab nehmen kannst du es eh nicht. Also nimm schon eine Kabine weiter oben.
Seine Worte, Geschrei und Gezeter klingelten noch immer in ihren Ohren. Er war nicht nur ein guter Vaterersatz, er wäre auch ein guter gewesen. Allerdings hatte er nie eine Frau gefunden. Zumindest keine, die seine ständigen Reisen mitgemacht hätte. Und auch Amea konnte die ganzen Frauen verstehen. Jetzt, wo sie auf dem Weg zurück nach Britain war, würde er schon wieder weiter ziehen zum nächsten, größeren Auftrag.
Und ihr viel es wirklich schwer, sein Angebot auszuschlagen, mit ihm zu gehen. Weiter von ihm zu lernen, nicht nur seine Schülerin zu sein, sondern gleichberechtigt im Geschäft. Später auch seine Nachfolge anzutreten. Es war eine schöne Zeit mit ihm und nur zu gerne wäre sie bei ihm geblieben. Aber sie war kein Wanderfalke, es zog sie nicht von Ort u Ort. Sie wollte an einem Ort bleiben, ein Zuhause haben. Ihr Zuhause.
In Gedanken an längst vergangene Zeiten merkte Amea gar nichts von dem um sich herum. Nichts von den Leuten, die ihr entgegen kamen, sich unter Deck an ihr vorbei drückten. Hecktisch irgendwohin strebten, Orte, von denen Amea eh nichts wusste und um die sie sich eh keine Gedanken machen würde. Sie bemerkte auch nicht, wie sich die Laternen mal mehr mal weniger im Takt der Wellen wiegten, dass Licht flackerte, es mal heller, mal dunkler wurde. Sie realisierte erst wieder ihre Umgebung, als sie vor ihrer Kabine stand.
Seufzend schob sie von innen die Türe zu. Sie hasste es, wenn sie sich selbst nicht sicher war, von Selbstzweifeln zerfressen. Dies war nicht oft der Fall. Aber wenn er eintrat, hatte sie ewig damit zu kämpfen.
Langsam drehte sie sich dem Inneren ihres kleinen Reiches an Bord zu. Groß war es nicht, ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, einen Schrank. Aber mehr, als andere hatte. Viele hatten nur eine Hängematte, weit unter ihr, im Bauch des Schiffes. So gesehen war dies schon purer Luxus.
Alles stand noch an den Orten, wo es zu stehen hatte. Scheinbar waren die Möbel verschraubt und die Schiffszimmerleute hatten mit solch einem Seegang Erfahrung. Auch ihr Gepäck ruhte sicher verschnürt neben dem Schrank auf dem Boden und trocken war es, im Gegensatz zu den Gegebenheiten auf Deck, hier auch. Bis jetzt zumindest.
Amea zog eine Spur frischem Salzwasser hinter sich her. Ihre Haare tropften auf ihr Kleid, von ihren Kleidärmeln tropfte es auf den Boden und die Schleppe zog eine unübersehbare Spur hinter sich her. Es sah so aus, als wäre hier eine riesige Schnecke vorbei gekommen. Amea schauderte sich kurz bei der Vorstellung.
So rasch es ging stieg sie aus ihren nassen Sachen heraus; Kleid, Schuhe, Unterwäsche. Sie hatte ja alles frisch dabei. Neben der Waschschüssel auf dem Tisch lag noch das Handtuch von der Morgentoilette. Damit konnte sie sich im nu abtrocknen und ihre Haare soweit vom Salzwasser befreien, dass sie nicht weiter Sprenkel auf dem Boden verteilten.
Ihr Kleider wrang sie über der Waschschüssel aus, so gut es eben ging und ohne den teuren Stoff zu beschädigen. Auf einen der Holzbalken unter der Decke fanden die Sachen Platz, bis sie getrocknet waren. Das würde schöne Flecken im Stoff geben. Wenn er durch das Salz nicht gänzlich kaputt ging. Hoffentlich war er noch zu retten.
Aus ihrem Kleiderschrank nahm sie sich einfachere, praktischere Kleider heraus. Dies waren eher Kleider, in denen sie sich wohl fühlte. Jedem eben dass, was zu ihm passt würde der Glaronspriester wieder sagen. Und er hatte ja auch recht damit.
Eine Rolle spielen können viele, aber sich treu bleiben nicht wirklich viele. Fertig angezogen sank Amea langsam auf ihr Bett nieder. Würde sie sich denn immer treu bleiben können? Versuchen würde sie es. Auf jeden Fall würde sie ihrer Arbeit treu bleiben und dem gelernten. All dem, was ihr Johna vermittelt hatte.

Behutsam legte sich ihre Hand auf ein kleines Bündel Papiere, das zusammengeschnürt auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett lag. Sie würde nichts vergessen.
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